Einzelbild herunterladen
 

SONNABEND, 19. NOV. 1932

ERSTE BEILAGE - Keine Einigung über Reform Berlins Stadtparlament gegen Magistratsplan Neue Verfügung?

Dos Stadlparlament brachte gestern die Beratung über die Beugeslallung der Berliner Berwallung. wie sie der ZNagistralsptan vorsieht. zu Ende. Die Seralungen wurden um 19 Uhr unterbrochen und die Abstimmungen vorgenom- men. Die Mehrheit des Hauses stimmte gegen die Borlage auch in der vom Ausschuh ab­geänderten Aorm. Der M a g i st r a l wird nun­mehr den Plan der A u s s i ch t s b e h ö r d e als Borschlag unterbreiten. Ob die Kommissare die Beueinleilung Berlins nunmehr verfügen werden, ist noch ungewiß. * Nach den Abmachungen im Aeltestenousschuß setzten gestern die Stadtverordneten zunächst die Aussprache über den Stodthaushalt fort, um dann gegen 19 Uhr die Abstimmungen über die Neugestaltung der Bezirksverwaltungen vorzunehmen. Die große Haushaltsdebatte wurde von dem Redner der Deutschnotionalen. dem Stadtverordneten Krüger, allerdings ohne feinen Willen auf das humoristische Gebiet ge- schoben. Dieser junge und auf kommunalpolitischem Gebiet völlig im Dunkeln tappende Herr sprach davon, daß hunderttausende von Arbeitern aus der Straße lägen infolge der Politik, die den Haushalt der Stadt Berlin so in Unordnung ge- bracht hat und für die die Sozialdemokratie ver- ontwortlich sei. Geistige Anleihen beim ver- flossenen Herrn von Papen machte Krüger, als er von einemMonstrum von Wohlfahrtsanstalt" sprach, das Berlin zu unterhalten habe. Fast im gleichen Atemzug gab Krüger der erkenntnis - reichen Meinung Ausdruck, daß man als Etat- redner in der Berliner Stadtverordnetenversamm- lung von Wirtschafts- und Sozialpolitik etwas ver- stehen müsse! Das, aus dem Munde Krügers ge- hört, war vielen Stadtverordneten denn doch An- laß, herzhast zu lachen. Diese Heiterkeit steigerte sich zum stürmischen Gelächter, als derKam- munalpolitiker" Krüger von der absoluten sozial- demokratischen Mehrheit im Magistrat und im Aufsichtsrat der Berliner Berkehrsgesellschoft sprach. Solche Kenntnisse hat also ein Etatredner der Deutjchnationalen, er weiß nicht einmal, daß von den vorhandenen 1-8 Magistratsmitgliedern nur 6 Sozialdemokraten sind und daß von den ZZ Aufsichlsratsmitgliedern der BBG. bisher nur 7, seit den letzten Tagen 8 zur Sozialdemo- kratischen Partei zu rechnen sind. Es war auch ganz im Stile hngenbergscher Skandalblätter ge- redet, als Krüger von derroten Leitung" der BVG. sprach. Man muß also auch einem deutsch - nationalen Etatredner gegenüber feststellen, daß in der Direktion der BVG. seit dem Frühjahr kein Sozialdemokrat mehr tätig i st, daß aber Direktor Zangemeister deutschnationalerParteibuchbeamter" ist und auch Direktor Lüdtkc den Deutschnationalen nahe steht. Lüdtte ist übrigens der Herr, der heute noch ein Gehalt von 48 000 M. jährlich bezieht und sich dabei erfolgreich auf seinen alten Vertrag bc- rufen hat, der ihm bei Gründung der BVG. ein Einkommen bis zu 300 000 M. jährlich sicherte! Das ist die rote Leitung der BVG.! Daß die Nazis in Gemeinschaft mit den Kommunisten den Streik des Verkehrspersonals angezettelt haben, nahm Herr Krüger seinen braunen Busenfreunden sehr übel. Im Verlaus der weiteren Ausführun- gen Krügers über den BVG.-Streik kam es zwischen den Deutschnationalen und den Nationalsozialisten einerseits und zwischen den K o m m u n i st e n und Herrn Krüger zu lebhasten Streitigkeilen. die schließlich dazu führten, daß der Borsteher-

itelloertreter Dr Caspari den Versuch machte, Ruhe zu stiften. Erst dem nachfolgenden Redner gelang es wieder eine ernste Haushaltsdebatte zu führen. Nachdem der Volksparteiler Kün.zer und Frau Dr. Wunderlich von den Staats- parteilern gesprochen hatten, vertagte Dr. Caspari die Sitzung auf unbestimmte Zeit ziemlich unmotiviert, um dem Magistrat Gelegen- heit zu geben, in größerer Zahl als bis dahin an den Verhandlungen teilzunehmen. Nach kurzer Zeit erschien dann auch der Oberbürgermeister, Bürgerineister Elsas und eine Anzahl weiterer Magistratsmitglieder. Es sprachen dann die Nationalsozialisten Dr. Lipperl und Engel. Die Abstimmungen Dann folgten 68 A b st i m m u n g e n zu der vom Ausschuh vorberatenen Vorlage über die Neugestaltung der Berliner Verwaltung. Zu den 19 Paragraphen lagen die verschiedensten Abände-

