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Abend- Ausgabe

Nr. 580 B 282 49. Jahrg.

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Telegrammabresse: Sozialbemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

FREITAG

9. Dezember 1932

In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Rebellion

Straßers Kriegserklärung gegen Hitler

Auch Feder rebelliert!

Der große Krach in der Hitler - Partei murde sichtbar, als Hitler, von Straßer zu Verhandlungen mit Schleicher nach Berlin gerufen, plötzlich über Jena nach Weimar statt nach Berlin fuhr. Mit einem Sturzbach von Berichtigungen hat das Braune Haus die Zusammenhänge zu verdunkeln ge­fucht, aber jetzt läßt sich nichts mehr ver­dunkeln!

Straßer hat dem großen Djaf den kram nor die Füße geschmissen, und fein Absagebrief ist eine Kriegserklärung an Hitler und den radikalen Flügel der NSDAP . Der Inhalt des Briefes zeigt, daß der Bruch sehr tief geht.

Die Frankfurter Zeitung " ver­öffentlicht heute morgen Einzelheiten aus dem Briefe, mit dem Herr Straßer Hitler mitgeteilt hat, daß er sämtliche Partei­ämter niederlege und sein Reichs­tagsmandat zur Verfügung stelle. Straßer betont in seinem Schreiben, daß er in seiner Eigenschaft als Reichsorgani= fationsleiter auf Schwierigkeiten ge­stoßen sei, welche auf Einflüsse zurückzuführen seien, die von der obersten Leitung der NSDA P. ausgingen. Herr Straßer führt weiter aus, daß er mit der staats politischen Grundlinie der national­fozialistischen Politit nicht mehr über einstimme. Straßer ist, wie man seit ge­raumer Zeit weiß, erklärter Gegner jener Richtung, die Deutschland in ein Chaos treiben lassen mill, um dann um so leichter die Macht an sich reißen zu fönnen. Herr Straßer erklärt sich als entschiedener Geg. ner der radikalen Richtung der NSDAP., die die Anwendung der Brachial gewalt fordert. Er stellt sich auf den Stand­punkt, daß es auch in den demokratischen Parteien aufbauwillige Kräfte gebe, die man nicht zurückstoßen und vergewaltigen dürfe. Die nationalsozialistische Praris stimme mit den von der Parteipropaganda ausgesproche nen meltanschaulichen Idealen nicht überein. In diesem Zusammenhang läßt Herr Straßer einen Hinweis auf die umstrittene Person des Stabschefs Hitlers , des Herrn Röhm, fallen.

Das ist eine Generalabrechnung nicht nur mit Hitler und den Göring und Goeb= bels, die ihn am Fädchen halten, sondern zugleich auch mit der SA.! Ein solcher Schritt ist nur möglich, wenn der Bruch irreparabel geworden ist!

In der Tat greift die Auflösung im Führer­freis der NSDAP . meiter um sich! Gott­ fried Feder , der Vater des Programms der NSDAP. , wirft Hitler vor, daß er auf das wichtigste Gegenwartsziel der NSDAP. , ,, Arbeit und Brot", verzichte. Er geht gleichfalls in Urlaub. Mit dem Reichsorganisationsleiter verläßt der Ver­fertiger des Programms den Führerkreis und damit praktisch die Partei.

Solange die NSDAP . aufstieg, wurde Hitler von den Straßer, Feder, Frick und Genoffen mit dem Nimbus des großen Füh rers umgeben. Nachdem der Abstieg be­gonnen hat, rütteln sie an seiner Unfehlbar. feit. Aber Hitler glaubt wirklich, daß er ein großer Führer und lebermensch sei. Er hat nach der Täglichen Rundschau" in der Sizung der Nazireichstagsfraktion erflärt, daß die Partei feine eigene Mei­nung haben dürfe und daß sie lediglich aus feiner Person bestehe.

Der Konflikt zwischen dem Führergrößen­wahn und dem Tatsachensinn der nächsten Gefolgschaft ist unvermeidlich geworden, seit

Stellvertretung des Reichspräsidenten

Der Gesetzentwurf mit mehr als Zweidrittelmehrheit angenommen

Der Reichstag frat heute bereits um 11 Uhr zufammen. Vizepräsident Esser eröffnete die Sigung ganz, als ob in der vorigen nicht Dinge vorgefallen wären, über die eine Unter­fuchung und die Mitteilung über ihr Ergebnis angefündigt worden sei.

Als er einem Mitglied Urlaub auf sieben Tage erteilt, fragt Abg. Torgler( Komm.), was denn mit Gregor Straßer sei. Aber Effer gibt keinen Bescheid.

In der dritten Lesung des Gesetzentwurfs über die Stellvertretung des Reichspräfi­denten wird das Wort überhaupt nicht verlangt. Bor Beginn der Abstimmung die namentlich ist, um die notwendige Zwei­drittelmehrheit festzustellen verlangt Torgler

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ihre Aussetzung bis zur Erledigung der Notverord­nungen, gibt sich aber widerspruchslos zufrieden, als Frid ziemlich von oben herab anordnet: Nein, sofort abstimmen!

