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Abend- Ausgabe

Nr. 506 B 245 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

26. Oktober 1932

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Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Masken fallen Die Beratungen des Preußenkabinetts

Der Schrei nach dem Staatsstreich

Die papenfreundliche Presse setzt ihre Be­mühungen fort, das Kabinett der Barone zu einem offenen Staatsstreich an zureizen. Man fühlt die tiefe Enttäuschung darüber, daß für den Streich vom 20. Juli nicht hundertprozentige Absolution erteilt worden ist. Die Enttäuschung entlädt sich in erbitterten Angriffen auf den Staatsgerichts­hof wie auf den Gedanken des Rechtsstaats überhaupt.

Die Freunde der Barone lassen die Maske fallen. Sie hatten es sich so vorgestellt: das Kabinett der Barone diftiert und der Staats­gerichtshof pariert. Und das Staats= gericht absolut

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wenn es un=

seren Willen tut! Da es nicht bis zum letzten den diktaturlüfternen Bapen- Freunden den Willen getan hat, ertönt es nun: fort mit dem Staatsgerichtshof, er hat in der Politik nichts zu suchen!

Darin liegt das Bekenntnis zur nadten, das Recht und die Verfassung brechenden Ge­walt. Wer das Urteil des Staatsgerichtshofs als einen Fetzen Papier ansieht, den die Reichsregierung zerreißen soll, der hat natür­lich auch feinen größeren Respekt vor der Reichsverfassung!

Diese Kreise fühlen alle, daß durch das Urteil des Staatsgerichtshofs ein wichtiges Moment des Widerstandes gegen reaktionäre Verfassungspläne gestärkt worden ist. Alle Pläne, mit Hilfe des Reichsrats die Wei­marer Verfassung zu beseitigen, sind dadurch schwer erschüttert. Darum der Zorn.

Dieser Zorn aber ist enthüllend. Er läßt ertennen, was gespielt werden sollte. Er ent­hüllt, daß die Freunde Papens sich mit dem Gedanken der Oktronierung einer neuen reaktionären Verfassung getragen haben, gegen das Volk, auch gegen den Reichstag , wenn es sein muß aber mit Hilfe des vom Reiche her beherrschten Reichs­rats. Man fann vielleicht vorübergehend gegen eine dieser drei Instanzen regieren­aber gegen Bolt, Reichstagund Reichsrat zugleich fann niemand regieren!

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Deshalb erhält die Frage an das Kabinett Bapen erhöhte Bedeutung: Was ist mit seinen reaktionären Berfassungsplänen? Wie stellt es sich ihre Verwirklichung vor?

Das schwankende Pfund

Unruhe bei den Baissespekulanten

Das englische Pfund hat an der heutigen Londoner Börse feine rapide Abwärtsbewegung nicht fortgesetzt. Die undurchsichtige Haltung der Bank von England hat die Baisse= fpetulation zur Vorsicht veranlaßt, da diese bei den zahlreichen ungedeckten Pfundengagements jederzeit mit einer überraschenden Stüßungsaktion der Bank von England rechnen muß, die sie zu teuren Rückkäufen zwingt. Daher schritt am heutigen Vormittag die Spekulation zu einigen Deckungen, so daß gegen 12 Uhr der Pfundkurs im Verhältnis zur Reichsmart von 13,90 Mark auf 13,96 Mart leicht anziehen konnte. Da der amtliche Pfundkurs aber erst gegen 1.30 Uhr festgesetzt wird, bleibt die Möglichkeit eines neuen Rückschlages offen.

Welche Unruhe das neue Abgleiten des Pfundes, das Anfang Oktober noch mit 14,60 Mart notiert wurde, in der Welt hervorgerufen hat, illustriert besonders deutlich die Tatsache, daß Portugal seine auf Pfundbasis beruhende Währung jetzt vom Bfunde losgelöst hat. Auch in der allgemeinen Unruhe an den internationalen Börsen spiegelt sich der deprimierende Eindrud des Pfundsturzes mider. Auf die Baiffenachrichten aus London hin mar die Berliner Börse heute etwas freundlicher.

