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Morgen- Ausgabe

Nr.567 A 278 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

FREITAG

2. Dezember 1932

9

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 15 f.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Nicht Schleicher  , sondern Papen  ?

Die autoritäre Staatsführung fängt wieder von vorne an!

Die Krise des autoritären Kurses ist auch gestern nicht zu Ende gegangen. Gegen Abend fand eine neue Unterredung beim Reichspräsi­ denten   statt, an der sowohl Schleicher   als auch Papen   teilnahmen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, sie soll vielmehr erst heute am Spätnachmittag getroffen werden.

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Schleicher   steht jedoch nicht mehr im Vordergrund! Er soll sich geweigert haben, bei seiner Ernennung zum Reichskanzler das Wehrminifterium abzugeben. Es tauchte gestern das Projekt auf, an Stelle Schleichers Herrn von Papen zum Wehrminiffer zu machen. In­zwischen soll Schleicher   nicht mehr in Betracht kommen, sondern Papen soll Auftrag haben, bis heute nachmittag ein Kabinett aufzustellen.

Heute vormittag wird der Reichspräsident Herrn Hugenberg   empfangen. Das Streben

der Deutschnationalen geht dahin, ein kabinett zu erreichen, das dem ersten kabinett Papen  möglichst ähnlich ist, nur soll an die Stelle des Freiherrn von Gayl Herr Bracht treten. Die autoritäre Staatsführung fällt aus einer Kombination in die andere. Jetzt ist sie wieder bei Papen   angelangt trotz aller Warnungen, und obwohl feststeht, daß eine Wiederernennung Papens einer Kriegserklärung an das Bolk gleich­kommen würde!

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Das Durcheinander der Autoritäten" ist nicht mehr zu übertreffen!

Hugenberg   für Papen  

Die parteiamtlichen Mitteilungen der Deutsch­ nationalen Volkspartei   erklären ausdrücklich ent­gegen andersartigen Darstellungen über die Hal­tung der Partei gegenüber einem Kabinett Schleicher  , daß es sich um eine Kombination

England ist zahlungsbereit

Englisches Gold fließt nach Amerika  

Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

London  , 1. Dezember. Die zweite Note der britischen  Regierung zur Stundung der Dezemberrate der Kriegsschulden ist am Donnerstag in Washington   überreicht worden. Arbeiterpartei war an der Formulierung der Schuldennote nicht beteiligt. Alle gegen­teiligen Behauptungen find unwahr.

Die

Die drei Milliarden Pfund Gold­verladungen nach Amerika  , die schon im Gange find, sollen mit der Schuldenzahlung in feinem Zusammenhang stehen. Dagegen behauptet der Daily Herald", daß das Finanzministerium schon Vorkehrungen getroffen habe, um nötigen­falls die Goldladungen für die Schuldenzahlung bereitzustellen.

Die Kriegsschulden

Wieviel hätte Amerika  am 15. Dezember zu erwarten?

Die Rückzahlung von Kriegsschulden, die die Bereinigten Staaten am 15. Dezember formell zu erwarten hatte und deren Aufschiebung durch Frankreich   und England insbesondere gewünscht wurde, erreicht für alle beteiligten Länder die Summe von rund 125 Millionen Dollar. Für England waren 30 Mill. Dollar Kapitalrü­zahlung und 65,5 Mill. Dollar Zinszahlung, zu sammen also 95,5 Mill. Dollar fällig. Frankreich  ) schuldete 19,3 Mill. Dollar, Belgien   2,1 und Italien  1,2 Mill. Dollar. Der Rest kommt auf Polen  , die Tschechoslowakei  , Estland  , Finnland  , Lettland  . Litauen   und Ungarn  . Auf die fünf legtgenannten tommt insgesamt noch nicht eine Million Dollar. Polen   schuldete 4,4, die Tschechoslowakei   1,5 Mil­lionen Dollar. Fast sämtliche Länder haben einer Aufschub der Zahlungen verlangt. Amerika   hat generell die Leistung der Zahlungen gefordert. Die Folge ist bekanntlich eine neue Störung in der Weltwirtschaft, die sich besonders in der neuen Entwertung des englischen Pfundes ausprägt.

Frankreichs   Schmerzen

Paris  , 1. Dezember.

Der nationalistische Abgeordnete Marin hat am Freitag entgegen der Erwartung auf eine Debatte über seine Entschließung in der Schulden­frage bestanden. Da fich die Finanztommiffion

am Mittwoch für die Vertagung der Debatte aus­gesprochen hatte, fonnte Marin am Donnerstag­nachmittag in der Kammer keine Aussprache mehr über seine Entschließung selbst, sondern nur noch eine über die Festsetzung des Datums bean­tragen. Mit Hilfe der Geschäftsordnung gelang es aber, Marin zu Beginn der Sigung eine erste Niederlage zu bereiten.

