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ZWEITE BEILAGE
SONNABEND, 12. NOV. 1932
i6l ROMAN   von STEF/W POLLATSCH EK]
(Copyright Saturu-Verlag
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Kaum war die Durchsicht der Morgenpost beendet, als der Diener den Besuch einer Frau Weißmüller meldete. Die Dame gab an, eine Verwandte des Chefs zu sein. Weltlin nickte und nachdem seine Mitarbeiter sich entfernt hatten, betrat Frau Weißmüller das Zimmer. Sie war seine Cousine und dunkel entsann er sich, daß er sie einmal ver- ehrt batte wann mochte das wohl ge- wesen in, welcher Zeitraum lag dazwischen? Er schloß die Augen und es erstand ver- schwömmen das Gesicht eines schlanken, dunkelhaarigen, jungen Mädchens mit hellen Augen. Was war aus ihr geworden? Die Frau, die vor ihm faß, war ärmlich gekleidet, sie hatte weiße Haare und müde, abgekämpfte Gesichtszüge. Ihr Leben war ein schweres gewesen, wie Weltlin dunkel wußte, sie hatte irgendeinen Agenten geheiratet, war nach dessen Tod vollkommen verarmt, und ab und zu hatte er sie mit kleineren Geldbeträgen unterstützt, seit langer Zeit nun hatte er nichts mehr von ihr gehört. Jetzt saß sie vor ihm und erzählte mit larmoyanter Stimme eine traurige Geschichte. Ihr Sohn, der Musiker, sei seit langer Zeit ohne jede Be- schäftigung. Nachdem das Theater, an dem er als musikalische Hilfskraft tätig gewesen war, schließen mußte, hatte er sich bei konzertieren- den Kapellen verdingt, in Kinos gespielt, in Varietes als Begleiter ausgeholfen. Nun aber habe die mechanische Musik(diese ver- fluchten Erfindungen", wie sich Frau Weiß- müller ausdrückte) die menschliche Kraft ver- drängt, es spielten Automaten und der Künstler könne zugrunde gehen. Sie sprach nervös und gehetzt. Ja, jetzt könnte sich ihr Sohn wieder vorstellen bei einer Hotel-Jazz, jetzt hätte er wieder Aussichten und die Be- zahlung, die man biete, sei gut, er könne bis acht Mark in der Nacht verdienen, aber er benötige einen Frackanzug und der feine fei im Versatzamt. Vierundzwanzig Mark seien darauf geborgt. Frau Weißmuller   schwieg. Weltlin schwieg. Er sah einen kleinen blonden Knaben mit einer Geige, dieses süße Wunder- kind war wohl nun der hungernde Musiker, der eine Stelle bei einer Jazz-Kapelle suchte und hierzu seinen versetzten Frack auslösen mußte. Frau Weißmüller, ein wenig ängst- llch geworden, fuhr fort: Sie habe niemanden, an den sie sich wenden könne, allüberall habe man ihr und ihrem Sohn bereits geholfen und sie wage die Bitte, ob nicht Herr Welt- lin diese vierundzwanzig Mark vorstrecken möchte, ihr Sohn werde das Geld bestimmt zurückzahlen, wenn es ihm einmal wieder besser gehen sollte. Weltlin hatte sein Scheck- buch hervorgezogen und hatte, während er das Datum schrieb, noch die feste Absicht einen größeren Betrag auszuschreiben. So sehr er sich deswegen auch später Vorwürfe machte. er konnte sich nicht darüber Rechenschaft geben, warum er gerade nur die erbetene Summe in das Papier eingesetzt hatte. Ueberschwenglich dankend, verließ die Frau das Zimmer. Mit einem unzufriedenen Gefühl, einem dumpfen Stechen in der Herzgegend, blieb Weltlin zurücki er wollte der Frau nach- eilen, doch der Prokurist Lechner und In- genieur Hanau   kamen gerade. Eine Arbeiter- deputation, so meldeten sie, wünsche empfan- gen zu werden. Weltlin nickte, straffte seine Gestast und schon