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BEILAGE

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SONNABEND, 19. NOV. 1932

3)ie Qeliebie eines 9imdes

Srstählung und Zeichnungen von Alfred Rubin

Meine erste, Atteste und rätselhafteste Liebe gaft einer Toten. In dem anheimelnden, erz- katholischen(Zebirgsmarkte heute ist's ein un­gemütlich mondäner Kurort, wo sich meine Kindheit, bei meiner ruhelosen Beweglichkeit darf ick) wohl sagenaustobte", geschah es, daß die jüngste Tochter eines angesehenen Kaufmanns und Gemeinderats unerwartet nach kurzer Krank- heit starb. Ich hatte das siebente Jahr noch nicht vollendet und stand dieser Marie, die etwa zehn

Lenze gesehen haben mochte, nicht nur gänzlich gleichgültig, sondern, wie allen Mädchen, als wilder Junge fast verachtend gegenüber. Weder verkehrte ich im Hause ihrer Eltern, noch hatte ich je mit ihr gespielt oder auch nur eingehender geplaudert. Ich wußte nur, daß sie da war und sah hin und wieder ihr nichtssagendes rot- wangigcs Schulmädchengesicht in der Schar ihrer Zreundimicn. Erst als ich erfuhr, daß sie in der Nacht gestorben sei, erwachte bei mir mehr an dem Vorfall als an dem Menschen das Interesse. Erinnernd, sehe ich mich mit einigen Jungen der Kameradschaft wie so oft müde und abgehetzt vom Spiel auf einer Bank am Seeufer sitzen und ins sonnige Gcflirre des leise bewegten Wassers blinzeln. Da machte einer den Vorschlag: Kommt, schaun wir das Mariedel an, sie ist schon aufgebahrt." Einverstanden und neugierig näherten wir uns dem Sterbehaus. Ein Blick durch das Ladenfenster zeigte mir den Kaufmann über seine Bücher gebeugt, seine Frau Kunden bedienend, ganz wie alle Tage. Aber heute standen beide Flügel des schweren Haustores offen. Kisten und Sackballen, die gewöhnlich im Flur den Weg verstellten, waren ins rückwärtige Magazin geschafft worden. Mit Lärm und Peitschenknallen kam gerade wieder ein hoch- beladenes Botensuhrwerk an. Wir trampelten die frisch geputzte Treppe hinauf bis zum zweiten Stock, dann, vom Zimt- und Rosinengeruch des alten Handelshauses begleitet, durch einen schmalen Gang, an dessen Ende die gute Stube lag. Sie war für die Tote hergerichtet worden. Beim Eintreten sah man zuerst nicht viel mehr als einige brennende Kerken , denn man war noch ans Sonnenlicht von draußen gewöhnt, und durch das Abschließen der Fensterläden war der Raum gleichsam zu einer spärlich erleuchteten kleinen Kapelle geworden. Hier lag aus erhöhtem Bett mit halbsitzendem Oberkörper die Leiche. Sic war im weißen Kleidchen voll Spitzen, Blumen und kleinen Heiligenbildchen ganz wunderherrlich an- zusehen, Mein knabenhafter innerer Tumult machte einer Verlegenheit Platz. Das schien mir doch gar nicht das Mariedl, das ich kannte, zu fein t! Das war ein kleines, fremdes Gesicht wie aus Wachs, die dunkleren, gelben Lider deckten nur zur Hälfte die Augäpfel, in deren Feuchtigkeit die schwelenden Kerzenslammen einen Schimmer von Leben her- vorriefen. Unverwandt, mit größter Auftnerksam- keit sah ich hin. und es entging wir nichts. Das dunkelblonde Haar war tief in die Stirn gekämmt

