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Abend- Ausgabe

Nr. 532 B 258 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

DONNERSTAG

Vorwärts=

BERLINER

VOLKSBLATT

10. November 1932

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Er flammert sich fest

Papen will Verhandlungsbetrieb

Das Kabinett des Herrn von Papen er­zeugt täglich ein anderes Projekt, wie es sich nach dem Ergebnis der Wahl vom 6. Novem­ber im Amt erhalten könnte. Es flam= mert sich an den Sesseln fest. Um­bilden, ja, aber zurücktreten, nein.

Die gestrige Kabinettssigung hat sich mit der Lage nach der Wahl beschäftigt. Herr von Papen soll heute und morgen mit den Ministerpräsidenten der Länder verhandeln, die zum Reichsrat nach Berlin kommen. Er soll dann, angeblich im Auftrag des Reichspräsidenten , mit den Partei­

Sahm bei Papen

Die Finanznot Berlins

Im Anschluß an die Besprechung mit den Vor­flandsmitgliedern des Deutschen Städtetages emp­fing der Reichskanzler Oberbürgermeister Dr. Sahm und Stadtkämmerer Asch, die die Finanz- und Kaffenlage der Stadt Berlin ein­gehend darlegten.

führern sprechen, Anfang der nächsten Woche will er die süddeutschen Länder­regierungen besuchen furzum, ein großer Verhandlungsbetrieb soll aufgezogen werden.

Das alles sieht nach Kabinettsfrise aus. Es ist kein Zweifel, daß für das Kabinett des Herrn von Papen ein neues Kabinett gesucht wird. Der Unterschied gegen frühere Kabinettskrisen besteht lediglich darin, daß das alte Kabinett nicht zurückgetreten ist, sondern daß sein Chef selbst die Verhand­lungen führt.

Mit dieser Methode versucht der Chef des Kabinetts der Barone weiter als Vertrauens­mann des Reichspräsidenten zu firmieren, obwohl er ein ganz unzweideutiges Miß­trauensvotum bei der Reichstagswahl er­halten hat. Pflicht des Reichspräsidenten ist es, das Mißtrauensvotum des Volkes gegen den Herrn von Papen und seine Regierung zu vollstrecken auch gegen den Willen des Herrn von Papen selbst!

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Denn dieser Mann muß fort! Das ist eine Forderung, die von allen großen Parteien vertreten wird! Ueber diesen Mann hat ein Volksgericht unzweideutig ent­schieden. Alle Deklamationen über die Vor­sehung nach dem Muster Friedrich Wil­helms IV. schaffen dies Volksurteil nicht aus der Welt.

Sofort Reichstag! KPD. fordert Einberufung, um Miẞ­trauensanträge einbringen zu können

Die Reichstagsfraktion der KPD. hat an den Reichstagspräsidenten Göring das Ersuchen ge­richtet, sofort die Einberufung des Reichs= tags zu veranlassen.

Als Tagesordnung wird vorgeschlagen, die Mißtrauensanträge der KPD. gegen die Reichsregierung und ihre einzelnen Mitglieder zu verhandeln. Außerdem ist noch eine Reihe weiterer fommunistischer Anträge vorgesehen.

Schweres Blutvergießen in Genf

Demonstration gegen Antisozialismus auseinandergeschossen

Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Genf , 10. November.

Am Mittwoch abend ereigneten sich in Genf aus Anlaß einer Antikriegskund­gebung schwere Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Militär. Elf Per­sonen wurden getötet, viele verletzt.

Re­

Eine Gruppe rechtsbürgerlicher Poli­tiker, genannt ,, Nationale Union ", hatte eine antisozialistische Versammlung ein­berufen. Die Sozialistenführer haben daraufhin ihre Anhänger zu einer Gegen­demonstration aufgefordert. gierung bot Polizei sowie eine Kompagnie Soldaten auf, um Unruhen zu verhindern. Als die Menge die Truppen anrücken sah, nahm sie angeblich eine drohende Haltung ein, Soldaten sollen entwaffnet, andere verlegt worden sein. Gegen zehn Uhr abends erhielten die Soldaten Befehl, scharf zu schießen. Es wurde aus einem Maschinengewehr gefeuert.

Miliz aus Lausanne hat geschossen Eigener Bericht des Vorwärts"

Genf , 10. November.

