Morgen- Ausgabe
Nr. 553 A 271 49. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG
24. November 1932
In Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Leils
Die schriftliche Antwort Hitlers an den Reichspräsidenten ist gestern schließlich fertiggestellt und dem Büro des Reichspräsidenten übergeben wor den. Die Geheimnistuerei ist darum noch nicht zu Ende. Amilich wurde über das Antwortschreiben mitgeteilt:
„ Die Antwort Adolf Hitlers auf das gestrige Schreiben des Staatssekretärs Meißner wurde am Mittwoch, 6.30 Uhr nachmittags, durch den Reichstagspräsidenten Göring dem Staatssekretär Meißner übergeben. Der 7% Seiten umfassende Brief enthält mit ausführlicher Begründung die Erklärung, daß Herr Hitler dem vom Herrn Reichspräsidenten an ihn gerichteten Erfuchen, festzustellen, ob und unter welchen Bedingungen er eine sichere arbeitsfähige Mehrheit mit festem einheitlichen Arbeitsprogramm für eine von ihm geführte Regierung finden würde, nicht entfprechen könne. Mit dieser Absage verbindet Herr Hitler einen Gegenvorschlag, der zur Zeit dem Herrn Reichspräsidenten zur Prüfung vorliegt."
Göring hat gewünscht, daß der Inhalt des Briefes geheimgehalten werden solle. Aber schon bald nach der Ueberreichung wurde der Kern der Hitlerschen Gegenvorschläge bekannt. Die Telegraphen Union berichtete darüber: „ Das Antwortschreiben Adolf Hitlers ist nicht
an den Reichspräsidenten , sondern wiederum an den Staatssekretär Meißner gerichtet. Das Schreiben, das, wie auch aus der amtlichen Mitteilung hervorgeht, im ersten Teil die Ablehnung des Auftrages in der vom Reichspräsidenten gewünschten Form darstellt, enthält in einem zweiten Teil positive Anregungen, die im wesentlichen in dem Vorschlag der Betrauung Hitlers mit der Führung des Reichsfabinetts gipfeln, wobei jedoch, wie von nationalsozialistischer Seite verlautet, den sonstigen Bedingungen des Reichspräsidenten , soweit sie sich nicht auf die Forderung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung beziehen, weitestgehend Rechnung getragen
wird.
Das würde praktisch bedeuten, daß Adolf Hitler die vom Vertrauen des Reichspräsidenten getragene Führung des Kabinetts als solche durch ihn, Hitler selbst, in Borschlag bringt, die übrigen Mitglieder des von Hitler geführten kabinetts sich jedoch ebenso auf das Vertrauen des Reichspräsidenten stützen und nicht von Parteien gestellt werden sollen. Eine solche Regierung würde der Art des Brüning - Kabinetts ähneln, das gleichfalls nachträglich den Reichstag vor die Entscheidung über die Stellungnahme gegenüber dem Kabinett und feine Maßnahmen gestellt hat.
Antwort an Bracht
Von Rechtsanwalt Dr. Braun
Dr. Bracht hat dem ,, Borwärts" mit Datum vom 19. November eine Auflagenachricht zugehen lassen, die sich mit meinem Vorwärts"-Artikel vom 6. September 1932 befaßt. Herr Dr. Bracht hat also nicht weniger als 2% Monate bedurft, um meinen Artikel ,, richtig" zustellen. Selbst diese unfaßbar lange Zeit hat nicht ausgereicht, um meine Behauptungen auch nur einigermaßen zu widerlegen.
Tatsächlich hat von den Richtern nur der Vorsitzende die Akten gekannt. Dies hat der Borsitzende selbst meinem Mitverteidiger gegenüber erklärt und damit auch die Tatsache begründet, daß er selbst das Urteil absetzen müsse.
Meine Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft sind bereits in vollem Umfang in meinen Plädoyers vor dem Sondergericht erhoben und dort nicht widerlegt worden. Die Staatsanwaltschaft ist vielmehr bezeichnenderweise nur auf einen einzigen Vorwurf eingegangen und hat die übrigen Angriffe stillschweigend hingenommen.
Sämtliche Berichterstatter werden bezeugen, daß die Verhandlung durchgepeitscht worden ist, und zwar in einem Maße, daß selbst die Berichterstatter deswegen vorstellig geworden sind. In der von Dr. Bracht gezeichneten Erklärung wird verschwiegen, daß Angeklagte unter dem Tempo der Verhandlung so gelitten haben, daß sie teilweise verhandlungsunfähig murden und Sanitäter und Krankenschwestern bemüht werden mußten.
Das Gericht hat umfangreiche Beweisanträge als unerheblich abgelehnt die es niemals unberücksichtigt gelassen hätte, wenn gegen die Urteile der Sondergerichte eine Revisionsmöglichkeit bestände.
