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ZWEITE BEILAGE

Vormärts

SCHICKSAL TH MASCHINE

38] ROMAN VON STEFAN POLLATSCHEK

4.

( Copyright Saturn- Verlag.)

Die Situation wurde immer fritischer. In einer Provinzstadt wollten hungernde Ar­beiter demonstrieren; die Behörde verbot den Umzug. Militär wurde requiriert, schoß auf die Arbeiter, es wurden achtundzwanzig Menschen getötet. Wilder Aufruhr im gan zen Land. Das Parlament tobte, die Sigung mußte unterbrochen werden, die Minister wurden verprügelt. Die Regierung demissionierte. Ueber Nacht ergriff das rechtsradikale Bürgertum die Zügel. Die Bevölkerung, am nächsten Morgen er­machend, las mit Erstaunen und Bermun derung große Plakate: Standrecht, jede An­jammlung verboten, Waffen binnen sechs Stunden abzugeben, jede Arbeitsverweige rung verboten, auf jedes Zuwiderhandeln stand Todesstrafe. Sämtliche sozialistischen Barteien wurden als aufgelöst erklärt.

Dennoch versammelten sich am Morgen dieses Tages die Führer der sozialistischen Barteien. Weltlin erschien, und das erste be= tannte Geficht in diesem kleinen Raum war das seines Sohnes Albert. Ich sehe dich nicht gern hier, Albert. Diese Menschen sind zu allem fähig, es wäre mir lieber, du wäreft daheim."

Aber Bater", rief Albert lachend ,,, und du begibst du dich nicht in die gleiche Gefahr?"

anderen dazu, reißt feinen mit ins Ber­derben! Es ist auch ein Ziel, sich aufzube­wahren und seine Zeit abzuwarten."

..Wer ist hier Sohn und mer Bater?" rief ein langmähniger junger Mann. Er war aufgesprungen und rief wild pathetisch in den Saal: Hat sich die Natur verändert? Ist die Jugend bedächtig Schande über dich, Albert! Ist auch nur ein Zug revolutionären Geistes in dir? Läßt du dich vom Alter beschämen?"

geworden?

,, Auch der revolutionärste Geist darf nur über sein eigenes Leben verfügen. Aber was tun mir? Wir haben Jugendverbände, die wir im Umgang mit Waffen unterweisen ließen, mir impfen unsere Ideen den jungen Leuten ein, und wenn die heute mit uns ist das noch Freiheit? Ist es noch gehen

-

eigene Entscheidung, da diese Menschen nie etwas anderes gelesen, nie etwas anderes gehört haben, als eure Ideen!

,, Schluß! Schluß! Schluß!" brüllte mit ge­waltiger Stimme der Mähnige, und als Weltlin aufjah, stand sein Sohn Albert ein­sam und allein an die Wand gelehnt, das Gesicht schien bleich und eingefallen, nur die Augen brannten. Weltlin griff mit der rechten Hand nach dem Herzen. Es klopfte unruhig und laut und der Mann hatte das Gefühl, daß alle Menschen dieses wilde Klopfen hören müßten.

5.

Am Nachmittag desselben Tages, dem legten seines Lebens, ruhte Wilhelm Weltlin auf dem alten, start zerschliffenen Diwan auf dem alten, starf zerschliffenen Diwan seines schmalen Zimmers, als die Vermie­terin den Besuch zweier Herren meldete. Sie legitimierten sich als Kriminalbeamte, die den Auftrag hätten, Herrn Weltlin sofort ins Kanzlergebäude zu geleiten. Ob dies etwa eine Verhaftung sei und welche Ma­nieren man denn nun an den Tag legte, mollte Weltlin missen. Sie feien nur in Ausführung eines erteilten Befehles da, antworteten die Herren, aber sie mollten vor jeder unbedachten Aeußerung warnen, die Zeiten hätten sich erheblich geändert und die

FREITAG, 9. DEZ. 1932

Herren der neuen Regierung verſtünden in gewissen Dingen feinen Spaß.

