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Staatsrecht im Urteil 190Der Mann   mit der Nilpferdpeitsche

Eine juristische Kritik des Leipziger Urteils

Das Staatsgerichtshofsurteil zerfällt, wenn man einmal von den prozessualen Fragen ab sieht, in zwei völlig getrennte Teile.

1. Die Verneinung der Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1. Mit erfreulicher Klarheit iſt hier gegenüber allen Versuchen, die Anwendungs­voraussetzungen dieser Bestimmung als reine Er­messenssache hinzustellen, flargelegt worden: die Frage, ob ein Land seine Pflichten gegen das Reich nicht erfüllt hat, ist eine Rechtsfrage und als solche vom Staatsgerichtshof nach zu= prüfen. Da der Staatsgerichtshof auf Grund eingehender Prüfung zu dem Ergebnis kam, daß der preußischen Regierung feinerlei Pflicht­verlegung vorgeworfen werden kann, konnte er die Frage der vorgängigen Notwendigkeit einer Mängelrüge eine ebenfalls für die Regierung von Papen sehr heifle Angelegenheit- dahin­gestellt bleiben lassen.

So erfreulich klar dieser erste Teil der Urteils­begründung ist, so in sich widerspruchsvoll ist leider der zweite Teil, der sich mit den Voraus­setzungen des berühmten Art. 48 Abs. 2 befaßt. Auf die Frage des Verhältnisses von Abs. 1 zu Abs. 2 ist der Gerichtshof überhaupt nicht ein­gegangen. Er hat somit die Frage, ob nicht die ausdrückliche Berneinung von Pflichtverletzungen von entscheidender Bedeutung für das Vorliegen der Störung von Sicherheit und Ordnung ist, überhaupt nicht behandelt.

Statt dessen war er offensichtlich bemüht, jede materielle Nachprüfung sowohl der Voraus­fetzungen der Anwendbarkeit des Art. 48 Abs. 2 als auch den Inhalt der auf Grund dieser Be­ftimmung getroffenen Maßnahmen geradezu ängstlich zu vermeiden, um so die präsidentielle Pragis des Art. 48 Abs. 2 in feiner Weise zu präjudizieren.

Nur so ist die Feststellung zu verstehen, daß zu der Frage der Nachprüfung der Voraussetzung des Art. 48 Abs. 2 deshalb keine Stellung genom men zu werden braucht, weil die Tatsache der schweren Störung von Ruhe und Ordnung am 20. Juli offenkundig war. Nur aus der Tatsache, daß die Frage des Verhältnisses von Abs. 1 und 2 überhaupt nicht erörtert worden ist, läßt sich erklären, daß der Punkt ob nicht die Gefahrenlage durch die Maßnahme der Reichsregierung selbst erzeugt worden ist. ausdrücklich als unwesentlich an­gesehen wurde. Eine schwere juristische Unter lassungsfünde, die zu der Ansicht verleiten muß, daß Treu und Glauben nur zugunsten, nicht aber zuungunsten der mächtigeren Partei zur Anwen dung zu kommen hat!

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Endlich aber die bedentlichste aller Rechtskonstruktionen, die zur Recht fertigung dafür angewendet wurde, daß der Reichspräsident nicht nur die polizeilichen, sondern alle staatlichen Machtmittel Preußens an das Reich übertragen fonnte. Der Staatsgerichtshof gebraucht hier, um nicht prüfen zu müssen, welcher Anlaß zur Uebernahme der einzelnen Ministerien vorhanden war, einen seltsamen Ausweg. Er prüft lediglich nach, ob unter den konkreten Um­ständen der Reichspräsident innerhalb seines pflichtgemäßen Ermessens handelt, wenn er den Reichskommissar ermächtigt, die Bereinheitlichung der staatlichen Machtmittel vorzunehmen.

Mit der Feststellung, daß in der reinen Ermächtigung feine Ermessensüberschreitung zu finden ist, hält er seine Aufgabe in diesem Punkt für beendet und sagt ausdrücklich, daß die Frage, ob der Reichskommissar bei seiner Vertreibung der einzelnen preußischen Minister fachgemäß verfahren ist, den Staatsgerichtshof nichts angehe, da der Reichskommissar hier nur dem Reichspräsidenten verantwortlich sei.

Es wird hier also wieder die Frage der Zu läffigkeit der Ermessungsnachprüfung schlechtweg verneint, sie wird aber natürlich auch nicht be­jaht, sondern der Staatsgerichtshof schiebt lediglich die Berantwortlich feit Dom Gerichtshof an den Reichs­präsidenten ab.