Die Kapelle im Krematorium Baumschulenweg vermochte die Blenge der Leidtrogenden nicht zu fassen, als gestern um 17 Uhr Hermann Blüller- Lichtenberg zur letzten Ruhe geleitet wurde. Un­zählige Kränze von Partei- und Gewerkschasts- verbänden, von Behörden und Privatpersonen wurden niedergelegt. Der Vorstand des Inter­nationalen Gewerkschastsbundes war durch E i t r i n e- Großbritannien. I o u h a u x- Frank­ reich . I a c o b f e n-Dänemark, T a y e r l e-Tschecho- slowakei, RI e r t e n s- Belgien und die Sekretäre Schevenels und Stolz vertreten. Der Parteivorstand entsandte Wels und Breit- scheid, die Berliner Organisation ihren Bor - sitzenden K ü n st l e r. Die Reichsbannerkameraden hielten die Ehrenwache. Arbeitersänger ließen das Lied vomSohn des Volkes" erklingen. Dann nahm der Vorsitzende des ADKB,, Gcnoise Leipart, dos Wort.Die Reihen der alten Kämpfer lichten sich. Nach unseren Freunden Kube, Umbreit und Ouist tragen wir heute Hermann Müller zu Grabe, er war in unserer Bewegung eine wertvolle Kraft. In den Kämpfen um die Sozialgesetzgebung, vor allem um die Sozialversicherung machten ihn seine Fachkenntnisse zum Führer. Seine Arbeit war den Kranken und Schwachen, den Invaliden, die Recht suchten, gewidmet. Der kämpfende und überlegende Mann ist uns nahezu unersetzlich- Noch einmal schilderte Leipart das Schaffen Hermann Müllers, wie er vom Lithographen zum Schriftsteller wurde, wie er als Redakteur in Bochum tätig war und dann als Arbeitsekretär in Bremen mit Friedrich Ebert ein Freundschafts- bündnis schloß, das bis zum Tode währte, wie man ihn dann nach Berlin an die Zentrale der Gewerkschaften und zum Leiter derKewerk- schaftszeitung" berief, und wie er endlich als zweiter Vorsitzender des ADGB. unermüdlich tätig war. Daneben aber blieb er seinem alten Ver- bände der Lithographen in verantwortlicher Stellung treu. Er ward Stadtverordneter und Stadtrat, er gehörte seit 1918 dem Parlament an, er war Mitglied des Staatsgerichtshofs, er saß im Verwaltungsrat des Internationalen Arbeits- amts. Daneben aber war er literarisch tätig, und seine Bücher über die Unfallversicherung und die Rechtsprechung in der Unfallversicherung, vor

rungsanträge fast aller Parteien vor, von denen eine ganze Anzahl angenommen wurden. Es soll also nach dem Willen der Stadtver- ordneten bei den 20 Verwaltungsbezirken bleiben. Abgelehnt wurden die Anträge der Sozialdemokraten, die Genosse F l a t a u bereits in seiner Rede am Donnerstag ankündigte. Nach diesen Anträgen sollten die Stadtverord- neten nicht den Bezirksversammlungen ihres Be- zirks zugeteilt werden, sondern sie sollten die Möglichkeit haben, sich als Bezirksverordnete wählen zu lassen. Abgelehnt wurde auch das Verlangen der Sozialdemokraten, eine katalogmäßige Festlegung der Ausgaben der Bezirksämter nicht vorzu- nehmen. Gegen diesen Antrag stimmten sogar die Kommunisten, sie sind also- für eine Einengung der Befugnisse der Bezirksämter! Die Einzelabstimmungen nahmen fast drei- viertel Stunden in Anspruch. In der Schluß-

