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Abend- Ausgabe

Nr. 600 B 292 49. Jahrg.

Rebattion und Berlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Sernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

21. Dezember 1932

In Groß Berlin 10 Bf. Auswärts...... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe.

dod

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Wie hilft man?

Die Stimme eines Erwerbslosen

Zu den Berhandlungen über die Winter­hilfe, die am heutigen Mittwoch das Kabinett noch einmal beschäftigen, gehen uns die nach stehenden Zeilen eines Arbeitslosen zu, die in ihrer Schlichtheit besser als alle theore­tischen und aktenmäßigen Beweisführungen die tatsächliche Wirkung der geplan­ten ungenügenden Maßnahmen darlegen. Der seit Jahren erwerbslose Drechsler aus dem Berliner Osten schreibt uns­

Anlaß zu meinen Zeilen geben mir die Ver­handlungen über die Winterhilfe im Reichstag. Wie ich gelesen habe, sollen wieder verbilligtes Fleisch und Kohlenkarten ausgegeben werden.

Da ich seit Jahren gezwungen bin, stempeln zu gehen, bin ich, glaube ich, in der Lage, aus Erfahrung zu sprechen. Und da die Unterstützungs­fäße ganz genau so faltuliert sind, gilt mein Fall für alle Erwerbslosen .

Ich erhalte die Woche 8,50 M. Krijenunter­stügung, davon gehen ab 4 M. Miete, bleiben 4,50 M. Dienstags bekomme ich mein Geld, dann kaufe ich mir zwei Brote, Butter oder Schmalz, Kaffee und verschiedenes, was man ge­rade haben muß. Es macht immer ziemlich drei Mart aus. Jetzt bleiben noch 1,50 M. gehen ab: fiebenmal Mittagessen zu 15 Pf., blei ben mir noch 45 Pf. für andere Kleinigkeiten, Kautabad ufm.

Davon

Wenn ich nun die verbilligten Lebensmittel­farten erhalte, tann ich sie natürlich nicht mehr gebrauchen, denn wenn ich mir ein Pfund Fleisch faufen wollte, fehlen mir die 50 Pf. dazu. Was wird nun aus dem verbilligten Fleisch und den Kohlenkarten? Einer will sie dem anderen schen­fen, aber feiner will sie haben. Schließlich wirft man sie fort oder man gibt sie einem Bekannten, der das Glück hat zu arbeiten. Der sagt dann Danke schön" oder gibt einem eine Zigarette da­für. Wer das nicht glauben will, braucht sich nur bei den Angestellten auf den Zahlstellen zu erfundigen, denn viele Arbeitslose meigern sich schon, die Karten überhaupt anzunehmen. Ich glaube, aus dem Herzen aller Erwerbslosen zu sprechen, wenn Sie vielleicht mit dafür sorgen würden, daß statt dessen an jeden Erwerbslosen eine einmalige Unterstügung von 8 bis 10 m. gezahlt würde. Dazu brauchte man höchstens 60 Millionen, die könnte man doch aus dem Ueberschuß aus der Arbeitslosenversicherung decken, und jeder Arbeitslose fönnte sich mal etwas warme Unterwäsche oder etwas Richtiges zu essen taufen.

Mit Gruß Drechsler F. E., Berlin SO. Die Kritif des Genossen deckt sich mit den Ausführungen, die unsere Vertreter im Reichstag und in den Ausschüssen seit Wochen üben. Die bloße Verbilligung von Lebens­mitteln hilft den Hunderttausenden nichts, die durch Kürzung ihrer Unterstützungen im abgelaufenen Jahr überhaupt nicht in die Lage kommen, sich ein wenig Fleisch zu faufen.

Deshalb hat die sozialdemokratische Frak­tion die unentgeltliche Lieferung von vier Pfund Brot und ein Pfund Fleisch wöchentlich, sowie von 20 Zentner Kohlen und notwendigen Kleidungsstücken für den Winter beantragt. Für eine Barunter­stügung, wie sie der Einsender wünscht, war eine Mehrheit nicht zu erzielen, sie wäre auch in unzähligen fleinen Gemeinden den Empfängern einfach auf ihre laufenden Bezüge angerechnet worden. Aber die un­entgeltliche Gewährung dieser notwendigsten Bedarfsartikel wäre der Barunterstützung gleichgekommen, ja, hätte sie in ihrer Wir fung übertroffen. Die Sozialdemokratie hatte auch die Deckungsmittel für die dadurch entstehenden Ausgaben in Höhe von 180 bis 190 Millionen Mark angegeben. Wenn die Vorschläge nicht Gesetz werden, obwohl der Haushaltsausschuß sich unserem Antrage an­schloß, so fönnen die Arbeitslosen aus unferem geftrigen Bericht über den Aeltesten­rat entnehmen, wer schuld ist, daß man sie auf das unwirksame Almojen verwies!