Das Zusammengehen mit den Kommunisten und die Anwendung ihrer Methoden hat der von einem Nationalbolschemisten verhetten Genfer Arbeiterschaft bis jetzt 12 Todesopfer und 40 Verwundete gekostet. Um eine nationalistische Hetversammlung zu sprengen, forderten der Genfer Sozialistenführer Nicole und ein Kom­munist zur Revolution auf. Mit den Worten: ,, Hoch die Sowjets!" versuchten die Massen gegen den Versammlungssaal vorzubringen, dessen Zugangsstraßen von Polizistenketten abgesperrt waren. Bezeichnenderweise hatte die Genfer Bourgeoisregierung 600 Miliz­

soldaten aus der Lausanner Re­frutenschule mit Maschinengewehren und scharfer Munition schon am Nachmittag in die Genfer Kaserne verlegt. Die bedrängte Polizei alarmierte die Truppe, und die

schoß nach vergeblichen Aufforderungen zum Auseinandergehen und teilweiser Entwaff­nung durch die erregte Menge mit Maschinen­gewehren.

Zahlreiche Soldaten sind durch Stein­würfe, Tritte und Schläge leicht verlegt. Die halbe Nacht hindurch zerstreute die Polizei Demonstrationszüge. Genf , das schon 1927 blu­tige Zusammenstöße erlebte, ist heute in großer Erregung.

Abg. Nicolé verhaftet Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Genf , 10. November. Die Zahl der Schwerverwundeten be­trägt 65, davon befindet sich noch eine ganze Reihe in Lebensgefahr. Der Chefredakteur der sozial­demokratischen Zeitung Travail", Nationalrat Nicole, wurde um 10 Uhr in seiner Wohnung verhaftet; er wird der Anstiftung zum Auf­ruhr und Widerstand gegen die Staatsgewalt be= schuldigt. Die Kommunisten Tronchet und Lebet haben sich der Verhaftung durch die Flucht entzogen. Linienmiliz und Landwehr find auf Alarmzustand gesetzt, die 600 Mann der Lausanner Refrutenschule haben in Genf zu bleiben. Starke Patrouillen durchziehen die Straßen. Die Polizeiposten sind überall verstärkt worden. Die Organisationen der Chauffeure haben der Regierung mitgeteilt, daß feines ihrer Mitglieder Truppen transportieren werde. Genf steht vor dem Generalstreit, der nach Rückkehr des Vorsitzenden der Genfer

Straßenschlacht in Chemnih

Schwerer Landfriedensbruch der Hakenkreuzler

Eigener Bericht des, Vorwärts"

Chemnitz , 10. November. Nach einer sozialdemokratischen Revolu­fionsfeier, an der etwa 3000 Personen teil­nahmen, wurden die Versammlungsbesucher vor dem Kaufmännischen Vereinshaus, in dem die Feier stattgefunden hatte, von National­sozialisten überfallen. Im Nu ent­widelte sich eine Straßenfchlacht, in deren Verlauf von den Nationalsozialisten in die Menge gefchoffen wurde. Auf beiden Seiten gab es mehrere Schwer- und Leichtver­lehte. Ihre Zahl fonnte noch nicht festgestellt werden, da nur ein Teil in die Krankenhäuser gebracht wurde, während vor allem die National­sozialisten ihre leichter Berletzten selbst weg­transportierten. Erst lange nach Mitternacht fonnte die Ruhe wiederhergestellt werden. Ein Teil der Versammlungsbefucher mußte auf poli­

Kinderheim abgebrannt zeiliche Unordnung im Saal bleiben und konnte

Bei Zürich brannte ein Heim ab, das 80 schwer erziehbare Kinder beherbergte. Drei der jungen Bewohner wurden bis­her als Leichen geborgen, neun weitere werden vermint. Die Ursache des Brandes konnte noch nicht geklärt werden.

erst in später Nachtstunde nach Hause gehen. Die polizeiliche Untersuchung ist noch im Gange. Zu dem Borfall erfahren wir noch folgende Einzelheiten: Am vergangenen Montag war ein Nationalsozialist von Kommunisten niedergeflochen worden; er ist am Dienstag feinen Verlegungen erlegen. Durch diesen Vorfall war die Stimmung in Chemnitz schon gereizt. Für

Mittwoch hatten die Nationalsozialisten eine Totenfeier auf dem Friedhof ge­plant, zu der das Polizeipräsidium wegen des Demonstrationsverbots nur eine Kranz­deputation zugelassen hatte.

Trotzdem waren uniformierte Natio­nalsozialisten in Scharen nach dem Fried­hof gekommen. Dort folgten schwere Zusammen­stöße mit der Polizei. Ueber die Gräber hinweg wurden die S A.- Leute mit dem Gummi­fnüppel vertrieben. Zum Teil ging die Polizei mit gezogenen Pistolen gegen die SA

vor.

