Einzelbild herunterladen
 

ZWEITE BEILAGE

MITTWOCH, 19. OKT. 1932

Sie glauben, das wäre nicht wahr, was ich Ihnen sagte! Wie kann ich beweisen vielleicht Erpressung oh, tauschen Sie sich nicht. Sie versuchen nur, das zu glauben, weil Sie es wünschen aber Sie haben ge­nau gefühlt, daß alles wahr ist Wahrheit fühlt man immer. Warum wehren Sie sich? Sie brauchen sich nicht zu quälen und sich verpflichtet zu fühlen, jetzt erschüttert zu sein oder irgend etwas für"mich zu empfinden. Wundern Sie sich nicht, daß Sie gleichgültig sind das ist keine Erlebnisunfähigkeit, die Sie erschrecken muß man kann nicht so zwangsweise und unmittelbar reagieren das kommt immer erst später.--- Ich bitte Sie, sagen Sie etwas ich ertrage das nicht, daß Sie wie eine lote dasitzen ich habe das Gefühl, mitzusterben. lind wenn Sie jetzt sprechen bitte lügen Sic nicht und versuchen Sie nicht, mich Du zu nennen das wäre so beschämend und peinlich, denn Sie können jetzt noch gar kein Du für mich fühlen..." Gilgi schweigt erschöpft kleine Schweißtropfen perlen auf der blassen Stirn. Unsägliche körperliche Anstrengung jedes Wort. Drüben der weiße Fleck bewegt sich ein greller roter Mund versucht zu sprechen Gilgi beugt sich vor.wartet auf ein Wort... Ich muß ihr helfen es muß furchtbar für sie sein, nichts sagen zu können ich fühle, wie furchtbar das'für sie ist. Ich muß ihr den Zusammenhang mit ihrer Welt wiedergeben... Vielleicht sind Sie beschämt und bedrückt, daß Sie jetzt nur Angst haben vor Skandal und Durcheinander in Ihrem Leben das braucht sie nicht zu bedrücken das ist sehr natürlich, daß Sie daran denken. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben niemand weiß etwas, und niemand wird was wissen. Seien Sie verständig und konsequent da­mals paßte ein Kind nicht in Ihr Leben ich war ein kleiner Unglücksfall für Sie Sie haben ihn in höchst anerkennenswerter, energischer Weise aus Ihrem Leben gestrichen oder streichen lassen sicherlich mit einigen inneren Kämpfen und Gewissensbissen. Aber zweifellos haben Sie das getan, was am stärksten und endgültigsten Ihren Neigungen entsprach... Weinen Sie doch nicht Sie haben sich Ihr Leben nach eignem Geschmack ausgebaut verleugnen Sic den jetzt nicht. Sie haben sich nach Möglichkeit die Freuden geschaffen, die eben Freuden für Sie sind.. Ein zitterndes Stöhnen von drüben Gilgi greift nach einer Zigarette, zündet sie an hält sie der kleinen weißen Frau hin Da nehmen Sic es ist gut, jetzt etwas Alltägliches zu tun." Ich habe ihr etwas Vöses angetan, weil ich zu ihr gegangen bin ich muß ihr helfen... Unendlich weich ist Gilgis Stimme:Bleiben Sic doch jetzt ehr­lich und konsequent. Geben Sie sich keine Mühe, plötzlich mehr als Gleichgültigkeit für mich zu empfinden. Es ändert sich ja doch nichts in Ihrer Lebenseinstellung und in Ihren Wünschen Sic müssen nicht glauben, es müßte sich jetzt was ändern. Sie haben sich längst für eine bestimmte Lebensrichtung und Geschmacksrichtung entschieden. Sie können auch ganz zufrieden und unbelastet sein ich habe es sehr gut gehabt in meinem Leben ich lebe gern und dafür, daß sie mich geboren haben, danke ich Ihnen sehr. Das kann noch lange nicht jedes Kind zu seiner Mutter sagen, nicht wahr? Im übrigen haben Sie nicht die geringste Verpflichtung gegen mich und ich nicht gegen Sie. Wir beide gehen uns nichts an. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier ich brauche Geld. Aber denken Sie um Gottes Willen nicht, ich glaubte, das von Ihnen verlangen zu dürfen ich bitte Sie nur darum.. Zitternde Finger lassen die Zigarette fallen Gilgi drückt sie sorgsam im Asch­becher aus. Immer und nur wollen Menschen Geld von mir haben", sagt endlich eine seltsam leere kindliche Stimme. Das ist ganz natürlich von jedem Menschen wird von anderen das gewollt, was er geben kann das. wovon er am meisten hat Liebe. Mitleid, Schönheit. Ge- danken, Freude oder Geld." Und ich habe nur Geld zu geben?" Ich wüßte nichts was- Sic mir sonst geben könnten." Sie sollen morgen Geld haben." Morgen ist es zu spät." Ich habe jetzt kein Geld." Aber ich brauche es jetzt mein Gott jetzt verstehen Sie. es ist nicht für mich nie wäre ich für mich hierher gekommen, es geht da um Freunde..."Die Frau faßt plötz- lich nach Gilgis Hand Gilgi zieht sie hastig

