Abend- Ausgabe
Nr. 544 B 264 49. Jahrg.
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
FREITAG
18. November 1932
D
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe
Der alte Kurs
Neue Notverordnung gegen Preußen
Nach dem Sturze des Kabinetts der Barone haben heute beim Reichspräsidenten Verhandlungen mit Parteiführern über die Herbeiführung der sogenannten nationalen Konzentration begonnen. Damit kein Zweifel über die Richtung des Kurses besteht, ist eine neue Notverordnung über Preußen erlassen worden, deren Inhalt ein hartnäckiges Festhalten an der Diktatur der Kommissare in Preußen darstellt.
Da der Erreichskanzler von Papen sich bisher hartnädig geweigert hat, eine loyale Ausführung des Leipziger Urteils, die seinem Sinn entsprochen hätte, herbeizuführen, erblickt nun der Reichspräsident in dem dadurch geschaffenen Zustand eine neue Gefährdung von Ruhe und Ordnung und nimmt die Regelung der Zuständigkeiten auf Grund einer neuen Notverordnung selbst vor.
Diese neue Notverordnung entspricht nicht dem Sinn des Leipziger Urteils. Sie hält fest an der Papen - Parole: alle Macht den Kommissaren. Sie mutet den rechtmäßigen preußischen Ministern eine unwürdige Rolle zu. Sie bedeutet nicht einen Abbau der vorübergehenden Diktaturmaßnahmen Preußen, sondern ihre Neubefestigung.
in
Diese Verordnung paßt zu dem Zusammenbruch des sogenannten autoritären Kurses wie die Faust aufs Auge! Sie rollt eine Reihe wichtiger staatsrechtlicher Fragen auf, u. a. der Frage, ob die Gegenzeichnung zu dieser Notverordnung rechtsgültig ist oder nicht. Vor allem aber zeigt sie deutlich das Bestreben, den reaktionären Kurs in Preußen wie im Reich fortzusezen! Der Widerstand gegen diesen Kurs wird dadurch nur um so stärker anwachsen, und am Ende aller dieser reaktionären Erperimente wird ein weit ausschlimme= rer Zusammenbruch stehen als der, den das Kabinett der Barone erlebt hat!
Besprechungen mit den Parteiführern
Im Laufe des Vormittags haben die Berhandlungen um die„ nationale Konzentration" begonnen. Der Reichspräsident hat die Besprechungen mit den Parteiführern aufgenommen. Die Deffentlichkeit soll über diese Besprechungen nicht unterrichtet werden, das Volk soll ergeben hinnehmen, was dabei schließlich herauskommen wird.
Die Krise der grundsählich neuen Staatsführung" unterscheidet sich im übrigen durch nichts von einer Regierungskrise im parlamentarischen Syftem als durch die Ausschaltung der öffentlichen Beobachtung durch autoritäre" Gesten gegen das Bolk und durch das wirken unfontrollierbarer Kräfte.
Es ist selbstverständlich, daß die Kräfte der Feudalreaffion fieberhaft am Werte sind, um ihre Diftatur gegen das Bolf zu erneuern. Mit dem Sturze Papens und seiner Barone ist darum der Kampf gegen die Barone noch nicht zu Ende!
Papens letzter Streich
Neue Verordnung über Preußen: Reichskommissar bleibt!
Auf Grund des Artifels 48 Abjak 2 hat der Reichspräsident heute in einem Erlas, der gleichzeitig an den geschäftsführenden Reichskanzler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar gegangen ist und der in einem besonderen Begleitschreiben dem preußischen Mi. nisterpräsidenten Braun zugestellt wurde, durch Notverordnung eine Regelung für die Zuständigkeiten in Preußen getroffen.
In der Begründung wird ausgeführt, daß der Reichspräsident aus den zwischen dem Lande
fielen kurs steigerungen bei Montanwerken auf, wo Mannesmann, Rheinstahl und Hoesch kursgewinne von durchschnittlich 1 bis 1½ Proz. verzeichnen konnten. Auch 36. Farben konnten ihren Kursstand auf 95% gegen 94% verbessern. Elektrowerte waren gleichsails zu höheren kursen gefragt.