Diese Borgänge hatten die Stimmung bis zur Siedehitze erregt. Am Abend des 9. November wurde eine nationalsozialistische Versammlung ab­gehalten, gleichzeitig die sozialdemokratische Revo­lutionsfeier. Die Naziversammlung war früher zu Ende, und die S. 30g gruppenweife vot das kaufmännische Vereins­haus. Dort wurden dann die ahnungslos aus dem Saal herausströmenden Sozialdemokraten überfallen. Es entwickelte sich ein furchtbares Gemetzel, das sich über mehrere Straßenzüge ausdehnte. Der nationalsozialistische Ueber­fall war planmäßig organisiert. Das ergibt sich fchon aus der Tatsache, daß Horniften zum Alarm bliesen.

Gewerkschaften am heutigen Nachmittag ausge­rufen werden dürfte.

Die Bauarbeiter und Transportarbeiter haben beschlossen, sofort nach der Parole der Gewerkschaftszentrale die Arbeit niederzu­legen.

Die Vorsitzenden der schweizerischen Sozialdemo­fratie, die Nationalräte Reinhardt und Grimm, waren heute früh von 5 bis 7 Uhr in Genf , wo sie sich mit den hiesigen Führern der Partei ausgesprochen haben. Sie haben sich solidarisch erklärt mit der Genfer Bewegung und wollen Protestversammlungen gegen den Genfer Arbeitermord in der ganzen Schweiz orga nisieren. Die Parteileitung hat bereits einen Aufruf erlassen, in dem das Massaker in Genf auf das schärfste verurteilt wird; eine von der Reaktion kommandierte Klassenkampf­truppe habe in friedlich demonstrierende Ar­beiter geschossen und den Tod von 12 Kameraden hervorgerufen. Gegen diesen Arbeitermord erhebt die Sozialdemokratie der Schweiz im Namen der schweizerischen Arbeiterschaft schärfsten Protest. Die Partei halte der Genfer Arbeiterschaft, die gegen eine vollkommen forrupte Ver waltung fämpfe, die Treue. Die Sache der Genfer Arbeiter sei die Sache der schweizerischen Arbeiter. Die Partei werde alle Organisationen des Landes von den zu treffenden Maßnahmeri baldigst unterrichten.

472: 59

Der Umschwung in USA .

New York , 10. November. Wie nunmehr endgültig feststeht, erhielt von den 531 Wahlmännerstimmen Roose­velt 472 und Hoover 59.

Frankreich hofft auf Schuldenmilderung Eigener Bericht des Vorwärts" Paris , 10. November. Nach dem Sieg Roosevelts hoffen die franzö­ sischen Zeitungen, daß Amerika jetzt, wenn auch nicht in eine Annullierung, so doch in eine der schwierigen Wirtschaftslage entsprechende her a b segung der französischen Kriegs= schulden einwilligen werde.

So schreibt das radikale ,, Deuvre": ,, Man hat Hoover vorgeworfen, deutschlandfreundlich zu sein. Wir verlangen von Roosevelt nicht, franzosen­freundlich zu sein. Wir bitten ihn und das ameri­ kanische Volk nur, zu begreifen, daß das, was man uns so oft von der Rückwirkung der deut­ schen Reparationsschulden auf die Geschäfts­lage gesagt hat, auch auf die interallierten Schulden zutrifft."

Das Petit Journal" warnt davor, von der Wahl Roosevelts sofort die Annullierung der Schulden und allgemein eine neue era des Wohlstandes zu erwarten. Die Zeitung hält es jedoch für angebracht, von der neuen amerika­ nischen Regierung eine schmiegsamere und den internationalen Notwendigkeiten besser ange paßte Politik zu erhoffen.

Nach der hiesigen Ausgabe des New York Herald " hat sich der zur Zeit in Amerika weilende USA. - Botschafter Edge- Paris folgendermaßen über das Wahlergebnis geäußert: Das Land intereffiert sich wenig für nach­trägliche Kommentare. Jedenfalls hat die Wahl bewiesen, daß es sich nicht um Par teien und Kandidaten handelte. Die Wahl war an der vielmehr die Schlacht derjenigen, die Macht waren, gegen die beispiellose Agi­tation, die dem Zusammenbruch der legten drei Jahre gefolgt ist. Präsi­dent Hoover und die republikanische Partei find das Opfer einer Lage, die weder die Vereinigten Staaten noch ein anderes Land zu bessern im­stande waren."