Morgen- Ausgabe
Nr.529 A259 49. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
MITTWOCH
9. November 1932
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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Roosevelt führt
New Yort, 8. November.
Die von Associated Preß " bis vier Uhr nachmittags( 11 Uhr ME3.) gesammelten Teilresultate ergaben wichtige demokratische Gewinne in zahlreichen Landesteilen, darunter Neu- England und in Teilen von Texas , Florida und Nordkarolina, in welch letzteren drei Staaten im Jahre 1928 eine republikanische Mehrheit vorhanden war.
Die ersten Resultate aus Kolorado ergeben für Hoover 2795, für Roosevelt 3241 Stimmen, für& anjas lauten die entsprechenden Ziffern 5988 und 6125, für Massachusetts 11 731 und 18 776, für Missouri 1530 und 1773. Jn Rhode Island erhielt Hoover 135, Roosevelt nur 74 Stimmen. In Texas dagegen dominiert wieder Roosevelt mit 16 586 Stimmen gegenüber Hoover mit 2326 Stimmen.
Nach den bis fünf Uhr nachmittags( 23 Uhr ME3.) vorliegenden ersten Resultaten aus 13 der 48 Bundesstaaten führt Roosevelt in Alabama , Kolorado , Florida , Georgia Kansas , Massachusetts , Michigan , Missouri , New Hampshire , Nordfarolina und Oklahoma . Hoover nur in Nebraska und Rhode Island .
Erste Teilergebnisse
Aus acht Städten von Kansas , darunter Kansas- City und Topeka , liegen Teilergeb
Erste Teilresultate überall gegen Hoover
nisse der Präsidentenwahlen vor. Danach erhielt Roosevelt 3350 und Hoover 3290 Stimmen. In Denver ( Kolorado ) erhielt Roosevelt 3181 und Hoover 2754 Stimmen. Das Ergebnis von 37 Wahldistrikten von Massachusetts lautet: Roosevelt 13 146, Hoover 9305 Stimmen.
Die ersten Meldungen weisen auf eine außer= ordentlich starke Wahlbeteiligung hin. Namentlich in den Oststaaten scheint die Wählerschaft beinahe vollzählig zur Wahlurne ge= gangen zu sein.
Endergebnis erst Mittwochvormittag New York , 8. November. Der Wahlakt hat um 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit begonnen. Das Ergebnis wird in Europa gegen 7 Uhr morgens eintreffen. Das Wetter ist fühl und bewölkt; aus verschiedenen Oststaaten werden Regenfälle gemeldet.
In der Stadt New York überwachen 7557 Polizisten die 3794 Wahllokale; 19 220 Polizisten find in der Stadt alarmbereit. Die Washingtoner Geheimpolizei hat Vorbereitungen getroffen, um ver= fassungsgemäß den staatlichen Schuß auf Roose velt auszudehnen, falls er gewählt wird. Die Polizeistunde ist für Klubs und Tanzdielen auf 0.50 Uhr verlängert worden.
Um dem Massenandrang der Wähler begegnen zu können, sind in der Stadt New York neue Wahlmaschinen eingeführt worden, die recht umständlich sind. In den übrigen Städten und
5109000 Arbeitslose
Geringes Sinken der Arbeitslosigkeit
In der zweiten Oktoberhälfte ist nach dem jetzt vorliegenden Bericht der Reichsanstalt die Zahl der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Erwerbslosen von 5 150 000 Mitte Oktober auf 5 109 000 Perjonen gesunken.
• Bei der Unzuverlässigkeit der Arbeitsamtsstatistik wird man sich aber dieser zahlenmäßigen Besserung so lange nicht freuen können, bis der erheblich genauere Monatsbericht des ADGB . über die Beschäftigtenziffern der gewerkschaftlich organifierten Arbeiter und die Ziffern der in den Kranfenfassen Versicherten für den Monat Oktober herausgekommen sind. Erst dann wird sich zeigen, ob im vergangenen Monat gegenüber dem September tatsächlich keine oder nur ganz unwesentliche Verschlechterung des Arbeitsmarktes einge= treten ist. Da Ende September die Gesamtzahl der Erwerbslosen mit 5 102 000 und Ende Oktober mit 5 109 000 ausgewiesen wird, müßte sich also im Oktober der Arbeitsmarkt nahezu stabil ge= staltet haben.
Im Vergleich mit dem vergangenen Jahr hat sich seit Ende August die Situation auf dem Arbeitsmarkt folgendermaßen entwickelt: im Jahre 1931 war durch die einsetzenden Saisonentlassungen bei gleichzeitig anhaltender Konjunkturver= schlechterung die Zahl der Arbeitslosen um 408 000 gestiegen In diesem Jahr ist die Zahl der Erwerbslosen seit Ende August um 115 000 Personen gesunken. Nun geben diese Zahlen leider keinen Anhaltspunkt, da durch die massenhaften Aussteuerungen und das Aufhören der Unterstützungszahlungen die Armee der Arbeitslosen gewachsen ist, die bei den Arbeitsämtern nicht mehr angemeldet sind. Aber auch, wenn man all dies einschaltet, so zeigt sich doch, daß sich eine, wenn auch geringe, Teilbele bung in der Wirtschaft durchsetzt, die nicht nur faifonmäßig( Weihnachtsgeschäft) bedingt, sondern tonjunkturmäßig beeinflußt ist. Dieser leichten Besserung in den Konjunkturindustrien ist es ge= lungen, die jedes Jahr eintretende Verschlech terung des Arbeitsmarktes in den Saisongemerben bisher zu verhindern.
