Abend-Ausgabe Nr. 510 B247 49. Jahrg.
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BERLINER
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FREITAG 28. Oktober 1932
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Die neuen Pläne der Barone Reiedinminister ohne Bortekeuille sollen BreuKen verwalten
Lenin warnt vor äem Nationalholschevismus Ihälmanns Die Führung der Kommunistischen Partei in Deutschland , die sich in der angenehmen Lage befindet, eine Politik zu betreiben, von der sie weiß, daß sie niemals verwirklicht werden kann und wird, überbietet sich in nationalistischen Phrasen. Sie zerreißt un- unterbrochen in ihren Deklamationen den Versailler Friedensvertrag, ohne die mächti- gen imperialistischen Kräfte, die noch heute hinter diesem Vertrag stehen, auch nur im geringsten zu berücksichtigen. Eine revolutionäre Politik aber, eine sozia- listische, internationale Politik, die nicht die Kräfteverhältnisse in Europa und Amerika konkret in ihre Berechnungen einstellt, ist nicht nur keine internationale sozialistische Politik, sie ist überhaupt keine Politik, sie ist Geschwätz und B e- trug der proletarischen Massen. Der bedeutend st e Opportun! st des internationalen Kommunismus, W. Lenin , hat in seinen.Kinderkrankheiten" lLeipzig 1920, S. S4 ff.) gerade in der Stel- lung zum Versailler Friedensvertrag die Be- dingungen einer internationalen Politik der Kommunisten illustriert. Die Worte, die er 1929 schreibt, richten sich unmittelbar gegen die heutige Politik des Thäl- mannschen Zentralkomitees, die die Fehler der damaligen„Ultralinken" wieder begeht. Er schreibt: „Endlich ist einer der unzweifelhaften Fehler der„Radikalen" in Deutschland ihr hartnäckiges Bestehen auf der Nichtaner- kennung des Versailler Friedens. Je„solider" und„wichtiger", je„entschlossener" und„unduld- samer" diese Ansicht formuliert wird, desto weniger klug wirkt sie. Es genügt nicht, sich von den himmelschreienden Absurditäten des„nationalen Bolschewismus" loszusagen, der bis zum Block mit der deutschen Bourgeoisie gegen die Entente geht, unter den gegenwärtigen Ver- Hältnissen der internationalen proletarischen Revolution. Man muß oerstehen, daß die T a k t i k von Grund aus falsch ist, die nicht für Sowjetdeutschland(wenn bald eine deutsche Sowjetrepublik entstehen würde) die Verpflich- tung, für eine gewisse Zeit den Versailler Frieden anzuerkennen und sich ihm zu fügen, zugibt... Jetzt aber ist die Lage offenbar derartig, daß die Kommunisten Deutschlands sich nicht binden und die unbedingte Ablehnung des Versailler Friedens im Falle des Sieges des Kommunismus ver- sprechen müssen. Das wäre dumm..." Die chauvinistischen Ansichten des Zentral- komitees der KPD . stehen im direkten Wider- spruch nicht nur zu den Bedingungen einer deutschen Arbeiterpolitik, sondern auch zu den direkten Lehren des Leninismus, den die KPD. verfälscht, um dem deutschen Ratio- nalismus Hitlerscher Prägung den Rang ab- zulaufen. Lenin erklärt Thälmann , daß er keineswegs mehr berechtigt sei, sich Bolchewist zu nennen. Er schreibt: „Es ist zum Erstaunen, daß diese„Radikalen" bei solchen Ansichten nicht den Bolschewismus ent- schieden verurteilen: es ist doch nicht möglich, daß die deutschen „Radikalen" nicht wissen, daß die ganze Geschichte des Bolschewismus, vor wie nach der Oktoberrevolution, voll ist von Fällen des Lavierens, Paktierens, der Kom- promisse mit anderen Parteien, darunter auch mit den bürgerlichen!" Die Politik des deutschen Kommunismus istdiePolitikdesAbenteuertums. das ohne Verantwortung, schamlos und un- verhüllt von einer nationalen Konjunktur in die andere stolpert, jeden internationalen realpolitischen Gesichtspunkt verleugnet und die Arbeiterschaft als Staffage für chauvini- stifche Gaukeleien benutzen will. Durch diese Politik des Abenteurertums müssen die deutschen Arbeiter am 6. Rovem- der einen dicken Strich»lachen.
