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ZWEITE BEILAGE

MITTWOCH, 9. NOV. 1932

131 ROMAN von STEFAN POLLATSCH EK]

(Copyright Saturu-Verlag.)

Albert starrte der(Bestall nach, er nahm nichts mehr toahr Er hatte einen Moment lang das Bedürfnis, diesem einsamen Menschen, der sein Vater war, nachzueilen. Doch er unterdrückte diese kindliche Empfin- dung, zündete eine Zigarette an und ging zurück ins Kaffeehaus. Weltlin hatte Mühe, die Beine vom Boden zu heben, es war ihm. als schleppe er eine Zentnerlast.Nur nicht denken!" sagte er sich, doch er konnte der Fülle der hereinströmenden Bilder nicht Herr werden. Aus dem Photographiealbum entstieg die Gestalt des Vaters, es erschien der verstor- bene Bruder, Albert der Sohn, Frau, Tochter, Susi, der Ingenieur Hanau , Cru- sius, alle, alle waren sie da. Warum um- drängten sie ihn, was wollten sie? Er blieb stehen und schloß die Augen, er glaubte um- fallen zu müssen und stützte sich an eine Mauer. Eine nie geahnte, schmerzhafte Müdigkeit überkam ihn, er war sich nicht mehr klar darüber, welche Straße er über- querte, wo seine Wohnung lag. Mit aller Energie raffte er sich auf, ging ein paar Schritte, und mit Erstaunen nahm er wahr. daß er sich in einer Parkanlage befand. Kaum zwanzig Schritte vor ihm stand eine Holzbank. Sie schien ihm enendlich weit ent- fernt, nur mühsam erreichte er sie, fiel form- lich hin und war sofort eingeschlafen. Es war ein dünner, schwacher, unruhiger Schlaf, jeden Zlugenblick erwachte er, er konnte aber nichts anderes denken, als:Wenn mich hier jemand sieht!" aber er hatte nicht mehr die Kraft, aufzustehen. Er spürte sein Herz klopfen, preßte die Hand dagegen, es half nichts, das Klopfen, beunruhigend und ein wenig schmerzhaft, wollte nicht nachlassen. Er verspürte starken Durst, die Zunge war trocken, Schweiß stand auf der Stirn, er fühlte ihn, ohne hinzugreifen... Dann fiel er der Länge nach zur Erde und wußte nichts mehr von sich... Als er erwachte, sah er, zuerst aus unendlicher Ferne, dann immer näher und nahe ein Frauenantlitz über sich gebeugt. Er fiel zurück, das Be- wußtsein kam langsam, er konnte sich erheben, den Namen einer Gasse nennen und wenige Minuten später saß er in einem Auto, das ihn nach Hause brachte... 3. Weltlin erwachte am Morgen, ohne sich der Vorgänge der vergangenen Nacht richtig entsinnen zu können. Er ahnte wohl, daß sich da seltene Dinge mit ihm begeben haben müßten, aber von Einzecheiten wußte er nichts mehr. Mechanisch begann er sich an- zukleiden, mechanisch nahm er dann in dem geräumigen Speisesaal das Frühstück und mechanisch durchblätterte er die Zeitungen. Ach ja, da stieg ein Erlebnisfetzen auf: er sah sich im Park auf dem Boden liegen, neben ihm kniete eine Frau; wer war die wohl gewesen? Irgendwie sah sie doch Susi ähnlich, schien ihm. Sprunghaft glitten die Gedanken dahin, waren wieder in der Fabrik, bei den Maschinen, bei Absatz und PreisbUdung. Die Gedankenkette wurde unterbrochen. Erna trat ins Zimmer, reichte dem Vater die Hand, drückte ihm einen leich- ten Kuß auf die Stirn. Es fiel ihm auf, wie schmal seine Tochter aussah. Die roten Far- den waren wohl ein wenig Schminke, die Ränder um die Augen sprachen zu deutlich. Und wieder mußte er an Albert denken, der gelächelt hatte, als von Erna die Rede ge- wesen war... Das Mädchen nahm eine Zeitung zur Hand, blätterte stehend, nippte stehend Tee und wollte sich schon entfernen. Warum so eilig, Erna?" Du weißt doch. Vater, daß wir jetzt recht aufgeregte Tage haben." Ja, mein Kind. Die Zeitungen sind ja voll von den Schwierigkeiten, in denen sich eure Bank befindet." Weltlin sah die Schatten um die Augen seiner Tochter. Seine Stimme klang ge- dämpft, als er fragte:Krüger ist in einer peinlichen Situation?" Ach, die Zeitungen, Vater! Solange alles gut ging, war er das große Genie, jetzt fallen sie alle über ihn her."