Die Regierungspresse wird natürlich versuchen, aus dieser geringen Besserung für das Kabinett
von Papen Kapital zufchlagen. Aber das, was sich bisher als Belebung gezeigt hat, ist nicht das Werk der Barone, sondern eine natürliche Entwicklung nach Ueberschreitung des Krisentiefpunktes. Man muß im Gegenteil befürchten, daß diese Besserung teine nachhaltigen Wirkungen zeitigt, da die von den Baronen ge= triebene Wirtschaftspolitik jeder ökonomischen Vernunft ins Gesicht schlägt.
auf dem Lande wird meistens mit Stimmzetteln gewählt. Amtlich ist der Wahltag zum Feiertag erklärt worden, doch sind die meisten Ge= schäfte geöffnet. Die Republikaner erhoffen im Hinblick auf das Alkoholverbot die Unterstüzung ihres Kandidaten Hoover vor allem auch durch die Frauen. Im Staate New York wird zugleich über die Auflage einer 30- millionenDollar Anleihe für Erwerbslojen= hilfe abgestimmt.
Da das Wahlgejeh solche Personen von der Wahl ausschließt, die aus öffentlichen Mitteln unterhalten werden, können bei der jetzigen Wahl sehr viele nicht wählen.( Das gab's im faiserlichen Deutschland auch, die Sozialdemokratie hat es abgeschafft. Red. d.„ V.“)
Der Präsident wird nicht unmittelbar gewählt, sondern 531 Wahlmänner, die Elektoren, die in zwei Monaten zusammentreten, um den Präsidenten und den Bizepräsidenten zu wählen. Heute entscheidet der Wähler zwischen den Wahlmann- Kandidaten der Demokraten, Republikaner, Sozialisten und Kommunisten.
Am Wahlvorabend gab es einen zweieinhalbstündigen Rundfuntappell der Republikaner an die Wähler. An den Probe: abstimmungen des ,, Literary Digest", aus dem Roosevelt als Sieger hervorzugehen schien, haben sich nur vier Millionen Amerikaner beteiligt, die Probestimmzettel waren jedoch an 20 Millionen abgesandt worden. Die Tra dition spricht für den republikanischen Kandidaten.
Die Wahl des Demokraten Wilson konnte nur erfolgen, weil Theodore Roosevelt damals eine Spaltung der Republikanischen Partei herbeigeführt hatte. Uebereinstimmend ist man der Ansicht, daß Hoover verlieren muß, wenn er nicht die 47 Wahlstimmen New Yorks erhält. Da zwischen New York und Kalifornien ein Zeitunterschied von drei Stunden besteht, kann der Wahlausgang bereits entschieden sein, bevor die kalifornischen Wahllokale geschlossen worden sind. In der Bundeshauptstadt Washington , die als einziger Ort in Amerika sich nicht an den Wahlen beteiligen darf, herrscht heute absolute Ruhe.
Alle Minister haben die Stadt verlassen und die meisten Politiker weilen in den Hauptquartieren ihrer Partei. Das Ergebnis der Wahl wird den Bewohnern Washingtons durch Scheinwerfer verfündet. Rotes Licht fündet den Sieg Roosevelts, grünes Licht den Sieg Hoovers an.
Unter dem Titel„ Nicht abwarten" befaßt sich das Organ der Christlichen Gewerkschaften, der „ Deutsche ", mit der Frage, was nach dem Ausgang der Wahlen werden soll. Wir haben Grund zu der Annahme, daß die Aeußerungen des„ Deutschen " diesmal mit der Auffassung identisch sind, die gegenwärtig in maßgebenden Zentrumskreisen vorherrschend ist. Der„ Deutsche " schreibt:
Hugenbergs Presse schreibt jezt, die Deutschnationale Partei besize die Schlüsselstellung im Parlament und habe jetzt die„ Faust an der Gurgel der parlamentarischen Parteiwirtschaft". Sie werde jede Möglichkeit zu einer reaktionären Wiederbelebung des Weimarer Parlamentaris mus über die Bildung einer parlamentarischen Regierung verhindern. Diese Offenherzigkeit ist zu begrüßen. Die anderen Parteien wissen, was sie von einer„ nationalen Konzentration", wie sie Hugenberg will, zu erwarten haben. Es ist ausgeschlossen, daß sich National fozialisten, 3entrum und ChristlichSoziale dafür hergeben werden. Daraus ergibt sich alles weitere. Die Basis einer Notund Arbeitsgemeinschaft im Reichstag, wie sie Kaas und Brüning fordern, muß so breit wie nur möglich sein und in erster Linie eine Stüße bei den
Massen des Volkes finden. Daß in diesem Augenblic nicht an eine Mehrheitsbildung foalitions= mäßiger Art wie früher zu denken ist, ist klar. Es ist eine Regierung zu schaffen, deren führende Männer Vertrauen im Volte haben und eine Mehrheit im Reichstag finden, die ihnen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten. Der Reichstag soll sie später nach ihrer Politik und ihren Taten beurteilen. In diesem Sinne muß nun der Reichstag selber die Initiative ergreifen, er darf nicht abwarten, bis die Regierung für gut befindet, ihn einzuberufen. Er muß die Rechte des Boltes, das in feiner überwiegenden Mehrheit seinen Willen unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat, zur Geltung bringen und die Führung übernehmen. Es wäre falsch, die Vorschläge und Pläne Papens abzuwarten. Die Lage ist klar, die Aufgabe ist gestellt. Sie fann nicht gelöst werden auf dem Wege einer Besprechung zwischen dem Reichskanzler den und Parteiführern, welche die Hugenberg- Presse kurz so charakterisiert:„ Die Parteiführer sollen verhört
Entscheidung."
