Abend- Ausgabe
Nr. 562 B 273 49. Jahrg.
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BERLINER
VOLKSBLATT
DIENSTAG
29. November 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe
Hentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Marmierende Gerüchte!
Die für heute vormittag von dem Reichswehrminister vorgesehene Besprechung mit den nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Straßer und Frid ist im letzten Augenblick von den Nafionalsozialisten abgesagt worden. Das ist gleichbedeutend damit, daß die Hoffnungen des Generals v. Schleicher auf eine Unterstützung der Waffenstillstandsidee durch die Nationalsozialisten fich als irrig erwiesen haben.
Plötzlich ist Papen wieder aus der Bersenkung aufgetaucht. Man rechnet damit, daß er noch heute den Auftrag erhält, ein Kampf. fabinett gegen den Reichstag zu bilden. Dies kampffabinett soll den Reichstag fofort nach feiner Konftituierung mit Hilfe des Artikels 48 bis auf weiteres vertagen. Das wäre offener Berfassungsbruch!
In der Umgebung des Reichspräsidenten rechnet man für heute ebenfalls mit der Wiederernennung des Herrn v. Papen zum Reichsfanzler. Man erklärt hier jedoch, daß darüber, ob der Reichstag auf Grund des Artikels 48 vertagt werden solle oder nicht, noch keineswegs eine Entscheidung gefallen sei.
In unterrichteten Kreisen nimmt man an, daß man nicht den Zusammentritt des Reichstages auf Grund des Artikels 48 hinauszögern würde, da die konstituierende Bersammlung des Reichstages eine Muß- Vorschrift der Reichsververfassung iff. Vielmehr würde es dann wahrscheinlich wieder zu einer Auflösung des Reichstages kommen. Für diesen Fall allerdings bestehen Erwägungen, ob nicht angesichts des ,, Notstandes" die Neuwahlen um einige Zeit verschoben werden können. Auch das wäre Verfassungsbruch! Kombinationen um das neue Kabinett
Die neue Regierung Papen dürfte eine wesentlich andere Zusammensetzung aufweisen als das erste Kabinett Bapen. Es ist damit zu rechnen, daß der Reichsinnenminister, der Reichsernährungsminister und der Reichswirtschaftsminister der zweiten Regierung Papen nicht mehr angehören werden.
Als Innenminister der zweiten Regierung Papen wird der gegenwärtige stellvertretende Reichskommissar von Preußen Bracht genannt. Bracht soll zugleich das preußische Ministerium des Innern verwalten. Der Kampfcharakter der zweiten Regierung Papen würde damit noch aus= geprägter zutage treten!
Noch eine Fühlungnahme mit Hitler?
Hitler wird heute nachmittag in Berlin antommen, um eine Unterredung mit Schleicher zu führen. Erst nach dieser Unterredung wird eine Entschließung erwartet.
Große Hoffnungen auf die Unterredung mit Hitler hat man in politischen Kreisen allerdings nicht,
und man rechnet allgemein damit, daß morgen Reichskanzler von Papen erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird,
da man die Autorität Schleichers als Reichswehrminister in Hinsicht auf die Möglichkeiten ernster Ereignisse des kommenden Winters nicht unnötig belasten will dadurch, daß man ihn auch zum Kanzler macht.
Nationalsozialisten
gegen Tolerierung Schleichers
München, 29. November. Unter der Ueberschrift„ Die NSDAP . wird ein Rabinett Schleicher nicht tole= rieren" bringt der Bölkische Beobachter" an
der Spize des Blattes einen Artikel, worin es heißt:
,, Unsere Stellung zu einem eventuellen Reichstanzler von Schleicher ist so eindeutig wie möglich. Die NSDAP . wird ein Kabinett Schleicher eben= sowenig tolerieren wie das Unheilfabinett von Papen. Die Gründe sind die gleichen. Man kann nicht eine fleine Clique Diftatur über Deutschland spielen lassen. Ein Ausnahmezustand gegen den Nationalsozialismus wäre eine Herausforderung der gesamten Nation. Ein Kanzler, der das täte, würde sich außerhalb der Verfassung stellen, selbst illegal werden."
Heute noch nicht!
Zu den Mitteilungen über die Wiederbetrauung Papens wird von zuständi ger Seite erklärt: Es ist richtig, daß
Finanzwelt fürchtet nicht mit Unrecht schwierige Konflikte und Verwicklungen zwischen Volks= vertretung und Kabinett.