allem aber seineGeschichte der Gewerkschaften" und seine SchriftKarl Marx und die Gewerk- schaften" sind von ganz hervorragendem Wert. Millionen danken ihm heute, und, mit der Familie die Trauer teilend, beklagen wir es vor allem, daß es ihm nicht vergönnt war, seinen Lebens- abend so zu verbringen, wie er es wünschte- der Familie und zugleich dem zweiten Bande seiner Geschichte der Gewerkschaften" sich widmend. Dankerfüllt nehmen wir Abschied. Da? große Lebenswerk des Toten ist uns Mahnung, es ihm gleichzutun." Für den Verband der Lithographen und Stein- drucker sprach Genosse Haas letzte Abschieds- warte.Im Kampf um die Einheitsorganisation, vor vielen Iahren schon, war Hermann Müller uns Wegweiser und Führer. Mit seinem Namen ist die Geschichte des Verbandes, die Geschichte so vieler Aussperrungen und Lohnkämpfe. ver- knüpft Unsere Liebe und Verehrung für den Toten möge der Familie ein geringer Trost sein." Für den Parteivorstand und die Kontroll- kommission der Sozialdemokratischen Partei sprach Genosse Brey- Hannover :Treue Pslichter- füllung für die Entrechteten und Bedrückten kenn- zeichnete sein arbeitsreiches Leben. Du warst ihnen Berater und Helfer, aber du gehörst zu jenen, die nicht sterben, denn dein Wirken und Werken lebt weiter. Du hast Kämpfer erzogen im Geiste der Solidarität, der Freiheit und des Sozialismus." Ein Vertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat des Internationalen Arbeits- amts widmete Hermann Müller Worte persön- licher Wertschätzung. Dann nahm der Generalsekretär der sranzö- fischen Gewerkschaften I o u h a u x für die Ge- werkschaftsinternationale und die französischen Arbeiter im besonderen das Wort.Wir sind auf das schmerzlichste durch den Tod Hermann Müllers berührt. Wir haben immer seine Klug- heit bewundert und seine Ratschläge beachtet. Er war ein Mensch von bezähmter Leidenschast, der seine ganze Kraft an die Interessen der Arbeiter- klasse setzte. Wir weihen unsere brüderlichen Grüße seinen Werken und seiner Persönlichkeit." Ueber allen Wipfeln" erklang. Orgelmusik er- tönte, die Fahnen senkten sich, langsam entschwand der Sarg des toten Kämpfers der Arbeiterschaft.

a b st i m in u n g über die gesamte, vom Ausschuß geänderte Vorlage stimmten nur die Deutsch - nationalen, das Zentrum und ein Teil der Bürger- lichen Vereinigung(früher Wirtschaftspartei) da- für, alle anderen Fraktionen dagegen. Damit war eine Neuregelung der Bezirksverwaltungen von den Stadtverordneten abgelehnt. Die sozialdemokratische Fraktion stimmte gegen die Vorlage, weil Anträge angenommen worden waren, die gegenüber dem jetzigen Zustand keine Besserung hätten bringen können. Schließlich wurde die Debatte abgebrochen, um in einer späteren Sitzung fortgesetzt zu werden. In der nächsten Woche findet die Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion um 16 Uhr vor der Stadtgemeindeausschußsitzung statt.

Gtraßenbahnungwck Zwei Verletzte Ini Norden Berlins, an der Ecke Swine- münder und Bernauer Straße , ereig- nete sich gestern am frühen Nachmittag ein Zu- sammenstoß zwischen einem Straßenbahnwagen der Linie 148 und einem Arbeitswagen der Straßenbahn. Ein Fahrzeug wurde aus den Schienen geschleudert und schwer beschädigt. Zwei Verunglückte mußten durch die alarmierte Feuer- wehr ins La.zarus-Krankenhaus nach der Bernauer Straße gebracht werden. Die Ursache des Zusammenstoßes konnte bisher noch nicht geklärt werden. Die Linie 148 wurde seitlich gerammt und der Anprall war so stark, daß der Wagen aus den Schienen geschleudert und das Untergestell abgerissen wurde. Der entgleiste Wagen neigte sich derart bedrohlich zur Seite, daß sein Umstürzen befürchtet wurde. Der 26jährige Straßenbahnsührer Wilhelm Winkel aus der Templiner Straße 8 9 und die Z2jährig« Frau Marie B u ch w a l d, die im Innern des Straßenbahnwagens saß, wurden oerletzt. * Am haselhorster Damm wurde der Schüler Hermann Schneider aus Haselhorst , Gartenseldstraße. von einem Auto über- fahren und schwer oerletzt. Das Kind fand im Spandauer Krankenhaus Ausnahme. Am Mark- grasendamm in Rumnielsburg raste der 2Z Jahre alte Motorradfahrer Otto P o l l e y aus der Kolonie Friedensaue in Friedrichsselde mit einem Lastauto zusammen. P. erlitt einen doppelten 'S ch ä d e l b r u ch. Bewußtlos fand er im Auguste- Viktoria-Krankeuhaüs Aüfnahtne.

Sie suchten den Tod Im Keller des Hauses Borne mann- straße 13 erhängte sich gestern der 73jährige Maurer Gustav Sch. Als die Tat des Greises von Angehörigen entdeckt wurde, war keine Hilfe mehr möglich. In der B e u s s e l- st r a ß e 6 3 vergiftete sich der 63jährige Klempner Emil M. durch Gas. Auf dieselbe Weise nahm sich der 32 Jahre alte Schorn- st e i n s e g e r Johannes N. das Leben. Aus der Mattern st raße im Nordosten Berlins wird der Selbstmord eines 77jährigen Rent­ners Wilhelm R. bekannt. R. wurde in seiner Stube durch Gas oergiftet tot aufgefunden. * Im Hause Hauptstraße 81 in Wittenau kam gestern die 70jährige Witwe Pauline N. auf tragische Weise ums Leben. Die Greisin hatte den Verschlußhahn des Gaskochers nur halb geschlossen und durch die ausströmenden Gase wurde sie ge- tötet. Als Hausbewohner auf den Unglücksfall aufmerksam wurden, war es bereits zu spät.

Abschied von einem Kämpfer Die Internationale ebrt Hermann I�iiller-Eielitenberg