betraten vier Arbeiter den Raum. Auf einen Wink nahmen die Leute an einem Tischchen Platz und der Sprecher begann. Er wolle, so hob er an, die Leitung der Fabrik auf die Stimmung der Arbeiter- schaft aufmerksam machen. Durch den Um- stand, daß das Unternehmen fast alle Fabri- ken der Konkurrenz lahmgelegt habe, sei eine katastrophale Arbeitslosigkeit eingetreten und die Unmöglichkeit, neue Arbeit zu finden, sei offenkundig. Trotzdem nun die Fabrik ihren Absatz von Woche zu Woche steigere, würden immer wieder Arbeiter abgebaut und jede maschinelle Verbesserung habe weitere Ent- lassungen zur Folge. Die Arbeiterschaft habe nun gehört, daß wieder Neuerungen bevor- stünden, sie sei verängstigt und bitte um Mitteilung, was die Leitung des Unterneh- mens plane. Es sei schwer, einen befriedigenden Auf- schluß zu geben, erwiderte Weltlin zögernd. Gewiß würden Verbesserungen erwogen, der menschliche Geist stehe nicht still und die Maschine selbst verlange gebieterisch ihren Ausbau. Leider sei es richtig, daß eine solche Verbesserung wieder menschliche Arbeitskraft überflüssig machen werde, aber die Leitung werde sich bemühen, mit größter Rücksicht und Vermeidung aller Härten vorzugehen. Das heißt also wieder Abbau", sagte der
Sprecher.Wieviele von uns werden daran glauben müssen?" Das steht zur Stunde noch nicht fest." Die Arbeiterschaft", fuhr der Mann fort, wolle fragen, ob diese Maßnahme nicht unterbleiben könne. Da das Werk doch so gut wie keine Konkurrenz habe, könnten doch die Preise für das fertige Produkt in der bisherigen Höhe gehalten werden..." Das geht nicht", erwiderte Weltlin, ein wenig energischer, als er eigentlich wollte. das geht leider nicht. Unsere Erfindung ist im Ausland bekannt, man arbeitet dort ebenso rationell wie hier. Wenn wir uns nicht anpassen, haben wir die ausländische Konkurrenz im Land, und Zölle einzuführen ist in diesen Zeiten so gut wie unmöglich."
Weltlin hielt eine nationalökonomische Vor- lesung und war schön im Fluß. Wir müssen also mit weiteren Entlassun- gen rechnen", fragte ein Arbeiter. Es ist noch nichts entschieden", sagte be- ruhigend Weltlin, und er fühlte, daß er wieder am Ausgangspunkte seiner schönen Rede angelangt war. Hier aber halfen keine Reden, er fühlte es, die Leute verlangten nach Beruhigung, die er nicht geben konnte. Man erörterte einige Auswege, doch es zeigte sich, daß hier keiner zu finden war. Ich fürchte, daß die Genossen nicht zu- frieden sein werden", sagte der Sprecher der Arbeiter und erhob sich. Wollen Sie damit ausdrücken, daß Sie einen Streik planen?" Nur politische Desparados können unter solchen Umständen an Streik denken", sagte ruhig und bedächtig der Arbeiter und fügte hinzu:Die Zeiten sind nicht danach. Aber beten Sie zu Gott, daß wir nicht zu anderen Zeiten so hartherzig sind, wie Sie jetzt." Weltlin, allein gelassen, ging unruhig auf und ab. Warum mache ich denn dies alles noch mit? Muß ich denn hier den Wüterich, den nimmersatten Kapitalisten spielen? Bin ich es am Ende wirklich? Warum dies alles? Doch er hatte keine Zeit, seinen Gedanken nachzugehen. Der Prokurist Lechner kam mit Leichenbittermiene und meldete, daß er
QoUfried 9iinkel SEu feinem 50. Todestage/ Ton fflermann Wendel
