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Morgen- Ausgabe

Nr.519 A 254 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher 7 Amt Dönhoff 292 bis 207 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

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BERLINER

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Sozialdemokraten

DONNERSTAG

3. November 1932 In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Schärffter Konflikt Bayern- Reich

Ministerpräsident Held gegen Papen und Gayl

Eigener Bericht des Vorrärts"

München , 2. November.

Nach seiner Rückkehr aus Stuttgart hat Ministerpräsident Dr. Held am Mitt­woch die Presse zu sich gebeten, um die Deffent­lichkeit über die fachlichen Zusammenhänge des Konflikts zwischen der Papen- Regierung und Bayern aufzuklären. Seine zum Teil sehr scharf formulierten Ausführungen ließen die Tiefe der Gegensätze erkennen, die für den Augen­blic unüberbrückbar erscheinen.

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Zunächst verwahrte sich Dr. Held gegen die Darstellung der Papen - Bresse , daß Bayern mit seinem Widerspruch gegen die jeßigen Maßnahmen die Reichs- und Verfassungsreform überhaupt jabotieren wolle. Bayern bekämpfe nur eine solche Reform, die außerhalb des Rechts mit Ge= walt durchgeführt werden solle.

Die Reichsregierung müsse zunächst den Ber­such machen, die Reform mit den dazu berufenen Organen, dem Reichstag und dem Reichsrat, in die Wege zu leiten.

Auch vom bayerischen Standpunkt aus lasse sich durchaus eine Lösung des Dualismus zwischen Reich und Preußen denken. Allerdings müßte

dabei die Grundforderung berücksichtigt werden, daß bei einer Berreichlichung Preußens oder bei einer Berpreußung des Reiches die anderen deut­ schen Länder aus ihrer durch die Verfassung ga­rantierten Position nicht verdrängt und schließlich in ihrer Eigenstaatlichkeit abgesetzt werden. Mit aller Entschiedenheit müsse man sich gegen die Behauptung mehren, daß das, was jetzt geschehen sei, nur ein Provisorium darstelle. In Wirf= lichkeit fei es das Kernstück der Reichsreform. Denn man woile die Zen­tralgewalt im Reich als die einzige Staats­gewalt im ganzen Reich installieren und außerdem die Gemeinden reichsunmittelbar machen. Das beweise ganz eindeutig die Berufung des Herrn Popiz. Das sei eine Reichsreform ganz zentralistischer Art und laufe auf eine Totmachung des Länderwillens hinaus, gemacht von einem ganz kleinen Kreis von Leuten, deren Hinter­männer man nicht einmal fenne.

Bayern werde sich in diesem Stadium des Konflikts unter feinen Umständen ausschalten lassen. Ihm als banerischen Ministerpräsidenten das Reden verbieten zu wollen, scheine ihm ein Blitz aus dem Osten, die russische Knute zu sein..

Die automatische Folge dieser neuen Reichs­konstruktion würde sein, daß alle Länder in eine

Keine Streitmehrheit bei der BVG.

Einstimmige Auffassung der Obleute

Gestern wurde bei der BVG. die Urab­ftimmung über das Ergebnis der Berhand­lungen vorgenommen, die von den freien Gewerk­schaften zwecks Neuabschlusses des Cohn­tarifvertrages für die technischen und Ber­fehrsarbeiter geführt worden sind. Stimm­berechtigt waren 21 902 Beschäftigte, von denen sich aber nur 18 537 an der Abstimmung beteiligten; 3365 oder gut 15 Proz. haben sich demnach nicht an dieser wichtigen Abstimmung beteiligt. Für Streif ffimmten 14 471 Be­fchäftigte oder 66 Proz. der Stimmberech­figten, für Annahme des Berhandlungs­ergebnisses stimmten 3993 Beschäftigte. Un­gültig waren 73 Stimmen. Die statutarisch notwendige Dreiviertelmehrheit für den Streif ist fomit nicht erreicht worden.

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Zu diesem Ergebnis der Urabstimmung nahmen gestern abend die freigewerkschaftlich organisierten Obleute bei der BVG. Stellung. Einstimmig waren die Obleute der Auffassung, daß eine Streifmehrheit nach den Gewerkschafts­jagungen nicht vorliegt.

Die an der Vereinbarung beteiligten Organi­sationen werden heute zu dem Ergebnis der Ab­stimmung gleichfalls Stellung nehmen. Die Satzungen der Gewerkschaften schreiben zwingend vor, daß ein Streit nur dann sanktioniert werden kann,

wenn mindestens dreiviertel der an dem Konflikt Beteiligten für Streif stimmen. Die Stellungnahme der Gewerkschaften ist dadurch gegeben. Es versteht sich jedoch von selbst, daß die Kommunisten und die Nazis, die in ihrer Presse seit Tagen und Wochen zum Streik auf­fordern, sich an die Sagungen der Gewerkschaften nicht halten und die Belegschaft zur Niederlegung der Arbeit auffordern werden. Dadurch wird in die Belegschaft und das ist ja der Zweck der fommunistisch- nationalsozialistischen Agitation ein Reil hineingetrieben und Organi fierte werden gegen Unorganisierte ausgespielt. Mit den üblichen Methoden wird man suchen, die Belegschaft, die sich an den Sagungen der Gewerkschaften hält, zur Niederlegung der

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Arbeit zu zwingen. Der lachende Dritte wird die Reaktion sein.

