ZWEITE BEILAGE
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DIENSTAG, 18. OKT. 1932
einen Menschen heranzukommen auch ohne gegenseitige Sympathie. Ich lasse ja auch nicht so leicht jemanden an mich heran— aber es gibt doch für mich Worte und Blicke, die mich aufschließen... wollen Sie mir nicht helfen und mir sagen, was ich tun oder
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„Diddy ", sagt eine scharfe und leicht po- sierende Frauenstimme—„Diddy , warum mußt du sie heiraten? Bleib' Diddy chrti— hör' zu— du kannst doch alles von mir haben..."— Das ist meine Mutter, die mit einer außerehelichen Beziehung spricht— stellt(Bilgi fest. Wahrscheinlich ist Diddy Herr Longin, und ich bin die angebliche Braut von Herrn Longin Schöne Schweinerei. Mal hören, was der Gauner sagt. Der Gauner oder die vermutliche außereheliche Beziehung spricht bubihaft gekränkt und charmant auf- geregt wie ein Operettentenor, der mit seiner Gage unzufrieden ist—„ich sage dir. Mogda — ich will endlich was Solides. Der Älte nimmt mich ins Geschäft. Wenn ich die Kleine auch heirate— zwischen uns bleibt alles beim alten— Magda— ich bitte dich — mach' keine Szene— Gott, meine Nerven! Du bist eine süße Frau, aber..." Drei- minutenlange Stille, die eindeutig ist. Auf- geregt flattert dann die Bubistimme wieder auf..... natürlich ist sie es, Magda— so wie das Mädchen sie beschreibt— sie wird uns gesehen haben neulich. Magda, du mußt ihr unter allen Umständen beibringen, daß nichts ist zwischen uns... laß mich jetzt raus— es wird nur noch schlimmer, wenn sie wartet." Das wird es— nickt Gilgi.„Diddy , du wirst morgen..."„Ja doch— nur das gemeinsame Rausfahren muß aufhören...„Ja, Diddy— Diddy, sie sitzt vorn in der Diele— du mußt hinten runter..."—„Ich weiß Bescheid. — Danke, Magda— Süße—" Wenn sie ihm jetzt nur nicht die fünfhun- dert Mark gegeben hat, die ich brauche. Gilgi seufzt bekümmert. Daß Diddy „Süße" gesagt hat— hat sicher'ne Menge gekostet. Gilgi ist gerade im Begriff, sich über ihren wacke- ren, Sicherheit gebenden Zynismus zu freuen, als sich die Tür öffnet--- Kühl und hemmungslos wie ein Revue- theaterdirektor mustert Gilgi die zierliche, elegante Dame, die vor ihr steht. Gefällt mir nicht. Einzureihen. Typ: Titelheldin einer mittelmäßigen Magazinnovelle. Ganz gute Figur— bißchen unentschlossen in der Linie — halb kühl fesches Americangirl, halb mager getanzte ältere Gigolo-Mäzenin. Um eine Nuance zu teuer gekleidet— üblich geschmackvolle, aber unintime Standarduniform einer Erster-Klasse-Reisenden. Das Gesicht! Ja, wenn man will, kann man da einige Aehnlichkeit finden mit sich selbst— dieselben großgeschnittenen Augen, dieselben hoch ange- setzten Brauen, dieselbe kurze gerade Nase und das etwas kantige Oval des Gesichts. Trotzdem ein sehr fremdes Gesicht— und wenn man will— einem gar nicht ähnlich. Zu dem gepflegten Henna-Haar dürfte sie nicht so stark rot auflegen— ungeschickt das. Doch gerade diese Ungeschicklichkeit erfüllt einen sekundenlang mit einer gewissen mit- leidigen Sympathie. „Wollen Sie mich noch lange so anstarren?" fragt die Magazindame mit einem eckigen Hoteltcrrassenlächeln.„Kommen Sie bitte mit." Sie geht ins Nebenzimmer— Gilgi folgt ihr.