Wollte sich die Gegenwart ein Urteil über Gottfried Kinkel   einzig nach der Meinung bilden, die Karl Marx   und Friedrich Engels  in ihrem offenherzigen Briefwechsel über Kinkel austauschten, so nähme heute kein Hund zu seinem Andenken ein Stück Brot an. Sicher war das historische Recht auf der Seite der beiden, wenn sie, die Jahre, fast Jahrzehnte die Lust des Lon- doner Exils mit ihm teilten, ihn als eitlen, un­wissenden, anmaßenden Schönschwätzer ablehnten, aber Ausflüsse objektiver Gerechtigkeit waren weder die ewigen Bezeichnungender dumme Kinkel", dersüße Kinkel",der verlogene Pfaffe Kinkel" noch der Spott überseine rotsaffian- lederne Weise" zu reden, noch der Hohn:Der Bursche predigt Optimismus in säuselnder, Hut- abziehender, schwachmatiger Form." Wer Kinkel durch solche Ausbrüche des Unmuts der Altmeister des wissenschaftlichen Sozialismus ein für allemal abgetan wissen will, dem müßte freilich auch jedes böse Wort der beiden guten Hasser gegen Ferdi- nand L a s s a l l e, Wilhelm Liebknecht   und Ferdinand F r e i l i g r a t h bare Münze sein. Der Kinkel, mit dem Marx   und Engels  in London   nicht zusammenkommen wollten noch konnten, hatte überdies auch die sozusagen geschichtliche Aufgabe seines Lebens schon hinter sich: für den Rest seiner Tage zehrte er vom Ruhme der Jahre 1848, 1849� und 1850. Im Vormärz   schon kannte man seinen Namen, am meisten am Rhein  . Ein Pfarrersohn aus Ober- kassel, zog bereits der Ein-, der Zweiundzwanzig- jährige als Privatdozent der Kirchengeschichte an der Bonner   Universität und bald auch als Hilfsprediger der evangelischen Gemeinde in K ö l n die Aufmerksamkeit aus sich: noch mehr redete man
von Kinkel, als er mit Johanna M o ck e l eine Katholikin und geschiedene Frau heimführte und von der Kirchen- zur Kunstgeschichte, vom Glauben zur Freigeisterei hinüberwechselte. Auch nach dem Lorbeer des Dichters griff er, obwohl nur ein Talent dritten oder vierten Ranges, mit manch geglückter Strophe. An jene Tage, da er, ein leb- Haft sprudelnder Kopf, Anregungen empfangend und gebend, geliebt und bewundert, recht aus dem Bollen zu leben glaubte, erinnerten später die Verse: Im Freundesreigen stand ich stark Beim Becher und in Fehde. Mein Leib war fest, gesund mein Mark, Und golden floß die Rede Schon seine rheinische Heimat, die in K i n k e l s Geburtsjahr 1815 an Preußen gefallen war. und von deren Bewohnern er vermerkte:Wir selbst kamen uns viel eher als ein erobertes Land vor", wies einem so beweglichen und zukunftsgläubigen Geiste seinen Platz im Lager der politischen Oppo- sition an, und als 1848 losbrach, schwenkte der Bonner   Professor begeistert die Fahne der unbedingten Demokratie Im Freiheits- Überschwange dieses Jahres war fein lyrisches Pathos der rechte, auf Massen wirkende Ton, aber als, im Frühjahr 1849, die Revolution aus beiden Beinen zu lahmen begann, bewies Kinkel, daß er, redlich für die deutsche Einheitsrepublik erglüht. doch mehr zu sein verstand als nur ein politischer Schönredner. Nach dem mißglückten Versuche, mit den Bonner Demokralen das Siegburger Zeug- Haus zu stürmen, eille er auf den Schauplatz der Reichsverfassungskampagne und trat in Baden als einfacher Wehrmann in das Freikorps   Willich   ein. Als er Ende Juni während der Gesechtc an der
Volkmar dro: dran und die Sandviper