Gewiß, Erna! Es ist immer so im Leben... Ist es richtig, daß gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet ist?" Ja, leider! Diese Dummköpfe!" Du bist sehr aufgeregt, Erna." Der arme Mensch! Alles bricht über ihm zusammen!" Sie nickte ihrem Vater zu und war schon aus dem Zimmer. Weltlin war allein geblieben. Er nahm die Zeitung zur Hand. Hier stand alles. Der Zusammenbruch der Bank in all seinen Einzelheiten war lückenlos dargestellt, und man konnte sich nur wundern, daß er- fahrene Bankdirekloren solche Fehler begehen konnten, die jeder Journalist nun so klar als Mißgriff erkannte. Da stand auch der Name Krüger. Er war der böse Geist der Bank gewesen, so stand es zu lesen, der von Spe- kulation zu Spekulation getaumelt war und unzählige Existenzen in Not und Elend ge-

bracht hatte. Mißmutig zerknüllte Weltlin die Zeitung und warf sie zu Boden. Wie, spricht man nicht auch über mich so? dachte er, bin nicht auch ich der böse Dämon, der Satan? Wieder tauchte das Bild auf, wie er damals wie lange schien es zurückzu- liegen vor diesem Mann zitternd gesessen war und sein Ausspruch ihm als Todesurteil gegolten hatte. Wie hatten sich nun die Zeiten geändert! Aber Erna? Was war mit ihr? Wie stand es um Erna und diesen Mann? In der Fabrik erwies es sich dann, daß das Falliment der Großbank auch allerhand Komplikationen für den Weltlinjchen Betrieb mit sich brachte. Die Regierung mußte, um den Sparern beizustehen und die Wirtschaft aufrechtzuerhalten, für die Verbindlichkeiten der Bank garantieren, eine Menge Verord- nungen wurden erlassen, man erhielt nur das für Lohnzahlungen notwendige Geld, Rechnungen durften nicht bezahlt werden, man durfte das Land nicht mehr verlassen, jede Stunde brachte eine neue gesetzliche Be- stimmung, und niemand konnte sich in diesem Chaos mehr zurechtfinden. Alle Arbeit ruhte, viele Geschäfte hatten gesperrt, Leute standen auf den Straßen und besprachen ängstlich ihre Situation, jeder hatte das Ge- fühl, als versänke der Boden unter seinen Füßen, immer allgemeiner wurde die Ueber- zeugung, daß alle Arbeit fürderhin völlig zwecklos geworden sei.

In den späten Abendstunden verließ Weltlin seine Fabrik mit schlechtem Gewissen. Allerhand Anweisungen waren noch zu geben gewesen, er hatte noch nicht den Abendrapport des Betriebsleiters entgegen- genommen, die Post war noch nicht unter- schrieben, ja selbst der Prokurist Lechner, der tagsüber vom Telephon nicht weggekommen war, endlich aber doch das für die nächsten Tage nötige Geld beschafft hatte, war nicht mehr empfangen worden, und auch von Susi hatte er sich nicht recht verabschiedet; ein Nicken mit dem Kopf, ein flüchtiger Hände- druck das war alles! Wieder empfand Weltlin diese quälenden, bohrenden Kopf- schmerzen. Wieder war diese ungeheure Müdigkeit über ihn gekommen, die Beine schmerzten, es war ein angenehmer, gruse- liger Schmerz, der von den Beinen aufwärts durchs Rückenmark schauerte. Mühsam erreichte er seine Wohnung, warf sich, angezogen wie er war, aufs Bett, doch seltsam, er konnte keinen Schlaf finden. Wenn er auch die Müdigkeit fast als körperlichen Schmerz empfand, der ersehnte Schlaf wollte doch nicht kommen. Visionen umdrängten den Ruhenden, der keine Ruhe fand. Gestal- ten tauchten auf, die er nicht kannte, die er gern länger um sich gehabt hätte, aber sie waren nicht zu halten. Kaum erschienen, ver- slüchtigten sie sich wieder. Auch klarere Mo- mente kamen, manche Schatten blieben länger.(Fortsetzung folgt.)

