ZWEITE BEILAGE
Vorwärts
SCHICKSAL WEEK MASCHINE
7]
ROMAN VON STEFAN POLLATSCHEK
( Copyright Saturn- Verlag.)
Wieder tönten ungezählte Stimmen durcheinander, gegeneinander, aber die Lungen des Mähnigen waren doch die kräftigsten. „ Und was sagt ihr zu dem Unsinn, den dieses Weltwunder von sich gibt? Dieser Crusius will ernstlich alle Menschen reich machen! Was soll denn daraus werden, wenn jeder sein Auto befigt? Will er eine Gesellschaft von Nichtstuern, von Prassern, von Drohnen erzeugen?!"
Ich dachte doch", erwiderte Weltlin lächelnd und ärgerte sich seines Lächelns, das er doch nicht bannen fonnte ,,, Sie wollen, es möge allen Menschen gut gehen?"
,, Kann es denn den Menschen gut gehen ohne Arbeit?"
,, Sie sind also ein unbedingter Anhänger der Arbeit?"
In einem bestimmten Sinne gewiß!" ,, Dann wird es aber immer Sklaven, immer schwer arbeitende Menschen geben?"
Wir wollen nur, daß alle Menschen gleichmäßig zur Arbeit verpflichtet sind und gleichmäßig an ihrem Ertrag beteiligt sind. Und wenn schon das Ziel dieses Weltbeglückers in Erfüllung ginge und alle Menschen Nabobs würden, einige müßten ja doch die Maschinen bedienen!" Der Mähnige warf seinen Kopf triumphierend zurück.
"
Wenn ich Sie also recht verstehe", sagte Weltlin ,,, dann würden Sie es bedauern, die Menschen ohne Arbeit zu wissen?"
,, Natürlich würden wir dies bedauern", fagte die leise Stimme des blonden Zwischenrufers von vorhin. Weltlin sah den Sprechenden näher an und erkannte nun in ihm den Schriftsteller Wormser, dessen amüsante, sarkastische Plaudereien er so gerne las. ,, Gewiß würden wir das bedauern. Denn was tönnten wir Revolutionäre anfangen, wenn es allen Menschen gut ginge? Für wen sollten wir denn fämpfen, wenn es keine durch Arbeit entrechtete Menschen gäbe? Mein Herr, Sie nehmen uns doch unsere Eristenzberechtigung!"
,, Sie wird man zuerst an die Mauer stellen, Sie dreckige Literatenseele!" rief tomisch entrüstet der Mähnige, erhob sein Glas und trank Wormser zu.
Weltlin sah nach der Zeit. Es war drei Uhr früh, die Luft lag dick und schwer im Raum. Er fühlte sich müde werden, stand auf und empfahl sich von den jungen Menschen. Der Dame Vera Wagner füßte er die Hand und sprach ein paar herzliche Worte zu ihr. Zuletzt verabschiedete er sich Don seinem Sohn Es war sehr schön, daß du mich mitgenommen hast, Albert. Ich mache Böses mit, fürchtete mich vor dem Abend, der nun so... anregend war. Darf ich wieder einmal her zu dir, zu deinen Freunden lommen? Vielleicht versteht man fich mit der Zeit besser!"
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Aber während er durch die Nacht seiner Wohnung zuschritt, wußte er, daß es eine Berständigung nicht gebe hier nicht und nirgends! Nicht mit seinem Sohn, trotz aller Freundlichkeit, nicht mit seiner Tochter, die ihre eigenen Wege ging, nicht mit seiner Frau, die es nicht mehr war, nicht mit sich selbst. Es schmerzte ihn, daß er den Abend nicht mit Sufi verbracht hatte, und er fühlte, wie sehr er an diesem Wesen hing, fühlte es freudig und schmerzlich zugleich. Als er bei seiner Wohnung angelangt war, bemerkte er, daß die Fenster seines Zimmers hell beleuchtet waren. Mit großen Schritten eilte er die Treppen hinan und öffnete hastig die Tür. Im Zimmer saßen Crusius und Erna. Das Mädchen erhob sich: ,, Nun, da bist du ja, Bater. Ich will die Herren nicht stören!" fagte sie und war schon aus dem Raum.
Weltlin betrachtete den Freund, dessen weißes langes Haar die edle Stirne seltsamgespenstig umrahmte.
Ich habe auf dich gewartet, Wilhelm", begann Crufius mit seiner milden, dunklen Stimme. Erna sprach mit mir. Sie schilderte mir deine Situation. Ich wußte nichts davon. Da lebt man in einer Stadt und hat feine Ahnung, wie es lieben Menschen ergeht. Willst du mir nicht selbst deine Lage mitteilen?"