Indem Preußen so tatsächlich seiner Macht­mittel beraubt wird, ohne daß eigentlich eine Ent. scheidung darüber gefällt wird, ob dafür ein hin­reichender Grund besteht, wird die Reprä sentation des Landes der alten Staatsregierung zugewiesen, ohne daß ersichtlich wäre, wie diese unmögliche Spal­tung der Staatsgewalt staatsrechtlich im vollen Umfang durchgeführt werden soll. Hier rächt sich die Beschränkung der Nachprüfung, die dazu ge führt hat, daß der gesetzmäßigen Regierung feinerlei Arbeitsgebiet mehr zufällt.

Zwar wird der rechtmäßigen Regierung die Bertretung im Landtag zugestanden, was aber im Effekt nur dazu führen wird, daß dem Land­tag gegenüber jegliche Verantwortlichkeit aus­geschlossen ist. Die nichtgeschäftsführende Regie­rung ist verantwortlich. der geschäftsführenden Erfagregierung wird damit aber ihre Unverant­wortlichkeit bescheinigt. Wie unter diesen Um­ständen die Preußenregierung die ihr ebenfalls zugesprochene Vertretung im Reichsrat durch­führen soll, ist schwer ersichtlich. Zumal der Staatsgerichtshof ohne weiteren Grund noch ein neues Damoflesschwert über die Preußenregie­rung aufhängt. Denn er weist Herrn von Papen vorsorglich darauf hin, daß ein an und für sich möglicher Widerspruch, den sich die Preußenregie­rung im Reichsrat gegen das Reich erlaubt, eine dem Art. 48 Abs. 1 widersprechende Geschäfts

führung mithin als Pflichtverletzung angesehen werden kann.

Klargestellt ist lediglich, daß die falte Reichs. reform über den Reichsrat wohl nicht mehr er= folgen kann, und weiterhin steht auch fest, daß Herr von Gayl die preußischen Minister nicht mehr hindern kann, sich im Reichsrat zu betätigen. Der Saz der mündlichen Urteilsbegründung, der die Beamtenanstellungs- und Entlassungsfragen betrifft, ist zu unklar, als daß daraus etwas End­gültiges entnommen werden könnte. Von Belang scheint noch, daß die im Reichstag erörterte Frage, ob durch Notverordnung Anleihen aufgenommen werden können, Dom Staatsgerichtshof für

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Preußen jedenfalls verneint worden ist. Im ganzen ein unbe­auch juristisch gesehen friedigendes Urteil, das noch zu viel unbefriedi­genderen Folgen führen wird.

Otto Kirchheimer  .

Severing über das Urteil

Eigener Bericht des Vorwärts"

Braunschweig  , 25. Oftober. Der größte Saal Braunschweigs, die Stadt­halle, konnte heute abend nicht die Massen der Eisernen Front faffen, die zur Severing­Rundgebung aufmarschiert waren. Genosse Seve ring, von den rund 10 000 Männern und Frauen stürmisch begrüßt, wandte sich zunächst aufs schärfste gegen den Kurs des Herrn v. Papen  . Wenn dieser Reichskanzler glaubt, allein mit dem Reichspräsidenten   die Dinge in Deutschland   zu meistern, so sei ihm zugerufen:

Das Bolt ist auch noch da, es läßt sich nicht ausschalten!( Stürmische Zustimmung.) Das Bolt will feine Präsidialkabinette, sondern politisches Recht, wie es in der Verfassung ver­antert ist.

Nach einer scharfen Abrechnung mit der Demagogie sowohl der Nazis wie der Kommu­niften erklärte Genoffe Severing zu dem Leip. ziger Urteil folgendes:

Die Reichsregierung hatte damit gerechnet, daß fie durch ihre Staatsfommissare in Preußen die preußischen Reichsratsstimmen instruieren darf. Das ist ihr durch das Leipziger   Urteil unter­sagt worden. Wenn heute in einem offiziösen Kommentar der Reichsregierung behauptet wird, daß diese Entscheidung den Erwartungen ent­spräche, so stimmt das nicht. Bereits bei den ersten Auseinandersetzungen mit den Herren von Papen und von ay über die Einsetzung eines Reichskommissars in Breußen habe ich dar auf hingewiesen, daß der Borilaut der Amtsenthebung mit den Artikeln 17 und 63 der Reichsverfassung nicht Dereinbar sei. Das ist heute bestätigt worden.

Beide Herren haben sich damals ausge­fchwiegen. Wenn sie jetzt hinterher erklären, fo weit sei die Amtsenthebung nicht gedacht, so haben sie nachträglich diese Kenntnis von ihren Rechtsberatern gewonnen."

Severing erhielt stürmische Ovationen.