In dem großen, weiten Saal waren sie nun beisammen, die Führer der sozialistischen Parteien. Sie waren alle einzeln geholt worden. Lange ließ man sie allein. Weltlin, der als einer der letzten eintrat, suchte zu­nächst das Gesicht seines Sohnes. Er atmete erleichtert auf, als er ihn nicht fand. Spät abends erschien dann der neue Kanzler und mit ihm waren auch eine Anzahl der neuen Minister gekommen. Die Herren waren in der Uniform der rechtsradikalen Kampfper bände, als wollten fie deutlich unterstreichen, daß sie weniger Wert auf ihre Minister­würde legten, als darauf, Führer einer sieg reichen Bartei zu sein.

,, Alfo da hätten wir ja alle beisammen", begann der Kanzler. Die Herren wissen wohl, was Ihrer wartet?"

Wir sind nur begierig", begann ein älte rer Sozialiſt ,,, ob Sie uns vor ein Blut­gericht Ihrer Leute stellen oder ob Sie uns ohne solches Urteil morden werden."

,, Beruhigen Sie sich, meine Herren, es wird schon alles seinen ordnungsgemäßen Gang gehen." Der Kanzler hatte eine fleine Reitgerte in der Hand, mit der er gern und oft auf den Tisch flopfte. ,, Es wird übrigens ganz von Ihnen abhängen, es ist noch nichts entschieden", sagte er dann.( Forts. folgt.)

,, Retour ! Adressat verstorben!"

Ein Alltagsprotokoll.../ Von Yorick

Es erscheint vor dem Polizeitommiffar Schmidt­huber der Briefträger Anton Santhofer und gibt in Sachen der Frau Dina Meylinger folgendes zu Brotokoll:

Zu meinem Zustellbezirk gehört auch das große Mietshaus in der Schmalzhofgasse 7, in melchem Frau Meylinger eine kleine Wohnung innehatte. Ich versehe diesen Bezirk seit drei Jahren. So viel mir erinnerlich ist, brachte ich in den ersten zwei Jahren der Frau Meylinger nur sehr wenig Post Monatlich einmal bekam sie eine Auf­

einer folchen Gelegenheit erzählte fie mir einmal, daß es nun wohl bald Schluß sein würde mit der Rente und daß sie sich nach einem Neben­verdienst umsehen müsse. Ob ich nichts für fie wüßte, fragte fie mich noch. Ihr Mann war seit langem tot, und Angehörige, die ihr helfen fönn­ten, hätte sie nicht. Allen ihren Bekannten ginge es schlecht. Ich mußte natürlich auch nichts von einer Stellung. Frau Meylinger hat dann eine lange Zett hindurch nichts mehr mit mir ge­sprochen, obgleich ich bald immer häufiger und

Es ergab sich, daß die Mehrzahl der Par­teiführer gar nicht daran dachte, den Be­fehlen der neuen Regierung Folge zu leisten. Man war bald einer Meinung, den Kampf aufzunehmen, die Entscheidung herbeizu­führen, lieber ehrenvoll zu unterliegen, als sich in eine schmachvolle Knechtschaft zu be geben. Auch Weltlin vertrat die Ansicht, sich nicht zu unterordnen, die Waffen nicht abzu­liefern. Man hatte tags vorher alle Anforderung, fich eine kleine Rente abzuholen. Bei hänger zu einem Demonstrationszug aufge fordert Der müsse unter allen Umständen stattfinden, es gebe tein Zurüd. Nur ein Teil der sozialistischen Führer mahnte zur Besonnenheit. Unter ihnen war Albert. Er tämpfte mit aller Kraft gegen die Worte des Vaters. Man dürfe Menschen nicht mit Gewalt in Tod und Verderben führen. Wer denn von Gewalt spreche? fuhr Weltlin auf, alle Genossen gehen freiwillig und mit Be­geisterung in diesen Kampf. Weil nie mand da fei, der sich getraue, eine andere Sprache zu führen, erwiderte Albert gegen den Vater gerichtet, weil ihnen niemand sage, daß ihr Leben weit wichtiger sei als alles andere. ,, Auch wichtiger als Jdeen?" fragte schneidend Weltlin. Ja und taufendmal ja!" rief der Sohn ,,, es gäbe tausend Ideen und nur ein Leben." ,, Es sei also ein Unrecht, mit seinem Leben für eine Idee einzustehen?" ,, Reineswegs, menn diese Aufopferung freiwillig erfolge." ,, Wo ist denn hier von Zwang die Rede?" fuhr Weltlin hoch. Wir alle kämpfen um unser Leben, um unsere Ueberzeugung."