Dr. Bracht wird nicht widerlegen können, daß ich vergebens versucht habe, mit den Angeflagten auch nur notdürftig zu konferieren. Ich habe in öffentlicher Sigung darüber Be= schmerde geführt und Abhilfe verlangt.
Bereits am 2. August habe ich gebeten, mir die Aften einmal zugänglich zu machen. Darauf schrieb mir der Vorsitzende:„ Der Wunsch auf Vorlegung der Akten kann nicht er füllt werden, weil sie hier fortdauernd ge= braucht werden. Die Landeskriminalpolizei Bres lau , welche die Ermittlungen vorgenommen hat, ist aber gebeten, ihre Protokolle Herrn Rechtsanwalt Foerder zur Verfügung zu stellen." Ich habe niemals, auch nicht 11 Tage vor
Man glaubt in unterrichteten Kreisen, daß die Berhandlungen weitergehen werden, jedoch nicht in Fortführung des bisher geführten Schriftwechsels."
Hitler will Reichskanzler werden und mit dem Artikel 48 regieren. Er will die Bedingungen rechterhaltung der Papen - Notverdes Reichspräsidenten erfüllen, in denen die Auf
ordnungen enthalten waren.
Zugleich ist gestern versucht worden, die Harz burger Front wieder zu leimen und das Zentrum auszuschalten.
Mit diesem Schreiben Hitlers ist die nächste Entscheidung mun wieder dem Reichspräfidenten zugeschoben.
Rosenberg kommentiert
Zu den siebeneinhalb Seiten der KaiserhofDenkschrift hat der Chefredakteur des„ Völkischen Beobachters", Alfred Rosenberg , einen beachtenswerten Kommentar geliefert. Die römische Zeitung Regime Fascista " bringt eine Unterredung mit ihm, in der er sagt, Hindenburg tönnte, wenn Hitler Reichskanzler werde, Reichspräsident bleiben, in Italien habe man ja auch den König und Mussolini nebeneinander.
Hindenburg foll im Reiche Hitlers ebensoviel zu sagen haben wie der König im Reiche Mussolinis.
dem Termin, um eine Bertagung gebeten. Elf Tage vor dem Termin wußte ich überhaupt noch nicht, daß er anberaumt war. Ich bin erst a dyt Lage vor dem Termin geladen worden. Ich hatte lediglich zu einer Zeit, als mir von einem Termin noch nichts bekannt war, um die Ansetzung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes gebeten.
Bevor Herr Dr. Bracht eine Erklärung mit seinem Namen deckt, in der mir der Vorwurf mangelnder Kenntnis des Prozeßstoffes gemacht wird, möge er dafür sorgen, daß seine Sachberater in der Lage sind, sich während eines Zeitraumes von 2½ Monaten mit dem tatsächlichen Sachver= halt genügend bekannt zu machen.
Schreckensurteil eines Sondergerichts
Reichsbannerkamerad zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt
Eigener Bericht des ,, Vorwärts"
Düsseldorf , 23. November. Heute, Mittwoch, verhandelte das Sondergericht in Gladbach- Rheydt gegen den Reichsbannerkameraden karl klein aus Wickrath- Berg wegen Landfriedensbruch und Rädelsführerschaft. Der Staatsanwalt beantragte ein Jahr Gefängnis wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung. Das Gericht ging über den Antrag des Staatsanwalts gewaltig hinaus und verurteilte den Angeklagten auf Grund der Terrornotverordnung des Reichspräsidenten 3u 10 Jahren Zuchthaus .
Das Gericht sah selbst die Unhaltbarkeit des Urteils ein, weshalb es sich bereit erklärte, ein Gnadengesuch des Verurteilten zu besarworten. Die Anklage auf Rädelsführerschaft hatte die Anklagebehörde fallen gelaffen.
Der Verhandlung lag folgender Tatbestand zugrunde: Der Angeklagte und sein Vater arbeiteten im August dieses Jahres gemeinsam im Garten des Vaters. 20 als Rombys be fannée Nazis famen an dem Garten voshet,
provozierten die beiden Reichsbannerkameraden und bedrohten sie. Da ihnen ihr Vorhaben, mit den beiden Reichsbannerleuten Streit zu bekommen, nicht gelang, holten sie aus dem Naziverkehrslotal Verstärkung her= an. Das war für die Bewohner der in der Nähe liegenden Baracken das Signal, den Reichsbannerkameraden zu Hilfe zu kommen. Beim Erscheinen des Ueberfallkommandos hatten sich jedoch die Bewohner der Baracken bereits entfernt, so daß die Nazis zur Befriedigung ihrer Rachegelüfte keinen anderen Ausweg mehr sahen, als den Reichsbannermann Karl Klein als den Täter zu bezeichnen. In der polizeilichen Bernehmung erklärten die Nazis übereinstimmend nicht zu wissen, wer sie angegriffen und mit Steinen beworfen habe. Sonderbarerweise konnten sie sich in der Gerichtsverhandlung auf das bestimmteste darauf besinnen, daß Klein nicht nur der Täter, sondern auch der Rädelsführer gewesen sei. Troß aller Bemühungen des Gerichtsvorsitzenden, Landgerichtsdirektors Starting, das politische Moment auszufchalten, stellten die Nazis die Angelegenheit als eine politische hin, morauf das Gericht zu diefem unerhörten Urteil form.