Die Gefängnistore öffnen sich

Heute die ersten Entlassungen der Amnestierten

Die von der Sozialdemokratie errungene Amnestie wird schon heute vielen Ge­fangenen, die wegen ihrer politischen Ueberzeugung oder wegen ihrer großen wirtschaftlichen Not in die Gefängnisse gekommen sind, die ersehnte Freiheit wiedergeben. Nach der Verkündung des Gesetzes wird jetzt in den Staatsanwalt. schaften an der Ausfertigung der Ent­Lassungsverfügungen mit Hochdruck ge­arbeitet. Auch bei den Gefängnisverwal­tungen sind in den meisten Fällen schon alle Vorbereitungen getroffen worden, die Amnestierten möglichst schnell freilassen zu können.

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Den Anstaltsleitungen der Berliner Ge fängnisse sind heute vormittag bereits die ersten Entlassungsverfügungen zuge­stellt worden. Im Laufe des Nachmittags werden die ersten Entlassungen erfolgen fönnen. Für die große Mehrzahl der Amnestierten werden sich je doch die Gefängnistore erft in einigen Tagen öffnen, da die notwendigen Berwaltungs­arbeiten in vielen Fällen doch längere Zeit er fordern. Wir wollen hoffen, daß bei allen Stel­len dafür Vorsorge getroffen worden ist, daß den politischen Gefangenen die Einterferung nicht durch bürokratische Schwerfälligkeit unnötig ver­längert wird! Nachdem der Reichstag und der Reichsrat das Gesez beschlossen haben, erwartet das Volk Weitherzigkeit bei allen den Instanzen, die die Amnestie jetzt praktisch durchzu­führen haben.

Es darf nicht geschehen, daß Amnestierte, die auf ihre Freiheit Anspruch haben, noch während des Weihnachtsfestes hinter Gefängnismauern gehalten werden!

In den Berliner Gefängnissen werden von der Amnestie ungefähr 350 Gefangene erfaßt. Plößensee und das Gefängnis in der Lehrter Straße sind an dieser Zahl mit 120, Tegel mit ungefähr 80 Gefangenen beteiligt. Aus dem Untersuchungsgefängnis in Moabit werden 150 Inhaftierte freigelassen werden fönnen. Hier warten in erster Linie die Am­nestierten auf ihre Befreiung, die im Zusammen hang mit dem Berliner Berkehrsstreif fest

genommen worden sind. Man hatte die vom Sondergericht Berurteilten in den meisten Fällen in der Erwartung der Amnestie vom Unter­suchungsgefängnis gar nicht erst in die Straf­anstalten übergeführt. Die vom Sondergericht zu 1 Jahr Zuchthaus verurteilte Frau Strud wird zu denen gehören, die schon heute das Unter­suchungsgefängnis wieder verlassen können.

Begrüßung der befreiten Kameraden

Der

Die Freilassung der verurteilten Reichs­bannerkameraden und Kämpfer der Eiser. nen Front wird in Berlin , wo sich die meisten politischen Zusammenstöße ereignet haben, von der Arbeiterschaft und den nächsten Angehörigen der Verurteilten besonders sehnsüchtig erwartet. Gauvorstand des Berliner Reichs banners wird die Befreiten im Kreise ihrer Kameraden in einer großen Feier begrüßen. Unter den Freigekommenen werden die Kameraden Max Rothe, Teichmann und Schmidt nicht fehlen dürfen. Im Falle Rothes ist schon im Urteil festgestellt worden, daß der Schuß, den er abgefeuert haben soll, niemanden getroffen hat und bei Teichmann und Schmidt mußte das Sondergericht gleich­falls feststellen, daß nicht erwiesen worden ist, daß die angeblich abgefeuerten Schüsse irgend jemanden getroffen haben.

Die Amnestie in der Provinz

Es gibt keine Strafanstalt in Deutschland , die nicht durch diese größte Amnestie seit 1918 mit­betroffen wäre. Die zahllosen ungeheuerlichen Urteile gegen RKämpfer der Eisernen Front und gegen Kommunisten, die in der Provinz gefällt worden sind, werden durch die Amnestie zum größten Teil liquidiert. Die Reichsbannerleute von Ohlau , die zu Zuchthausstrafen von 2 bis 4 Jahren verurteilt worden waren, werden gleichfalls freifommen. In Großenhain , in Braunschweig , Liegniz, Breslau , in Gladbach , Rheydt , in Greifswald und gehoe, überall in Deutschland werden die Organisationen der Arbeiterschaft ihre befreiten

250000 Arbeitslose mehr

Eine schlimme Weihnachtsbotschaft

Die zuständigen Stellen bereiten die Oeffentlichkeit schon jetzt auf eine be. trächtliche Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt vor. Die offiziellen Ziffern über den Stand der Arbeitslosigkeit am 15. Dezember werden am Mittwochabend veröffentlicht werden. Es wird aber schon jetzt darauf hinge­wiesen, daß sie einen erheblichen Zuwachs an Arbeitslosen gegenüber dem Stand vom 1. Dezember aufweisen werden. Man muß mit einer Gesamtzunahme von annähernd einer Viertelmil. lion rechnen!