3)es Siaiiers dieldmiod Sin neudeuifches Xefeitück

Wir entnehmen das nadistehende Lese- slüdc einem patriotischen Lesebuch, das der Verlag J. F. Schulze in München im Auftrage Hitlers für alle Schulen des Dritten Reiches vorbereitet hat. Mangels passender Gelegenheit ist dies Lesebuch noch nicht herausgekommen. Die Auf­lage von 10 Millionen Stüde lagert noch in den Kellern. So nahte der folgenschwere 9. November heran, der die Tragödie des Hohenzollernhauses besiegeln sollte. Gegen Morgen erstaltete der Feldmarschall dem Kaiser die entscheidende Meldung: Majestät! ich kann für die Sicherheit Ew. Ma- jestät inmitten der Truppen nicht mehr garan- tieren." Wie unter einem Hieb fuhr der Kaiser empor. Sein Blauauge blitzte: Wer spricht hier von meiner Sicherheit? Darf ein Kaiser im Augenblick höchster Gefahr an seine persönliche Sicherheit denken? Es geht um Deutsch- land und nicht um meine Person!" Der Marschall senkte sein Haupt. Majestät, es ist zwecklos. Meuternde Matrosen haben die Rheinbrücken bei Köln und Bonn be- setzt. Bor zwei Stunden hat eine Konferenz der Frontkommandeure stattgesunden. Sie hat fast einmütig festgestellt, daß die Truppen zwar unter dem Befehl Ew. Majestät nach Hause ziehen, aber nicht gegen Deutsche kämpfen würden." Des Kaisers Stirn runzelte sich: Sie wollen mich nicht verstehen, lieber Mar- schall. Selbstverständlich denke auch ich als deut- scher Kaiser nicht einen Augenblick daran, gegen

Vlax Ißarthel: Den toten Soldaten Still vom Sturm der Kanonen Ruhen aus die Kameraden, Die Soldaten, die Matrosen, All die vielen Namenlosen, In der Erde, tief im Meere: Brüder in dem Geisterheere! Blut verbindet uns mit allen, Die im Schlachtfeld sind gefallen, All den vielen Namenlosen, Den Soldaten und Matrosen, Die nun frei sind aller Schwere: Brüder in dem Geisterheere! Dunkel alle Toten schweigen. Auswärts unsre Hymnen steigen. Den Soldaten, den Matrosen, Den verstummten Namenlosen Glorie und letzte Ehre: Brüder in dem Geisterheere!