Bei äußerst kleinem Geschäft sanken die Kurse auf dem Rentenmarkt im Durchschnitt um ½ Prozent. Von den führenden Aktienwerten war Sie= mens mit 118 gegen 120 schärfer gedrückt. Auch JG. Farben lagen mit 94% sehr matt. Die Stimmung verschlechterte sich noch durch das weitere Abgleiten des Pfundkurses, der gegen % 1 Uhr auf 13,43 Mart geschäzt wurde. Die amtliche Notiz wird erst später festgestellt, jedoch glaubt man, daß diese infolge ungünstiger NewYorker Meldungen noch tiefer liegt. Der eng lische Schilling, der unter dem Goldstandard 1 Mark entsprach, ist damit bis auf 65,9 Goldpfennige gefallen.
Bapen nicht!
Eine Warnung
in entscheidender Stunde
Es heißt, daß die Wiederernennung des Herrn von Papen zum Reichskanzler unmittelbar bevorsteht.
Im Namen der Sozialdemokratischen Partei erheben wir gegen diesen Plan in letzter Stunde den entschiedensten Einspruch und sprechen die schärfste Warnung
aus.
Die Sozialdemokratische Partei hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten mit ihrer ganzen Kraft für die Erhaltung des deutschen
die Unterredung des Reichswehrministers Sturm in den Betrieben! Staatswesens eingesetzt. Die Opfer, die sie
mit den Abgeordneten Straßer und Frick nicht erfolgt ist. Die Besprechungen des Reichswehrministers gehen jedoch programmäßig weiter. Ihre Aus. sichten sind noch nicht abzusehen. Jeden falls ist es in keiner Weise richtig, daß die Entscheidung für ein Kabinett Papen schon gefallen wäre. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß heute noch keine Entscheidung getroffen wird.
Bapen drückt die Kurse
Börsenrückschlag wegen des
Kampfkabinetts
Die seit Tagen anhaltende freundliche Grundtendenz an der Berliner Börse erlitt heute auf die Nachrichten über die Bildung eines Kampffabinettes unter Führung eines Reichskanzlers von Papen einen scharfen Rückschlag. Die
Gewaltige Erregung in der ganzen
Stadt
Die Nachricht, daß eine Wiederbeauftra gung des Herrn von Papen bevorstehe, hat heute mittag in Berlin ungeheure Bewegung hervorgerufen. Unsere Redaktion wurde telephonisch mit Anfragen best ürmt, ob diese unerhörte Nachricht richtig sei. Namentlich aus den Betrieben wurde bei uns angefragt mit dem Hinweis darauf, daß diese Nachricht, die sich sofort auch in den Betrieben herumgesprochen hat, ungeheure Erregung bei der Arbeiterschaft ausgelöst haben. allen Seiten wurde versichert, daß eine Wiederbeauftragung Papens als schwerste Provokation der Arbeiterschaft empfunden werden würde!
Der demokratische Senator Harrison, der Borfizender des Finanzausschusses des neuen Bundeskongresses sein wird, führte im Rundfunk aus: Die gesamten Schulden Ameritas, Englands, Frankreichs , Deutschlands und Italiens betragen etwa 65 Milliarden Dollar. Zieht man hiervon die Vorkriegsschulden ab, so verbleiben etwa 54 Milliarden aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Deutschlands Anteil daran beträgt etwa 1 Proz., der Frankreichs 8 Proz., Italiens 2 Broz., Ameritas 39 Proz. und Englands 50 Proz.
Das Ergebnis völliger Streichung der Kriegsund Nachkriegsfchulden wäre phantastisch. Deutschland würde, weil fast schuldenfrei, einer der hauptsächlichsten Konkurrenten der
Welt sein,
und man müßte auch mit Frankreich und Italien rechnen. Die amerikanische Regierung habe die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die amerikanische Jugend nicht zum Sklaven gemacht werde Man muß die Möglichkeit untersuchen, die englischen Zahlungen in gewissen Roh= stoffen, wie Gummi, usw. zu leisten, bevor man eine Schuldenstreichung genehmige. Es werde schwer sein, das amerikanische Volk davon zu überzeugen, daß es bei Goldzahlungen besser
daran wäre.