Der Konflikt innerhalb der BBG ist durch die bekannten Notverordnungen entstanden, die

die Ungleichung der Löhne der Gemeinde­

arbeiter an die der Reichsarbeiter

vorschreibt. Gegen diese Vorschriften haben die Gewerkschaften sich mit großem Erfolg gewehrt. Es ist ihnen auch gelungen, die buchstäbliche Aus­führung dieser Notverordnung zu verhindern. Was jetzt bei der BVG. durchgeführt wird, ist in Wirklichkeit die Angleichung der Löhne der Ar­beiter der BVG. an die Löhne der übrigen Arbeiter der Stadt Berlin .

Ohne weiteres zu verstehen ist der Unmut der Arbeiterschaft gegen die fortgesetzten Lohnabzüge. Eine andere Frage aber ist es, ob unter den obwaltenden Umständen diese Angleichung der Löhne der Arbeiter der BBG. an die Löhne der übrigen städtischen Arbeiter einen Streit mit allen seinen Ronse­quenzen in einem öffentlichen Betriebe rechtfertigt

ob unter diesen Umständen ein solcher Streit Aussicht auf Erfolg hat.

Da sich die Mehrheit der Belegschaft der BVG. leiber immer noch aus Unorganisierten zusammenseßt, ist das Ergebnis der Abstimmung nicht sonderlich überraschend. Die Gewerkschaften können und dürfen diesen impulsiven Regungen, denen Unorganisierte leicht zugänglich sind, nicht nachgeben. Sie können zugunsten von Unorganisierten nicht von ihren Sagungen abgehen und auch unter dem Geschrei der RGO. und der Nazis dürfen sie sich den klaren Blick für die Tatsachen nicht trüben laffen.

Aber gerade dieser Zwang der Tatsachen, denen sich die Gewerkschaften nicht entziehen dürfen, ist für Kommunisten und Nazis das Agitationsmittel, um auf die einzuwirken, die eine scheinrevolutio­näre Ausrede brauchen, um sich für ihre Drüde­bergerei bei der Erfüllung der gewerkschaftlichen Pflichten zu rechtfertigen. Im übrigen wird es fich auch hier wieder erweisen, daß einen radi­falen" Stimmzettel abgeben und danach zu handeln, amet fehr verschiedene Dinge find.

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viel schwächere Position hineingedrängt werden und nicht mehr in der Lage wären, in den für

sie unmittelbar lebenswichtigen Fragen mitzu­reden und mitzuentscheiden. Aus diesem Grunde lehne die bayerische Regierung jede Reichsreform mit dem Mittel des Staatsstreichs ab und bleibe unbedingt auf dem Standpunkt der Legalität und des Rechte s.

Mit größter Entrüstung geißelte Dr. Held die Methode der Papen und Gayl, die der bayerischen Regierung wiederholt gegebene Bersprechungen nicht ge­halten hätten. Diese Versprechen, sich vor jeder Jnangriffnahme der Reichs- und Berfassungsreform mit den Ländern zu beraten oder mindestens sie zu verständigen, feien bis in die letzten Wochen hinein gemacht worden.

Als dann am Donnerstag der vorigen Woche der bayerischen Regierung zufällig von außen her Gerüchte über die unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen zugetragen wurden, sei ihrem Gesandten in Berlin jede Auskunft verweigert worden. Das allerschlimmste aber sei gewesen, daß der Reichskanzler am Sonn­abendnachmittag in der telephonischen Aus­einandersegung ihm unterstellt habe, mit dem Telegramm der bayerischen Regierung an den Reichspräsidenten sei eine Hilfsstellung der Re­gierung Braun bezweckt gewesen. Das sei eine Derächtliche Kampfesweise, erflärte Dr. Held.

Zum Schluß erklärte der Ministerpräsident, daß die bayerische Regierung auch heute noch jederzeit bereit sei, über all die bereits getroffenen Maß­nahmen, obwohl sie eine faum reparable De­gradierung der Länder bedeuteten, sich mit dem Reichskanzler zu unterhalten und die Möglichkeit einer Verständigung zu suchen unter der einen Borauslegung, daß das Recht nicht von der Gewalt gebeugt werde.

