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Morgen- Ausgabe

Nr. 511 A250 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialbemokrat Berlin

SONNABEND

29. Oktober 1932

Vorwärts=

BERLINER

VOLKSBLATT

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

An die Mitglieder der Gewerkschaften!

Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands !

Am 6. November werdet Ihr wieder Euer höchftes Staatsbürgerrecht ausüben.

Dieses Recht ist in Gefahr. Wenn die Reaktion siegt, kann es das letzte Mal sein, daß ein neuer Reichstag nach dem freien Wahlrecht gewählt wird, das die sozialdemokratische Arbeiterbewegung nach dem Sturz des alten Kaiserstaates für sich und das deutsche Volk errungen hat. Der Ausfall dieser Wahl wird es entscheiden.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Ihr habt Jahrzehnte einer harten politischen Schule hinter Euch. Ihr werdet mit klarem Blick die ungeheuren Gefahren erkennen, die sich hinter den staatspolitischen Plänen der jetzigen Regierung verbergen. Eure Freiheitsrechte, in einer langen ruhmreichen Geschichte erkämpft, sind aufs äußerste bedroht. Euer Kampf um die politische Macht ist in ein entscheidendes Stadium getreten.

Die politische Macht der Arbeiterklasse ist der Schlüssel zum Umbau der Wirtschaft, wie die Gewerkschaffen ihn fordern. Ein freies Deutschland kann nur ein sozialistisches Deutschland sein.

Die Souveränität des deutschen Volkes unter den Weltmächten hat zur Voraussetzung, daß das Volk auch über sein innen­politisches Schicksal souverän entscheidet.

Kein Volk ist frei, dessen Arbeiterschaft zur Unfreiheit, zur Hörigkeit verdammt ift.

Kämpft für Eure Freiheit!

Zeigt allen Gegnern am 6. November, daß Euer Wille zur politischen Macht ungebrochen ist.

Unser Ziel

Ein freies sozialistisches Deutschland Von Th. Leipart

Seit einem halben Jahr ist die Verfassung von Weimar praktisch außer Kraft. Sie wird geschützt", aber in ihren entscheidenden Teilen nicht mehr angewendet. Sie soll ,, reformiert" werden, aber nicht aus ihrem Geiste. Der Geist der Weimarer Verfassung ist verbannt, er soll unterdrückt werden. Und das alles aus der angeb­lichen Vollmacht eines Artikels der Ver­fassung, des Artikels 48.

Die Staatsgewalt geht nicht mehr vom Volke aus, sondern vom Reichspräsi denten. Das Volk ist nicht mehr souverän. Souverän ist heute der Reichspräsident. Der Reichspräsident ist zwar von der Mehrheit des Volkes in sein Amt berufen. Aber die Regierung des Reiches, die er eingesetzt hat,

Gebt Eure Stimmen der politischen Partei, die allein die Rechte und die Freiheit der Arbeiter und Arbeiterinnen wahrhaft regiert gegen den Willen der Mehrheit des

verfriff.

Alle Stimmen für die Sozialdemokratie!

Berlin , 24. Oktober 1932.

Der Bundesvorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes

Die Barone gehen aufs Ganze!

Sie wollen Preußen behalten!- Wahlrechtsraub geplant!

Bor dem Berein Berliner Presse" hielt der Reichsinnenminister Freiherr v. Gayl am Freitagabend eine hochpolitische Rede, in der die Schleier über die Verfassungs­reformpläne der Barone etwas gelüftet wurden. Der Innen- und Verfassungsminister sprach zwar sanft und wie ein Lamm, aber die wenigen Krallen, die er ab und zu vorstreckte, zeigten, daß das Kabinett der Barone auf dem Sprunge ist, den widrigsten Bestimmungen der Verfassung von Weimar den Garaus zu machen.

Allein die Ankündigung, das Wahlalter um 5 Jahre heraufzusehen und die Einführung eines Pluralwahlrechts, die Einschie­bung eines Herrenhauses zwischen Par­lament und Regierung sowie die angekündigte Ungebundenheit einer Reichsregierung von jedem Vertrauensvotum des Parlaments, allein diese Pläne find geeignet, dem deutschen Bolte eindringlich klar zu machen, was bei der Wahl vom 6. November auf dem Spiele steht!