„Bitte setzen Sie sich." Ich mag sie nicht— stellt Gilgi kalt und endgültig fest. Und was hat sie für komische schwingende Bewegungen— so ein Gemisch von Tennis- champion und Tonfilmsoubrette. Gilgi sitzt in einem niedrigen, unangenehm weichen Sessel vor einem kleinen Tischchen — ihr gegenüber die Magazindame. Der Raum ist verhangen und dämmrig— ein günstiger und sicher ausprobiert kleidsamer Aufenthalt für eine Frau über vierzig. Es riecht nach gutem französischem Parfüm. Gilgi hat das teils leicht beunruhigende, teils sehr angenehme Gefühl, das alles gar nicht wirklich zu erleben— ein Zustand fragwürdiger Augenblicksgeborgenheit wie der eines' Betrunkenen. Ihr gegenüber die Magazindame— kühl, selbstbewußt und überlegen in der Haltung. Sicher spielt sie Bridge und kann aparte Cocktails mixen und weiß, in welchen Monaten man Austern ißt, und verachtet Leute furchtbar, die nicht wissen, wann in Monte tote Saison ist...„Wollen Sie mir nicht sagen, warum Sie zu mir ge- kommen sind?" Ja, und dann wird sie sehr gut über moderne Literatur reden tönen— und manchmal ist sie stilvoll unglücklich... sie ist eine richtige Magazinnooelle— einen häßlichen faltigen Hals hat sie-- sehr geehrte arme Frau Mutter... „Warum ich zu Ihnen gekommen bin? Oh, ich will es Ihnen sagen..." Gilgi schweigt, wird sehr blaß und hat plötzlich mit körper- licher Uebelkeit zu kämpfen. Ich dachte doch, ich wäre nicht aufgeregt.. „Rauchen Sie?" fragt die fremde Dame
und klappt ein niedliches, bunt emailliertes Zigarettenetui auf, hält es Gilgi hin— „Danke", sagt Gilgi. Streicht hastig und sinnlos ein paarmal über ihren zerknautschten Trenchcoat— mir ist so übel--„Wissen Sie, das erschreckt mich— daß ein Mensch, der Hände und Füße und Augen hat wie man selber, einem so fremd sein kann, daß man meint, es wär' gar kein Mensch, sondern ganz was andres... Ach, Sie denken, ich wäre verrückt? Nein, ich bin ganz normal— nur— ich habe gerade das komische Gefühl, als wär' die Welt in zwei Hälften geteilt, und auf der einen Hälfte säßen Sie und alle andern, und auf der anderen Hälfte säße ich ganz allein. Ich würde nie Du zu Ihnen sagen können... ach, bitte, bitte, unterbrechen Sie mich nicht— ich gebe mir so große, große Mühe, ganz offen und ehrlich zu Ihnen zu reden— Sie sind ein Snob und eitel auf eine primitive Art, die mir zuwider ist— Sie sind mir sehr fremd, und ich mag Sie nicht leiden— ich finde es kümmerlich, daß Sie mich so spöttisch und ein bißchen ver- achtungsvoll ansehn, nur weil Sie jetzt gerade besser angezogen sind— sprechen Sie noch nicht— ach. es muß doch möglich sein, an
(iilyi imiflerl ihre ttluHer sprechen muß, damit Sie etwas Lebendiges für mich werden?--- „Ich verstehe nicht, was Sie meinen!" „Das können Sie ja wohl auch nicht... ja, ja, ich sage schon, was ich will. Ich will fünf- hundert Mark von Ihnen haben, und ich will Ihnen sagen, daß Sie meine Mutter sind."
„Daß— ich— was bin?" „Meine Mutter. Wenigstens insofern, als Sie mich vor einunzwanzig Iahren zur Welt gebracht haben." Kurz und klar erzählt Gilgi, was die Täschler ihr erzählt hat.—„So, und nun wissen Sie alles."--- Kein Laut ist im Zimmer— stilles, lastendes Halbdunkel— ein kleiner, stummer, weißer Fleck, das Ge- ficht der Magazindame. Irgendwo schlägt eine Tür, schrillt eine Auto- hupe— Geräusche, die helfen könnten— man dehnt sich zu ihnen hin — erreicht sie nicht. Alle Menschen sind tot — ich bin ganz allein — ich freue mich— ich werde ein Kind haben — ich freu mich— ich bin ganz traurig vor Freude... Eine Fliege summt, summt, summt. Ich kann mich nicht be- wegen— der Geruch hier im Zimmer— tausend Bänder, die sich um meinen Leib legen und um meine Arme und um meinen Kopf— es soll laut werden, ich will meine Stimme hören, ich will meine Hand bewegen können. So still — die Frau da drüben... der helle Fleck, den höre ich denken, so still ist es in mir— ich höre— ich muß antworten... (Fortsetzung folgt.)