Kampf dem Hunger!

Kartoffeln für die Hilfsbedürftigen

In einem Unterausschuß des Stadtgemeinde ausschusses, der heute vormittag unter dem Borsiz des Bürgermeisters Lange im Rathaus tagte,

wurde ein sozialdemokratischer Antrag angenommen. Die Sozialdemokraten verlangen vom Magistrat die

unentgeltliche Belieferung der Hilfsbedürftigen mit den auf den städtischen Gütern vor­handenen Kartoffeln.

Ausschuß nahm einen weiteren Antrag an, in dem Die Aktion soll sofort durchgeführt werden. Der der Magistrat aufgefordert wird, über die mangel hafte Winterhilfe der Reichsregierung hinaus eine großzügige zusäßliche Hilfsaktion durchzuführen.

Im Bezirksamt Kreuzberg wurde heute vormittag wieder eine jener fommunistischen Aktionen durchgeführt, für die immer wieder Ar­beitslose mißbraucht werden. Man hatte in den Straßen wieder Zettel verteilt, auf denen den Arbeitslosen Kartoffeln und Kohlen versprochen wurden. Ein Trupp von mehreren hundert Er­ werbslosen 30g darauf in das Haus des Bezirks. amts. Das alarmierte Ueberfallkommando mußte die Gänge räumen.

Genossen und Kameraden wieder in die Schicksals­gemeinschaft der Freiheitstämpfer aufnehmen fönnen.

aft der Frei Freiheitskämpfer

Unter den Amnestierten werden sich zahlreiche Verurteilte aus Landfriedensbruch pro= zessen, wahrscheinlich auch einige Angeklagte des Felseneck- Prozesses befinden, soweit ihnen nicht Verbrechen gegen das Leben zur Last gelegt wird. Auch Carl von Ossiezky wird auf Grund der Amnestie freigelassen. In zweifelhaften Fällen hat die Straftammer zu entscheiden, ob eine An­wendung der Amnestie in Frage kommt.

Ratlosigkeit in Genf

Mandschurei - Ausschuß

ergebnislos vertagt

Auf Vorschlag der Großmächte hatte die Voll­versammlung des Völkerbundes, um im Man­dschureikonflikt nicht sofort Stellung nehmen zu müssen, einen Neunzehner Ausschuß mit den weiteren Einigungsverhandlungen zwischen Japan und Ching beauftragt.

Wie nicht anders zu erwarten war, ist dieser Ausschuß alsbald steden geblieben. Japan machte gegen jede Formulierung immer neue Be= denken geltend, so daß schließlich am Dienstag der Ausschuß sich zunächst auf den 16. Januar vertagt hat. In Völkerbundstreifen wird offen zugegeben, daß keinerlei Fort­schritte zu verzeichnen gewesen sind.

Inzwischen nimmt die Komödie, die Japan mit dem unabhängigen" Staat Mandschukuo treibt, immer grotestere Formen an. Jetzt hat die Re­gierung der Mandschurei Japan aufgefordert", aus dem Völkerbund auszutreten. Diese be= stellte Arbeit ist etwas reichlich plump.

Der General wird nicht ausgeliefert

Tokio , 21. Dezember.

Im Verlauf des Besuches des mandschuri­schen Gesandten in Tokio bei dem russi­schen Botschafter Trojanowski am Dienstag­abend teilte dieser im Auftrage der Sowjet­regierung mit, daß die Sowjetunion es a b= lehne, General Supingwen und seine Beglei­tung an die mandschurischen Behörden aus­zuliefern. Diese Frage könne nicht weiter behandelt werden, zumal zwischen Mandschu­fuo und der Sowjetunion feine diplo= matischen Beziehungen beständen.

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Hiernach kann man wohl sagen, daß die japanische, durch Reuter verbreitete Meldung" von der vollzogenen Auslieferung des Generals eine Verleumdung der Sowjetbehörden ge­wesen ist.

Streif in Hamburg ?

Im Gastwirtsgewerbe Eigener Bericht des Vorwärts" Hamburg , 21. Dezember. Die Hamburger Gastwirtsangestellten haben sich am Montag und Dienstag durch Urabstimmung mit Dreiviertelmehrheit für den Streit aus­gefprochen. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfange die Kampfmaßnahmen einsehen sollen, ist in die Hand der Verbandsleitung gelegt worden. Bei den Verhandlungen geht es um die Aner­kennung des Tarifvertrages. Die Hamburger Gastwirtsangestellten befanden sich seit mehreren Monaten in einem tariflofen Zustand, den die Unternehmer benutzten, die Lohn- und Arbeitsbedingungen immer wieder herabzudrücken. Um diesem Streben der Unternehmer einen