Deutsche zu kämpfen. Trotzdem werde ich mich an die Spitze der Truppen stellen, um das zu tun. was ein Kaiser in solcher Situation tun muß. Erinnern Sie sich, daß ich bei festlicher Gelegen- heit einmal meinen Ahnherren Albrecht Achilles zitiert habe: Es gibt keinen schöneren Tod, als inmitten meiner Feinde. Das, so sagte ich da- mals, sei auch mein Leitspruch. Feldmarschall, be- denken Sie: Welche Blamage, erst schwadronieren und dann davonlaufen! Bor Scham und Schande würde ich keine Nacht mehr schlafen können." Ew. Majestät denken gewiß folgerichtig." Dem Feldmarschall zitterte die Stimme.Aber was soll geschehen? Der heutige Krieg schafft andere Bedingungen, als sie zur Zeit des Markgrafen Albrecht Achilles bestanden..." Ich habe mir alles überlegt." Des Kaisers Stimme klang klar und hell.Ich habe mir vier meiner Söhne hierherbestellt, die mich auf dem letzten Ritt begleiten werden. Eine Anzahl Pom- merscher Adliger, an ihrer Spitze Graf Oldenburg- Januschau, ferner verschiedene meiner Offiziere aus adligen Geschlechtern, ein Freiherr Elz zu Rübenach, einer aus dem Geschlechte derer von Gayl, die Herren Generalstabsoffizierc Schampus und Tappser halten sich bereits seit mehreren Tagen bereit. Eine Stelle der Front ist aus- gekundschaftet, auf die der Feind sein Artillerie- feuer konzentriert, sobald sich etwas regt. Zwanzig Gestalten hoch zu Roß wird er sicher nicht über- sehen." Der Kaiser rührte an eine Klingel.Lassen Sie meine Söhne antreten... Nun Jungens, seid Ihr bereit?" Der Aelteste nickte sein unbekümmertes fröh- liches Lächeln:Die Quartiere in Charleoille wuchsen mir längst zum Halse hinaus. Es wurde schließlich langweilig und bloß noch anstrengend. Nach so vielen Französinnen hoffe ich auch ein- mal einen männlichen Franzosen zu sehen." Der Zweite schaute an seiner massigen Gestalt abwärts.Ich werde wenigstens ein gutes Ziel bieten. Mein Adjutant sagte mir neulich, daß in der Heimat einige Leute hungern sollen, sie leben da von sogenannten äh, wie heißt es doch Kohlrüben, und ich habe die ganze Zeit meinem Bauch nichts abgehen lassen." Oskar wiegte bedenklich den Kops:Ihr habt gut reden, Ihr kennt die Front nicht. Aber ich bin im August 1914 mal ins Schlamassel hinein- geraten. Die Herzkrämpfe, die ich da bekommen habe, vergesse ich mein Lebtag nicht. Aber immer- hin, ehe ich künftig am Ende mit Zinnsoldaten statt mit wirklichen Soldaten Paraden mache.. es sei." Schade", sprach Auwi,ich hatte mir gerade einen Plan ausgedacht, wie man durch n a t i o- nale Reden vielleicht das deutsche Volk wieder zur Raison bringen könnte..." Doch nicht als Versammlungsagitator?" fiel ihm der Kaiser erschreckt ins Wort.

Grade! Aber ich sehe schon nach mir den Mann kommen, der das viel besser können wird. Ich sehe, als stünde er leibhaftig vor mir, seinen gestutzten englischen Schnurrbart und rufe ihm, dem kommenden großen Unbekannten hiermit ein dreifaches Heil zu." Also Ihr seid bereit", sprach der Kaiser kurz und schlicht. Schweigend waren die todbereiten Paladine ein- getreten. Ein letzter Händedruck und man bestieg die Pferde, kein Wort wurde mehr gewechselt. Die kleine Kavalkade ritt in den trüben November- morgen hinaus. Der Feldmarschall erklomm einen Beobachtungs- stand. Von hier aus konnte er mit dem Fernrohr die kleine Schar verfolgen, deren Silhouetten nach dem Horizont zu kleiner und kleiner wurden. Plötzlich aber war es, als breche mitten aus der Erde ein Vulkan hervor. Ein ungeheurer Busch von Steinen und Erde wuchs auf. sprang gen Himmel und versank. Von den Reitern sah man nichts mehr. Erschüttert ließ der Feldmarschall sein Glas sinken. Seine greisen Lippen murmelten:Das Ende der Hohenzollern. Gottlob ein würdiges Ende." * Nachwort: Die Behauptung, daß am 9. No- vember der Kaiser und der Kronprinz nach Holland geflohen seien, ist selbstverständlich eine von den Marxisten verbreitete Lüge. sonstsisn.

ffievolutionshumor Leipziger Barrikadenlied(1850) Ein freies Leben führen wir, Mer leben stets im Drusel; Der Tag vergeht bei Schnaps und Bier Und abends, denn erholen wir Bei Bayrisch uns und Fusel. Und geht uns mal der Spaß zu weit, Dann bau'n mer Barrikaden, Mer wollen keene Kleenigkeit, Mer wollen deutsche Eenigkeit Und haben scharf geladen. Mer wollen keenen Bergerkrieg, Mer sind ja alle eenig; Bei uns, da heeßt's: Tod oder Sieg! Mer schwören for die Republik Un unsern guten Geenig. (Gedruckt 1850, A. Hofmann u. Co., Berlin .)