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Abend- Ausgabe Nr. 542 B 263 49. Jahrg.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG
17. November 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpretje fiehe Morgenausgabe
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Das Reichskabinett ist um 11 Uhr unter dem Vorsitz des Herrn von Papen zujammengetreten.
Die Kabinettssigung dauerte bis 13 1hr 45. Das Kabinett hat keine Beschlüsse gefaßt. Der Reichskanzler wird den Reichspräsidenten am Nachmittag zur Berichterstattung aufsuchen. Entgegen den Erwartungen ist der Beschluß über den Gesamtrück= tritt des Kabinetts nicht gefaßt worden.
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Die Hoffnung der Papen- Barone geht dahin, daß die Bildung einer Regierung, die im Parlament eine gewisse Rüdendedung besitzt, nicht möglich ist und dann gar nichts anderes übrig bleibt, als die Geschäfte in ihren Händen zu belassen.
Hitler war von Papen zu einer Besprechung für gestern oder heute eingeladen worden. Der große Führer hat sich die Antwort längere Zeit überlegen müssen und daher um eine 24 st ü n= dige Bedenfzeit gebeten.
Heute mittag ist nun hitlers Antwort bei der Reichsregierung eingetroffen und in der Kabinettiigung besprochen worden. Sein Wortlaut oder wesentlicher Inhalt wird noch nicht bekanntgegeben, auch ist das Kabinett noch nicht zu irgendwelchen Beschlüssen gelangt.
Im übrigen haben sich auch schon Wortführer der Regierung das Wort„ Krise" zum Sprachgebrauch angeeignet. Als Delegationsführer zur Ratstagung in Genf ist Reichsaußenminister von Neurath bestimmt. Sollte das Kabinett bis dahin zurückgetreten sein, so würde doch als geschäftsführender Außenminister fahren.
er
Fortmit dem System!
Die feudale Staatskunst am Ende
Das Kabinett der Barone ist am Ende jeiner Staatskunst angelangt. Die letzten achtundvierzig Stunden haben ihm furchtbare Stöße versetzt. Heute um 11 Uhr ist das Kabinett zusammengetreten, um darüber zu beraten, ob ihm ein anderer Ausweg als der Rücktritt bleibt.
Die Kampfansage der Sozial demokratie hat wie ein Signal gewirkt. Darauf sind gestern Absagen des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei an Papen erfolgt. Nun wird fieberhaft versucht, die„, nationale Konzentra tion" dennoch zustande zu bringen, wenn sein muß, auch ohne Papen . Die feudalen Kreise setzen letzte Hoffnungen auf Hitler .
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Wenn diese letzten Bemühungen abermals am Ende sind was dann? Es ist wahrscheinlich, daß dann der Versuch unternommen wird, den reaktionären Kurs gegen das Volk weiter zu steuern, die Verfassungspläne mie die reaktionären Wirtschaftspläne weiter zu verfolgen, sei es mit Papen als ge= schäftsführenden Reichskanzler, sei es ohne Papen .
Ein solcher Versuch würde den Widerstand der Sozialdemokratischen Partei nicht ab schwächen, sondern nur, verstärken. Die Sozialdemokratie kämpft gegen das System der feudalen Reaktion. Sie hat den Rücktritt Bapens nicht als eine Formalität gefordert, sondern als eine Realität. Sie mill, daß die Barone verschwinden, und ihre Bläne mit ihnen. Der Papenfurs wird für die deutsche Arbeiterschaft immer unerträg
Das Kabinett berät über den Rücktritt, aber vertagt die Entscheidung
licher. Täglich vergrößert sich der Abstand zwischen dem Kabinett der Barone, das nichts hinter sich hat, und dem Bolke. Dies Kabinett fann nur noch mit gewaltsamen Mitteln gehalten werden!
Zum System Papen gehört die Politik der Gewalt in Preußen, die reaktionäre Diktatur der Kommissare, die Aus
lieferung der preußischen Verwaltung an deutschnationale Reaktionäre und adlige Korpsstudenten. Wenn der Mantel fällt, muß der Herzog mit! Mit Papen hat Bracht zu verschwinden, mit dem System Papen im Reich das System Bracht in Preußen!
Die Sozialdemokratie hat den Rücktritt
Papens gefordert, um den Papenkurs zu stürzen. Sie wird jeder Wiederkehr des Kabinetts Papen in veränderter Form, jede Neuauflage des Systems, das durch den Namen Papen gekennzeichnet ist, mit verschärftem Kampfe beantworten.
Fort mit den reaktionären Projekten, fort mit dem reaktionären Kurs!
Der Reichskanzler hat am Mittwoch seine Besprechungen über die Möglichfeiten zur Bildung einer„, nationales Konzentration" fortgesetzt. Das Ende war völlig negativ. Der Absage der Sozialdemokratie, die wegen ihrer Form und ihres Inhalts überall wie eine Sensation gewirkt hat, folgte am Mittwoch cine Absage der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei . Unter dem Eindruck dieser Niederlagen am Bande hat Herr von Papen die für das Wochenende geplante Reise nach Süddeutschland Es abgesagt.
wird damit gerechnet, daß er dem Reichspräsidenten heute seinen Rücktritt bzw. die Gesamtdemission der Papen Barone anbietet. Welche Entscheidung der Reichspräsident schließlich treffen wird, ist im Augenblick noch ungewiß.
Die Besprechungen des Herrn von Papen begannen am Mittwoch mit einem Empfang der Zentrumsführer Kaas und Joos. In dieser Unterredung erklärte Kaas, daß die Zen trumspartei eine nationale Konzentration" nicht nur wünsche, sondern auch alles tun werde, um sie zustande zu bringen.