Wozu?" fragte gequält Weltfin und erzählte schon. Er leierte sein Pensum her
unter, die Maschinerie funktionierte. Ach, mie gerne hätte er neue Worte gefunden, andere Töne angeschlagen, aber er mußte oft Gesagtes wieder sagen, im gleichen Ton, im gleichen Wort, mit den gleichen Gesten. Sein Gegenüber hörte zu, die Augen geschlossen, an einer großen, dicken Zigarre rauchend. Und wieder mußte Weltlin denken: Ist das ein Mensch, der mir gegenübersißt, ist das bloß das aus den illustrierten Zeitungen herausgestiegene Bild, das mir zuhört? Werde ich nicht morgen die Photographie sehen: Crusius, dem Freunde zuhörend"? und er war sich mit Ekel bewußt, daß er,
obwohl er gleichzeitig solches denken konnte, dennoch sprach, immer weitersprach, unbeteiligt, abwesend, wie eine Maschine. Nun war er zu Ende.
,, Ich kann dir wahrscheinlich helfen", sagte Crusius ruhig, still, bescheiden.„ Es trifft sich gut. Dein Fall fommt mir gelegen, Wilhelm!" Weltlin horchte auf. Wie war das? Man fonnte ihm helfen? Er war noch nicht verloren? Hörte er recht?
,, Wie, du könntest helfen?!" fragte er, hoffend und fürchtend zugleich, und alles wehrte sich in ihm, diese Hilfe anzunehmen.
" Ja", sagte Crusius. Ich bin vor dem Abschluß einer Erfindung. Rein theoretisch vorläufig, sie ist noch nicht praktisch erprobt, aber ich bin meiner Sache absolut sicher." ,, Und mit dieser Erfindung könntest du mir helfen?"
Ja."
,, Darf ich fragen, wie..."
,, Nicht zuviel, Wilhelm. Im wesentlichen besteht meine Erfindung darin, daß man jede durch Turbinen angetriebene Maschine um das etwa Vierfache ihrer Kapazität zu steigern vermag."
Weltlin glaubte zu träumen; aber welche
MITTWOCH, 2. NOV. 1932
Wunder hatte dieser Crusius nicht schon vollbracht!
,, Das wäre ja Revolutionierung der ge samten Technit!" schrie Weltlin und ging mit langen Schritten auf und ab.
,, Wir wollen nicht so große Worte gebrauchen", sagte die dunkle, milde, bescheidene Stimme. ,, Sagen wir, daß es eine bedeutsame Entwicklung darstellen würde. Ich bin mir auch bewußt, daß ich außerordentlich behutsam zu Werke gehen muß, um allzugroße Erschütterungen zu vermeiden. Ich dachte lange nach, wo, wie und unter welchen Umständen ich die ersten praktischen Versuche durchführen könnte. Nun bin ich des Nachdenkens hierüber enthoben."
,, Wird das... ist das nicht mit großen Geldausgaben verbunden?" fragt eer zögernd. ,, Nicht mit nennenswerten. Und da es sich um meinen Versuch handelt, ist das wohl meine Sache."
,, Nein, nein!" sagte Weltlin, schritt aufgeregt im Gemach umher und wiederholte nur: ,, Nein, nein!"
,, Du fannst mir ja gelegentlich den Betrag zurückgeben, wenn der Versuch gelingt." ( Fortsetzung folgt.)
,, Nimm die Guzle und finge ein altes, schönes Heldenlied!" sagte ich zum alten Stjepan Gospitsch.„ Oder noch besser: spiele einen Kolo, daß wir tanzen können, Burschen und Mädchen. Uns ist falt."
Aber der alte Stjepan antwortete: Heute nicht. Nicht fingen heute, nicht tanzen." Er sah scheu zum fleinen Dorffriedhof hinüber, den sie feltsamerweise so angelegt hatten, daß der große Maulbeerbaum des Tanzplatzes ihn noch halb überschattete. ,, Sonst tommt Mrt zu Gast."
Ich blickte erstaunt auf Stjepan, auf all die jungen Gospodins und Gospodjizas im Kreis, die still geworden waren. Warum soll der Tod gerade heute tanzen wollen...?"
,, Er wird kommen, wie er vor sechzehn Jahren fam, als Krieg war. Da fam er auch zu Allerseelen in unser Dorf."
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Ach, verzeih, Allerseelen ist heute... Ich hatte es vergessen." Ich schämte mich sehr. Aber unstet wandernd zwischen den vielen Ländern, Kirchen und Sekten des Balkans, zwischen Hunger und Sättigung und wieder Hunger vergaß man leicht der Toten und ihres Tages.
,, Nein", bekräftigte Stjepan der Alte leise ,,, ich mill nicht fingen, nicht spielen, und feiner soll tanzen. Aber ich will dir erzählen, wie Mrt zu Gaste kam vor sechzehn Jahren. Ihr jungen Leute wißt die Geschichte, ihr könnt heimgehen, wenn ihr wollt."