(jrigorjj Ofcheroff: 3� ci f 1 1 u i? o

zurückfassen Sie mich nicht an ich bitte Sic es ist besser für Sie, wenn Sie mich nicht erst anfassen." Sie müssen mir erzählen von sich ja, Sic müssen zu mir kommen immer wann?" Schwer und offen liegen Gilgis Hände auf dem Tisch man kann sie nicht heben man will aufstehn und kann die Hände nicht heben. Der Raum dreht sich um sie Nebel, Nebel tanzende Schatten gelbe Wolken zuckende Luit Ich werde nie mehr zu Ihnen kommen, ich wäre nur eine Störung für Sie und Sic für mich. Und Ihre Welt ist mir fremd und zuwider, ich will nichts mit ihr zu tun haben. Ich muß jetzt gehn ich habe ver­sprochen zu helfen das muß ich halten ich habe keine Zeit mehr, ich muß sehn, wo ich Geld herbekomme." Gilgi sieht auf die kleine zusammengesunkene Frau die hebt den müden, leeren Blick zu Gilgi empor

streckt beide Hände vor zieht sie plötzlich wieder zurück und streift langsam einen Ring nach dem andern von den schmalen, glatten Fingern legt einen Ring nach dem andern in Gilgis offene Hände den blauen ©aphir den grünen Smaragd die beiden Brillanten und die große Perle. Ein Häufchen Platin und Steingeglitzer in Gilgis Händen. Das war schön von Ihnen", sagt Gilgi mit zitternden Lippenaber haben Sie die Ringe nicht lieb ich meine, gab Sic Ihnen nicht jemand, den Sie lieb haben?" Wieder eine leere, kindliche Stimme;Von meinem Mann habe ich sie jedesmal wenn er mich betrogen hat, schenkt er mir ein Schmuckstück..." Ich will gehn", sagt Gilgi und steht auf. Auch die Frau will sich erheben, wird plötz- lich noch weißer als vorher, fällt hintenüber mit einem Satz ist Gilgi bei ihr. Legt den schlaffen, kleinen Kopf aus die Sessellehne hält fest in der linken Hand das Häufchen glitzernder Steine... sie ist ohnmächtig ge- worden-- ich habe nie geglaubt, daß Menschen wirklich ohnmächtig werden ich hätte nie für möglich gehalten, daß es das gibt... was tut man denn da? Wasser ja Wasser Wasser Wasser--- aach, das ist zuviel alles Gilgi sinkt in die Knie streicht über den schmalen nackten Arm. der schlaff und leblos herabhängt. Die kleine Magazindame ist meine Mutter ich hätte

nicht zu ihr gehn sollen. Aber sie wird schon wieder in Ordnung kommen sie hat einen Diddq und einen braven Mann, dessen Un­treue so lukrativ für sie ist bald wird er wohl sechzig sein, dann fängt er erst richtig an, Seitensprünge zu machen, und dann wird sie viele schöne neue Ringe bekommen Gilgi drückt kurz die kleine, nackt geschenkte Hand... du kleine Magazindame dir geht es nicht schlecht aber Hertha die arme Hertha Hertha! Das Geld! Martin! Gilgi springt auf, rennt aus dem Zimmer be­gegnet auf dem Flur dem Mädchender gnädigen Frau ist schlecht geworden, gehen Sie zu ihr sofort." 6.30 Uhr. Bis sieben kann der Hans die Ringe noch versetzen oder verkaufen. In spätestens zehn Minuten kann man in der Friesenstraße sein. Es ist kein Umweg, wenn man vorher bei Martin vorbeigeht. Nur ihm schnell sagen, er soll keine Angst haben. Er- klären wird man später. Das alles wird sehr ruhig und vernünftig überlegt. Schnell und sicher schreitet Gilgi aus. Alle Gefühlsbewe- gungen und erlebten Begebenheiten sind für den Augenblick ausgelöscht, nur der Gedanke lebt: ich hab's geschafft. Kaum hat sie die Jlurklingel überhaupt angerührt, da reißt Martin schon die Tür auf. Helle Angst und Wut brennen aus seinen Augen.Wo warst du! Mein Gott gleich sieben Uhr ich suche dich überall..." (Fortsetzung folgt.)