Nur sei das Zentrum aus persönlichen und fachlichen Gründen unter feinen Umständen geneigt, feine Zustimmung dazu zu geben, daß Herr von Papen die Führung dieser„ nationalen Konzentration" übernehme. Er schlage deshalb dem Reichskanzler vor, dem Reichspräsidenten durch einen freiwilligen Entschluß die Möglichkeit zur Bildung einer Regierung auf breitester Basis zu geben.
Ueber diese Entschlossenheit der Zentrumsvertreter schien Herr von Papen offensichtlich außer= ordentlich überrascht. Er fragte überhaupt nicht mehr nach Einzelheiten, und nicht einmal danach, wie sich das Zentrum zu seinem Programm stelle. Nach kaum 20 Minuten war die Unterredung zu Ende. Sie fand ihren Abschluß mit der Ueberreichung einer schrittlichen Darlegung über die Auffassung der Zentrumspartei von der gegenwärtigen Lage. Auf diese Weise will das Zentrums falsche Aeußerungen über den Empfang verhindern.
Der Vorsitzende der Bayerischen Volkspartei , Staatsrat Schäffer, lehnte Herrn von Papen als Führer einer nationalen Konzentration" ebenfalls ab. Auch er hinterließ in der Reichskanzlei eine schriftliche Erklärung über den Standpunkt der Bayerischen Volkspartei zur gegenwärtigen politischen Lage bzw. zu den Notmendigkeiten der augenblicklichen Situation. Die Vertreter des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei hatten vor ihrem Besuch in der Reichskanzlei ihre Taktik gegenseitig vereinbart. In den grundsätzlichen Fragen scheinen sich beide Parteien völlig einig zu sein.
Im Anschluß an Schäffer wurde der Bolts. parteiler Dingeiben empfangen. Er sagte
she
,, Wie wird mir? Leichte Wolken heben mich." ( Schillers ,, Jungfrau")
,, Sollten die vier beabsichtigten Jahre schon un sein?"
für seine elf Mann starke Fraktion unter gewissen Voraussetzungen die Mitarbeit zu.
Im Laufe des heutigen Vormittags wird das Reichskabinett zusammentreten, um sich mit dem Verlauf der Besprechungen mit den Parteiführern zu beschäftigen.
Zwar haben die Nationalsozialisten bisher die an sie ergangene Einladung zu einer Besprechung weder offiziell noch moffiziell ab= gelehnt. Aber auch in Regierungsfreisen hat man sich inzwischen davon überzeugt, daß mit einer der= artigen Ablehnung für den heutigen Vormittag zu rechnen ist, so daß für weitere Verzögerungen der Entscheidung ein Grund nicht vorliegt. Im Anschluß an die Kabinettssigung wird Herr von Papen der Reichspräsidenten über seine Auffassung von der gegenwärtigen Lage bzw. über die Meinung der Papen- Barone unterrichten. Sein Empfang ist auf heute fünf Uhr nachmittags festgesetzt.
Welche Entscheidung Hindenburg schließlich treffen wird ist vorläufig noch offen. Vielleicht nimmt er das Rücktrittsgesuch des Herrn von Papen, der sich nach, der Absage der Sozialdemofratie an seine Person und dem Verzicht anderer großer Parteien, mit ihm zusammen zu arbeiten, endlich von seiner Unmöglichkeit überzeugt hat, sofort an. Wahrscheinlicher aber ist. daß er diese Annahme verschiebt und zunächst mit den großen Parteien persönlich Fühlung nimmt, um Feststellungen darüber zu treffen, ob überhaupt eine Regierung mit parlamentarischer Rückendeckung möglich ist und auf welcher Basis.
Die Absage der Sozialdemokratie hat in der Wilhelmstraße und in allen politischen Kreisen mie ein Blig eingeschlagen. In der Berliner Morgenpresse wurde Papen bereits verabschiedet. Selbst die Hugenberg Presse gibt ihn verloren. Sie nennt bereits seine Nachfolger: entweder Goerdeler oder Bracht.
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Kopenhagen , 17. November. Die Folkethingwahl brachte der Links: regierung und der Sozialdemokratie den ertvarteten großen Erfolg. Mit 76 von 149 Mandaten besitzt die Regierung im Folkething die Mehrheit.
Die Sozialdemokratie kannte ihre Stim men um fast 70 000 steigern. Im Novem ber 1929 erhielt sie 596 000 Stimmen gegen 661 000 bei der jetzigen Wahl. Statt bisher 61 wird sie im neuen Folke thing 62 Mandate besitzen. Die Konservativen erhielten 289 000 Stimmen gegen 234 000 im Jahre 1919. Die Bauernlinke ging von 405 000 auf 375 000 Stim: men zurück, die radikale Linke, die mit den Sozialdemokraten koaliert ist, von 151 000 auf 145 00.
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Zum erstenmal haben die Kommunisten mit 17 172 gegen vorigesmal 3656 Stimmen 2 Mandate errungen. Die ,, Nationalsozialisten " haben nicht einmal 800 Stimmen ergattert. *
Um 4 Uhr morgens, als das Resultat der dänischen Wahl und der Sieg der Sozialdemokratie feststanden, äußerte Ministerpräsident Stauning für den Rundfunk, er hätte mit Begeiste= rung das Wahlergebnis empfangen. Zum erstenmal in der Geschichte habe eine Regierung nach vierjähriger Regierungszeit eine Wahl nicht nur überstanden, sondern einen Sieg errungen. Der große Vorrang der Sozialdemo= fratie mit dem Geminn von rund 70 000 Stimmen ermeise die Zustimmung des Volkes. Die sozialdemokratische Regierung betrachte deshalb mit Recht dieses Resultat als ein gemaltiges Vertrauensvotum der Wähler an die Bintsregierung und ihre Positif.