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Abend- Ausgabe

Nr. 594 B 289 49. Jahrg.

Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher 7 Amt Donhoff 292 bts 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

17. Dezember 1932

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts..... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Dürfen fie...

über Schleicher schimpfen?

Herr v. Schleicher ist ein Tausendsassa! Die liberale Bresse feiert ihn. Papen nennt ihn im Herrenklub seinen Freund. Hitler will ihn, wenn er Kanzler wird, zu seinem Wehrminister machen. Und der ästhetisch so fein gebildete Herr Kube schrieb erst neu­lich, ein Gespräch mit ihm sei ein ästhetischer Genuß.

Die Nazipreffe in Lande fängt jetzt an, gegen Schleicher zu schreiben, weil er und nicht Hitler Reichskanzler geworden ist. Aber es geht bei gedämpfter Trommeln Klang Es ist keine Kraft darin, kein Zug, tein Schwung! Man hat ihm noch nicht einmal nachgesagt, daß er vom Ausland bestochen sei, was doch früher das wenigste war, was einem Reichskanzler in der Nazi­presse vorgeworfen wurde. Das Fünfmächte­abkommen über die Abrüstung wäre ein so herrlicher Anlaß gewesen, über die Häupter einer deutschabträglichen Regierung Pech und Schwefel regnen zu lassen. Jetzt wird mit dem Schwefel gespart, weil das Bech ganz bei den Nazis ist: war nicht Herr v. Neurath , der bei Papen Außen­minister war und es bei Schleicher ist, auch der in Aussicht genommene Außenminister eines Hitler- Kabinetts?

Bielleicht gibt es aber für die Nazipresse noch einen anderen Grund zur Vorsicht. Wir fragen: Be steht das Berbot, gegen Schleicher zu schreiben, noch oder ist es schon aufgehoben?

Es ist erst einige Monate her, daß der Hauptschriftleiter des nationalsozialistischen ,, Hamburger Tageblatts", Dr. A. Krebs, in weitem Bogen aus der Schriftleitung hin­ausflog, weil er an Herrn v. Schleicher Kritik zu üben gewagt hatte.

Krebs hatte in einem Artikel geschrieben, Schleicher verdiene zwar als nationa= ler Gegenpol Gröners" Sympathie, andererseits aber wolle er mit den National­sozialisten nur spielen, um sie später seinem persönlichen Ehrgeiz zu opfern. Auch die Beziehungen Schleichers zu den reaktionären Wirtschaftsfrei­sen seien zu beanstanden. Es sei kein Zu fall, daß sein Freund der General v. Stülpna gel in der Redaktion der arbeiterfeindlichen Berliner Börsenzeitung" beschäftigt sei.

Wegen dieses Artikels wurde Dr. Krebs durch besondere Verfügung Adolf Hitlers auf Knall und Fall entlassen. Und seitdem, bis in die letzten Tage, hat kein hakenkreuzgeschmückter Schriftleiter es ge­wagt, auch nur ein Wort gegen Schleicher zu schreiben.

Liest man die Nazipresse über Schleichers Rundfunkrede. so merkt man die Unsicher­heit und den inneren 3wiespalt. Zwischen den Zeilen steht die Frage an das Schicksal: Wie muß ein Naziredakteur heute und mor­gen über Schleicher schreiben, wenn er nicht hinausgeworfen werden will?

Die Folge davon ist, daß die unglücklichen Leser der Hitler- Presse, die doch sonst scharf gewürzte Speisen lieben, zu einer völlig reiz­lofen Rost verurteilt sind. Selbst der Heraus­geber des Angriffs" muß auf die Anwen­dung der einzigen Kunst, in der er Meister ist, nämlich der Kunst des Schimpfens, völlig verzichten. Und was bleibt von dem kleinen Goebbels überhaupt noch übrig, wenn er nicht mehr schimpfen darf?

Aus der Schweiz ausgewiesen wurden jene fünf Italiener, die vor einigen Monaten als faschistische Lodspizel im Tessin entlarot morden sind.

Der Streit der Generäle

Litzmann gegen Hindenburg und Schleicher

Nach Herrn von Schleichers Behauptung war die alte Armee die beste Schule der Kamerad= schaftlichkeit. Ein niedliches Bild zu diesem Tert liefert der General Lizmann .