Hilflosigkeit im Kaiserhof
Auf tausend Plakatsäulen hatten sie den Reichspräsidenten angefleht: Herr, warum gibst du uns nicht den Auftrag zur Regierungsbildung? Sind wir schlechter als weiland Hermann Müller , der sogar den Vertrag von Versailles unterzeichnet hatte? Als er die stärkste Partei repräsentierte, haben Sie keinen Augenblick gezögert, ihm die Regierungsbildung zu übertragen. Und wir? Jegt find wir die stärkste. Warum tommen wir nicht an die Reihe, wir die das Rezept der neuen Staatsführung und der Wirtschaftshebung unter unserem Herzen tragen? Herr Reichspräsident, laden Sie nicht den Schein der Parteilichkeit auf Ihr greises Haupt! Stoßen Sie die aufbauwilligen Kräfte nicht zurück. Wir wünschen, wir verlangen, wir fordern für unseren Führer das gleiche Recht, das Sie Her mann Müller 1928 gewährten.
Und der Reichspräsident ließ sich erweichen. Ließ sich erweichen, obwohl die Herrschaften schon merklich auf dem abstürzenden Ast saßen. Obwohl ihnen in drei Monaten schon zwei Millionen Wähler davongelaufen waren. Er rief Herrn Hitler , der eiligst dahergeflogen fam, und setzte ihm eine Stunde lang seine Absichten auseinander. Er gab ihm den so heiß ersehnten Auftrag, sich wie seinerzeit Hermann Müller um eine Mehrheitsregierung zu bemühen. Doch der Führer" hatte nicht richtig verstanden. Er mußte noch einmal fragen schicken: wie ist das alles gemeint? Er stellte Rückfragen, Gegenfragen. Nachsichtig und hilfsbereit wurden auch sie beantwortet. Jezt fann's losgehen mit der Kanzlerschaft, dachten die Getreuen und hingen die ersten Fahnen heraus, sandten Herrn Reichsfanzler Adolf Hitler " die ersten tiefgefühlten Glückwunschtelegramme.
Aber die Freude kam zu früh. Der Führer beißt nicht an. Er kann nicht, er will nicht? Er geht zu den ,, Meistersingern ", da ist es kurzweiliger. Inzwischen schwitzen die vereinigten Unterführer stundenlang und schreiben Blatt um Blatt, warum ,, Er" nicht kann. Unmöglich ist die Mehrheitsbildung unter sotanen Umständen. Unmöglich ehe er es ernstlich versuchte. Ehe er alle gefragt, die dabei mittun sollten oder wollten.
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Der Wunsch von tausend Plakatsäulen ist erfüllt, der Auftrag ist erteilt- aber der Führer fann nicht, die ihm gestellte Aufgabe ist zu schwer, ist unmöglich zu lösen. Für den großen Mann, der die ganze Welt umfrempeln, der ein neues Reich heraufführen, der die Wirtschaftskrise lösen will aber tein Rabinett zu bilden sich getraut.
Das Eingeständnis fällt den Seinen schwer. Sie müssen eine Hintertür suchen, damit die schnelle Flucht nicht vor aller Augen geschieht. Und deshalb schreiben sie Blatt um Blatt. Man könne es vielleicht auf andere Weise versuchen. Mit der Harzburger Front, mit einer neuen ,, nationalen Konzentration", mit einem Präsidialkabinett nach der Art des so viel geschmähten Herrn Brüning . Für so etwas würde sich Herr Hitler und seine ganze Bewegung" freudig zur Verfügung stellen. Hofft er, daß der alte Herr dies Spiel nicht weiter mitmacht? Ist das neue Angebot nur für den männlichen Abzug bestimmt? Fast muß man es glauben, denn noch vor den letzten Wahlen versicherte Herr Hitler :
,, Das hätte den Herrschaften so passen fönnen, uns am 13. August mit ein paar Ministerstühlen abzuspeisen und damit die größte Einigungsbewegung des deutschen Volkes zu zerstören." Jetzt will er sich abspeisen, feine schöne Be