Ivan ist der häßlichste Hund von ganz Mostar  . Ein riesiger Wolfshund mit einem kaum daumen- langen Schweisstummel. Alle Fremden, die von Dalmatien   herüberkommen, lachen über ihn, wenn er aus dem staubigen Bahnhofsplatz wie ein ge- stutzter Terrier herumstreicht. Man weiß eben nicht, daß Ivan seine Rute bei einer Heldentat einbüßte Diese Geschichte von dem abgehackten Schweif des braven Ivan gibt sein Herr, der Weinwirt Josip Pavlic, auf zweierlei Art zum Besten. Wenn man sie umsonst hören will, macht er die Sache recht kurz. Wer sie aber bei einer Flasche Lissa- wein erzählen läßt, erfährt dann genau, warum der Wirt diesen verstümmelten Hund zärtlich liebt und warum er zornig wird, wenn die Fremden über das Tier lachen: Da hackte Josip Pavlic vor acht Jahren in einem Gehölz bei Mostar   Stöcke für seinen Weingarten. Seine vierjährige Tochter Maria saß mit ihrer Puppe am Rande des Gestrüpps und neben chr lag Ivan. Als der Hund plötzlich zu bellen be- gann, achtete Pavlic zuerst nicht darauf, wurde aber dann durch die sonderbare Wut des Tieres aufmerksam und ging mit seiner Axt langsam hin- über. Er sah Ivan schon von weitem in Angriffs- stellung Laut gegen einen Felsblock geben und neben ihm die kleine Maria stehen und glaubte,
daß der Hund einen Frosch oder Bogel   verbelle. Er rief ihn an, Ivan wich aber nicht von der Stelle und bellte noch lauter, als ob er Hilfe fordere. Der Wirt kam bis auf zehn Schritte näher und entdeckte jetzt zu seinem Schrecken dicht vor dem Kind und dem Hund eine große Sandviper. Und sah im gleichen Augenblick entsetzt die kleine Maria den Hund zur Seite schieben und mit der Puppe gegen die Viper losgehen. Pavlic schrie auf und stürzte mit einigen Sätzen hinüber, er wäre aber zu spät gekommen, wenn nicht Ivan sich mit einer blitzschnellen Wendung gedreht und das Kind zurückgestoßen hätte. Es siel zu Boden und dafür hing auch schon die Schlange am Schweif des Hundes! Das Reptil war sofort mit einem Haselstock erledigt, dann nahm Josip Pavlic kurz entschlossen seine Axt, zog den winselnden Iva» zu einem Stein und rettete ihm mit einem kräftigen Hieb das Leben.   So hat mir der Wirt Pavlic an einem glühend heißen Julimittag erzählt. Die hübsche Maria stand dabei am Schenktisch und putzte Gläser Ivan schnappte nach den Fliegen und wedelte dankbar mit seinem Ehrenzeichen: als er von mir zur nachträglichen Belohnung eine sette Knoblauch- wurst erhielt.
eine unangenehme Nachricht zu überbringen habe. Er sei Unterschleifen auf die Spur ge- kommen: der Kassierer, achtzehn Jahre im Hause tätig, habe gestohlen. Die Defrauda- tionen reichten auf fast ein Jahr zurück, etwa zwanzigtausend Mark habe er veruntreut. Weltlin schwollen die Stirnadern an, er fragte:Was haben Sie veranlaßt?" Noch nichts!" sagte Lechner,ich wollte Ihren Entschließungen nicht vorgreifen." Lassen Sie mir den Mann kommen." Der Mann erschien. Es war ein kleiner, schwächlicher Mensch mit intelligentem, blassem, gequältem Gesicht. Als ihn Weltlin erblickte, erschrak er: er glaubte ein Traum- bild zu sehen, sein Zorn, seine Erregung ver- flogen im Nu. Die Knie des Eintretenden zitterten, er mußte sich setzen, er wäre sonst hingefallen. Lassen Sie doch die Faxen!" rief Lechner. Sie hätten es sich eben früher überlegen müssen. Zuerst stehlen, dann um Mitleid flennen, das kann bald einer." Weltlin gebot mit einer Handbewegung Ruhe. Was fiel Ihnen denn ein, Röchling  , nach fast achtzehnjähriger Tätigkeit solche Sachen zu machen?" Röchling   versuchte zu sprechen, doch seine Stimme versagte.(Fortsetzung folgt.)