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Wenn dem so wäre!" entgegnete Albert. ,, Aber wißt Ihr denn, ob euere Ideen auch wirklich die Ideen der Menschen sind, die Ihr auf die Straße und in den Tod treibt?! Wenn all die Menschen, die Ihr führt, frei­millig und aus lleberzeugung euch folgen- gut und einverstanden! Aber wieviele gibt es, die Ihr mit euren Ideen verführt, die Ihr mitreißt, denen Ihr eure Ideen und Ueberzeugungen aufgezwungen habt!"

Es war ein Dialog zwischen Vater und Sohn geworden und man horchte gespannt und ergriffen diesem Ausbruch zu.

,, Es ist ein Unrecht von dir, Albert, daß du all diese Tausende und Hunderttausende unserer Genossen als Unmündige und Ver­führte hinstellst. Es gibt feinen Zwang bei uns!"

,, Der Zwang ist sichtbar, Bater! Er ist nicht äußerlich. Auch Monarchen, die Kriege führten, hatten Ideen und glaubten, daß diese für ihre Völker jegensreich wären." ,, Kannst du uns mit Königen vergleichen? Heben wir Heere aus, haben wir Dienst­pflicht?"

Ja und tausendmal ja! Früher preßte man mit Gewalt die Menschen in Unifor­men, Ihr tut es mit der Gewalt euerer Ideen. Aber die Gewalt ist die gleiche!"

,, Also in die Knechtschaft? Sich ruhig der Macht und Gewalt der anderen beugen? Sich töten lassen und martern? Gott ver­stehe dich, mein Sohn, ich tann es nicht!"

,, Niemand darf über das Leben anderer gebieten, Boter. Laßt euer Leben, wenn Ihr wollt und müßt, aber treibt niemand

ich Frau Meylinger noch oft Zustellungen vom Gericht; sie war jegt immer zu Hause, denn das Arbeitsuchen hatte sie aufgegeben; sie nahm die Bostsachen mit unbewegtem Gesicht und wortlos entgegen. Als ich heute morgen wiederum solche Briefe abgeben wollte, hörte niemand auf mein Klingeln, und ich mollte schon wieder gehn, als mir ein füßlicher Geruch auffiel, der aus der Tür drang. Ich alarmierte den Portier und die Polizei, und als mir zusammen die Tür gewalt­jam geöffnet hatten, fanden wir Frau Meylinger tot auf dem Sofa, den Gasschlauch im Munde. Bor ihr auf dem Tisch lagen alle die Briefe, die fie in legter Zeit bekommen hatte, unteröffnet, und auf jeden hatte sie geschrieben: Retour! Adressat verstorben."

Gelefen, anerkannt, unterschrieben. Anton Sant­hofer, Postbote."

Walter P. Schmalbach:

häufiger zu ihr kam. Es fiel mir auf, daß die Profeffor Klinkerfues..