Im einzelnen erklärte Herr v. Gayl, es sei heute noch nicht der gegebene Augenblick, umstürzende Neuerungen im Aufbau des Staates herbeizus führen. Das Kabinett verzichte daher bewußt darauf, etwas völlig Neues an Stelle der gegenwärtigen Einrichtungen zu setzen. Nicht Neu­bau, sondern Ausbau des Staates ist das Ziel. Er, v. Gayl, sei zwar grundsäßlichlicher Anhänger des monarchischen Systems. Aber mit Ernst und Nachdruck lehne er es ab, eine Aende­rung der Staatsform zu erwägen Ebenso lehne er einen Einheitsstaat ab und bekenne sich zu dem Bundesstaat. Auch eine Neu­einteilung des Reiches in neue Länder oder Reichs­provinzen tomme nicht in Frage. Selbst die Be­reinigung der zahlreichen Enklaven auf der Land­Parte Deutschlands sei feine vordringliche Ange­legenheit. Die Verwaltung der kleinen Länder sei zwar kostspielig, aber dies bedeute mehr einen Schönheitsfehler als einen schweren Mangel. Jede Vergewaltigung eines Landes oder Landesteiles lehne die Regie­

rung ab. Nur das Verhältnis zwischen Preußen und Reich bedürfe einer Neuordnung. Im alten Bismarckschen Reich set Preußen die verfassungs­mäßige Präsidialmacht gewesen. Die Weimarer Verfassung

habe diesen Zustand beseitigt. Ent­sprechend dem bundesstaatlichen Charakter des Ge­samtreiches solle aber die Eigenstaatlichkeit Preu­Bens nicht weiter angetastet werden, als es das Reichsinteresse erfordere.

In bezug auf das

Urteil des Staatsgerichtshofes erklärte der Reichsinnenminister:

Aus der Konstruktion der Weimarer Verfassung hat der Staatsgerichtshof juristische Folgerungen gezogen und eine Lösung versucht, die sehr schwer durchführbar ist und den Keim zu neuen unfruchtbaren Auseinanderseßungen in fich trägt. Das Urteil meist aber darauf hin, daß der Herr Reichspräsident unter bestimmten Voraussetzungen Maßregeln treffen fann zur Erzielung einer einheitlichen Politik im Reich und in Preußen.

Unter diesen Verhältnissen hat die Reichsregierung die doppelte Pflicht, sowohl den in Preußen beschrittenen Weg folgerichtig und ohne Schwanken weiterzugehen, als auch alle Kraft daran zu setzen, die Reichs- und Ver­fassungsreform rasch zu einer gedeih­lichen Lösung zu führen.

Preußen soll seine Eigenstaatlichkeit nicht auf­geben, aber es soll als einziges deutsches Land in ein engeres Verhältnis zum Reich treten.

Der Reichsinnenminister fuhr dann fort: Die Entwicklung seit Weimar hat zu einer über­triebenen Zentralisation vieler Ver­waltungszweige in Berlin geführt. Die bis­herigen Reichsinstanzen waren bestrebt, alle Ma­terien allmählich an sich zu ziehen. Notwendig ist aber eine starke Berlagerung der Aufgaben auf Länder und Gemeinden sowie eine Aenderung des Finanzausgleichs, damit Länder und Gemeinden wieder die Aufgaben selbständig durchführen können, zu deren Erfüllung bisher Mittel vom Reich erbeten werden mußten. Damit ist bereits die Bereinfachung der gesamten Reichsverwaltung angedeutet. Die Vorarbeiten für die Aufhebung entbehr lich werdender Reichsbehörden sind

abgeschlossen. In Kürze werden die Aenderungen bekanntgegeben. Sie beziehen sich zunächst auf einen Abbau entbehrlicher Behörden der Finanz­

und Postverwaltung und der Sozial,

behörden!

Unsere Pflicht gebietet aber auch, die Mängel der Verfassung zu beseitigen. Der Parlamenta­rismus ist überspigt, und wichtige Entscheidungen können von einer Zufallsmehrheit abhängen. Hier muß eine Sicherung eingebaut werden. Sie kann im Ausbau der Rechte des Reichsrats oder im Einbau einer berufsständigen Kam mer in die Konstruktion der Volksvertretung oder in einer Mischung von beiden bestehen. Die Vorarbeiten sind aber zu dieser Reform noch nicht ganz abgeschlossen. Durch Abänderung des Artikels 54 der Reichsverfassung soll der Gedanke einer gesicherten, vom Parteigetriebe unabhän­gigen Regierungsgewalt durchgesetzt werden. Aber das Recht des Reichstags soll nicht unnötig ein­geengt werden. Eine Reform in dieser Richtung ist das beste Mittel zur Vermeidung von Reichs tagsauflösungen. Das allgemeine, gleiche und ge= heime direkte Wahlrecht für Männer und Frauen soll bestehen bleiben.