Der Gesetzentwurf wird mit 404 Stim­men gegen 127 Stimmen der Kommunisten únd Deutschnationalen verabschiedet. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist da­mit weit überschritten.

Alsdann wird die Debatte über die Notver= ordnungen und die dazu gestellten Anträge fortgesetzt.

Abg. Reißner( Soz.)

fertigt zunächst einige Ausfälle des Naziredners Börger ab. Es stehe diesem, als früherem Rom­

Amnestie im Ausschuß beschlossen

Schleicher macht Schwierigkeiten wegen ,, literarischem Hochverrat"!

Scute vormittag, furz bor 11 Uhr, nahm der Rechtsausschus des Reichstags mit 21 gegen 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen das Amnestiegesen in der kom. promißfassung an. Sozialdemo fraten, Kommunisten, Nationalsozialisten, ein Mitglied des Zentrums stimmten für das Gesetz, während Deutschnationale, Bayerische Volkspartei und ein anderes Mitglied des Zentrums dagegen stimmten. Die Technische Notfraktion", vertreten durch den Christlichsozialen Volksdienst, enthielt sich der Stimme.

In der der Abstimmung voraufgegangenen furzen Debatte gab der Reichsjustizminister Dr. Gürtner die Erklärung ab, er habe dem Reichskanzler von Schleicher über die gestrigen Beratungen und die Veränderung der Kompromiß­vorlage durch den Ausschuß Vortrag gehalten. Schleicher habe gesagt, daß er große Beden ten gegen die Hereinnahme des lite= rarischen Landesverrats und des Hoch­verrats schlechthin in die Ammestie habe. Wenn der Reichstag den Hochverrat insgesamt straffrei mache, dann müsse er, der Reichskanzler, die Aus­

dem die Partei nicht mehr vorwärts, sondern rückwärts marschiert. Straßer als stärt ster Mann neben Hitler schlägt Lärm, andere schließen sich ihm an.

Die reaktionären Hintermänner aber stehen erschrocken dabei. Die Deutsche Allgemeine Zeitung" weint:

Die Linke, insbesondere die Sozialdemokratie und der Kommunismus werden aufhorchen. Es wäre ein Verhängnis für die Nation, wenn sich die größte Rechtsbewegung zerseßen würde, ehe sie ihre geschichtliche Aufgabe erfüllt hat: zusammen mit den anderen Kräften der Rechtsfront der Vortrupp des Umbaues und der Gesundung des nationalen Staates zu sein.

Sie hat Grund zur Betrübnis. In der NSDAP . geht es drunter und drüber, und die faschistische Machteroberung muß wieder einmal vertagt werden!

Nach Straßer Gottfried Feder !

Die Telegraphen- Union meldet: Wie wir hören, hat der Programmatiker der NSDAP . und Vor­sitzende des Reichswirtschaftsrats der NSDAP. , Gottfried Feder , M.& R., Adolf Hitler in einem Briefe um einen mehrwöchigen Urlaub erfucht. In diesem Briefe fragt Jeder, ob die ihm von Gregor Straßer eröffnete

wirtungen einer solchen Amnestie- Straffreiheit der Zerjeßungsversuche in Reichswehr und Bolizet genau prüfen und sich alle Schritte gegenüber einem solchen Reichstagsbeschluß vor­behalten.

Abg. Marum( Soz.) erwiderte, daß ja nur der Hochverrat bis zu fünf Jahren Strafe amnestiert werden solle. Die ganz schweren Fälle würden nicht streiffrei gemacht, sondern nur ge­mildert. Er fügte aber ausdrücklich hinzu:

Wenn aus der Amnestie der Hochverrat aus­genommen werde, so müsse man die Amnestie ohne Sozialdemokraten machen. Für unsere Partei sei eben einer der wichtigsten Punkte der ganzen Amnestie, die unerträgliche Recht­jprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des jogenannten literarischen Hochverrats zu forrigieren.

Der Abg. Rienhardt von der NSDAP . legte ein interessantes Zeugnis von der fortschreitenden parlamentarischen Erziehung nationalsozialistischer Ausschußmitglieder ab, indem er erklärte, die NSDAP . halte es nicht für unter ihrer Würde, sich durch Argumente anderer Parteien belehren zu lassen!

Mitteilung über die von Hitler beabsichtigte Auf­lösung der Hauptabteilung IV( Wirt­schaft) der NSDAP . und der ingenieurtechnischen Abteilung, deren Leiter Gottfried Feder ist, als endgültige Maßnahme anzusehen sei.

Feder weist darauf hin, daß eine Auflösung der wirtschaftspolitischen Abteilung als Ver­zicht der NSDAP . auf ihr wichtigstes Gegenwartsziel Arbeit und Brot angesehen würde. Hieraus sei eine so un­geheure Abwanderung der sehnlichst auf Besserung der Wirtschaftslage hoffenden Wählermassen zu be­forgen, daß dadurch die Stoßkraft der NSDAP . gefährdet erscheine.