Der Kammerpräsident wies darauf hin, daß der Antrag auf sofortige Beratung nur am Schluß der Sigung eingebracht werden könne; Marin be­stritt dies auf Grund anderer Paragraphen der Geschäftsordnung, bis schließlich Herriot   er­klärte, er nehme die sofortige Beratung an. Der Kammerpräsident machte nun darauf auf­merksam, daß die Debatte erst in einer Stunde beginnen könne. Eine neue Tagesordnung müsse erst öffentlich in der Kammer angeschlagen wer­den. Entweder müßte also die Sigung unter­brochen oder die Kammer könnte mit der Be­ratung der auf der Tagesordnung stehenden Inter­pellation beginnen und nach her den Antrag Marin diskutieren. Gemäß dem Wunsche Herriots entschloß sich die Kammer für das zweite Ber­fahren.

Außer Marin haben inzwischen auch der radikale Abgeordnete Hesse und der Abgeordnete Bernot, Vorsitzender einer Fraktion der Mitte, eine gemeinsame Entschließung über die Schulden­frage eingebracht, in der die Regierung aufge­fordert wird, die am 15 Dezember fällige Zah­lung zu vermeigern und mit Amerika   eine Regelung auszuarbeiten, die die Bezahlung der Schulden von den eventuellen Eingängen der deutschen   Reparationszahlungen ab hängig macht.

Rabaustudenten

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Neue Krawalle in Breslau  Eigener Bericht des Vorwärts" Breslau  , 1. Dezember. Am Donnerstag fladerten die Naziausschrei­tungen in der Breslauer Universität wieder auf. In der 11- Uhr- Bause begannen die Hakenkreuz­studenten auf dem langen Gang im ersten Stock des Universitätsgebäudes zu fingen und zu lärmen. Da der Krawall andauerte und die Ruheftörer troz der Aufforderung des Rektors der Universität Prof. Dr. Brodelmann nicht auseinandergingen, mußte ein starkes Polizeiaufgebot gegen die Tumultuanten eingelegt werden. Mehrere

handele, für die positive Unterlagen fehlten. Die DNBP. habe zu der neuen Lösung überhaupt noch feine Stellung genommen und habe stets betont, daß sie mit der Fortdauer eines Kabinetts von Papen, das wirtschaftlich im Gegensatz zu den Erfahrungen der letzten Monate eine flare und einheitliche Politik gewährleistete und personell gegen die gemachten Fehler gesichert, also ent= sprechend umgebildet sei, einverstanden gewesen wäre und die Gesamtdemission des Kabinetts stets für unnötig gehalten habe.

Hitler   schreibt schon wieder!

Wie die Telegraphen- Union erfährt, erklärte Adolf Hitler   in einem Brief an den Reichs­ präsidenten  , seiner Ansicht nach habe sich in der politischen Lage nichts geändert, so daß er seine Anwesenheit in Berlin   im gegenwärtigen Augen­blick für unnötig halte. Er halte feine dem Reichs­präsidenten brieflich gemachten Vorschläge voll auf­recht.

Studenten wurden festgestellt, außerdem wurde zahlreichen an den Ausschreitungen beteiligten Studenten die Studentenkarte entzogen. Als Haupträdelsführer wurde der Lokal­schriftleiter der Breslauer Nazizeitung, Heimut Likas, festgestellt. Professor Dr. Cohn, dem auch dieser erneute Krawall gelten sollte, konnte seine Vorlesungen in Ruhe fortsetzen, dagegen mußten mehrere Vorlesungen nach 12 Uhr abgesezt werden.

Wie die Universitätspressestelle mitteilt, wurden bei den erneuten Naziausschreitungen an der Breslauer Universität am Donnerstagmittag ins­gesamt 616 Studierenden die Studen­tentarten abgenommen. Bemerkenswert ist, daß an den Tumulten zwei farbentragende Ver­bindungen, die Turnerschaft Sulesia und die Burschenschaft   Germania   in Couleur beteiligt waren. Ferner wird nachträglich bekannt, daß während der Krawalle aus dem Haufen der randalierenden Nazistudenten mehrfach der Ruf laut wurde, man werde Professor Cohn totschlagen, wenn er nicht bald aus der Universität weiche.

Die abermaligen Ausschreitungen an der Uni­versität der schlesischen Hauptstadt werden allge­mein als Folge der unverschämten Hezzereien des Breslauer Hakenkreuzorgans betrachtet, das sich in seiner Mittwoch- Ausgabe in neuerlichen uner: hörten Ausfällen gegen Professor Dr. Cohn und die Universitätsbehörde ergangen hatte.