Von Hitlers   Auto aus wurde mit schweren Nilpferdpeitschen auf politisch Andersdenkende ein­geschlagen.

In dieser Sklavenhalterart möchte Adolf Hitler   das deutsche   Volk regieren!

Havemann con brio

Violinkonzert mit Pfeifkonzert

Eigener Bericht des ,, Vormärts" Frankfurt  , 25. Oktober. Die Leitung des Frankfurter   Orchestervereins hatte, wohl auf Weifung der obersten Rundfunk­behörde, als Solisten ihres Montags- Konzerts den Geiger Gustav Havemann   verpflichtet, der als Dirigent eines Berliner   nationalsozia listischen Orchesters sich parteipolitisch sehr start exponiert hat. Vor und während des Kon­zerts fam es zu politischen Rundgebun gen. Auf der Straße wurden Handzettel verteilt, die zum Boykott des faschistischen Rundfunks auf­forderten und das Verhalten Havemanns glossier. ten, der für Geld das Konzert des Juden Men= delssohn spiele.

Als Havemann das Podium betrat, wurde er mit einem Pfeiftonzert empfangen. Schließlich konnte das Mendelssohnsche Konzert zu Ende geführt werden. Am Schluß des Musik­stückes begann das Pfeifkonzert aufs neue.

Der Rundfunkstandal

Scholz gerüffelt

Selbst die Deutsche Tageszeitung" nennt die Rundfunkveranstaltung vom Sonnabend Rezereien am Wochenende" einen Standal von ungewöhnlichen Ausmaßen, Wie man hört, hat inzwischen ber zuständige Reichsinnen­minister den verantwortlichen Rundfunkkom­

Liebesgaben und Reichsfinanzen

Eine schlechte Halbjahresbilanz Großes Reichsdefizit

Die erste Tat des Papen  - Kabinetts war, ben früheren Regierungen die Schuld an einer 3er rüttung der Reichsfinanzen in die Schuhe zu schieben. Diese unglaubliche Behauptung stand in trassem Widerspruch zu den Tatsachen, denn trog der außerordentlichen Berschärfung der Wirt­schaftskrise fonnte das Kabinett Brüning den Haushalt im Finanzjahr 1931/32 fast ausgleichen. 3war war im Gesamtergebnis ein Fehlbetrag von rund 449 Millionen Mark entstanden, zugleich aber waren 420 Millionen Mark furzfristige Schulden getilgt worden, so daß ohne diese Schuldentilgung Einnahmen und Ausgaben des Reiches im vergangenen Finanzjahr nahezu balancierten.

Jetzt veröffentlicht das Reichsfinanzministerium die Entwicklung der Reichsfinanzen im ersten Halbjahr des laufenden Rechnungsjahres 1932/33 ( 1. April bis 30. September). Diese sechs Monate fallen bereits zum größten Teil unter die Verantwortung der Baronsregie= rung. Man muß sagen, daß das Ergebnis der Bapenschen Finanzgebarung nicht gerade den Schluß zuläßt, daß dieser Kanzler ,, den in drei­zehn Jahren aufgehäuften Schutt" hinwegräumt!

Die veranschlagten Einnahmen waren auf 3732 Millionen Mark festgesetzt, dagegen find in diesem Zeitabschnitt nur 3352 Millionen Mart eingegangen. Das erste Halbjahr schließt also mit einem Defizit von 380 millionen ab, so daß sich, auf das ganze Jahr übertragen, ein Defizit von reichlich einer dreiviertel Milliarde ergibt.

Allerdings verspricht sich das Papen- Kabinett noch belebende Wirkungen für die Reichsfinanzen von der Wirtschaftsankurbelung. Was man bisher

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von dieser Ankurbelung zu sehen bekommen hat, berechtigt jedoch zu keinem Optimismus.

Die einzelnen Bosten der Steuer- und Zoll­einnahmen lassen die zusätzlichen Massen­belastungen deutlich in Erscheinung treten. Der größte Teil der Steuerausfälle geht zu Lasten der Besiz- und Verkehrssteuern. Die Einkom= menssteuer ist um 145 Millionen Mark hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Körper schaftssteuer blieb allein in den letzten drei Monaten um 28,1 Millionen hinter dem Vor­anschlag zurüd.

Bei der Industrie Aufbringungs. umlage blieben die Einnahmen vom Juli bis September gegenüber der gleichen Zeit des Vor jahres um 75,1 Millionen Mark zurüd, was auf aus der besondere Subventionen Bapen Verordnung im Juni dieses Jahres zurüd. zuführen ist. Andererseits haben die Umsat steuer vom Juli bis September 98,4 Millionen Mart mehr eingebracht, die 3ölle fast 30 Mil­lionen Mark und die Zuckersteuer 12,6 Mil­lionen Mark mehr.

