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SCHICKSAL

26]

MASCHINE

ROMAN VON STEFAN POLLATSCHEK

6.

( Copyright Saturn- Verlag.)

Weltlin erhielt eine Nachricht von Crusius. Er schrieb, daß er nur ungern die selbst­gewollte Ruhe und Abgeschiedenheit des Freundes störe, aber abgesehen von dem Be­dürfnis nach einem Wiedersehen, gäbe es doch eine Reihe Dinge sowohl geschäftlicher als auch privater Natur zu besprechen. Weltlin erwiderte sofort: er wüßte zwar nicht, welche geschäftlichen Angelegenheiten einer Erörterung bedürften, da er sich doch von allen Geschäften zurückgezogen habe. Gern wäre er sofort zu seinem alten Freunde geeilt, doch da er nicht an sein früheres Leben erinnert werden wolle, bitte er Cru­fius recht sehr, sich zu ihm zu bemühen.

Wenige Tage nachher schritt Crusius der Behausung Weltlins zu. Er hatte den Wagen weggeschickt und ging eine Strecke des Weges zu Fuß. Durch dumpfe, enge Vorstadtgassen, die er jahrelang nicht be= treten hatte, führte der Weg. Welche Arbeit wäre hier noch zu leisten! Wie hausen diese Menschen! All das paßt doch gar nicht mehr in unsere Zeit! Er entsann sich eines Projektes, das ihm einmal ein junger Frankfurter Architekt vorgelegt hatte. Im Gehen sah er das Gesicht dieses Mannes, die hagere Gestalt, die hohe, gewölbte Stirn, das lebhafte Auge. Seine ein wenig deklamie­rende, im Affett fingende Stimme hörte er wieder: Niederreißen müßte man erst alles Alte, Vermorschte; diese grauen Zinshäuser, die so enge beisammen stehen, daß man ein­ander in die Zimmer sehe; dann erst könne man aufbauen. Und Crusius sah die genialen Pläne und Entwürfe des jungen Mannes, der da neue Städte aus der Erde stampfen wollte, wieder vor sich, und er hörte wieder die fingende Stimme: Noch immer wisse die Menschheit nicht, wie wichtig das Wohnungs­problem sei; nicht etwa Dom hygienischen Standpunkt aus, sondern vor allem aus sozialen und politischen Gründen. Wäre der Kapitalismus nicht so gottverdammt dumm, so würde er die schönsten Wohnungen für arme Menschen bauen, denn der Mensch, der seine Behausung liebt, fönne niemals um­stürzlerisch sein, der hänge dann an seinem Heim, die Wohnung mache ihn allein schon zum Reaktionär... Crusius stand und be­trachtete finnend die Spiele dieser lärmen­den Vorstadtjugend. Er stand und horchte und verstand dennoch kein Wort, der Dialekt war ihm fremd, er glaubte sich in einer fremden Stadt. Und wieder entsann er sich eines Spazierganges mit dem jungen Archi­tekten durch eine Vorstadtgasse wie diese, und er hörte die Stimme des jungen Mannes, der fast prophetisch ausgerufen hatte: ,, Nur von einem dieser schmutzigen Gaffenbuben fann unser Heil kommen! Unsere Schichte ist sterbenstrant, mir bringen keine großen Menschen mehr hervor!" War dies richtig? Galt nicht er selbst, Crusius, als ein bedeu­tender Mann und stammte doch aus einer anderen Schichte? Nahm man nicht jede feiner Handlungen, jede Frucht seines Geistes als einen Fortschritt, als ein Geschenk der Entwicklung hin? Ronnte er eine Zeitung aufschlagen, ohne seinem Namen, seinem Bildnis zu begegnen?

Aber wozu führten all seine Leistungen? Waren es nicht jene hier, die große Menge, die seine Taten negierten, seinem Namen fluchten, waren es nicht jene, auf die es an­fam, die er um Brot und Arbeit brachte? Dummes Gewäsch! Gerade für die wollte er doch ein fröhlicheres, freieres, ungebundenes Leben!... Befangen und mit stärker flop­fendem Herzen schritt Crusius die Stufen des ärmlichen Hauses empor; was für ein Wiedersehen stünde ihm bevor? Wie würde er den alten Freund wohl finden?

Eine alte, verwahrloste Frau öffnete und führte ihn ins Zimmer. Fast hätte Weltlin den Eintretenden nicht bemerkt. Er saß vor dem Tisch. Aus einem Stoß von Zeitungen machte er Ausschnitte, und eine grüne, start angeschwollene Aftenmappe lag vor ihm.