/Jhot. taramouni
QefpenUerverein„QalgeMfiumpf Schauergelchichle von Sgidius Qreul
Es war«ine stürmische kalte Novembernacht. Wolkensetzen jagten am bleich schimmernden Mond vorüber, die halb entblätterten Bäume stöhnten und ächzten unter den fauchenden Windstößen. Die Kuppe des Berges war kahl, nur in der Mitte ragte ein Stumpf aus der Erde: er war von einem Galgen übriggeblieben, der da in geraumer Zeit gestanden hatte, und der Berg hieß darum der Galgenberg . Eben war wieder ein heftiger Windstoß vorbei- gerauscht und hatte ein Gespenst herangeweht, das nun ein wenig außer Atem am Galgenstumpf stand. „Hallo. Spinnwebgesicht, sieht man dich auch mal wieder?" sagte da jemand, der aus der Erde saß. Spinnwebgesicht drehte sich um.„Ach, du bist das, Landsknecht mit dem Dolch in dem Rücken! Wie geht's, wie steht's? Schön Wetter heute, was?" „Ja, ja", sagte der Landsknecht.„Gerade wie damals, als ich meinen Dolch verpaßt kriegte. Aber eigentlich langweiliges Wetter. Kein Mensch zu sehen, den man ein wenig graulen könnte." „Damit sei überhaupt still", meinte Spinnweb- gesicht.„Schlechte Zeiten für Gespenster. Wer glaubt denn überhaupt noch an uns?" „Richtig!" sagte da ruhig ein drittes Gespenst. „Man müßte was dagegen tun." Es sagte das unterm Arm hervor, denn da trug es seinen Kopf, und es war auch richtig der Ritter mit dem Kopf unterm Arm. Die drei begrüßten sich freundschaftlich, denn es waren alte Bekanme und sie hatten sich ziemlich lange nicht getroffen. Dann kam das Gespräch wieder darauf, daß sie in ihrem Wirkungskreis immer weniger Erfolge hatten, und es hätten ja nun nicht gut deutsche Gespenster sein müssen, um nicht darauf zu kommen, einen Verein zu gründen. Kurz und gut: der Gespensterverein „Galgenstumpf" wurde ins Leben gerufen, ge- nannt nach dem Stumpf in der Erde, bei dem sie sich getroffen hatten, und mit dem Zweck und Ziel, der Gespensterschaft wieder Geltung in der Welt zu schassen einerseits, Geselligkeit zu pflegen in zweiter Linie. Zunächst sollte jedes von den drei Mitgliedern gehalten sein, möglichst viele weitere Mitglieder zu werben, und da Spinnwebgesicht weiblichen Geschlechts war, drückte es auch durch, daß Ge- spensterdamen vollberechtigte Mitglieder sein durf- ten. Danach trennten sie sich, nicht ohne eine Nacht oerabredet zu haben, in der sie sich auf dem Galgenberg mit dem geworbenen Anhang wieder treffen wollten. ★ Die Zeit verging, die verabredete Nacht brach an, vom nahen Dorsturm glockte es langsam zwölf Uhr, ein Käuzchen schrie, da erschien als erster mit militärischer Pünktlichkeit der Landsknecht mit dem Dolch im Rücken. „Bummliges Volk!" brummte er.„Na, lagert euch inzwischen hier bei unserem Vereinszeichen." Es war eine kunterbunte Gesellschaft, die es sich da bequem machte: der Mann im Sarg, der im
Grabe keine Ruhe hatte, der Mönch mit feuriger Kutte, der sein Kloster angezündet hatte, der Mann ohne Kops mit. der Schubkarre, in der drei weitere Männer ohne Köpfe saßen, und ein rollendes feuriges Rad, in dem anstatt der Achse ein Mann steckte und immerfort ächzte. Sie hatten nicht lange zu warten, da erschien der Ritter mit dem Kops unterm Arm. „Da sind wir!" schrie er unterm Arm hervor. „Gute Geisterstunde, Landsknecht mit dem Dolch im Rücken! Bist ja auch tüchtig gewesen! Sieh mal, wen ich mitgebracht habe: Da, den Schäfer mit feurigem Hund! da, den Wüstemann! da, den Reiter auf der Sau! und da, das Haulemännchen!" „Sehr angenehm, sehr angenehm!" sagten die Gespenster und begrüßten sich mit lebhaftem „Gute Geisterstunde!" „Wo bleibt Spinnwebgesicht?" fragte der Lands- knecht mit dem Dolch im Rücken.„Weiber sind doch immer unpünktlich. Hätten sie gar nicht im Verein zulassen sollen!" „Unsere Schloßuhr geht etwas nach", sagte da Spinnwebgesicht und schwebte heran.„Ihr müßt entschuldigen, dafür bringe ich auch eine Menge Mitglieder Darf ich bekannt machen?— Bitte, die weiße Frau mit dem Schlüsselbund— bitte, Blauflämmchen— bitte, die steinerne Jungfrau—
Zllfabeih Pohlens: Schlacht Gestern schleppten sie ein Eier auf den Hof Und banden es fest. Sie schlugen es. Daß es fiel, Uber es starb nicht.... Sie schlugen— Ts starb nicht.... Sie mutzten oft schlagen— Ts stöhnte Clus geöffnetem Maul Seine Dual. Tndlich war es erlöst. Sein Blut wurde aufgefangen lln einer Schüssel. Die Hände der Männer Maren rot von dem Blut, Und auch die Trde. Jetzt liegt sein Leib, Aufgeteilt. ?n Felder. Mie eine Landschaft— Huf kaltem Stein Um Keller. Bn den undichten Fenstern Schnuppern Die Katzen.