Zu diesen Erklärungen des Senators Harrison ist zu bemerken, daß selbst durch eine
Streichung der amerikanischen Nachkriegsschulden Deutschland noch lange nicht schul= Der Baseler Sachdenfrei gemacht würde. Der Baseler Sachverständigenausschuß hat noch im Dezember 1931 ausdrücklich festgestellt, daß von den amerikani schen Krediten 10,3 Milliarden Mark als Reparationszahlung wieder hinausgegangen sind. Deutsch land hat also auch in Zukunft eine mindestens verstedte politische Schuld zu tragen. Datommt auch noch der Vertrag von Lausanne Außerdem sind für die Konkurrenzfähigkeit einer Volkswirtschaft nicht nur die politischen und sonstigen Schulden maßgebend, sondern ihre Kraft überhaupt. Da aber kann gar keine Rede davon sein, daß Deutschland gegenüber allen anderen Ländern als der stärkste Konkurrent auftreten fönnte.
Pfund- Schutz
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London, 29. November.
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3 Millionen Pfund in Gold sollen von London nach Amerika verschifft worden sein. Es wurde hieraus der überstürzte Schluß gezogen, daß sich die englische Regierung der Kriegs schulden an Amerika und zwar in Gold entschlossen habe und diese Sendung die erste Rate sei. Eine endgültige Erklärung über den Charafter der Goldsendung war nicht erhältlich. Man glaubt, daß sie für die Zentralbank eines europäischen Landes ausgeführt wurde. ,, Daily Telegraph " zufolge sei es möglich, daß die Goldsendung aus Gründen der Vorsicht und Borbereitung erfolgt sei.
gebracht hat, geben ihr das Recht, in diesem Augenblick, der über das Schicksal des deut schen Volkes entscheidet, die deutlichste Sprache zu führen.
Es darf nicht sein, daß Deutschland durch Mangel an politischem Sinn, durch störrischen Eigensinn und Verblendung noch einmal in den Abgrund gestoßen wird!
eine
Papens Wiederernennung wäre Kriegserklärung an das deutsche Volk, eine Kriegserklärung gegen die Reichsverfassung, deren Wortlaut und Sinn nicht zuläßt, daß ein zweimal vom Volk verurteilter Reichskanzler im Amt bleibt.
Die innerpolitische Situation ist schwierig, gewiß! Aber wer die Geschichte einigermaßen kennt, der weiß, daß sta a tsmännisches Geschick auch schon mit schwierigeren Dingen fertig geworden ist. Ja, wer nur das Abc der Politik beherrscht, der wird bedenken, daß man in solchen Lagen wenigstens den guten Willen zeigen muß, einer Katastrophe aus dem Wege zu gehen und daß man nicht geradewegs in sie hineingehen darf.
Es mag sein, daß der nächste Kanzler, auch wenn er nicht Papen heißt, scheitern wird, und gewiß wird er mit der Opposition der Sozialdemokratischen Partei zu rechnen haben. Diese Opposition wird um so schärfer sein, je mehr der neue Mann die Neigung zeigen wird, den Papen- Kurs fortzusetzen. Auch in anderen politischen Lagern wird der Nachfolger Papens auf scharfe Gegnerschaft stoßen.
Aber Opposition ist eine normale Funktion des politischen Lebens, und politische Gegensätze sind noch keine Gefahr für die Existenz der Nation. Das werden sie erst, wenn sie durch eine unverantwortliche Politik der Herausforderung bis zu einer Schärfe gesteigert werden, die eine Entladung unvermeidlich macht.
Als eine solche Politik der Herausforde= rung und des Hinsteuerns auf eine Katastrophe, die bei einem Minimum politischer Einsicht und guten Willens zu vermeiden wäre, wird die Sozialdemokratische Partei die Wiederernennung Papens zum Reichstanzler betrachten müssen.
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Interessenten und Intriganten werden dem Reichspräsidenten einzureden versuchen, daß er solchen berechtigten Warnungen sein Ohr verschließen müsse, weil er einer Pression" nicht weichen dürfe. Das ist ja immer die Sprache aller Kriegshetzer gewesen, der Weltkriegshetzer wie der Bürgerfriegsheher. Der Generalfeldmarschall von Hindenburg ist aber nicht zum Präsidenten der deutschen Republik gewählt wor