Es ist anzunehmen, daß das Zentrum im Sinne der vorstehenden Betrachtungen bereits beſtimmte Schritte eingeleitet hat.
9. November
Es rettet uns kein höh'res Wesen, Kein Gott, fein Kaiser, tein Tribun.... Was war es am 9. November 1918? Eine kaiserliche Diktatur brach zusammen, die das deutsche Volk in den aussichtslosesten aller Kriege und in die unvermeidlichste aller Niederlagen hatte hineinschlittern lassen!
Was war es am 9. November 1918? Eine vielhundertjährige Baronsherrschaft wurde weggefegt mit Thrönchen und Krönchen, Herrenhäusern und Wahlrechtsprivilegien, Herrscherrechten und Untertanenpflichten. Eine autoritäre Staats führung, die sich von Gottes Gnaden wähnte und den Namen der Vorsehung unnüz im Munde führte, verendete an ihrer moralischen und geistigen Unfähigkeit.
Beliebt es den Nationalsozialisten noch immer, vom Novemberverbrechen zu reden? Sie, die heute so laut gegen die Barone schreien, können wirklich denen, die damals die Barone weggejagt haben, nicht den geringsten Vorwurf machen außer etwa den, sie hätten nicht gründlich genug gearbeitet und die Rückkehr der Barone in die Aemter nicht ein für allemal unmöglich ge= macht!
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Aber es war doch gerade das elende geschichtsfälschende Geschwätz vom Novemberverbrechen und vom Dolchstoß in den Rücken der kämpfenden Front, das für die Rückkehr der Barone die geistigen Voraussetzungen schuf. Adolf Hitler , der Hasser und Bekämpfer der Revolution, war von Anbeginn an der Schrittmacher der Konterrevolution. Die Baronsregierung von heute, die autoritäre Staatsführung mit dem Vorsehungsfompleg ist sein Werk!
Herr v. Papen hat gestern bei einem Festessen der ausländischen Presse Deutschland westliche Rationalismus und der östals das Kampffeld bezeichnet, auf dem der liche Irrationalismus zusammenstoßen. Ratio heißt soviel wie Vernunft- wir fönnen nicht zum Schaden unseres Volkes annehmen, daß die Vernunft eine geographische Angelegenheit ist, an der wir nur beschränkt Anteil nehmen dürfen. Die Redereien vom Rationalen und Irrationalen gehören auch zu den Verwirrungsfünften, mit denen der gegenwärtige politische Zustand herbeigeführt worden ist.
Der 9. November brachte den Sieg der Vernunft über den politischen Aberglauben der Vergangenheit. Es war ein Sieg des Voltes über eine hauchdünne Herrenschicht. In dem Maße, wie es gelang, die Bernunft zurückzudrängen und dem politischen Aberglauben an Halbgötter , Diftatoren und Tribunen wieder Raum zu schaffen, faßte auch die alte Herrenschicht wieder Boden.
Der 9. November war ein bedeutsamer Tag in der Geschichte der Klassen= kämpfe. Eine alte Klassenherrschaft wanfte und fiel. Die Abergläubischen halten den Klaffenkampf für die Erfindung eines bösen jüdischen Herenmeisters namens Karl Marg. Sie wissen nicht, daß der Klassenkampf keine Erfindung, sondern eine ge= schichtliche Tatsache ist. Indem sie jetzt einen regelrechten Klaffentampf von oben erleben, durch den die Barone ihre Herrschaft neu zu befestigen versuchen, erhalten sie die Strafe für ihre Dummheit.
Für uns ist dieser 9. November kein Anlaß, Freudenfeste zu feiern. Der 9. November trägt eine doppelte Tragik in sich: er war ein Kind der nationalen Nieder
lage, und er machte die Spaltung im Proletariat offenbar. Hätte damals ein einiges Proletariat entschlossen den Weg betreten, der über die Demokratie zum Sozialismus führt, nie wäre die