Klagges abgeblißt

Eigener Bericht des ,, Vorwärts" Braunschweig  , 1. Dezember Klagges ist heute abend bei den Studierenden der Technischen Hochschule abgeblitzt. Mit 219 gegen 184 Stimmen bei 14 Enthaltungen beschloß eine allgemeine Studentenversamm lung, sich hinter die Vorschläge des Rektors und Senats anf sofortige Asta­neuwahlen und auf Beibehaltung des bisherigen, von den Nazis für abgejezt erklärten Vorsitzenden Wrede zu stellen. Die Nazistudenten waren über ihre ihnen unerwartet tommende Niederlage fo mütend, daß sie unter Lärm und Hitler  - Gebrüll die Versammlung verließen.

Im Verlauf der stürmischen Bersammlung wurde auch ein Rechtsgutachten des deutschnationalen Professors Dr. Roloff und des Landsyndikus Klaue verlesen. Beide bezeichnen die Maß­nahmen des Rektors gegen die Nazistudenten als zu Recht bestehend und erklären insbeson dere die Amtsenthebung des Nichtsozialisten Wrede von seinem Amt als Afta- Borsitzender durch die Nazimehrheit als unzuläffig.

Fort mit Papen  !

Erschütternde Feststellungen der Gewerkschaften- Macht Schluß

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mit diesem System!

Der Brief der Gewerkschaften an den Reichswehrminister von Schleicher, den der Vorwärts" gestern abend veröffent lichte, hält sich in den Grenzen strengster Sachlichkeit. Er vermeidet absichtlich das all­gemein politische Gebiet, er sagt infolgedessen über das Verhältnis der Arbeiterbewegung zu einer etwaigen Regierung Schleicher   gar nichts. Er ist kein Katalog der Forderungen, die die Gewerkschaften erheben, er enthält natürlich erst recht nichts über die politischen Forderungen der Sozialdemokrati schen Partei. Der Brief beschränkt sich auf ein eng umgrenztes Gebiet, auf dem die Gewerkschaften ziemlich unumstritten zu­ständig und sachverständig sind. Gerade dies sichert ihm seine außerordentliche Wirkung.

Dieser Brief mit seinem bisher unbekann= ten geradezu sensationell wirkenden Material, seinen nüchternen, darum desto mehr über­raschenden Feststellungen ist ein Todes urteil über das ganze Papen  System. Wer diese trockenen Zahlen und Angaben richtig zu lesen versteht, liest aus ihnen den Banterotteines Systems, das im Interesse des deutschen   Volkes und der deutschen   Volkswirtschaft nur noch eines zu tun hat, nämlich ebenso schleunig wie reſt­los zu verschwinden.

Mit welchem Halleluja hatte die kapitalisti­sche Presse das Anfurbelungsprogramm" Papens   begrüßt. Welche Tänze um das Goldene Kalb wurden aufgeführt und wie stiegen an der Börse die Kurse. Ein Steuer­geschenk von 11 Milliarden an die Kapita­listen, 700 Millionen Prämien noch dazu für Mehreinstellung von Personal, schließlich die Ermächtigung zur Lohnsenkung bei Neuein­stellungen. Das sollte bedeuten 10 bis 12 Prozent weniger Lohn, das sollte be­deuten 4 Milliarden für die Privatwirt­schaft, das sollte bedeuten Neueinstel­lung von 13 Millionen Ar­beitern!

Das Ergebnis? Nach den Erhebungen des ADGB. bis zum 22. November 42 218 Neu­einstellungen. Das sind genau 2,4 Prozent der versprochenen 134 Millionen! Aber halt! Stehen diesen Neueinstellungen nicht noch zahlreichere Entlassungen gegenüber? Die Reichsanstalt meldet im November 150 000 Arbeitslose nicht weniger, sondern mehr! Trog Steuergutscheinen, troy Lohndruck­prämien! Trotz der 42 218 Neueinstellungen, die sich übrigens auf einen winzigen Teil der Betriebe 943 von mehr als zwei Millio­nen! beschränken, während die große Masse der Privatwirtschaft völlig unbewegt blieb, als hätte sie von einer Ankurbelung" überhaupt nichts bemerkt!

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Eine Regierung, die für ein solches Fiasko. die Verantwortung trägt, verdient nichts anderes als die fristlose Entlassung. Vor allem verdient fie der Hauptverantwort­liche, der Mann der Vorsehung und grund­sätzlich neuen Staatsführung. Grundsätzlich neue" Staatsführung fürwahr denn so etwas an Staatsführung ist überhaupt noch nicht dagewesen! Man muß, um den ganzen Unfug und das ganze Unheil dieser Art von Staatsführung zu begreifen, auch an die Passivseite des Ankurbelungsplans denken; nicht nur an die materiellen Schädigungen, die manche Ar­beiterkategorien durch den notverordneten Lohndruck erlitten haben, sondern auch an die moralischen Wirkungen, an die leichtsinnig und ohne jeden wirtschaftlichen Nuzeffekt her­beigeführte Ueberheizung des so­