Sie blieben alle und lauschten. Die Novemberfonne fant in fahlem Rot; Fröstelwind raschelte in der Krone des Murvenbaums. Stjepan erzählte:
,, Das war im dritten Jahre des großen Krieges, als deine Landsleute aus Njematschka den Austriern zu Hilfe gekommen waren gegen die Serben. Erst tamen junge Njematschkis, die zogen in eiligen Märschen durch unser Dorf. Dann tamen ältere Männer mit guten, langen Bärten, die blieben. In jedem Hause wohnte einer. Wir hatten sie gern. Sie hatten fast alle Kinder daheim im Schwabenland. An die dachten sie, wenn sie mit unseren Kindern spielten, und sie zeigten unseren Frauen die Bilder ihrer Frauen. Lange waren sie bei uns, wir tannten jeden einzelnen. Aber eines Tages im Sommer mußten sie doch weg, den Jungen nach. Wir gaben ihnen Blumen mit.
Nach vielen Monaten erst tamen sie wieder, im späten Herbst. Ihre Uniformen waren zerschlissen wie das Laub der Murve, vielen waren Arm oder Bein verwundet wie der Murve die Aeste, und einige fehlten... Sie hodten traurig in den warmen Hütten und waren schweigsamer als früher. Aber sie sagten doch, daß der Serbe wieder im Vordringen war. Und einmal, als ich oben auf der Planina war, hörte ich fern den Donner des Krieges und sein Heulen.
Etwas Seltsames geschah: ein Zigeunerwagen tam ins Dorf. Es waren reiche Zigeuner, sie stahlen nicht, sie lebten von einem Karussell, das sie mit sich führten für unsere Kinder. Sie zogen nach Westen, sie flohen vor dem Kriege her, der näher kam. Am Nachmittag tamen sie, und die Njematschkis verlachten ihre Angst und baten sie, das Karussell aufzuschlagen und freisen zu lassen. Die Zigeuner wollten, aber wir wollten nicht. Denn es war Allerseelen, wie heute...
Die Njematschtis gaben aber nicht Ruhe. Noch
lebten sie, so lauteten ihre Worte, aber morgen stürben sie vielleicht, und dann sollten wir ihrer gedenken. Für heute aber wollten sie eine Freude haben, ein einziges Mal eine Freude, wie sie daheim sie kannten. Wir verstanden sie und gaben nach. Wir hätten es nicht tun sollen; aber wir mochten sie gern und verstanden sie. Dort, wo jetzt der Friedhof ist, bauten die Zigeuner das Karussell auf, und die Schwaben halfen ihnen und lachten fröhlich."
Ich sah erst jetzt, daß auf dem kleinen Friedhof mur Holzkreuze standen: also ein Soldatenfriedhof. Die Kreuze standen schwarz vor dem farblosen Himmel, und es schien, als schwankten fie und zitterten frierend im Wind, der wilder mehte.
,, Das Karussell der Zigeuner war für die Kinder beſtimmt, es war sehr klein, und die Bläge in den Wägelchen und auf den Rüden der hölzernen Pferdchen und Efelchen waren schmal. Aber die Soldaten tamen, als es dunkel geworden war, und strichen lächelnd ihre guten, langen, braunen Bärte, daß sie nicht mehr so mild aussahen: denn es führte mohl jeder ein junges Mädchen am Arm. Man durfte den Männern nicht gram sein und nicht den jungen Mädchen, denn die jungen Leute des Dorfes ftanden auf den Bergen und fämpften, und die Frauen der Schwaben waren fern in Njematschka, und feiner meinte es bös. Die breiten Männer fanden Blaz auf den schmalen Kindersitzen, und die Mädchen faßen auf ihrem Schoß und lachten hell und schrill, und auch die Soldaten lachten, und der Zigeuner geigte. Die auf dem rollenden Karussell saßen, die vergaßen Allerseelen, und da vergaßen es auch die Alten, die zuschauten; ich aber, ich vergaß es nicht. Denn ich kann die Dinge sehen, die im Dunkeln leben, und ich sah mitten zwischen den lustigen Holzpferdchen das meiße Gerippe eines großen Pferdes, und auf dem Gerippe des Pferdes saß das Gerippe eines Mannes, und ich erkannte Mrt , den Tod... Er legte aber den Knochenfinger an seinen lippenlosen Mund, daß ich schweigen sollte. Und ich schwieg, und die Lustigen sahen ihn nicht.