und gerade abgeschnitten. Vor dem Bett stand mit Kränzen behangen ein Betschemel, an den Wänden des Zimmers sah man Alltagsgegcn- stände, eine verdeckte Nähmaschine, Schränke, worauf sich Gläser niit Dunstobst besanden, was in seltsamem Gegensatz zu dem aliarähnlichen Putz des Paradebetts stand Mir war sehr beklommen zumute vor dieser ersten Leiche, der ich gegen- über trat, und ich blickte mich etwas bange nach den beiden Kameraden um, die das Totenzimmer schon wieder verlassen hatten und gerade draußen von einer alten Frau jeder eine Scheibe Brot er- hielten: so verlangte es der Brauch: es lag sehr viel abgeschnittenes Brot für die Besucher in zwei Schüsseln bereit Diese Frau, es war die alte Hausmagd, kam nun mit Frau Gadcnstätter, der gerade erschienenen Hebamme des Dorfes, herein, und ich hörte die weinerlich-geschäftsmäßigen Reden der beiden hinter mir. Die Magd erzählte der anderen von dem qualvollen Todeskamps in der vergangenen Nacht, wie es dann erst gegen Morgen zu Ende gegangen sei, und daß der Leiche beim Anziehen Kleider. Strümpfe, alles zu kurz gewesen sei.Ja. die Toten wachsen", sagte die Hebamme, und mir ward da auf einmal ganz schaurig zumute. Nun bemerkten mich die beiden, und die Magd wandte sich zu mir mit den Warten:Willst dem Mariedl ein Weihbrunn geben?" und hielt mir ein geschlissenes Glas mit geweihtem Wasser hin, in dem ein Buchsbaum- zweiglein steckte. Ich besprengte die Tote kräftig: das meiste traf die wie zum Gebet fest ge- krümmten Händchen, ein großer Tropfen rann jedoch wie eine Träne über das unbegreiflich schöne Gesicht, besten vollen Zauber ich jetzt erst bemerkte. Ich stand wie gebannt, diese Leiche war sonderbar anziehend und zugleich grauenhast in ihrer Unnahbarkeit. Von draußen riefen die Freunde: da drückte ich mich aus dem Zimmer, wie betäubt durch den schweren Duft der Blumen und Wachskerzen und einen aufdring- lichen Geruch, der nur von dem Leichnam selbst ausgehen konnte. Am übernächsten Tage war dos Begräbnis des armen Mariedl. Sämtliche Schulkinder Knaben und Mädchen, wohnten ihm bei. Wir gingen in langer Reihe vor dem Sarg her und hatten auch eine Fahne, welche der stärkste von uns, ein ausgeschossener Bauernjunge, selbst- bewußt trug Noch klingt mir das immer wieder- halte, schrille Ableiern des Vaterunsers und des englischen Grußes im Ohr. Den nachhaltigsten Eindruck machten mir aber die unverständlichen lateinischen Gebete des Priesters an der Grube und ganz besonders daskleine Geläut", diese

hellen, etwas disharmonischen, gleich einem über- menschlichen Wimmern klingenden Glocken, die mich heute noch, so oft ich sie höre, sogleich in die schwermütigste Stimmung versetzen. Auf die Glorie der Ausbahrung war nun also die tieft Grube in der Erde, das schreckliche Ende der Totenruhe, die schweren Schollen, die polternd auf sie geworfen wurden, gefolgt. Ich konnte es nicht lasten, daß das harmlose, vor kurzem noch lebendige Mariedl eine solche Verwandlung, ein so dunkles Geschick durchmachen mußte, während wir anderen alle warm und behaglich aus der Welt blieben. Ich dachte, auf irgendeine ge- heimnisvolle Weift müsse die Tote alles fühlen, was mit ihr geschieht, und ich quälte mich mit unaussprechlichem Mitleid und flüsterte abends in meinem Bett heimliche heiße Liebesworte für die Verklärte, die mir nun in der Erinnerung immer herrlicher erschien. Die Gedanken an sie konnte man nicht loswerden. Ich litt. Ich stellte mir vor, wie bei Regengllsten das Wasser allmählich durch die Erde sickern, in den Sarg eindringen und das engelhaite Wesen darin beschmutzen müsse. Ja. ich konnte sogar weinen, was sehr selten vorkam. Es mußte etwas geschehen: das Mariedl sollte ganz und gar von meiner aus- richtigen Bewunderung und Treue überzeugt werden denn wie leid tat sie mir! In der lchourigen Einsamkeit, tief in der kalten Erde! Herausgerissen aus der bunten Gemeinschaft m:t Eltern, den Geschwistern und anderen Kindern!