bitte, Schlüsselkathrin mit der Laterne(man sah nur die Laterne und die Hand, die sie hielt)— bitte, Irrwisch— bitte, die gelbe Schloßjungfrau mit dem Raffzahn— bitte, die Dame mit dem schwarzen Ziegenbock!" Alle Männlichen Gespenster hatten sich erhoben und machten ihre Verbeugungen, während die Damen zierlich knicksten und„Gute Geisterstunde!" flüsterten. Dann setzten sie sich in bunter Reihe um den Galgenstumpf. Nun traf es sich, daß Spinnwebgesichts Anhang ausreichte, jedem Ge- spenst eine Dame zuzustellen, bloß für den Lands- knecht mit dem Dolch im Rücken blieb keine übrig, und das war gut so, denn der machte sich nichts aus den Frauen. Darum wurde er auch einstim- mig zum Vorsitzenden des Vereins gewählt. Spinnwebgesicht hatte aber nicht bloß Mitglieder gesammelt, sondern auch eine Vereinssahne gestickt, die auf schwarzem Grunde einen silbernen Galgen trug. Fahnenträger wurde der Reiter auf der Sau, als der einzig Berittene. Vorläufig wurde die Vereinsfahne in die Mitte des Kreises»eben dem Galgenstumpf ausgepflanzt und flatterte ge- spenstisch im Winde über dem Landsknecht mit dem Dolch im Rücken, der die Versammlung er- öffnete. Es wurde viel und lebhaft geredet. Der Lands- knecht mit dem Dolch im Rücken verlangte vor allem wieder gekrönte Häupter im Land und fand allgemeinen Beifall, im besonderen den der Weißen Frau mit dem Schlüsselbund und den der gelben Schloßjungfrau mit dem Rastzahn. Die Steinerne Jungfrau plädierte für Nassereinheit aller zünf- tigen Gespenster, der Reiter auf der Sau für Wiedereinführung des His primae noctis. Die Schlüsselkathrin mit der Laterne stellte den Antrag aus Moral und Zwickeltragen, der Mönch auf Todesstrafe gegen alle Freidenker und der Ritter mit dem Kopf unterm Arm auf freies Stegreif- reiten und Rauben. Der Schäfer mit dem feurigen Hund verlangte Abschaffung der Aerztcprioilcgien, der Mann ohne Kopf mit der Schubkarre Ent- hauptung aller Arbeitslosen, und so ging's fort. Es würde zu weit führen, alles aufzuzählen, was die Gespenster für gut und billig erachteten, um sich wieder die nötige Geltung zu erobern, jeden- falls einigten sie sich endlich darauf, nach Verlin, als der Reichshauptstadt zu ziehen, um sich dort zunächst das Ansehen zu verschaffen, das ihnen zustände. Darauf wurde mit einem Tänzchen um den Galgenstumpf die erste Sitzung geschlossen, und erst als die nahe Dorfuhr Eins schlug, verschwand der Spuk in alle vier Winde. Tic Sie trafen wirklich in Berlin zusammen und hatten das Doch der Gedächtniskirche als Sammel- punkt gewählt. Aber zumal die Damen wurden zaghaft, als sie das Lichtmeer und den brausenden Lärm, der zu ihnen hinaufstieg, wahrnahmen. Jedoch der Landsknecht mit dem Dolch im Rücken kommandierte forsch:„Abstieg!" und so letzten sie sich in Bewegung. Voran der Reiter auf der Sau als Standartenträger, ihm zur Seite die Frau mit dem schwarzen Ziegenbock, dann folgten di«