Es hingen ein paar Windlichter an den Aesten der Murve, und ihr Schein schimmerte in den hellen Augen der Mädchen. Sie wurden immer lauter und froher, sie holten Ratia herbei und tranten, und sie riefen und fangen davon, wie sie heute lebten und lachten und feierten und morgen vielleicht tot wären, und wie sie also um so mehr feiern müßten und lustig sein. Und endlich sprachen sie gar nicht mehr vom Tod, sie vergaßen ihn, obwohl er doch unter ihnen war und mit ihnen sich drehte im Kreise herum. Sie hatten so viel Leid erlebt in der Schlacht, so viel heulendes, lärmendes Leid, darum war ihre Freude so viel und so laut. Sie machten den Zigeuner betrunken, daß seine Geige freischte und immer wirrer und wilder spielte, sie trieben den Maulesel an, der das Karussell zog, und manchmal schoben sie es selbst herum, damit es noch schneller ginge, immer noch schneller.
Sie wollten den Krieg vergessen, sie vergaßen ihn, aber die Serben und die Crnagorsten vergaßen ihn nicht. Und es hatte sich eine Schar von Crnagorsten, welche die Söhne der Berge sind und also die Planina tennen wie ihren Vater, über die Felsen geschlichen mit zwei Geschützen bis zu den beiden Gipfeln über unserem Dorf.
Sie stellten ihre beiden Geschüße auf, eines auf jedem Hügel; sie brauchten viele Stunden dazu, aber sie vollbrachten es. Und auch das Fest unten brauchte viele Stunden...
Ich wußte nichts von den Crnagorsken, ich stand ja und sah dem Karussell zu, aber ich wußte, daß Mrt zu Gaste war Er fuhr noch immer mit im Kreise herum und blickte oft auf den Plaz, und er lachte auf, als ein paar Schwaben mit ihren Mädchen unter der Murve tanzten. Aber sie hörten sein Lachen nicht, sie lachten selbst zu viel. Andere warfen Gläser in die Luft und gegen den Stamm des Maulbeerbaums, und einer stand hoch oben auf der Mitte des Karussells und ließ sich herumdrehen und schrie immerzu in alle Richtungen des Windes, laut und sehr glücklich: Wir leben! Wir leben! Wir leben!!"
"
Und da, Herr, da jezte Mrts Pferd vom Karussell herab, und Mrt hob die Hand, langsam und feierlich, und winkte gegen die Berge, einmal gegen den einen Berg, einmal gegen den anderen Berg. Da erschrat ich und lief schreiend davon. Und ich hörte ein Bersten und Splittern und Krachen wie von Blizen, und von den Bergen fam ein Donnern dahinter her, und Wimmern und Schreien aus Trümmern, und Beitschen schläge aus nahen Gewehren... dem Mann auf der Höhe des Karussells zerriß es den rufenden Mund, das Karussell zerbrach und zerstürzte, dem Zigeuner zerriß es Geige und Leib, alle Soldaten fast traf es und die meisten der Mädchen und manchen der Zuschauer...
So war es. Wir haben sie dort begraben, mo das Karussell gestanden ist. Wir haben aus den Trümmern des Karussells ihre Grabkreuze ge macht. Man kann an einigen Querhölzern noch heute erkennen, daß sie einst Fuß oder Leib eines Holzpferdchens waren. Drei Tote haben sie später ausgegraben und nach Njematschta gebracht, aber die anderen liegen noch hier. Und darum sollt ihr nicht tanzen und spielen zu Allerseelen. Sonst kommt Mrt zu Gast..."
Der alte Stjepan schwieg lange. Als feiner aufbrach, stand er auf und lehnte sich an den Stamm der Murve. Sein Gesicht schien grau und stelettern. Er sagte leise:
,, und seht nicht aus den Fenstern heute nacht. Sie steigen aus den Gräbern und finden sich zu ihren Mädchen, jedes Jahr zu Allerseelen. Ihre Grabkreuze schweben aus der Erde und bauen sich zusammen zu dem Karussell, und aus vielen winzigen Splittern allenthalben wird die Geige. Sie fahren herum und fanzen und lärmen, und der Zigeuner spielt. Jedes Jahr ist ein weniges mehr vermorscht vom Holze, jedes Jahr wird das Karussell gebrechlicher und die Geige heiserer. Wenn alle Kreuze verfault sind und alle Geigensplitter, dann werden sie ruhen dürfen. Das wird lange dauern, denn viele, viele Jahre gehen hin, ehe ein Krieg begraben ist... So lange aber lärmen sie in dieser Nacht und leben, bis von der Planina die Schüsse donnern und alles zerreißen. Geht in eure Hütten und schaut nicht hinaus. wenn euer Leben euch lieb ist."
Er ging langfam. Aber er wandte sich noch einmal zurück und sagte, als antworte er auf eine ungetane Frage:
,, Keiner darf es sehen. Auch ich habe es nicht gesehen. Aber es ist so."
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