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Morgen- Ausgabe

Nr.579 A284 49. Jahrg.

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Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

FREITAG

9. Dezember 1932

In Groß Berlin 10 Pf. Quswärts....... 15 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Krach in der Hitler - Partei

Die schwarzbraunen Verhandlungen um Preußen stocken

Göring als Ministerpräsident vorgeschlagen- Straßer in Krankheitsurlaub geschickt

Die Reichspressestelle der NSDAP . teilte gestern abend ganz überraschend ein ganz feierlich ge­haltenes Bulletin mit:

..Parteigenosse Gregor Straßer trift mit Genehmigung des Führers einen krant. heitsurlaub von drei Wochen an. Alle weiteren daran geknüpften Gerüchte und Sombinationen sind unzutreffend und entbehren jeglicher Grundlage."

Was war plötzlich geschehen? Herr Straßer ist am Mittwoch noch in bester bayerischer Gesundheit im Reichstag gewesen. Welche von Hitler ge= nehmigte" Krankheit hat ihn plöglich überfallen, mas find das für Gerüchte, die so eilig und eifrig dementiert werden, obwohl sie noch nicht einmal ihren Weg in die Presse gefunden haben?

Dieser diplomatische Krankheitsurlaub bedeutet einen Schlag gegen den koalitionsbereiten Flügel in der NSDAP . um Straßer und Frid. Seit den Tagen des Kaiserhofbriefwechsels wird zwischen diefer Richtung und der Don Goebbels und Baring geführten Richtung gerungen. Straßer und rid mollen offen Frieden mit Schleicher machen, Goebbels und Göring pertreten die Ansicht, daß die NSDAP . nur eine Reichsregierung unterstüßen dürfe, in der Hitler Reichstanzler fei. Goebbels hält Hitler im An­griff" täglich auf seinem punftierten letzten Vor­fchlag an Hindenburg fest.

Die Preußenfrage

PP

Daß Straßer , der ursprüngliche Vertreter des Radikalismus in der NSDAP. , zum toalitions bereiten Flügel gehört, hat seinen guten Grund.

Er meiß als Organisationsleiter nur zu gut, wie schlecht es um die organisatorischen Verhältnisse der NSDAP . bestellt ist.

Der Kampf der Richtungen hat auch in den Ber­handlungen um die Neumahl eines Ministerpräsi­denten in Preußen eine Rolle gespielt, die zwischen Zentrum und Nationalsozialisten geführt merden. Diese Verhandlungen scheinen ziemlich weit fort­geschritten zu sein.

Am Donnerstag hatte der Reichskanzler mit dem Führer der preußischen Zentrumsfraktion Dr. Lauscher eine längere Besprechung, die insbe­fondere der Frage galt, unter welchen Voraus­feizungen die Reichsregierung bereit ist, das Preußen- Kommissariat aufzugeben. Das Bestreben der Reichsregierung geht dahin, die National­sozialisten über Preußen zu ihrer Tolerierung zu 3mingen. Sie will das Preußen- Kommissariat nur aufheben, wenn der neu zu wählende preußische Minister= präsident zugleich dem Reichstabinett als Bizekanaler angehört und so der Reichspolitis von Breußen her teine Schwierigkeiten gemacht werden. Die bei den Nationalsozialisten non Gregor Straßer geführte Richtung ist bereit, den von der Schleicher- Regierung erstrebten Weg mitzugehen. Das Zentrum hat deshalb in den letzten Tagen versucht, Straßer für das Amt eines Ministerpräsidenten zu gewinnen.

Am Donnerstagabend schlugen nun die Na­fionalsozialisten offiziell Göring als kan­didaten für die preußische Ministerpräsidentschaft vor. Damit war in der NSDAP. der Straßer­Flügel auch in der Preußenfrage in den Hinter­grund gedrängt worden.

Kleinstaaten fordern Recht

Japan besteht auf seinem Raub

Genf , 8. Dezember.

Die heutige Sigung der Völkerbunds. versammlung brachte eine dramatische Zu­bigung des Konflikts, indem der japa­nische Delegierte Matsuoka sehr entschie­den gegen die Entschließung der spa­nischen, irischen, schwedischen und tschecho­slowakischen Delegation protestierte.