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Postfachen, die ich ihr zu bringen hatte, fast nie von Privatpersonen stammten, sondern den Auf­drud von Firmen, besonders Abzahlungsgeschäften und Pfandleihen, sowie von Behörden, Ge­richten, Rechtsanwälten und Gerichtsvollziehern trugen. Frau Meylinger traf ich in diefer Zeit felten an, so daß es oft schwer war, ihr die ein­geschriebenen Sendungen zuzustellen; fie fagte mir, daß sie immer unterwegs sei, um sich nach Arbeit umzusehen, aber sie habe noch nichts ge funden. Schließlich fam es einmal zu einem längeren Gespräch. Ich hatte in der Neben­wohnung Briefe abzugeben für eine Partei, die aber turz vorher ausgezogen war. Ich schellte bei Frau Meyfinger und fragte sie, ob sie viel leicht die neue Adresse wisse. Da fie verneinte, schrieb ich in ihrem Zimmer auf die Briefe: ,, Retour . Adressat verzogen." Als Frau Men­linger das sah, fragte sie mich: Benn man also einfach wegzieht und feine Adresse angibt, gehn alle Postsachen einfach zurüd, und man ist alles los..?" Ich mußte lachen und antwortete etwa: Na, so glatt geht das wohl doch nicht. Die neue Adresse wird immer von den Absendern ermittelt, wenn sie es wollen." Sie seufzte und meinte: ,, Ach, wissen Sie, manchmal möchte man weiter nichts, als diesen ewigen Mahnungen und Drohungen auf irgendeine Weise entrinnen. Sehn Sie, das wäre ja alles nicht so, wenn ich Arbeit hätte. Man will doch keinen schädigen. Immer, wenn man die Briefe bekommt, ist einem, als ob sie mit ihren scharfen Kanten einem die Finger blutig schneiden. Ja, Sie finden das komisch, aber ich habe es nun bald fatt." Als ich nun fagte, daß es ja vielen so ginge in dieser Zeit, und daß schon alles wieder besser werden würde, antwortete sie nichts. Aber wie ich schon in der Tür war, fragte sie noch: ,, Aber wenn auf den Briefen stände: Adressat verstorben", dann wäre wohl nichts zu machen?" ,, Natürlich nicht", sagte ich, und manche Leute haben das auch schon versucht; aber das Gericht ift immer bald dahinter gekommen, zumal das ja nicht eine Privatperson sondern der Postbote selbst auf die Briefe schreiben muß. Dann wur den die Leute bestraft, denn sowas ist doch Be­trug."..Wieso?" fragte Frau Meylinger, und ich merkte daß sie mich gar nicht verstanden hatte. Aber ich mußte gehn und dachte mir nichts bei dem ganzen Gespräch; unsersins hört ja überall Magen und Jammern. In der Folgezeit brachte

Der Göttinger Professor Klinterfues( 1827 bis 1884), bestimmt ein tüchtiger Astronom und hervorragender Gelehrter, mar in mancher Hinsicht ein Original. So hielt er sich als Wetterprophet für unfehlbar und pflegte sich auch oft als solcher zu betätigen. Was Zeitgenoffen von seiner Wetter­macherei hielten, davon hier zwei Proben:

Eines Tages erschien bei ihm eine Wäscherin, die sich für den nächsten Tag Sonnenschein zum

Wäschetrocknen münschte. Lja, tut mir leid, Frauchen", bedauerte inferfues achfelzudend, ,, aber mären Sie man' ne halbe Stunde früher gefommen, eben habe ich dem Gärtner drüben für morgen Regen zugesagt. Na, und mein Wort fann ich doch nicht brechen."

Der nächste Tag brachte meder Regen noch Sonnenschein: es hagelte.

Als unsere Wäscherin den alten Klinterfues wieder trifft: Sie haben neulich schön ge schwindelt, Herr Professor, aber ich weiß ja auch, umsonst heißen Sie nicht Flunferties."

Ktinterjues betam einst Kunde von einem Mann, der sich auch mit Wetterprophezeiungen abgeben sollte. Bei Gelegenheit fuchte er diesen Pfuscher ins Handwerk" auf. Es war ein alter Schäfer aus der Lüneburger heide , den er inmitten seiner blöckenden Gesellschaft an ainem Strumpfe stridend antraf. Es tam zu folgendem Balaver: ,, Ich höre, er befaßt sich mit Better­prophezeiungen?"

,, Jau, dat dau id."

,, Na, trifft es denn immer zu, mas er vor hersagt?"

,, Jau, dat dröpt immer in."

,, Dann fann er mir mal fagen, wie er das macht?"

,, Jau, dat mill id seggen, dar in Göttingen mahnt so'n ollen verrückten Perfeffer, id glow, Flunterfaut heet de, dat is ooch jo'n Wedder perphete. Wat de nu bekanntmatt, davon jegg id grad dat Gegendeil, und dat dröpt immer in."

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