Jetzt spürte ich bittere Reue, daß ich mich um die Verstorbene in ihren gesunden Tagen nie ge- kümmert hafte, ich hatte sie leider nie, nie auch nur im gerinsten beachtet Unwiderbringliches hatte ich da versäumt, und jetzt war das Mariedl eisig zu mir! Ein wirkliches Opfer wollte ich bringen! Nun besaß ich schon seit langem einenSchatz". Er lag in einer iesten Schachtel und bestand aus dem abgebrochenen, vergoldeten Henkel einer chine- stichen Vase als Hauptstück, einem.Kotillonorden, den mir meine Mutter geschenkt hafte, verschie- denen Abzeichen eines Zimmerschützenklubs, so- wie einem Salzsäßchcn aus geschliffenem Rubin- glas. Dann war da noch ein General in Hecht - grauer österreichischer Uniform mit Schärpe und grünem Iederbusch, den mein Vater einmal kunst- voll für mich gemacht hatte, und den ich sehr hoch schätzte, endlich«ine Anzahl meiner eigenen besten Malereien. Das also war der Schatz, und ohne daß er je von Räubcrgelüstcn bedroht gewesen wäre, wurde er von mir doch immer wieder an meiner Ansicht nach noch sicherem Orte versteckt. Das eine Mal lag er unter dem Sitzbrett einer ausrangierten alten Kutsche, dann wieder in einem hohlen Weidenstamme von Schutt völlig bedeckt, überall nur wenige Tage. Dieses Kostbarste und Schönste, was ich besah, wollte ich der Toten schenken, Es war etwa zwei Wochen nach dem Begräb- vis und mein Vater war dienstlich verreist. Der Abend war da, ich hatte mein Butlerbrot ver­schlungen und sollte zu Bett gehen. Da bat ich meine Mutter um die Erlaubnis, noch einmal in den Garten zu gehen, um in der Dämmerung Nachtschmetterlinge zu sangen. Die Falter schwär- men zu solcher Stunde um die Blumen. Meine Bitte wurde für dies eine Mal gewährt, Augen- scheinlich freute sich meine Mutter, daß ich die alberne Furcht der meisten Kinder vor der Finster- nis nicht teilte Ich sollte beim Wiederkommen anläuten, dann werde mir das Haustor geöffnet. Nur wenig beschwert durch meine-Notlüge stürzte ich gleich davon, holte den Schatz er befand sich gerade unter der Stiege zum Haus- speicher in einem verlassenen Taubenschlag, über- kletterte damit den Zaun zum nachbarlichen Pfarrgarten, um so unbemerkt und auf dem kür- zesten Wege in den ganz nahe gelegenen Friedhos zu kommen. Die Dämmerung war weit vorge- schritten, die zahllosen kleinen Nelken, die aus den Gräbern blühten, strömten einen berauschenden Duft aus. Nur die Gedenksteine auf den vor- nehmeren Bürgergräbern schimmerten Heller, sonst war alles undeutlich, ober ich fand sofort die für mich so bedeutungsvolle Ruhestätte der Geliebten. Sie befand sich hinter dem Beinhaus, knapp neben dem eigentlichen Familiengrabe, in dem eine Reihe mir unbekannter, früher verstorbener Glieder ihrer Sippe lagen. Mit Hilfe eines kleine» Brettchens, aber hauptsächlich mit den bloßen Händen, mochte ich nun hastig ein Loch. Es mußte ja alles so heimlich und möglichst geräusch- los geschehen, aber in dem weichen, vor kurzem erst aufgeschaufelten Erdreich gelang es mir leicht. eine genügend große Höhlung für meine Schachtel herzustellen. Heute habe ich noch deutlich dos bange Herzklopfen und Würgen im Hals bei meiner Arbeit im Gedächtnis: in tiefster Erregung flüsterte ich:Du Verlassene, du ganz Ver- lassene!" Als ich fertig war. glättete ich noch