Murglinie verwundet in die Hände der Preußen siel, machte er sich keine Illusionen über das Los, das ihn erwartete: keine leere Phrase war es, was er in den Kasematten von Rastatt   niederschrieb: Den Feinden mild, den Freunden gut, Die Hand noch rein vom Fluche, Kein Blatt voll Haß, kein Blatt voll Blut In meines Schicksals Buche: So werf' ich in den Opferbrand Ein reichbekränztes Leben O Glück und Stolz, mein Vaterland, Für dich es hinzugeben! Daß am 4. August das Kriegsgericht Kinkel, anstatt ihn vor die Gewehrläufe zu stellen,nur" zu lebenslänglicher Feftungs st r a f e, nicht etwa Festungs Haft, verurteilte, erregte landauf, land­ab die zähneknirschende Wut der Reaktion, die sich bemühte, auf Umwegen doch noch zum Ziele zu gelangen. Aber, nicht zuletzt aus Furcht vor der öffentlichen Meinung, bestätigte Friedrich Wilhelm IV.   den Spruch, nur daß er den Gehaßten, anstatt ihn aus einer Festung Sand karren oder Abtrittsgruben ausfegen zu lassen, in eineZivilanstalt" überwies: so hatte der Hohen- zollcr wenigstens sein rachsüchtiges Behagen daran, daß der verwöhnte Poet im Zuchthaus, erst zu Naungard, dann zu Spandau  , wie ein gemeiner Verbrecher behandelt, Wolle spulen mußte. Diese Folterung eines reinen Menschen, der für seine politische Ueberzeugung litt, empörte indessen über die Kreise der Gesinnungsgenossen hinaus ganz Deutschland   und ganz Deutschland   jubelte auf, als es am 6. November 1850 dem jungen Karl Schurz   durch einen kühnen Streich gelang, Kinkel   aus dem Kerker zu entführen, und die Kunde einlies, daß beide unangefochten das eng- lifche Asyl erreicht hatten. Wenn sich auch K i n k e l in London   an manchem Emigranten-Hokuspokus übernahm und später als Professor in Zürich   zuweilen nationalliberale An- Wandlungen bekam, so verleugnete er doch die politische Grundgesinnung seiner guten Jahre nicht. Dazu gehörte es, daß er sich nicht nur einen Demokraten, sondern auch einen S o z i a l i st e n nannte. Seitdem er denke und empfinde, so er- klärte er. habe sich sein Herz zu den Armen und Unterdrückten gehalten und nicht zu den Reichen und Gewaltigen dieser Welt: 1848 betitelte er ein von ihm herausgegebenes Organ zur Belebung des HandwerkerstandesS p a r t a c u s", und 1849 meinte er es, des Todesurteils gewärtig, durchaus ehrlich mit dem Bekenntnis: Der müden schwielenharten Hand Ein sanfter' Los zu werben, Du vierter Stand, du treuer Stand, Für dich geh' ich zu sterben. Euch Armen treu bis in den Tod, Für euch zur Tat entschlossen, Fall' ich ums nächste Morgenrot, Vom kalten Blei durchschossen. Nun war diese Empfindung für die Elenden und Unterdrückten mehr eine Sache des Gefühls als der Erkenntnis, ein, wie es dieOstseezeitung" einmal nannte,poetischer Sozialismu s", aber stark genug blieb sie, um Kinkel der van Bismarck   gehetzten deutschen   Sozialdemokratie zur Zeit des Ausnahmegesetzes mit Rat und Tat bei- stehen zu lassen: als er am 13. November 1882 starb, erfuhr die Welt aus dem ehrenden Nachruf desS o c i a l d e m o k r a t" von dieser seiner Verbundenheit mit der geächteten Arbeiterpartei. Mochte Kinkel darum den höchsten Ansprüchen weder als Dichter noch als Politiker noch als Mensch geniigen, so wirkt er, im Ganzen gesehen, doch so übel nicht und macht es durch seine Er- scheinung und lein Schicksal begreiflich, daß er mit Veit Valentins Wort eine Weile neben Robert Blum  der volkstümlichste Revo- lutionsmärtyrer" in Deutschland   war.