,, Störe ich?" fragte Crufius und ärgerte sich der dummen Redensart. Bligartig ging es durch seinen Kopf: Daß doch die Phrase immer stärker ist als wir selbst, sie besiegt uns immer!... Doch Weltlin sprudelte her­vor: Nein, durchaus nicht, Crusius! Du findest mich hier nur bei einer Spielerei." Eine Sammlung wohl?"

" Ja, eine merkwürdige Sammlung. Ich

habe jetzt wenig zu tun und da sammle ich die Verbrechen unserer Zeit."

,, Wie ist das? Was sammelst du?"

,, Hast du noch nicht bemerkt, daß unsere Beit ganz eigenartige Verbrechen hervor­bringt, Verbrechen, die es sonst nicht gab? Verbrechen, die ohne ersichtlichen Anlaß, ohne verständlichen Zweck begangen werden? Ja, darüber wäre wohl einiges zu sagen! Siehst du, die Berichte über solche Verbrechen sammle ich hier, meine Sammlung ist schon ziemlich reichhaltig. Nun, ein andermal mehr hierüber." Und Weltlin nahm die Mappe und Zeitungen und sperrte sie in eine Lade; seine Augen leuchteten seltsam... Dann saßen sich die beiden Männer gegenüber und sprachen, beide befangen, belanglose Worte. Vorsichtig, von der Seite her, betrachtete Crusius den Freund. Der ganze Mensch, Haltung und Gefichtszüge, alles hatte sich verändert, stellte er fest, frischer, lebendiger

ist er geworden, nein, das war nicht der geistig verwirrte Mensch, als den man ihn schilderte... Nach einer Weile begann er dann zögernd und tastend: Er sei gewiß nicht aus Neugierde gekommen, er habe viel zu großen Respekt vor jeder ernsten Hand lung und Kundgebung eines Menschen, um ihm mit Fragen lästig zu fallen. Jede Tat schließe ihre Notwendigkeiten in sich ein, denn sonst wäre sie wohl nie entstanden, und das Wichtigste sei nur, daß der Mensch, der diese Tat gesetzt, sie vor sich selbst verant­worten fönne und sich dabei wohl befinde. Nein, hierüber wolle er nicht sprechen, zumal fast jede Rede nur ein Zerreden, jede Er­flärung einer Tat oft nur ihre wahren Mo­tive verdunfle; fein Wort also hierüber! Er freue fich, seinen alten Freund wohlauf zu finden und damit sei der wichtigste Zweck seines Besuches erfüllt! Wenn sein Kommen sonst noch einen Grund hätte, so sei es der, daß wohl auch noch etwas Geschäftliches zu besprechen sei. Trotz der schriftlichen Pro­testes Weltlins lasse sich dies nicht leugnen. Da sei die Fabrik...

-

,, Ich sagte und schrieb schon, daß ich nie wieder etwas davon hören will", sagte Weltlin ruhig, aber sehr energisch.

,, Ja, ja, gewiß", entgegnete Crusius, ,, dennoch aber sei die Fabrik Weltlins Eigen­tum..."

,, Die Fabrik hat nur noch nominell und durch deine Freundschaft mir gehört, in

Wirklichkeit war es dein Geld, das den Be­stand dieser Fabrit rettete. Bitte, verschone mich mit dem...!"

Ja, es liege in seiner Absicht, fuhr Crusius fort, nur das Notwendigste zur Sprache zu bringen, aber er selbst, Crusius, habe sich doch nie um die Fabrik gefümmert, habe alles Weltlin überlassen, er verstünde auch nichts vom Geschäftlichen, und nun stehe das Unternehmen ohne jede Aufsicht und Leitung da...

,, Das ist mir alles ganz gleichgültig!" Weltlin schrie es fast, erhob sich und rannte mit großen Schritten auf und ab: ,, Ich will nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nichts mehr wissen von dieser Hölle! Ich habe aus­drücklich und in rechtlicher Form auf alles verzichtet; der bloße Gedanke an die Fabrik bringt mich zur Raserei. Macht was ihr wollt!"

Das sei leicht gesagt, versezte Crusius gütig. Aber gewisse Agenden seien doch aus­schließlich durch seine, Weltlins, Hände ge= gangen, da feien unerledigte Dinge, Knoten, die niemand anderer entwirren könne...

,, So verbrennt die Fabrik", rief wütend Weltlin, verbrennt sie, verkauft sie, macht eine Attiengesellschaft aus ihr. Aber laßt mich aus dem Spiel!"

Ob das nicht ein wenig leichtfertig sei? fragte die ruhige, besonnene Stimme.