Der Rentenmarkt war in seiner Tendenz uneinheiflich. Industrieobligationen fonnten um ½ bis 1 Proz. steigen. Dagegen waren Pfandbriefe und Anleihen etwas schwächer.
Das„ Journal de Genève" bringt heute vormittag unter der Ueberschrift Hitler Reich s= fanzler" folgende eigene Meldung aus Rom in Fettdruck:
„ Während des Diners, das der italienische Regierungschef am Donnerstagabend den Mitgliedern des Bolta- Kongresses gab, wurde der ehemalige Reichstagspräsident Göring ans Telephon gerufen von Hitler , der ihm die Demission von Papens mitteilte und zugleich feine( Hitlers ) eigene Ernennung zum Reichskanzler. Wahrscheinlich wird Göring Bizekanzler und Außenminister werden. General Don Schleicher dürfte Reichswehr
Abschluß
PLEITE
ANKUR BELUNG
MILLIARDEN
DERZIT
Preußen und dem preußischen Ministerpräsiden ten geführten Verhandlungen habe entnehmen müssen, daß eine Einigung über die Ausübung der Befugnisse, wie sie nach dem Urteil des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich dem preußischen Ministerpräsidenten und dem Reichskanzler als Reichskommissar zustanden, nicht erzielt worden sei. Unter diesen Um ständen erschien Verwaltung und staatliche Ordnung des Landes Preußen in Frage gestellt. Dies bedeute eine erhebliche Gefähr= dung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Er sehe sich deshalb veranlaßt, die nötigen Maßnahmen zu treffen. In der Verordnung werden sodann die Amts=
bezeichnungen geregelt, das Recht der Verordnung, die Zustimmung zu Haushaltsüberschreitungen, die Beschaffung von Geldmitteln, das Verordnungsrecht gegenüber dem Reiche, das Recht der Be= gnadigung, die Amtsräume( Braun erhält die Räume im preußischen Wohlfahrtsministerium) die Frage der Dienstwohnungen, die Frage der Reichsratsvertretung.
In dem Brief an Braun weist der Reichspräfident darauf hin, daß es einer Wiederein= segung des preußischen Ministerpräsidenten in jein Amt nicht bedürfe und gibt Braun von den getroffenen Maßnahmen Kenntnis. Endlich bedauert der Reichspräsident, daß die bisherigen Verhandlungen zu keinem Ergebnis geführt hätten.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat in ihrer heutigen Sitzung beschlossen, sofort Anträge auf Aufhebung der Notverordnungen vom 14. Juni 1932 und vom 4. Septem= ber 1932 sowie der Verordnung der Reichsregierung vom 5. September 1932 einzubringen.
Die Fraktion protestierte ferner gegen die Verschleppung des von ihr vorgelegten Antrags zu einem Volksbegehren zur Aufhebung des sozialpolitischen Teils der Notverordnung vom 4. September. Es wurde beschlossen, einen Gesetzentwurf zur Ausführung des Volksbegehrens und Volksentscheids einzubringen. Der sozialpolitische Antrag hat folgenden Wort
laut:
Der Reichstag wolle beschließen:
des
1. die Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden vom 14. Juni 1932( Reichsgesetzblatt I Seite 273),
2. die Verordnung des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 ( Reichsgesetzblatt I Seite 425) und
3. die Verordnung der Reichsregierung zur Bermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit
vom
5. September 1932( Reichsgesetzblatt I, Seite 433) sind außer Kraft zu setzen."
Mit diesem Antrag wiederholt die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die schon im vorigen Reichstag gestellte Forderung, die unter der Regierung Bapen erlassenen Notverord= nungen wieder aufzuheben. Die Notverordnung vom 14. Juni brachte die brutale Kürzung der Arbeitslosenunterstützung in allen
nen.
ihren Zweigen, der Renten aus der Invalidenverficherung, Angestelltenversicherung, Knappschaftsversicherung und Unfallversicherung sowie der Renten der Kriegsbeschädigten und HinterbliebeDie Sozialdemokratie verlangt, daß diese Kürzungen ebenso rückgängig gemacht werden wie die durch die gleiche Notverordnung vorgenommene Erhöhung der Massenbelastung durch Einführung der Arbeitslosenabgabe, der Salzsteuer und die Beseitigung der Freigrenze bei der Um= satzsteuer.