Diese Entschließung lautet in ihren wesentlichen Teilen:

Die Bersammlung stellt fest, daß die vom Bölkerbundsrat ernannte Untersuchungskommission in ihrem einstimmigen Bericht erklärt, daß bei den Streitfragen zwischen den beiden Parteien die Mittel friedlicher Streitregelung am 18. September 1931 nicht erschöpft waren, daß die Beziehungen zwischen China und Japan die eines verschleierten Kriegszu­standes sind und daß die von den japanischen Truppen seit dem 18. September 1931 unter­nommenen militärischen Operationen, die diese Zustände herbeigeführt haben, nicht als Not­mehrmaßnahmen betrachtet werden können. Sie stellt ferner fest, daß die Unter­juchungstommiffion in ihrem einstimmigen Be­richt erklärt hat, daß

ohne Kriegserklärung ein erheblicher Teil un­bestreifbar chinesischen Gebiets gewaltsam von japanischen Truppen mit Beschlag belegt und bejeht

worden ist, daß dieses Gebiet infolge dieser Maß­nahmen von dem übrigen China getrennt und für unabhängig erklärt morden ist. Sie ftellt außer bem fest, daß nach Erklärung der Untersuchungs fommission das gegenwärtige Regierungssystem in

der Mandschurei nicht als das Ergebnis einer spontanen und unbeeinflußten Unabhängigkeits­bewegung betrachtet werden kann. Sie stellt außerdem fest, daß das in der Mandschurei er­richtete Regierungssystem sich nur dank der An­mefenheit japanischer Truppen durchsetzen konnte.

Die Anerkennung des gegenwärtigen Re­gierungssystems in der Mandschurei ist daher mit den bestehenden internationalen Ber­pflichtungen nicht vereinbar.

Der japanische Delegierte Matsuoka , der außerhalb der Rednerliste das Wort erhielt, pro­testierte schärfstens gegen diese Entschließung und drohte ziemlich unverblümt mit dem Austritt Japans aus dem Bölfer= bund.

Rußland als japanisches Druckmittel

Genf , 8. Dezember. Während China sich zu Berhandlungen bereit erflärte, stellte Japans Bertreter in schärfster Form Japans Politik als seine Lebensnot­wendigkeit dar. Hätte Japan gewußt, daß Amerika dem Völkerbund nicht beitreten werde, wäre es ebenfalls draußen geblieben. Japan feien die Hände durch den Völkerbundspakt ge= bunden. Trotzdem stehe die Mehrheit des japanischen Boltes loyal zum Völkerbund, menn auch immer wieder Stimmen für den Aus­tritt laut würden.

Die Beziehungen 30 Somjetrußland hätten sich beshalb so gebessert, weil es Verständnis für Japans Borgehen in der Mandschurei gehabt und es unterstützt habe. Japan werde deshalb

Gleichzeitig wurde der von Hitler genehmigte ,, Krankheitsurlaub bekanntgegeben. Das heißt, daß Straßer als unbequem in den Urlaub ab= geschoben wird, daß er an dem weiteren Kuh­handel um Preußen nicht mehr beteiligt sein wird. Diese Abschiebung bedeutet eine schwere Des­avouierung von Straßer , der bisher der Kandidat der NSDAP . für die preu Bische Ministerpräsidentschaft mar.

Nach dem Vorschlag Göring soll nun der schwarzbraune Kuhhandel um Preußen wieder ins Stocken geraten sein.

Offener Führerkrach

Straßer ist am Donnerstagabend von Berlin abgereit. Die Gerüchte, die so eifrig und beflissen dementiert worden sind, besagten,

daß Straßer in einem Schreiben an den Partei­führer seine Parteiämter und sein Reichstags­mandat zur Verfügung gestellt habe, ohne je­doch aus der Partei ausgeschieden zu sein. Straßer habe diesen Schritt mit der von ihm nicht für richtig gehaltenen politi­schen Führung der NSDAP . be­gründet. Es hieß weiter, daß sich Straßer ins Privatleben zurüdziehen wolle.

Noch weitergehende Gerüchte bejagten, daß Straßer bereits seinen Austritt aus ber NSDAP . erklärt habe. Auf jeden Fall ist damit der Führerkampf in der NSDAP . öffentlich ge­worden. Alle trampfhaften Versuche, die Einig­teit der NSDAP. - Führer öffentlich zu beteuern, sind damit Lügen gestraft. Die Partei Hitlers iſt in einer tiefen inneren Krise.

in turzer Zeit einen Nichtangriffspakt mit Sowjetrußland abschließen können.

Ob Krieg oder Frieden zwischen Ja pan und USA . oder Rußland kommen werde, das habe der Völkerbund jetzt in der Hand und er trage die Verantwortung dafür. Ohne die nötige Biegsamkeit in der Auslegung des Paktes könne Japan nicht im Völkerbund bleiben. Die Wiederherstellung des früheren Zu standes in der Mandschurei sei unmöglich. Andere Völker hätten hier erklärt, ihre Lebenslinie fei der Völkerbund , Japans Lebenslinie sei die Mandschurei . Ein starkes Japan stabilisiere die Lage im fernen Osten, je de Ermutigung Chinas schwäche Japan . Sei aber Japan schwach, dann werde Rußland China bald an nettiert haben. Helfe die Weltmeinung jetzt nicht den Japanern, dann müßten sie sich freie Hand behalten und auf besseres Verständnis hoffen.