Er hat als Alterspräsident des Reichstags fest­gestellt, daß in dem Weltkrieg, den die deutschen Generäle beinahe gewonnen hätten, er der eigent­liche Sieger gewesen sei und äußerte sich recht ge= ringschäßig über Hindenburg .

Dann kam ein anderer General, Herr von Schleicher, und fertigte den geschmäßigen Alters­ präsidenten tüchtig ab.

Nun kommt der wieder mit einer Erwiderung an den General von Schleicher.

Durch die Preffeleitung der nationalsozialistischen Reichstagsfraktion erläßt General Lizmann eine Erklärung, in der er sagt,

daß Generalfeldmarschall von Hindenburg ihm niemals in der langen Zeit seiner 60jährigen Bekanntschaft mit Kameradschaft entgegenge­freten sei.

Daher sei es abwegig, wenn General v. Schleicher es tief bedauerlich" finde, daß General Lizmann jetzt gegen den atten Kameraden" Stellung genommen habe. Trotzdem sei er, Lizz­mann, für Hindenburgs erste Wahl zum Reichs: präsidenten eingetreten. Hindenburg sei aber für ihn die schmerzlichste Enttäuschung seines Lebens geworden. Er verstehe nicht, wie nach Fen Leistungen des Reichspräsidenten seit 1925 ihm, Lizmann, ein Vorwurf daraus ge­macht werden könne, daß er gegen ein solches Staatsoberhaupt Stellung nehme. Hindenburg habe aber auch am 13. August und 25. November noch immer nicht erkannt, auf welche Weise das Vaterland allein zu retten sei. Treue und Kame= radschaft dem einzelnen Menschen gegenüber könnten, falsch angewandt, zum schweren Fehler werden. Diese Treue sei nur zweien gegenüber am Play: Unserem Gott und dem Vaterlande.

Es ist für die Herrschaften à la Lizmann kenn­zeichnend, daß sie sich immer dann auf ,, Gott und

Bugunglück durch Hochwasser

Sieben Tote, 30 Verletzte in Südfrankreich

Paris , 17. Dezember.

In den Abendstunden des Freitag hat sich bei Eaudy in der Nähe von Per­ pignan ein schweres Eisenbahnunglück er­eignet.

Infolge von

Hochwasser

zer=

mußte der von Paris kommende Eilzug auf ein Nebengleis umgeleitet werden, das sich als nicht haltbar genug für den Eilzug erwies. Der Zug entgleiste, wobei ein Wagen vollkommen trümmert wurde. Nach den bisher vor­liegenden Meldungen famen dabei sieben Personen ums Leben, dar­unter der Heizer, der Lokomotivführer und ein weiterer Eisenbahnbeamter. Von

verletzten Reisenden sollen drei

deutsche Staatsangehörige sein, und zwar ein Ehepaar namens Gerber und ein Fräulein Charlotte Bremer. 30 Personen, erlitten zum Teil schwere Verlegungen.

Zu dem Unglüd wird ergänzend gemeldet, daß es sich um einen Hilfszug handelt, der die Reisenden des bei Carcaçonne durch die lleber

Hitlers Mamelucken

Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. ICH ernenne dich hiermit zu meinem Kommissar."

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schwemmung aufgehaltenen D- Bugs über­nommen hatte. Die Entgleisung des Hilfszugs wurde durch einen Kraftwagen Der ursacht, der die geschlossene Bahnschranke durchfuhr, so daß die Schienen voller Holz und Elfentelle lagen. Der Streckenmärter fonnte die Ueberfahrt nicht mehr rechtzeitig säubern und ver­fuchte vergebens, den herannahenden Zug durch Signale zum Stehen zu bringen. An der Bahn­überführung entgleifte der Zug. Zwei Lokomo­fiven stürzten um und ein Wagen III. klaffe wurde zerschmettert. Aus den. Trümmern fonnte man mit Mühe und Not sieben Tote und etwa 30 Berwundete bergen. Unter den Verletzten be­

Vaterland" berufen, wenn sie sich am schäbigsten benehmen. Herr von Schleicher aber mill es nach solchen Generalsbeispielen immer noch be­haupten, daß die alte Armee die beste Schule der Kameradschaftlichkeit gewesen sei?