"
Die Verordnungen vom 4. und 5. September enthielten den sogenannten Papen- Plan zur Belebung der Wirtschaft. Nach dem Willen Papens sollte die Ankurbelung" der Wirtschaft dadurch erfolgen, daß den Arbeitern Lohnkürzungen bis zu 20 Prozent aufgezwungen werden sollten, während die Besitzenden 1½ Milliarden Steuergutscheine und 700 Millionen Lohnprämien erhalten sollten. Die Sozialdemokratie. hat diesen Generalangriff der Reaktion auf die Lebenshaltung der werktätigen Schichten von Anfang an mit aller Entschiedenheit bekämpft. Sie verlangt in ihrem Antrag erneut, daß die unge= heuerlichen Lohnkürzungsvorschriften und die Steuergeschenke an die Besitzenden rü cf= gängig gemacht werden.
Eineinhalb Milliarden Massenbelastung durch 1½ Mildie Notverordnung vom 14. Juni liarden Steuergeschenke für die Besißenden durch die Notverordnung vom 4. September, das ist die Bilanz der Ankurbelungs"-Aktion der HerrenHubregierung. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion bereitet eingehende Gesezentwürfe darüber vor, wie die Belebung der Wirtschaft nicht durch weitere Vernichtung, sondern durch Stärkung der Massenkaufkraft durchgeführt werden kann.
Aktienkurse steigen Börse von Papens Sturz befriedigt Der Sturz der Regierung Papen hat auf die heutige Börje keinen kursdrud ausgeübt. Im Gegenteil, er hat beruhigt. Nach der unheimlichen Stille der vergangenen Tage herrschte heute sowohl aus dem Aktien- wie auf dem Rentenmarti regeres Leben.
Attien lagen im allgemeinen fest. Besonders
Na, und wie geht's weiter? Weiter geht's nicht mehr. Mehr hier zu verlangen Unbescheiden wär!
minister bleiben. Mussolini hat Göring ein Flugzeug für die Rückkehr nach Berlin zur Verfügung gestellt."
Diese Meldung ist dem Blatt von dessen außenpolitischem Redakteur William Martin telephoniert worden, der als ein sehr gewissenhafter Journalist bekannt ist und persönlich an dem erwähnten Diner teilgenommen hat. Entweder hat also Hitler feinen Abgesandten falsch informiert, oder Göring hat in Rom renommiert, um auf feine faschistischen Freunde sensationellen Eindruc zu machen.
Der Führer der japanischen Sozialdemokratie Susufi ist nach Europa abgereist, um in Berlin , Zürich , London und Paris Vorträge über die politische Lage in Japan zu halten.
In Gnaden aufgenommen Naziabgeordnete wollen ,, artig sein". München , 18. November.
Auf Betreiben der Bayerischen Volkspartei murden die 41 Nazi- Abgeordneten, die am 17. Juni wegen wüster Standalszenen von 20 Sigungen des Landstag ausge schlossen wurden, nunmehr begnadigt" und zur parlamentarischen Arbeit wieder zugelassen. Sie haben versprochen, sich fünftig der Ordnung des Hauses zu fügen und außerdem ihre Klage beim Staatsgerichtshof, die sie wegen ihres Ausschluffes eingereicht hatten, zurückzuziehen. Außer dem soll die Geschäftsordnung des Landtags durch eine Bestimmung ergänzt werden, die das Tragen von Parteiuniformen in den Sizungen untersagt.