Eine solche Herausforderung stellt den Völkerbund verschärft vor die Frage von Sein oder Nichtsein. Das Büro der Vollversamm. lung will am Freitagvormittag einen Vorschlag für weitere Verhandlungen im Neunzehnerkomitee finden.

Auslieferung statt Asylrecht

Nach Reutermeldungen aus der Mandschurei follen die Sowjetbehörden den nach Sibirien ge= flüchteten chinesischen General Supengman und die ihn begleitenden Soldaten den Japa nern ausgeliefert haben. Der General foll so­gar schon zum Tode verurteilt worden sein. Nach einer Moskauer TU- Meldung hat jedoch die Sowjetunion dem internierten General Su­pingmen gestattet, nach Europa zu reifen. Der General äußerte den Wunsch, nach Moskau zu, reisen und von dort Deutschland und andere europäische Länder zu besuchen, darunter auch England. 3000 feiner Soldaten erhielten das Recht, sich in der Sowjetunion anzusiedeln

Für den Sozialismus

Die sozialdemokratischen Anträge im Reichstag

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat im neuen Reichstag eine große Anzahl von Anträgen und Gesezentwürfen einge­bracht, die alle ein gemeinsames Ziel haben: Gegen die Reaktion und für die Freiheit, gegen die Wirtschaftskrise und für Arbeits­beschaffung, gegen das kapitalistische System und für Sozialismus.

Für Recht und Freiheit

Der Kampf geht in unverminderter Schärfe meiter", wie gegen Papen, so gegen Schleicher" so hieß es im letzten Aufruf des Parteivorstandes. Deshalb stehen an der Spize der sozialdemokratischen Anträge das Mißtrauensvotum gegen das Ka­binett Schleicher und die Forderung auf Aufhebung der Notverordnung der Regierung Papen .

Die erste Sorge gilt den Opfern der Schreckensjustiz, die in den letzten Monaten Hunderte von begeisterten Kämpfern der Eisernen Front in die Gefängnisse und die Zuchthäuser geworfen hat. Deshalb hat die Sozialdemokratie einen 2 m nestie geseg entwurf eingebracht, der die sofortige Freilassung dieser Opfer fordert. Die Kämpfer für die Republik und die Arbeiter­rechte sollen frei werden, nicht aber die poli­tischen Mörder und Sprengstoffattentäter. Gleichzeitig soll durch Aufhebung der Sonder­gerichte und der Terrornotverordnung die Wiederherstellung normaler Justizverhältnisse angebahnt werden.

Für Brot und Arbeit

Hilfe für die Opfer der Krise ist die erste wirtschaftspolitische Forderung, die die So­zialdemokratie zu erheben hat. Deshalb ver­langt sie, wie schon im vorigen Reichstag, die vollständige Aufhebung der Not­verordnung vom 14. Juni und da­mit die Rückgängigmachung ihres brutalen Abbaues bei der Arbeitslosenunterstützung und der Wohlfahrtspflege, bei den Renten der Sozialversicherung und bei der Versor­gung der Kriegsbeschädigten und Krieger­hinterbliebenen. Deshalb verlangt sie dar­über hinaus Durchführung einer umfaffen­den Winterhilfsaftion, die der not­leidenden Bevölkerung fostenlose Versorgung mit Brot und Kohle und billiges Fleisch ver­schaffen soll. Deshalb verlangt sie schließlich, daß das Reich endlich den Gemeinden finanziell zu Hilfe kommt, die am Rande des Zusammenbruchs stehen und ohne Reichszu­schuß nicht einmal ihre immer weiter abge­bauten Unterstützungen mehr auszahlen tönnen.

Hilfe für die Opfer der Krise ist aber auch der Leitgedanke der sozialdemokratischen For­derungen nach Mietbeihilfen, nach Pacht­senkung und Bachtschutz und nach Entlastung notleidender Schuldner. Die hilfsbedürftigen Mieter, die ihre Miete nicht mehr zahlen können, sollen durch ausreichende Miet­beihilfen unterstützt und durch einen Volistreckungsschuß vor der Ex­mittierung bewahrt werden. Für notleidende Mieter von Neubaumohnungen sind beson­dere Hilfsmaßnahmen vorgesehen. Der Ent­wurf eines Bachtschutz gesetzes soll nicht nur den landwirtschaftlichen, sondern auch den fleingewerblichen Pächtern Schutz vor ungerechtfertigten Bachtforderungen bieten und Möglichkeiten der Pachtsenkung eröff nen. Der Gefeßentwurf über Entlastung notleidender Schuldner zeigt die Wege auf, auf denen Schuldner, die ohne Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz ihren Schuldverpflichtungen nicht mehr voll