Die ,, Einigkeit" der ,, Führer"

Während des Kuhhandels um die Reichs­tanzlerschaft Hitlers war das Geraufe der Führer und Unterführer im nationalsozialistischen Partei­laden schon einmal ziemlich weit in die Deffent­lichkeit gedrungen. Darauf setzten sich die ,, einigen" Herrschaften aufs hohe Pferd und sandten den Zeitungen folgende wahrheits gemäße" Berichtigung:

,, Wie seit Bestehen der NSDAP. , besonders in politisch erregten Zeiten üblich, veröffentlicht die gegnerische Bresse auch jest wieder in ver fchiedenartiger Aufmachung aus der Luft ge griffene 3wedmeldungen über angeblige

munisten, übel an, jetzt so über seine vorige Partei herzuziehen. Dem deutschnationalen Schmidt­Eichwalde hält der Redner die antisoziale Politik der Hugenberg und Papen= Partei vor. ,,, Nie wieder Sozialismus", schreibt der deutschnationale Parteischriftsteller Dr. Erich Schmidt. Wir aber wissen, daß wir noch schwer zu kämpfen haben, bevor Sozialismus und sozia­listischer Geist in Deutschland einkehren. Wir sehen die

Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht zum wenigsten als Folge des Krieges, dessen Lobredner die Herren auf der Rechten sind. Die Vorschläge der Gewerkschaften und der So­zialdemokratie zur Besserung der Wirtschaftslage hat man unbeachtet gelassen und statt dessen Not­verordnungen unter hochtrabenden Titeln erlassen. Der vielgerühmte privattapitalistische Papen Plan ist gescheitert. Die gemert­schaftlichen Feststellungen über die Neueinstellungen von Arbeitern sind der klare Beweis dafür. Die Lohnsätze von 26 000 Arbeitern sollen maßgebend sein für die Entlohnung von 550 000 öffentlichen Arbeitern!

Die Löhne der Reichsarbeiter werden in uner= träglicher Weise herabgedrückt. Ueberlegt man sich denn nicht, daß außer der Verminderung der Kauftraft auch die Zuverlässigkeit der Arbeit dadurch bedroht werden muß?

Zu den Angriffen des Abg. Pied auf die Ge wertschaften und auf die Sozialdemo fratie wegen des Berliner Verkehrsstreiks ver= meise ich, da die Zeit fehlt, um auf alles ein­zugehen, auf die Sachdarstellung des Gesamt­verbandes in seinem Flugblatt.( Zuruf der Kommunisten: Schwindel!) Reden Sie doch nicht Don Schwindel, sehen Sie sich nur Ihre Agitation und Ihre Presse an! Herr Pieck hätte besser getan, von diesem Streit zu schweigen. Die an­gebliche RGO.- Streifleitung war während des Streits überhaupt nicht zu finden. Als Gewerk­schaftler müßten Sie wissen, daß es bei einem Streifabbruch die erste Pflicht der Streifleitung ist, dafür zu sorgen, daß Maßregelungen unter­bleiben. Die RGD. hat überhaupt nichts ge= tan, um Maßregelungen zu ver= hüten.( Andauernder Lärm der Komm.) Sie haben ja selbst zugegeben, daß es ein

Streif gegen die Gewerkschaften war. Kommunisten und Nationalsozialisten haben fich gegenseitig als Streitbrecher be­

der

Unstimmigkeiten innerhalb nationalsozialistischen Führer schaft. Um diesem in seiner Absicht leicht erkennbaren, dem Wunschbild der Gegner Rechnung tragenden Geschwäß ein für allemal ein Ende zu machen, erklären die Unter­zeichneten, einig in unerschütterlicher Gefolg­schaftstreue zum Führer der Bewegung, daß sie es für unter ihrer Würde halten, in irgend­einer Form auf solche Lügen fünftighin noch einmal einzugehen.

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gez.: Frid, Goebbels , Göring , Röhm, Straßer ." Die Einigkeit der Führer war natürlich damals schon so hervorragend wie heute, wo Herr Hitler dem Pg. Straßer eine Krankheit genehmigt", damit er nicht unter lautem Skandal alle seine Aemter niederlegt. Der Fall zeigt aber, DON nationalsozialistischen Berichtigungen zu halten ist. Der ,, Borwärts" und eine Anzahl anderer Blätter haben inzwischen eine ganze Reihe solcher Be­richtigungen" abdrucken müssen, weil das Presse­gefeß sie dazu zwang. Unsere Leser werden nach dem Fall Straßer inzwischen wissen, was von Berichtigungen aus diesem Lager zu halten iſt und was an den vergangenen wahr gewesen fein mag.

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Der Angriff" pflegt seine Harlekinaden öfter mit der Ueberschrift zu versehen: Sie fügen, fie lügen!" Wir wollen nicht so unhöflich sein aber diesmal haben sich die Herrschaften vor der ganzen Welt bei ihrer Unwahrhaftigkeit ertappen lassen.