Arbeitsbeschaffung?

Zunächst eine Verordnung

Im ,, Reichsanzeiger" wurde am Freitag eine auf Grund des Artikels 48 erlassene Verordnung des Reichspräsidenten veröffentlicht, die die Kom­petenzen und Aufgaben des neuernannten ,, Reichs­kommissars für Arbeitsbeschaffung" umschreibt.

Es ist vorgesehen, daß der Reichskommissar Ausschüsse berufen und seine Befugnisse auch auf andere Behörden übertragen kann.

Sonst ist von der Arbeitsbeschaffung noch nicht die Rede.

findet sich das deutsche Ehepaar Gerber sowie Fräulein Charlotte Bremer und ein gewisser Alfred Tuz

Filmerpedition vermißt

28 Personen ertrunken

Paris , 17. Dezember. Bereits seit dem 28. November wird die fran= zösische Jacht Sita" vermißt, die 28 Mit­glieder einer Filmgesellschaft nach Para( Süd­ amerika ) befördern sollte, wo beabsichtigt war, wissenschaftliche Filmaufnahmen zu machen. Das Schiff hatte am 26. November die Cap Verdischen Inseln verlassen. Das letzte Telegramm der mit funtentelegraphischer Einrichtung versehenen Jacht datiert vom 28. November. Seitdem ist keine Nachricht mehr angelangt, obgleich zu der Fahrt von den Cap Verdischen Inseln bis Para acht Tage genügen.

Boncour an die Sozialisten

Angebot der Beteiligung an seiner Regierung

Paris , 17. Dezember. Paul Boncour hat seine Besprechungen zur Lösung der Regierungsfrise aufgenommen. Er verhandelte zunächst mit Chautemps von der radikalen Partei und empfing dann den Abgeordneten Renaudel von der sozialistischen Partei, der nach der Begegnung erklärte: Paul Boncour werde, wenn er heute mittag dem Prä­sidenten der Republik eine zusagende Antwort erteile, den Sozialisten die Mitarbeit in der neuen Regierung anbieten. Er, Renaudel, halte diese Mitarbeit für nicht unmöglich. Er werde jetzt dem Exekutivausschuß der sozialistischen Partei über Paul Boncours Borschläge berichten."

Bericht des Petit Barisien" soll Amerika nichts dagegen haben, daß Frankreich die Schuldenrate mit der feierlichen Erklärung zahlt, daß dies seine legte Zahlung gemäß dem alten Abkommen ist. Im Parlament besteht, wie das Scheitern der Bemühungen Chautemps' bewiesen hat, feine Neigung, den Kammerbeschluß in der Schulden­frage abzuändern. Der sozialistische Populaire" wirft dem Präsidenten der Republik sogar vor, seine Berhandlungen über die Kabinettsbildung gegen den von der Kammer ausgedrückten Willen zu orientieren und sich dabei zu sehr von Herriot beeinflussen zu lassen.

Vorläufig keine Entrüstungsreden Washington , 17. Dezember. Das Staatsdepartement ist auf Grund einer

Uncle Sam wird milder Unterredung zwischen Stimson und dem fran­

Nur noch eine Rate!

Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Paris , 17. Dezember. Herriot hat sich am Freitagabend nach einer Unterredung mit Paul Boncour zum Präsidenten der Republik begeben, um ihm einige wichtige Telegramme aus Washington zu über bringen Diese Telegramme beschreiben den Stimmungsumschwung in Amerika gegenüber Frankreich , der u. a. in der Bertagung der Schuldendebatte im Senat zum Ausdrud gekommen ist. Nach einem Washingtoner

zösischen Botschafter Claudel der Auffassung, daß Frankreich doch noch zahlen werde, und aus diesem Grunde will man scharfe Aeußerungen im Kongreß nach Möglichkeit vermeiden. So hat Senator Harrison darauf verzichtet, eine von ihm geplante Rede im Senat zu halten. Das gleiche tat Senator Borah.

England wird belohnt

Die französische Zahlungsverweigerung hat da zu geführt, daß die Stimmung im Kongreß einer freundlicheren Behandlung Groß­ britanniens immer günstiger wird. Wie verlautet, mill Senator Harrison, führendes