Otto Braun von Republikanern stürmisch begrüßt

Die

Das preußische Staatsministerium trat heute vormittag unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Dr. Braun zu einer Kabinettsjikung zusammen. Sämtliche Staatsminister waren anwesend. Vertreter Preußens in dem Leipziger Prozeß erstatteten Bericht über die Ver­handlung vor dem Staatsgerichtshof. Die durch die Entscheidung des Staats­gerichtshofs geschaffene Lage wurde im einzelnen erörtert.

Ministerpräsident Braun stellte als einheitliche Ansicht des Staatsministe riums fest, daß das Staatsministerium die Entscheidung des Staatsgerichtshofs als maßgebende und zur Ent­wirrung der Lage geeignete Grundlage betrachtet. Das Staats­ministerium hat danach nicht nur das das Recht, sondern auch die Pflicht, die Befugnisse auszuüben, die ihm nach der Entscheidung weiterhin zustehen. Die Staatsregierung wird diese Befugnisse im Sinne möglichst reibungslosen Zu­sammenarbeitens mit den anderen ver­antwortlichen Stellen ausüben und sich

dabei lediglich von den Interessen des Reiches und des Landes leiten lassen. Ministerpräsident Braun wird heute nachmittag im Großen Saal des Wohl­fahrtsministeriums die Presse empfangen.

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Das preußische Staatsministerium prüft die Möglichkeiten und die Konsequenzen des Leipziger Urteils unter streng sachlichen Gesichts­punkten. Es wird keinen Konflikt herauf­beschwören, aber es wird selbstverständlich von allen Rechten, die ihm nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs zustehen, Gebrauch machen.

Je weiter die Prüfung des Urteils fortschreitet, um so mehr ergibt es sich, daß seine Konsequenzen wesentlicher und weitreichender sind, als es im ersten Augenblick erschien.

Im Mittelpunkt steht dabei, daß allein das preußische Staatsministerium das Recht der Ver­tretung des Landes Preußen im Reichsrat hat. Gemeinsam mit den Stimmen von Bayern und Baden hat das Land Preußen eine Mehr= heit im Reichsrat. Das wird ins Gewicht fallen

Dvationen für Otto Braun

Republikaner grüßen den preußischen Ministerpräsidenten

Schon etwa eine halbe Stunde vor dem Beginn der Sigung des preußischen Staats­ministeriums, die heute um 10 Uhr in den Räumen des Wohlfahrtsministeriums stattfand. sammelten sich in der Leipziger Straße bis zum Potsdamer Plaz und zur Wilhelmstraße, fomie

vor dem Landtag sehr zahlreiche Re­publikaner, die dem Kabinett Braun ihre Sympathie befunden wollten. Besonders groß mar auch die Zahl der Preffephotographen.

Die Polizei, die es zuläßt, wenn bei einem Empfang Hitlers in der Wilhelmstraße 100 oder 200 Rationalsozialisten innerhalb der Bannmeile sich versammeln, zeigte sich heute morgen sehr

viel weniger rücksichtsvoll. Sobald auch nur drei oder vier Reichsbannerkameraden oder Zivilisten mit den drei Pfeilen am Mantelaufschlag zu­sammenstanden, griff die Polizei ein und forderte in wenig höflicher Weise zum Weitergehen auf. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, daß, als der Wagen Otto Brauns am Landtag vorfuhr, die Republikaner herüberſtürmten und vor dem Ein­gang zum Landtag dem Führer der Preußen­regierung stürmische Huldigungen brachten. Immer wieder ertönte es: Unserem Ministerpräsidenten Otto Braun ein dreifaches Freiheit! Freiheit! Freiheit!

Otto Braun , dem man trotz erfreulicher förper­licher Frische die seelischen Leiden der letzten Monate und Wochen anmerkt, war sichtlich bewegt. Auch die anderen Minister wurden mit Freiheit- Rufen begrüßt. Die Rufe für Klepper waren vor allem als Protest gegen die Verleumder im preußischen Landtagsausschuß gedacht.

Trotz des miserablen Wetters hielten die Re­publikaner bis nach 11 Uhr aus. Sie wollten Karl Severing begrüßen, der sich auf einer Agitationsreise in der Provinz befindet und gestern in einer Massenversammlung in Braun­ schweig sprach.