Das- Reichskabinett ist heute.zusammengetreten, um über die Konsequenzen des Leipziger Urteils zu beraten. Das Urteil zwingt die Barone zum Rückzug, das Geschrei ihrer Anhänger will sie weiter vorwärts stoßen. Es ist außer allem Zweifel, daß das Kabinett der Barone verpflichtet ist, die Kompetenzen der rechtmäßigen preußischen Minister anzuerkennen, soweit sie vom Staatsgerichtshof fest- gestellt worden sind. Davon gibt es kein Abweichen. Es ist ebenso außer allem Zweifel, daß die Existenz der„preußischen Minister", die von Papen und Bracht neu ernannt worden' sind, mit der Existenz der preußischen Staatsregierung unverein- bar sind. Die Herren Baron« werden also wohl oder übel ihr«„Minister ", das sind ja die unrecht- mäßig zu Ministern ernannten Staatssekretäre, wieder absetzen müssen. Schließlich ist außer Zweifel, daß jeder Eingriff in die Hohellsrechte des Landes zu unter- bleiben hat. Die Durchführung des Urteils muß demnach notwendig eine schwere Beeinträchtigung der „starken Männer" im Kabinet der Barone nach sich ziehen. Ueber die Absichten des Kabinetts der Barone ist das folgende bekannt geworden: Es solle» folgende Heere« zu Reich»- minister« ohne Portefeuille ernannt und gleichzeitig mit der Wahr- nehmung der Geschäfte preußischer Ministerien beauftragt werden: Tr. Bracht für das Innen» Ministerium, einHerrvonHülsen, der kürzlich als Lberpräsident in Kassel in Ausficht
Eigener Bericht des„Vorwärts" Liegnih, 28. Oktober. Einen eindeutigen Einblick in die„sittlichen An- schauungen" der Führer des sagenhaften„Dritten Reiches" gab eine Verhandlung vor der Liegnitzer Großen Strafkammer als Berufungsinstanz. Am 30. Juni kam vor dem Amtsgericht Jauer dos Gut des Nazis Hoppe aus Bersdors zur Zwangsversteigerung. Hierbei gab der schwer- kriegsverletzte, nach lS Jahren entlassene Gutsinspektor Thomas aus Weigelsdorf, der sich mit Hikse von Verwandten für sein« Familie eine neue Existenz schaffen wollte, ein Gebot ab. Er ließ sich im Gegensatz zu andern Bietern nicht dadurch einschüchtern, daß vor dem Termin im ganzen Gericht Drohgettel mit dem „Wolsszeichen" angeschlagen worden waren: „Achtung! Zn Zwangsversteigerung erworbene Höfe gehen in Flammen auf! lvegen Lebensgefahr dürfen keine Gebote abgegeben werden!" Als er nach Hinterlegung der Kaution vom Bietungstisch zurücktrat, sprang der vorbestrafte Landoolt-Gutsbesitzer Waller Otte aus Poischwitz auf ihn zu und versetzte ihm mitten im Gerichtssaal eine furchtbare Ohr- feige. Trotzdem bot Thomas nun das Gut voll aus. Als Thomas, der im Krieg ein Bein ver- loren hat, das Gerichtsgebäude verlassen halle, sprang ihm der Nazi- Rittergutsbesitz er Julius König-Westphal aus Klein-Reichen, Kreis Lüben , seines Zeichens Fachberater der NSDAP. , nach, beschimpft« ihn in gemeinster Weis« und spie ihn aus offener Straße mehrmal» an! Das Liegnitzer Schöffengericht hatte Otte wegen Körperverletzung zu 300 M. und weaen Be- leiüigung zu 100 M. Geldstrafe, Kömg-Westphal wegen ofsentüchv: Beleidigung zu 200 M. Geld-
