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Abend-Ausgabe

Nr. 512 B 248 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

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Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

29. Oktober 1932

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Auf der Spizze!

Die Barone wollen die Arbeiterklasse entrechten

Die Reaktion ist in einer Tobsuchtsepoche. Sie erinnert sich an die schönen Zeiten von 1849 und 1850. Sie möchte mit den Rechten des Volkes umspringen wie Friedrich Wilhelm IV. , der Mann der oftroyierten Verfassung und des Dreiklassenwahlrechts!

Das Kabinett der Barone träumt von einer Verfassung, in der die Barone alles, das Bolt nichts zu sagen haben. Der Freiherr oon Gayl hat im Namen der Barone dem Bolke angekündigt, daß das gleiche Wahlrecht beseitigt und ein Pluralmahlrecht an feine Stelle gesetzt werden soll.

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Es soll Zusah stimmen geben. Jedem Kriegsteilnehmer eine Zusagstimme, verkündet Herr von Gayl. Ausgerechnet vier­zehn Jahre nach Beendigung des Krieges! Die Barone halten das Volk für vergeßlich! Als sie vor dem Kriege und im Kriege das Bolk tyrannisierten, durfte der Arbeiter für das Vaterland sterben- aber als Staatsbürger hatte er nichts zu fagen! Als er das gleiche Wahlrecht in Preußen verlangte gleiches Blut, gleicher Tod, gleiches Recht da haben die Adel s- genossen Gaŋls mit Nägeln und Zähnen das Unrecht gegen die Kriegsteil nehmer verteidigt! Die Barone woll­ten den Kriegsteilnehmern nicht das gleiche Wahlrecht geben wie den Herren von Schlot und Halm, wie den Unternehmern und Haus­agrariern. Das Portemonnaie ging ihnen über das Recht des Volkes, das mit Blutopfern das Land verteidigte!

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Ihr Herren Barone! Vor vierzehn Jahren hat die Revolution, hat die Sozial­demokratie den Kriegsteilnehmern das volle Staatsbürgerrecht gegeben- gegen euch! Das Volk durchschaut euch und eure reaktionären Absichten!

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Zu dieser Provokation des Volkes eine andere. Jeder selbständige Familien­ernährer soll eine Zusatzstimme erhalten! Was verbirgt sich dahinter? Unverkennbar die Absicht der Entrechtung der Er­werbslosen! Wer erwerbslos ist, soll zu einem Menschen minderen politischen Rechts abgestempelt werden. Die Opfer des Kapita­lismus sollen in ihrem Wahlrecht gemindert werden. Die Barone verkünden den Wahlrechtsraub an den Er

werbslosen!

Im juristischen Sinne aber sind alle Ar beiter und Angestellten keine selbständigen Familienernährer! Wir fragen deshalb laut und vernehmlich: will das Kabinett der Barone, will der Reichs­innenminister aus Ostelbien die gesamte merttätige Bevölkerung, will er alle Arbeiter und Angestellten zu Bürgern minderen Rechts abstempeln?

Wir fragen, weil wir dem Kabinett der Barone die reaktionärsten Absichten zutrauen, weil wir von dieser Regierung annehmen, hinter der nichts steht als eine hauchdünne Schicht des Besizes, daß sie ein neues Klassenwahlrecht plant!

Die volksfeindlichen Pläne sind damit klar! Wir sind begierig, zu erfahren, wie die Barone es für möglich halten werden, sie einem ganzen Volke gegen seinen Willen auf­zuzwingen! Fangt nur erst einmal an, ihr Herren Barone!

Die Barone gehen aufs Ganze! In unserer heutigen Morgenausgabe hat sich im ersten Absatz des Artikels ,, Die, Barone gehen aufs Ganze" ein finnentstellender Druckfehler eingeschlichen. Der Schluß des ersten Absatzes muß richtig lauten: ,, daß das Kabinett der Barone auf dem Sprunge ist, den wichtigsten Bestimmungen der Ver­fassung von Weimar den Garaus zu machen".

Das Kabinett der Barone will diktieren

Neuer Verfassungskonflikt um die Ausführung des Leipziger Urteils

Der angekündigte Empfang des preußi­schen Ministerpräsidenten Braun durch den Reichspräsidenten in Gegenwart des Reichskanzlers fand heute vormittag statt. An der Reichskanzlei hatten sich um 12 Uhr einige hundert Personen ein­gefunden, während am Portal ein Heer

Widerspruch zum Sinn der Leipziger Ent­scheidung.

Die bayerische Staatsregierung hat bereits Ein­spruch gegen die Haltung des Kabinetts der

Barone beim Reichspräsidenten erhoben. Der. Verfassungstonflitt ist in verschärfter Form abermals offen ausgebrochen.