Preußen gegen Reich

Beschluß der Staatsregierung

Die rechtmäßige preußische Staatsregierung teilt mit:

In der heutigen Staatsministerialsigung stellten die Staatsminister übereinstimmend fest, daß die Reichsregierung ihre Pflicht, die nach der Ent­scheidung des Staatsgerichtshofs zu Unrecht ihres Amtes enthobenen preußischen Staatsminister wieder in ihr Amt als Staatsminister und Landesregierung einzusetzen, bis heute nicht erfüllt hat."

Die preußische Staatsregierung wird nunmehr meitere Schritte ergreifen, um ihr Recht durch­zusetzen.

Laffalles Grab beschmutzt

Eigener Bericht des Vorwärts"

Breslau , 2. November. Hakenkreuz- Schmierfinten haben in der Nacht zum Mittwoch das Grab Ferdinand Lassalles auf dem jüdischen Friedhof in der Lohestraße be sudelt. Die nach der Straße zu gelegene Rückseite des Grabmals, an der sich eine fleine Gedenktafel befindet, ist mit einem großen Hakenkreuz in roter Farbe beschmiert worden.

Potsdam oder Weimar ?

Wir müssen ein Ja finden!

Von Erik Nölting

Am 12. September 1932 hat der Deutsche Reichstag mit 512 bei insgesamt 550 abge­gebenen Stimmen, d. h. mit einer Neun­Zehntel- Mehrheit dem Reichskanzler von Papen Lebewohl zugewinkt und hinzuge­fügt: auf Nimmerwiedersehen! Eine sensatio= nelle Einmütigkeit, ein Unifum der Barla­mentsgeschichte! Ein merkwürdiger Tag, ge­wiß, dieser 12. September. Aber ein großer Tag war es nicht, denn ihm fehlte der heroische Zug, und was abrollte war nichts als eine Bosse. Die Geschichte wird den 12. September 1932 dereinst nur in ihrem Kuriosenkabinett verzeichnen.

In der Wilhelmstraße in Berlin der Herrenklub, doch ihm gegenüber in einigen hundert Meter Abstand der Deutsche Reichs­tag, eine trozige Volksburg, eine uneinnehm­bare Schanze der Demokratie und der freien Volksrechte. Zog man drüben das Motten­banner des Feudalismus auf, hier bauscht sich das schwarzrotgoldene Panier stolz flatternd im Wind. Wenn's so gewesen wäre, würde der 12. September ein großer Tag sein, den noch unsere Enkel rühmen würden. Aber vom First des höchsten deutschen Parlaments wehten Hakenkreuz und Sowjet­stern. Schwarzrotgold, Symbol einer streit­baren und wehrhaften Demokratie, hing schlaff am Fahnenmast, weil nur eine Minderheit sich unter diesem Banner zu­sammenscharte.

Der Ruf nach Staatsstreich liegt überall in der Luft, ihm antwortet nicht überall der entschlossene Freiheitsruf der Millionen. Viele antworten vielmehr mit Heilrufen, denen der eine ein ,, Mostau", der andere ein ,, Hitler " hinzufügt. Das wird in der Ferne ein ver­worrenes und unverständliches Stimmen­geraufe, das allmählich und immer deutlicher vernehmbar überflungen wird von einem neuen, nur allzu bekannten Ton: dem tatü= tata des Hohenzollernautos.

Wohl 90 von 100 Rednern schließen in diesen Tagen ihr mehr oder minder lang= atmiges Wahlreferat mit der Forderung: fort mit Papen ! Nie ist das deutsche Bolf mit einer solchen Einmütigkeit in einen Wahlkampf gezogen. Den uns gegenwärtig beglückenden Reichskanzler zu beseitigen, ist auch der leidenschaftliche Wunsch der Sozial­demokratischen Partei. Aber wir sehen der Forderung, uns von Herrn von Papen zu be­freien, noch ein anderes Gebot hinzu, das dem ersten Verlangen allein seinen Sinn ver­leiht: befreit uns von der Handlungsohn­macht des deutschen Parlamentarismus und entreißt den Deutschen Reichs­tag der antidemokratischen Mehrheit und der Diktaturspielerei! Sowjetdeutschland bleibt doch nur ein Nebel­sput, eine fruchtlose Träumerei an fommu­nistischen Kaminen. Auch das Dritte Reich ist nur die Utopie von gestern und der Katzen­jammer von morgen. Aber dieweil die einen vom heiligen Kreml , die anderen von Wodans heiligen Eichenbäumen schwazten, befamen wir die blaublütige Klassendiktatur

Große Wahlkündgebung

am Freitag, dem 4. November, 20 Uhr, im Sportpalast, Potsdamer Str . 72 Redner: Artur Crispien, Tony Sender, Otto Bauer ( Wien ) Kasseneröffnung 17 Uhr. Eintrittspreis 50 Pf., Erwerbslose gegen Vorzeigung der Stempelkarte 10 Pf. Die Fahnendelegationen müssen spätestens um 19 Uhr in der Vorhalle des Sportpalastes anwesend sein