genommen war, für das Kultus- Ministerium, und der frühere Staatssekretär P o p i tz für das Finanzministerium. Tie übrigen Preußischen Ministerien sollen zum Teil zusammengefaßt» zum Teil abgeschafft werden. Tas Bestehen der Regierung Braun soll zwar ausdrücklich anerkannt, aber ihr jede Vollmacht Praktisch genommen werden. Bezüglich der Beantwortung der Anfragen im Parlament soll der neue Reichsminister ohne Portefeuille Bracht von Fall zu Fall dazu Stellung nehmen, in welcher Form dies geschehen soll. In diesem Plan stehen nebeneinander Ansätze zur Durchführung des Urteils sowie Gelüste zu neuen Attacken nach dem Vorbild des 20. Juli. Die Einsetzung neuer Kommissar« bedeutet zugleich die Absetzung der kommissa- risch beauftragten„neuen Minister"— die Absicht der Zusammenlegung preußischer Ministerlen aber ist unverkennbar ein Verstoß gegen das Leipziger Urteil, ein eklatanter Eingriff in die preußischen Hoheitsrechte. Wenn das Kabinett der Barone dem Reichs- Präsidenten vorschlagen würde, durch eine Not- Verordnung preußische Ministerien auszulösen oder zusammenzulegen, oder mit Reichsministerien zu verbinden, so würde es dem Reichspräsidenten eine Verletzung des Leipziger Urteils vorschlagen, einen Bruch mit dem, was nach dem Urteil des Staats- gerichtshofes verfassungsmäßiges Recht ist. Der Staatsgerichtshof müßte dann fein eigenes Urteil schützen.
strafe verurteitt. Dem Beleidigten war außerdem Publikationsbesugnis zugesprochen worden. Gegen das Urteil legten Angeklagte und Staats- anwaltfchaft Berufung ein. Das Berufungsgericht verwarf die Berufungen der Angeklagten. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde bei Otte die Strafe wegen Körperverletzung von 300 auf 500 M., bei König-Westphal wurde die Strafe wegen Beleidigung von 200 auf 400 M. erhöht. In der Urteilsbegründung wurde betont, daß das Gericht lange schwankte, ob angesichts der Niederträchtigkeit der An- griffe auf den Kriegsverletzten nicht auf Gefängnis zu erkennen wäre. Sprengstoff-SA. Neue Verhaktungen in Schlesien Eigener Beridü des„Vorwärts" Breslau , 28. Oktober. Die Ermittlungen der Lardeskriminalpolizeistelle Breslau über den Spreng st offanfchlag, der am 8. August von Hakenkreuzlerischen Terra- risten gegen den Reichsbanner-Kreisleiter Kauf- mann-Heidersdorf bei Nimptsch verübt wurde, führten am Donnerstag zu neuen Fest- nahmen. Auf Anweisung der Oberstaatsanwalt- fchaft in Schweidnitz wurden wegen dringenden Tatverdachts verhaftet die der Standarte 37 ange- hörigen SA.-L eute Vogel, Ziegler und Lukas sowie der Musikzugführer Günzel aus Heidersdorf und der Führer der Standarte 37 T ö n e r aus Langenoels. Töner ist zur Zeit stell- vertretendes Mitglied des kommissarisch bestellten Kreisausfchusse« des Kreises Reichenboch in Schlesien .