Bracht- Erlaß an die Beamten

Der Reichskommiffar Dr. Bracht wird noch im Laufe des heutigen Tages einen Erlaß an die preußische Beamtenschaft heraus­geben, um ihre Gehorsamspflicht gegen­über dem von der Reichsregierung eingesetzten Reichskommissar und seinen Organen zu betonen.

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Auf seiten der Reichsregierung wird dieser Er­laß damit begründet, daß es notwendig sei, die preußischen Beamten unverzüglich von den sonst unvermeidlichen, schweren Gewissenton­flikten zu befreien, die sich aus der durch das Urteil des Staatsgerichtshofs geschaffenen Lage ergeben würden.

Das mag an sich schon richtig sein, aber es wäre unferes Erachtens ein Gebot der 2onalität gewesen, wenn sich der Reichskommissar dieserhalb vorher mit der legalen preußischen Staatsregierung ins Benehmen gesezt hätte.

bei einer Reihe von Plänen, die nach dem 20. Juli vom Reiche her verfolgt worden sind. Beispielsweise bei den Rundfunkange­legenheiten. Die Durchführung der Reichs­ratsvertretung durch das preußische Staats­ministerium aber erfordert,

daß nunmehr alle Vorlagen für den Reichsrat, die seit dem 20. Juli in preußischen Ministerien ausgearbeitet worden sind, dem preußischen Staats­ministerium vorgelegt werden müssen. Es können nur die Vorlagen an den Reichsrat gelangen, denen die recht­mäßige preußische Regierung ihre Zu­stimmung gibt.

Das preußische Staatsministerium besigt ferner das alleinige Recht der Vertretung gegen über dem Landtag. Was für die Reichs­ratsvorlagen gilt, gilt entsprechend auch für alle Vorlagen an den Landtag.

Die kommissarische Verwaltung in Preußen, sowie die Reichsregierung stehen einer sehr wesentlich veränderten Situation gegenüber. Sie merden sich ihr mohl oder übel anpassen müssen trotz dem Geschrei, das ihre Freunde in der Rechtspresse anstimmen.

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Die auffallende Eile, mit der schon am ersten Tage nach Verkündung des Urteils Herr Bracht einen einseitigen Erlaß an die Beamten herausgibt, steht im schroffen Widerspruch zu der Mahnung des Staatsgerichtshofs. Es sieht fast danach aus, als ob die Reichs= regierung trotz der schweren moralischen Nieder­lage, die sie in Leipzig erlitten hat, es mit der Wiedereröffnung der Feindselig keiten und mit der Schaffung neuer vollendeter Tatsachen überaus eilig hat.

Dilettantismus

Ein Zentrumsurteil über Papen In ihrem Kommentar zum Leipziger Urteil schreibt die ,, Germania ":

Man wird es niemand verübeln dürfen, wenn er solche Politik, die nachträglich vor dem Ver­fassungsgerichtshof taum zu 50 Proz. bestehen kann, mit dem Vorwurf des Dilettantis= mus behaftet. Man wird aber auf jeden Fall gut daran tun, sich ernste Gedanken darüber zu machen, daß man in weiten Schichten des Volkes mit einer rechtlich so anfecht­baren Politik weithin das gesunde Rechts­empfinden und den Glauben an die hundert­prozentige Vollgültigkeit der Grundgesetze des Staates zerstört. So schwerwiegende politische Fehler müssen sich doppelt ver­hängnisvoll auswirken, wenn sie zu Lasten einer Regierung gehen, die an sich schon in weitest gehendem Maße des Rückhalts und Vertrauens im Volke entbehrt.

"

Die Germania " bezeichnet weiter das Urteil des Staatsgerichtshof als ein Provisorium. Es sei Aufgabe der preußischen Politik, diesem Provisorium ein Ende zu bereiten und an Stelle des Reichskommissariats, das aus diesem Prozeß moralisch geschwächt hervorgehe, eine ver= fassungsmäßige Landesregierung zu setzen, die das Vertrauen der Volksvertretung ge­nießt. Man kann hieraus schließen, daß das Zentrum neue Koalitionsverhandlun gen nach rechts anstrebt.

Haftbefehl gegen Hinge. Gegen den früheren Bantier Wilhelm Hinge ist wegen versuchten Totschlages vom Untersuchungsrichter heute mittag 1 Uhr Haftbefehl erlassen worden.