Diese Mehreinnahmen gingen ausschließlich zu Lasten der breiten Maffen, deren Ein­kommen durch Lohndrud und Arbeitslosigkeit schon unerträglich gefürzt worden ist.

Bei einer derartigen Entwicklung der Reichs­finanzen kann das Mißtrauen der Deffent­lichkeit gegen die wahllose Verschleuderung von Riefenfubventionen und ihre Finanzierung mit Schahzanweisungen gar nicht groß genug fein.. Diese hemmungslose Liebesgabenpolitif steht jedenfalls das zeigt dieser Ausweis des Finanzministeriums ganz eindeutig schärf stem Widerspruch zu der Entwid lung der Reichsfinanzen!

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missar Scholz ersucht, dafür zu sorgen, daß Vorträge dieser Art in Zukunft unterbleiben. Zu gleicher Zeit ist Scholz der Auftrag gegeben wor den, auf die Programmleitungen dahin einzu­wirken, bei der Auswahl der Vortragenden vor­fichtiger zu sein. Das ist alles. Und das ist mehr wie dürftig. Es ist ja tein Geheimnis mehr, daß die Regierung Papen   mit der neuen Rundfunk­leitung, die nicht nur innen politisch Schwie. rigkeiten macht, sehr unzufrieden ist. Trotzdem läßt sie, wie es den Anschein hat, den Dingen ihren Lauf. Nach einer starken Hand sieht das gerade nicht aus. Und so können wir mit einiger Spannung auf den nächsten Rundfunt. standal warten.

Ein gefälschter Brief

Erklärung des ,, Lokal- Anzeigers"

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Der Berliner Lokal- Anzeiger" veröffentlichte am 28. Juli 1932 in Mr. 354( Morgenausgabe) unter her Ueberschrift:

" Sozialdemokratische Selbst.

erfenntnis"

das Faksimile eines Briefes des sozialdemokrati. schen Reichstagsabgeordneten einig an seinen Parteigenossen Schlemminger. Landrat des Kreises Niederbarnim  . In dem Briefe warnte der Abgeordnete Heinig den Landrat Schlemminger verfassungswidrigen Gewaltstreichen, bie Schlemminger vorgeschlagen haben sollte. Heinig begründete diese Warnung mit der augenblicklichen finanziellen Schwäche der Sozialdemokratie.

Dor

In dieser Angelegenheit fand eine Besprechung aller Beteiligten bei dem Vorgesetzten des Land­rats Schlemminger, Regierungspräsidenten Jae­nice in Potsdam  , am 7. Oktober 1932 statt, die folgendes Ergebnis hatte:

1. Der Regierungspräsident ftellte auf Grund der beiderseitigen Angaben feft, daß Brief und Unterschrift geschickte Fälschungen sind

2. Der Berliner   Lokal- Anzeige:" erklärt daß er durch diese Fälschungen getäuscht worden ist, den Brief aber in gutem Glauben veröffentlicht hat. 3. Herr Reichstagsabgeordneter Heinig und Herr Landrat Schlemminger erkennen nach dieser Erflärung an, daß die Redaktion den Brief in gutem Glauben veröffentlicht hat."

Milde für Nazis

Billiger Tarif für rohe Naziführer

Cimburg, 25. Oktober. Die brei Kölner   Naziführer, die in Limburg   in der Nacht zum Sonntag nach Schluß der Polizeistunde gewaltsam in eine Wirtschaft eindrangen, dort Schüsse abgaben, eine große Glasscheibe zertrümmerten, die Wirtin am Halse mürgten und auf den Wirt so lange einschlugen, bis er ohnmächtig zusammenbrach, sind vor dem Limburger Schnellrichter sehr milde davon getommen Der nationalsozialistische Abgeord nete des Preußischen Landtags Balm- Köln murde megen Körperverlegung, Hausfriedensbruchs und Nötigung zu einem Monat Gefängnis verurteilt, der kaufmännische Angestellte Niezer erhielt sechs Wochen Gefängnis, der Stabführer der Kölner   Nazis Erhard von Schmidt zwei Wochen Gefängnis mit Bewährungs­frist. Der Chauffeur wurde freigesprochen. 10 Jahre Zuchthaus gegen Arbeiter! Röslin, 25. Oftober. Die Große Straffammer verurteilte heute wegen des Landfriedensbruchs in Belgard  , wo am 21 August Zusammenstöße zwischen Kom­munisten und Sozialdemokraten einerseits und Nationalsozialisten andererseits stattgefunden hatten, die Arbeiter Maronde, höb und Femann zu je zehn Jahren 3uchthaus.