Die preußische Staatsregierung hat sich zur stillen Anerkennung des Urteils bereit- erklärt. In den Kreisen der Rcichsregierung da- gegen zeigt sich schon deutlich das Bestreben, weiter diktatorisch zu verfahren und weitreichende Pläne zu verfolgen, über den Kopf Preußens hinweg, die nach dem Urteil von Leipzig als verfassungswidrig festgestellt sind. Man wird deshalb die Beschlüsse des Kabinetts mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgen müssen, um so mehr, als der A n st u r m der Staats- st r« i ch l e r auf das Kabinett der Barone anhält. Schon der oben veröffentlichte Plan, diese Mischung aus erzwungenem Rückzug und neuen Gewaltplänen, erweckt den Zorn der Staatsstreichler. So schreibt die„DAZ.": „Die Maßregeln, die nach den bisherigen Informationen die Reichsregierung in der preußischen Frage zu ergreifen gedenkt, rücken die Gefahr eines faulen Kompro- Misses in bedrohliche Nähe. Die Ernennung von drei Persönlichkeiten zu Reichsministern ohne Portefeuille, die dann sozusagen von dem Sitzungssaal des Reichskabinetts aus Preußen regieren sollen, schafft in keiner Weise den Dualismus aus der Welt, der jetzt in Preußen zwischen Bracht und Braun be- steht. Die Regierung Braun-Hirtsieser wird diese vorläufige Regelung jedenfalls nur als eine neue Verbeugung vor ihren eigenen Kompetenzen auffassen und fortfahren, diese Befugnisse nach Kräften auszuweiten. Unter diesen Umständen hält auch der geplante Besuch des preußischen Ministerpräsidenten Braun bei Hindenburg einen ganz anderen Charakter, nämlich etwa den Charakter der Entgegennahme eines Beglaubigungs- schreibens und einer offiziellen Anerkennung der abgesetzten Preußenregierung durch das Reichs- oberhaupt. Man kann noch die leise Hoffnung haben, daß diese Regelung nur bis zum 7. November gedacht ist, aber auch das genügt nicht, um die außerordentlichen Be- denken zu zerstreuen, die diese Pläne hervor- rufen müssen. Es besteht nach wie vor— und sogar in steigendem Maße— die Gefahr, daß das Werk der Neuordnung, das am 20. Juli begonnen worden ist, in Verfall gerät und daß schließlich die Linke wieder neuen Auftrieb bekommt. Diese Elemente wollen einen neuen 20. Juli! Es ist selbstverständlich, daß die preußische Staats- regierung solchen Plänen unerschütterlichen Wider- stand entgegensetzt, und daß ihr Drängen in der Richtung geht, daß die Kommissare aus Preußen zu verschwinden haben— mögen sie nun„Reichs- minister ohne Portefeuille" oder sonstwie heißen! Preußen wartet ab Bon dem preußischen Staats mini st e- r i u m wird zu den Meldungen über die geplanten organisatorischen Acnderungen folgendes erklärt: Das preußische Staatsministerium hat bei den in Frage kommenden Reichsstellen die erforderlichen Schritte unternommen, damit im Sinne der Ent- scheidung des Staatsgerichtshofs und im Jntcr- esse einer reibungslosen Zusammenarbeit ein- schneidende Beschlüsse unterbleiben, solange nicht eine vorherige Verhandlung mit den zuständigen Stellen der Landesregierung statt- gesunden hat. Hierzu wird die am Sonnabendvormittag statt- sindende Aussprache beim Reichspräsidenten die Grundlage bilden. Reicbsregierung schweigt Der Empfang des preußischen Ministerpräsi- deuten Otto Braun durch den Reichs- Präsidenten erfolgt morgen um 12,15 Uhr. Die Reichsregierung lehnt einstweilen jede Aeußc- rung über chre Pläne i n P r e u ß c n ab. Sic erklärt nur, daß der in den veröffentlichten Mitteilungen genannt« Oberpräsident von Hülsen auf seinem Posten bleibe und nicht auf einen anderen Posten berufen werde.