Die Besprechung beim Reichspräsidenten hat etwa eine Stunde gedauert. Um 1.15 Uhr verließ Ministerpräsident Otto Braun das Palais des Reichspräsidenten. Er wurde auch beim Verlassen

von Kameraleuten Aufstellung genommen Borussia wird restauriert des Hauses mit stürmischen Freiheitsrufen be­

hatte. 10 Minuten nach 12 Uhr fuhr der Ministerpräsident in seinem Dienstauto mit der Dienst flagge vor. Er wurde mit ,, Freiheit"-Rufen begrüßt, für die er mehrfach dankte.

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Die kommissarische Verwaltung Preußens hat heute nacht in einer längeren Sigung ihre Pläne über die weitere Befestigung ihrer Stellung in Preußen festgelegt. Von zuständiger Seite ist dazu mitgeteilt worden, daß das Ergebnis dieser Beratungen eine Verordnung sei, deren Mitteilung und Veröffentlichung im Laufe des Nachmittags erfolgen werde. Eine neue Be­sprechung des Reichskabinetts oder der kom­missarischen Verwaltung in Preußen nach der Unterredung bei Hindenburg sei nicht beabsichtigt. Aus diesen Mitteilungen der zuständigen Stelle geht unzweideutig hervor, daß das Kabinett der Barone die Absicht hat, abermals auf diktatorischem Wege in Preußen vor zugehen. In dieser Stellungnahme liegt ein offenkundiges Entgegenkommen an die Wahl­erfordernisse der Deutschnationalen. Zugleich wird dadurch ein neuer verschärfter Konflitt heraufbeschworen. Diese diktatorische Haltung des Kabinetts der Barone steht in offenkundigem

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HERAYESERUNG WHERRE'S

HAUS

ZUSATZ

KLASSEN STIMMEN

WAHL

KEIN MISSTRAUENS VOTUM

,, Wenn man mir jetzt noch den ollen Dreiklassentopp in die Hand drückt und den falschen Willem um den Kopp legt, bin ick wieder komplett.'

Hitler- Banden als Brandstifter

Der erste Terrorprozeß von Königsberg

Eigener Bericht des Vorwärts" Königsberg, 29. Oftober. Unter ungeheurem Andrang des Publikums begann heute vormittag die erste Sonder­gerichtsverhandlung gegen die Terro riften des 1. August. Auf der Anklagebant nahmen zunächst elf Nationalsozialisten Plaz, die sich wegen der Brandstiftungen in Königsberg- Kalthof zu verantworten hatten. Es handelt sich dabei um die Inbrandsezung einer Wohnlaube und eines Schup= pens, ferner um zwei versuchte Brand= stiftungen in Wohnhäusern.

Obgleich die Brandstiftungen mit den übrigen Terroraften und-worten in engster Verbindung stehen, ist Anklage, wegen Landfriedensbruchs nicht erhoben. Das Verfahren gegen die nationalsozia­listischen Mörder ist von diesem Verfahren ab= getrennt.

Die Berteidigung der Angeklagten beginnt fofort mit einer Ueberraschung: Offenbar find fämtliche Angeklagten rechtzeitig von höherer Seite instruiert worden. Alle geben nacheinander die Erklärung ab, daß sie jede Aussage verweigern würden. Auf die ausdrückliche Frage des Vorsitzenden: Wollen Sie denn über­haupt keine Aussage machen?" antworten die Angeklagten: Heute nicht!" Es werden dann zur Klärung des Tatbestandes die Aussagen ver lesen, die die Angeklagten seinerzeit der Polizei gegenüber gemacht haben. Dabei er­gibt sich, daß es sich bei dem Verbrechen um ein wohlorganisiertes Unternehmen gehandelt hatte. Die 30 S.- Leute hatten die Nacht zum 1. August in der Wohnung eines gewiffen Donnowffi zuge­bracht. Gegen 4 Uhr morgens wurden sie geweckt. Auf dem Tisch standen etwa 6 bis 10 Selter­flaschen, in denen sich anscheinend eine leicht bren­bare Flüssigkeit befand. Die Flaschen wurden von dem Gruppenführer Burow an die einzelnen S2.­

Leute verteilt. Allen Beteiligten wurde ein Eid abgenommen, über alles strengstes Stillschweigen zu bewahren. Die ganze Gruppe begab sich dann unauffällig nach Kalthof, wo dann die einzelnen Brandstiftungen vorgenommen wurden.

Bemerkenswert ist dabei noch, daß vor der Tat an sämtliche Beteiligten Gummifnüppel und Schlagringe verteilt wurden. Auf An­weisung des Gruppenführers Burom sollten die Flaschen möglichst in Keller geworfen werden.