Der Fall Nicolo

Politische Novelle/ Von K. R. Neubert

Diese Vorgänge ereigneten sich in einer italienischen Stadt, in faschistischen Kreisen, aber es wäre verfehlt, sie lediglich als Charakteristikum für die seelisch- geistige Struktur einer gewissen faschisierten Jugend zu werten. Diese Vorgänge können sich täglich auch in Leningrad oder in Berlin ereignen. Sie geben ein kleines Bild von dem revolutionären Geist ob nun natio­

nalistisch oder international- der teine Kom­promisse fennen will, der aber leider auch in den fanatischen Hirnen und Herzen feinen Raum mehr läßt für die Regungen einer parteilofen, allein auf Gerechtigkeitsfinn und Menschenwürde ba fierenden Humanität.

Ein Flüchtling

An einem Novemberabend faß der Student und Führer in der Jugendbewegung Nicolo allein in seinem Zimmer. Er war mit einem jerer Bücher beschäftigt, aus denen der italienische Bürger oft zum eigenen Erstaunen und nicht zu­legt das neugierige Ausland die Segnungen der faschistischen Wirtschaft erfährt. Nicolo war kein unkritischer, wahnbefangener Mensch. Er hatte sich schon oft eine selbständige Meinung erlaubt und Differenzen mit seinen Parteistellen gehabt. Er selber diente seiner Bewegung in so ehrlicher Ueberzeugung, daß er gar nicht auf die Idee fam, man tönnte aus solchen gelegentlichen, nur seiner inneren Wahrhaftigkeit entsprungenen Differenzen auf wankende Gesinnungstreue schließen. Andere schmiegen, ließen Unrecht geschehen, und wenn sie doch heimliche Gewissenstonflikte hatten, ent­schuldigten sie sich vor sich selbst mit dem eisernen 3wang der Partei, mit dem Wohl des Vater­landes. Nicolo redete. fämpfte gegen offenbares Unrecht, wollte verhindern, ausgleichen, erziehen.

An diesem Novemberabend entstand auf der Straße, an der Nicolos Haus lag, ein heftiger Streit. Man hörte zornige Stimmen, Flüche. Nicolos Zimmer lag parterre, er war eben im Begriff, das Fenster zu öffnen, um zu sehen, was das Geschrei zu bedeuten habe, als plötzlich hastig gegen seine Tür gehämmert wurde. Die Stimmen auf der Straße schienen nähergekommen zu sein. Nicolo hörte Rufe wie: Schlagt den Hund tot!" Er muß hier in ein Haus geflüchtet sein!" ,, Der Kerl darf uns nicht entwischen!"

Das Klopfen wurde dringender, verzweifelter, Nicolo ahnte auf einmal den Zusammenhang mit dem Auflauf auf der Straße: das war der Hund, den sie totschlagen wollten! ,, Bei Gott , helfen Sie mir!" rief die Stimme hinter der Tür. Nicolo öffnete entschlossen. Ein Mann in Arbeitskleidung stürzte herein. Leichenblaß.

,, Was ist denn los? Erklären Sie mir...!" sagte Nicolo erschrocken. Die Leute auf der Straße hatten sich noch nicht beruhigt, einige schienen das gegenüberliegende Haus abzusuchen.

,, Sie werden mich hier entdecken!" jammerte der Mann. ,, Helfen Sie mir!"

,, Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir zunächst sagen, um was es fich handelt."

Der Mann atmete schwer. Furchtsam lauschte er

auf die Straße hinaus. Klangen nicht schon Schritte im Hausflur?

,, Den Hund schlagen wir tot!" rief eine Stimme ganz deutlich ins Zimmer herauf. Der Mann fuhr zufammen. Mein ganzes Verbrechen ist... Ich habe einem Händler die Zeitungen aus der Hand geriffen. Die Schlagzeile hat mich maßlos gereizt. Und Mussolinis Bild. Ich bin Sozialist, arbeitslos, meinen Bater haben sie vor acht Jahren an die Wand gestellt. Warum? Herr, warum? Fragen Sie Mussolini . Ich habe heute wieder daran denten müssen, als der Zeitungs­händler die neueste Großtat des Allmächtigen aus­pofaunte. Da hat mich die Wut gepact, die But."

Er ballte die Fäuste. Er stand nicht mehr geduct da, sondern gestrafft, als würde er sich jeden Augenblid wieder auf einen Gegner werfen. Aber diese Verwandlung durch den Haß dauerte nur Sefunden, dann tam die Angst wieder und machte ihn flein, mitleiderregend.

,, Sie haben mich verfolgt. Sie wollen mich Innchen. Ich kann... ich will..." Er zitterte an allen Gliedern. ,, Kriechen Sie unters Bett!" sagte da Nicolo. Sein Gesicht war starr.