Mirche in J'ofllano An der Küste zwischen Sorrent und Amalfi , die steilen Abhänge einer tiefen Schlucht erklimmend, liegt versteckt das kleine Fischerdärfchen Positana. Dieses Dörfchen ist in Deutschland , in England, in Skandinavien , in Holland sehr bekannt: man hat es besungen, gemalt, konterfeit, geknipst. Die ersten Maler, die Entdecker Positanos, wurden (wie die Pofirano-Chronik weiß! auf Grund ihrer Positano-Bilder sogar prominent. Das soll aber vor longer Zeit gewesen sein und seither ist es niemanden mehr passiert. Zur Zeit werden Positano -Landschasten von deutschen Ausstellungen nicht mehr angenommen.. Das Geheimnis vom neuentdecktenMotiv"- Land, das unter strengster Diskretion von einem Maler zum anderen überging, sickerte allmählich bis zu den Namenlosen durch und kam so auch zu mir, ein Kollege hat es mir in einer schwachen Stunde zugeraunt. Das war vor Iahren in München im Casä Stefanie. 5?eute ist Positono ach, sprechen wir nicht davon, wer alles sich dort einfindet! Selbst mein ehrbarer Schneidermeister tauchte eines Tages neben meiner Staffelei auf. Und dann die Damen! Die Fischerjungen finden die blonden Signorinas inolto bella", und die Glieder der Signorinas recke» sich mit hörbarem Knarren unter der Glut der schwarzen Augen... Maler sind fast keine mehr da nur einige Sporeatellis"(Leinwandbeschmutzer), wie die Ein- geborenen sie nennen, schleichen inil riesigen Lein- wänden durch die Cito morta. Mehrere Sommer verlebte ich in Positano und nun gehe ich nicht mehr hin. Es ist ein gefährliches Nest. Wenn man einmal dort war, steht es einen immer wieder hin, und schließlich bleibt man noch dort hängen. Aber es hat noch andere Gefahren: man kann dort zum Beispielspinnet" werden, wie der Münchener das nennt. Im Laufe der Jahre ist eine ganze Kolonie solcher Unglücklichen dort entstanden. Die Hitze soll daran schuld sein. Möglich auch, daß sie schon früher dazu neigten... Jedenfalls habe ich noch keinen Fremden dort ge- troffen, der nicht etwas geistig umnachtet gewesen wäre. Sogar Schmer- und Spißbäuche bekommen nach ein paar Wochen Aufenthalt dort einen merkwürdig starren Blick.. Man kann dort leicht Philosoph. Teppichknüpser oder Kriminalroman- schriftsteller werden. Ich gehe nicht mehr hin.. Und doch... sobald der Schnee bei uns ge- schmolzen ist und das erste Blau über die Dächer

guckte ergreift mich die Sehn- versammelt, und nach einer Stunde bin ich aus- sucht nach Positono... gefragt, aufgenommen und nicht mehr interessant. Ziellos, zeitlos, wunschlos liege ich im heißen Sand am Strand ausgestreckt. Alles was außer- Kaum merklich ruckt der halb Positanos geblieben ist, was vorher für mich Dampfer noch vorn durch die Welt bedeutet Hot ist vergessen, entschwunden. dos uralte Wasser im Golf Der Strand bebt und dampft von herobprasseln- von Neapel . Links pafft der den Feuersalven, das Meer liegt weich und glatt Vesuv seine ewige Pfeife. und unhördar von Flammengarben durchschossen Eine ganz große blanke im slinnnernden Raum, der ganze Himmel glüht, Sonnenscheibe wippt hin und»nb da» bißchen Kobalt, das noch übrigblieb, her, wie ein Sieb in unsicht- schmilzt langsam ob. baren Händen und streut Ich liege auf dem Grunde eines tiefen Sees, verschwenderisch über dos der nur Licht und Farbe ist, und lausche in dos Schiff, das Wasser und alles stumme Brodeln um mich. Durch Tausende von ringsum Licht und Wärme in verflogenen Sommer- und Lichttagen in die Ewig- dicken Bündeln herab. Licht- keit zurück schaue ich. Stumme Schlachten braun- uneo'y Oscherotj punktchen entzünden sich im gebrannter, von der Sonne berauschter Menschen dunstigen Silbergrou, werden und wilder Rosse toben in der rotglühenden fernen bald zu bunten Häusern, Tiefe der Vergangenheit. Wie glühende Geißeln Polazzos und Hotels über schroffe Abhänge ver- peitschen mich die Sonnenstrahlen, das Blut rast streut: wir nähern uns Sorrent . Die rötlichen und sprudelt vor Lebensglückseligkeit... Bergkanturen dahinter verlieren sich in der grau- Tag für Tag die gleiche Sonnenorgie. Unter roten Himmelstiese. Wie ein ausgebreiteter Adler breitrandigem Strohhut sige ich vor der Stoffelei liegt weiter rechts über dem Wasser die Silhouette in eine Farbenwelt verwoben, ausgelöst. Die Wirk- Copris. lichkeit, die wunderlichen Formen der Berge und Nach kurzem Aufenthalt vor Capri , wo die Häuser sind nur Erinnerungen aus Kindertröumen meisten Reifenden aussteigen, kriecht der Dampfer einer unwirklich, wirklichen Welt... zurück zur Küste hinüber, biegt um die scharfe* Landzunge mit dem roten Leuchtturm darauf, Ich glaube, ich fahre dach wieder nach Positono. und mit einem Ruck beginnt eine neue Welt..... Unendlich schwere Barren Gold rem. IHeer Grigory Oc�rot �id