Wir halten es aber für richtig, das aktive und passive Wahlalter um etwa 5 Jahre heraufzusehen und den selbstän­digen Familienernährer, gleichviel ob Mann oder Frau, und den Kriegs. teilnehmern eine 3 usatstimme zu gewähren.

Das Listenwahlrecht soll beseitigt und das Auf­treten fleiner Splitterparteien unmöglich gemacht werden. Länder und Volksvertretung werden hoffentlich diese Reformen nicht nur theoretisch anerkennen, sondern auch ehrlich mitarbeiten. Darüber kann kein Zweifel herrschen, daß die Reichsregierung ihre flar erkannte Pflicht zur Reform niemals aufgeben wird."

Braun- Hindenburg

Eine entscheidende Besprechung

Heute mittag um 12 Uhr 15 wird eine Unterredung zwischen Otto Braun und dem Reichspräsidenten im Beisein des Reichskanzlers von Papen stattfinden.

Das Kabinett der Barone hat über die Beschlüsse, die es gestern gefaßt hat, nichts veröffentlicht. Nach der Kabinettssitung ist Papen vom Reichspräsidenten zum Vortrag empfangen worden.

Volkes.

Die Reichsregierung beruft sich bei jeder Gelegenheit auf überirdische Kräfte als Quelle ihres Rechts gegen das Volk. Sie treibt ,, Politik aus dem Glauben". Das Volk aber teilt diesen Glauben nicht und mißbilligt diese Politik. Die Regierung zieht aus dieser Tat­sache nicht die einzig mögliche Folgerung, schleunigst abzutreten. Sie bleibt und will noch jahrelang im Amt bleiben. Ihre Be­rufung auf den Glauben ist nichts als die politische Begründung dieser Willkür, sie ist eine überhebliche Selbstvergötterung. Das aber ist Mißbrauch des Glaubens aus Politif. Die Reichsregierung will eine ,, autoritäre Regierung" sein. Aber es gibt nur eine dauerhafte Grundlage der Autorität, das Vertrauen des Volkes.

Dieses Vertrauen fehlt. Es fehlt in allen Schichten des Volkes, außer bei jenen, die die Souveränität des Volkes ver­neinen, die sein unveräußerliches Recht, aus eigenem Urteil zu bestimmen, wie und von wem es regiert werden will, ein für allemal beseitigen wollen.

Politik wird nicht durch den Glauben ge= rechtfertigt, sondern durch Taten. Die Taten dieser Regierung zeugen wider ihren Glau­ben. Ihre Pläne befunden eindeutig ihren Willen, die Staatsgewalt dem Volk zu ent­reißen.

Die lebendige Einheit von Volk und Staat, durch die Wirkungen der Krise, durch die Folgen einer verhängnisvollen Politik ohne­Obrigkeitsstaat und Untertanen­hin geschwächt, soll vollends zerrissen werden. volk: das ist das staatspolitische Ziel dieser Regierung, das ist die Quintessenz ihrer Ver­fassungsreform.

Aus diesem Geist bürokratischer Diktatur handelt sie schon heute. Sie befragt das Volk, aber sie mißachtet seine Antwort. Sie rühmt sich ihrer Unabhängigkeit von den Par­teien, sie nennt sich überparteilich". Aber diese angebliche Ueberparteilich= feit ist nur eine Ausflucht. Sie muß zu dieser Ausflucht greifen, weil sie in keiner der großen Parteien, die Träger des Volkswillens sind, Anhänger besitzt.

Ihre parteipolitische Unabhängigkeit existiert trotzdem nur in ihrer eigenen Einbildung. Der Beifall der Deutschnationalen beweist, wo sie ihre Anhänger sucht und findet. Sie stützt sich auf die Großagrarier, auf die Schwer­industriellen, die ehemaligen Prinzen, die Fürsten und den Adel. Sie liebäugelt mit den Monarchisten und umwirbt die großen Interessenten. Das ist ihr neues Prinzip fonservativer Staatsführung.

auf den Tagungen der Industriellen Der Reichskanzler wirbt für seine Politik und Agrarier. Die einen sucht er durch Steuergutscheine und Prämien für sich zu ge=