Gegen 10 Uhr ist die Verlesung der Protokolle beendet. Das Gericht beginnt dann mit der Ver­nehmung der Zeugen. Rechtsanwalt Frand II erklärt im Namen der Angeklagten, daß sie der Ansicht seien, sich in keiner Weise gegen die Straf­geseze vergangen zu haben. Die Verweigerung der Aussagen sei lediglich ein leidenschaftlicher Protest gegen die ganze Art des Verfahrens.

SA. und GG.

Brüderliche Saalschlacht mit Kuhketten Eigener Bericht des Vorwärts"

Braunschweig, 29. Oktober. Die Zustände im braunschweigischen Nazilager beleuchtet eine Saalschlacht zwischen SA.­ und SS.- Ceuten in Groß- Gleidingen, un­ weit Braunschweig. Die Nazis veranstalteten einen jogenannten Armeemarschabend, in dessen Verlauf die SA.- Leute gegen die SS.- Leute tätlich vorgingen. Mit Kuhfetten, Totschlägern und Eisen­stangen schlugen die verfeindeten Hitler- Mannen aufeinander los. Zehn Berlegte blieben auf dem Schlachtfeld. Von ihnen wurden drei so schwer zugerichtet, daß sie in das Landes­frankenhaus übergeführt werden mußten.

grüßt. Unter der großen Menge, die sich vor dem Reichspräsidentenpalais angesammelt hatte, be= fanden sich auch zahlreiche Nationalsozialisten, die jedoch keinerlei Kundgebungen veranstalteten.

Herr von Papen ist weder vor der Konferenz noch nach der Konferenz sichtbar geworden. Ministerpräsident Otto

Braun begab sich vom Reichspräsidentenpalais sofort zum preußischen Wohlfahrtsministerium.

Bayrischer Schritt bei Hindenburg Eigener Bericht des Vorwärts" München, 29. Oktober. Der bayerische Ministerpräsident Dr. Held hat im Auftrage des Gesamtministeriums dem Reichs­ präsidenten telegraphisch folgenden Beschluß über­mittelt:

Der Ministerrat hat sich auf Grund der ihm zugegangenen Mitteilungen mit den Plänen der Reichsregierung wegen der Neugestaltung Preußens befaßt. Nach seiner Ueberzeugung enthalten die Pläne schwere Eingriffe in die verfassungsmäßige Stellung aller deutschen Länder gegenüber dem Reich und untereinander. Das Borgehen der Reichsregierung bildete eine ich were Enttäuschung für alle, die im Vertrauen auf die Erklärungen der Reichs­regierung damit gerechnet haben, daß eine Reichs­reform nur auf gesetzlichem Wege und nur nach Berhandlungen mit den Ländern eingeleitet wird.

Der Ministerrat bittet deshalb den Herrn Reichspräsidenten, teine Entscheidung zu treffen, bevor nicht mit den übrigen ändern verhandelt worden ist."

Was war in Neudeck?

Grimme fragt den Kanzler Eigener Bericht des Vorwärts" Kaffel, 29. Oktober.

Am Freitagabend sprach in der Kasseler Stadt­halle der preußische Kultusminister Grimme in einer überfüllten Versammlung der Eisernen Front. Grimme richtete sachlich sehr scharfe Angriffe gegen die autoritäre Staatsführung". Der überwachenoe junge Polizeioffizier unterbrach Grimme und er­klärte, daß an der Person des Reichs. tanzlers nicht in so scharfer Form Kritik geübt werden dürfe, sonst müffe er die Versammlung auflösen. Es bemächtigte sich der Massen eine große Erregung über das Vorgehen des Polizeioffiziers. Es bedurfte der ganzen Kunst der Versammlungsleitung und Grimmes, beruhigend auf die immer wieder erregt dazwischenrufenden Massen einzuwirken.

Im Verlauf seiner Rede kam Grimme auf die Behauptung Gottheiners vor dem Staatsgerichts­hof in Leipzig zu sprechen, Severing selbst hätte einen Staatskommissar ge= wünscht. Grimme machte auf die Unsinnigkeit dieser Behauptung aufmerksam und richtete die Frage an den Reichskanzler:

" Hat diese angebliche Behauptung Severings bei den Verhandlungen in Neudec, als Sie sich Hindenburgs Genehmigung zur Ernennung eines Reichskommissars holten, etwa eine Rolle gespielt?" Grimme wünschte diese Fraçe möglichst noch vor der Wahl beantwortet zu erhalten.

Gouverneur 3. D. Schnee, der längere Zeit als Vertreter der Deutschen Volkspartei dem Reichstag angehört hat, lehnte jetzt eine neue Kandidatur ab und erklärte gleichzeitig seinen Austritt aus der Dingelden- Partei.