etwas die Spuren meines Tuns und inzwischen war auch das letzte Zwielicht einer fast völligen Dunkelheit gewichen. Da hörte ich Schritte. Es führte vom See aus ein Fußweg mitten durch den Friedhof um die Kirche herum aus den Marktplatz, In der Rich- tung des Geräusches sah ich einen kleinen Licht- punkt und erriet sofort, daß es die glimmende Zigarre eines Menschen sei. der gleich bei mir vorüberkommen mußte, und trotz der eben erst durchgemachten gefahrvollen Ergriffenheft juckte es mich schon wieder, die seltsam« Lage zu einem

meiner Jugendstreiche zu nützen. Sanft' cheß ich mich ins hohe Gras neben dem Hüge>l des Mariedl gleiten und war jetzt nur durch �inc Gräberreihe getrennt von dem Pfade, auf welch<sn der Mann, vielleicht etwas bezecht, unsicher daher- torkelte. Da log ich ruhig am Boden, und gerade als er mir am nächsten war, rief ich mit verhol- tener, flüsternder Stimme:Pst. pst, komm her zu mir". Gott , wie überrascht war ich, als die dunkle Gestalt heulend aufschrie, entsetzt die Zi-

aarre fortschleuderte und in rasender Flucht den Weg zum See zurückrannte. Im Stockfinstern begab ich mich dann nach Hause. Meine Mutter schlief bereits, das wartende Dienstmädchen öffnete mir das Tor. Seit der Schatz so gut untergebracht war, spürte ich. daß mich ein gleichsam körperliches Band an die über alles geliebte Tote knüpfte. Wohl war sie für unser irdisches Auge für immer verschwunden, in meiner glühenden Einbildungs­kraft war sie da, sah ich sie vor mir in ihre Schleier gehüllt, zum Greisen nahe und geheim- nisvoll lockend. Trennten mich doch nur ein paar Meter Erde von Mariedl und ich konnte mich ans Grab schleichen, so oft ich wollte, niemand störte mein einsames Gedankcnspiel. So vergingen drei Monate, bis das Fest Aller- seelen , jener allen Verstorbenen gewidmete trau­rige Erinnerungstag herankam. Die ganze Nacht vorher fiel Schnee, der dann zum größten Teil wieder wegtaute, und auf den Wogen große Lachen und viel Schmutz hinterließ. Immerhin konnte man noch einige hastige Schneeball- scharmützel aussechten. Nach Tisch gingen meine Eltern mit mir und der sonntäglich geputzten Schwester aus den Kirch- Hof, um die geschmückten Gräber anzusehen. Ich spähte sofort nach dem einzigen, das für mich in Betracht kam. ja mein Heiligtum war. Am Holz- kreuz hing ein Kranz von Herbstastern mit einem schwarzen Flor, und der kleine Hügel war mit Schneebeeren sauber geziert. In der Mifte flammte aus einer Grablatcrne ei» düsteres Licht. Da preßte mir ein Entsetzen jäh das 5)erz zu- fammen. Neben dem Grab, in den Schmutz ge- treten, erblickte ich eine meiner'.hauptkostbar- keilen, den prächtigen Kotillonorden. Blitzschnell wurde mir das Schreckliche klar. Das verborgene Gut war durch einen Gärtner oder sonst jeman- den, der den Erdhügel für das Totenfest her- gerichtet, entdeckt worden! Fieberhaft suchte ich weiter! An der Friedhofmauer befand sich durch einen Plankenzaun abgetrennt ein kleines Stück un- geweihtes Land: es war mit Brennesseln und anderem Unkraut dicht bestanden: da wurden die ungetauften Frühgeburten, amputierte Glieder, sowie die Leichen der Selbstmörder, die man aus dem See fischte, verscharrt,.Hier fand mein starrer Blick sehr bald die anderen kläglichen Reste des Schatzes: kleine Stücke des prachtvollen Vasen- Henkels, einen vergoldeten kleinen Doppeladler. einen Hirsch an schwarzgelbem Band mit win- ziger Schießscheibe, dann völlig zerknüllt und durch die Nässe verdorben das Päckchen mit meinen mühsamen Malereien, und endlich den abgerissenen Kopf des von meinem Vater stir mich so schön gemalten Generals.