Er erkannte in aller Klarheit, was er tat. Und was er noch tun würde. Tun müßte.

Eine stärkere Macht war in ihm, der er folgen mußte.

,, Und die Partei?" fragte eine Stimme in ihm. ,, Und das Laterland?" grollte sie stärker. ,, Und die Gesetze?"

Die Partei, das Baterland, die Geseze ver­langten es, den Mann auszuliefern. Deffne das Fenster, Nicolo, und rufe deinen Freunden zu, heraufzukommen und den Gesuchten abzuholen. Er hat den Duce geschmäht! Er ist ein heimlicher Feind unserer Ordnung:

Er hat kein Vaterland!

Kein Vaterland! Wer sagte das? Sagte das Nicolo? Er, Nicolo? Nein, das waren Stimmen seiner Freunde in den Klubs, in Versammlungen. Schreiende, fanatische, überhebliche Stimmen. Aber dann waren sie plötzlich still, stumm, weit weg, als Nicolo zu dem Mann unter dem Bett fagte: Ziehen Sie das Knie an. Man sieht Sie sonst!"

Die Menge

Die Menge auf der Straße mar immer noch in Bewegung. Die zornige Stimme des Zeitungs­händlers war zu hören. Er bauschte die kleine, bedauerliche Sache gehörig auf. Ein Schwall von Drohungen tam aus seinem Munde. Drohungen, die von ein paar in der Nähe stehenden Schwarz­hemden hilfsbereit aufgenommen wurden. Nicolo erkannte seinen Freund Batist unter den Männern. ,, Er kann doch nicht vom Erdboden verschwun­den sein!" sagte jemand. ,, Er ist hier in ein Haus gelaufen. Wir wollen mal hier drüben nachsehen." ,, Bei Nicolo ist Licht. Vielleicht hat er was bemerft!" meinte Batist.

Der Zeitungshändler und Batist führten die Menge an, die jetzt in das Haus drang. Nicolo fühlte, wie er zu zittern begann, aber er öffnete

( Fortsetzung folgt.)

die Tür und trat auf die Treppe hinaus. ,, Wen sucht ihr?" fragte er.

,, Einen von den roten Hunden, die immer noch frei herumlaufen!" sagte der Zeitungshändler.

,, Wir wollen ihn ein bißchen halbtot prügeln, damit er einen Denkzettel hat," ließ sich Batist mit tiefem Baß vernehmen. ,, Das Schwein hat feine rote Gesinnung enthüllt und' ne Brandrede gehalten. Im Suff hat er einem Zeitungshändler hier an der Ede' n Paket Mussolinialben aus der Hand gerissen."

Der Zeitungshändler war ganz oben angelangt und beugte sich über das Geländer. ,, Nichts!" schrier er enttäuscht. ,, Nichts!" feuchte Batist die Treppe herunter. Seine Stiefel tnarrten schlecht gelauntend segag& Acc

Eine Auseinandersetzunge Aufatmend schloß Nicolo die Tür. Er fah von der Tür aus unter das Bett, man sah nichts von dem Mann. In diesem Augenblid haßte er ihn. Er wurde unsicher. Die stärkere Stimme seines Innern schwieg. Nichts war da als Zweifel, An­flage, Zerwürfnis.

,, Schließlich trieben mich nur fleinbürgerliche Reffentiments!" dachte er, die Erzählung von dem an die Wand gestellten Vater hat mich be­zwungen. Schließlich haben meine Freunde wirf­lich Recht, die mir Schwäche vorwerfen. Und Batist ist der Größere, meil er dem Manne die Knochen im Leibe zerschlagen hätte." Der Mann unter dem Bett rührte sich noch immer nicht. Nicolo sah vorsichtig aus dem Fenster. Es standen noch einige Leute auf der Straße. Nicolo spürte die Trockenheit seines Gaumens, ging zur Kommode und goß sich ein Glas Wasser ein.

,, Aber schließlich," dachte er danach und fühlte seinen Mut zur Tat wiederkehren, es war nun auf einmal fein Zweifel mehr da ,,, wahr ist, daß ich einem Menschen so gut wie das Leben ge= rettet habe. Sie hätten ihn vielleicht zum Krüppel geschlagen. Und warum? Warum?

In diesen Ueberlegungen fand er alle Argu­mente, die für ihn sprachen.

,, Mit Menschen wie Batist kann man einen Marsch auf Rom unternehmen," dachte Nicolo und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, als hätte er den Mann unter dem Bett vergessen, ,, aber um einen Kulturstaat auf weite Sicht auf­

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