einem Rückblick auf mein eigenes Leben feit der Zeit, seit der es mir oergönnt war, es im Bereich der deutschen Sozialdemokratie und des Marxismus zu vollziehen. Meine ganze Entwicklung seitdem so oder so in steter Wechselwirkung mit jener Eduard Bernsteins . Mit ihm habe ich nicht nur meinen ältesten und besten Freund verloren. sondern auch ein gutes, vielleicht das beste Stück meines eigenen Wesens In tiefer Trauer stehe ich an der Bahre des Dahin- gegangenen mit so vielen, denen er Freund, Lehrer. Helfer gewesen. Ich drücke Ihnen und den Ihrigen aufs herzlichste die Hand. Wien , 19. Dezember 1932. Ihr Karl Kautsty.
Eduard Bernstein Kundgebung der Beamten Zu dem schmerzlichen Verlust, den der Tod Eduard Bern st eins der deutschen und der internationalen Sozialdemokratie bereitet hat, sprechen wir dem Parteivorstand unser herzliches Beileid aus. Mit dem Verstorbenen, dessen vielseitiges Wirken sich auch auf das gewerkschaftliche Aufgabengebiet erstreckte, verbanden uns freundschaftliche Be- ziehungen. Die freigewerkschastliche Beamten- bewegung, die Eduard Bernstein viel« werkolle Anregungen verdankt, wird sein Andenken stets in Ehren halten. Allgemeiner Deutscher Beamtenbund Der Vorstand A. Faltenberg. �Veitere Kondolenzen Die Arbeiterpartei Luxemburgs drückt ihr herzliches Beileid zum Tode Eduard Bernsteins aus. Clement. * Die Sozialistische Arbeiter-Sport- internationale betrauert auf das tiefste das Ableben Eduard Bernstein », des Patriarchen der Sozialistischen Internationale. Rudols S i l a b a, Sekretär, Prag .
Boncours Erklärung .Am Donnerstag vor der Kammer Eigener Berieht de»„Vormärt»" Pari». 21. Dezember. Die französische Regierung hak am Miktwoch die Regierungserklärung beraten, die am von- nerstag im Parlament verlesen werden wird. Die Erklärung wird sehr kurz sein. Auf dem Gebiet der Außenpolitik wird sich die Regierung mit der früheren Regierung solidarisch erklären. Ihre Ziele werden auf die Organisation de» Frieden» durch die Abrüstung in der Sicherheit gerichtet sein. In bezug auf die Schuldenfrage wird sie wahrscheinlich erklären, daß sie den Be- schluß der Kommer als vollendete Tatsache an- erkennt, und daß sie in dem in der Kammer- entschließung angekündigten Sinne Verhandlungen mit Amerika einleiten wird. In der Innenpolitik wird sich die Regierung für die Organisation der Demokratie und die Fortführung der bisherigen Sozialpolitik einsetzen. Der wichtigste Teil der Erklärung wird sich auf die Finanzpolitik be- ziehen, aber man erwartet nicht, daß die Regie- rung schon ihre Pläne im einzelnen bekanntgeben kann. Man nimmt vielmehr an, daß sie nur eine gewissenhafte Prüfung der Lage ankündigen und ihrem entschlossenen Willen Ausdruck geben wird, das Budgetdefizit zu beseitigen. Weiter verlautet, daß sich die Regierung auch mit der Ratifizierung des Lausanner Protokolls über die wirtschaftliche Sanierung Oesterreichs be- fchäftigt. Diese Frage soll nicht in der Regie- rungserklärung erwähnt, aber noch vor Jahres- schluß dem Parlament unterbreitet werden. Sanierungsaussebuß in Frankreich Finanzminister Cheron hat, um sich über alle Möglichkeiten der Sanierung der Staatsfinanzen genau zu unterrichten, einen aus fünf Sachoer- ständigen bestehenden Ausschuß geschaffen, der unter der Leitung des Untergouverneurs der Bank von Frankreich Fournier steht. Der Ausschuß soll sein« Arbeiten bis zum 5. Januar beendet haben.
Die Amnestie wir! Ol« Arbeit ävr Ztastsanvaltscbskt— Noch keine Entscheidung über Kamerad Rothe!
Brand in Ehikago C h i ka g o. 21. Dezember. Zufolge einer Explosion brach heute in einem INiethan» ein Brand au», von dem man befürchtet, daß er zahlreiche Todesopfer forderte. Eine Leiche konnte bereits geborgen werden.
Der dänische Hauptmann Lembourn, der wegen Spionage vom Reichsgericht zu einer mehrjährigen Strafe verurteilt worden war, ist anläßlich des Weihnachtsfestes begnadigt worden. Hauptmann Lembourn hat übrigen» seine Strafe bi, auf ein halbe» Jahr verbüßt.
Die Amnestie tut bereits ihre Wirkung. In Berlin und anderswo sind schon zahlreiche politische Gefangene aus freien Auß gesetzt worden. Die Reichsbannerleute aus Oh lau. die vor mehreren Monaten zu schweren Strafen verurteilt worden sind, werden ebenfalls noch heute Haft- entlasten. Die politischen Staatsanwälte haben gestern den ganzen Tag über bis in die späten Abendstunden hinein die Akten gesiebt, um in sämtlichen Fällen die erforderlichen Entscheidungen treffen zu können. Vom Rechtspfleger, das heißt vom In- spektor, der die Strafvollstreckung durchzuführen hat, wurden den Staatsanwälten sämtliche Haft- sochen vorgelegt, und in jedem einzelnen Falle muhten dann die Staatsanwälte ihre An- Ordnungen treffen. Lag der Fall klar, und fiel die Sache unter die Amnestie, so wurde auch sofort auf speziell hergestellten Formularen der Haft- entlassungsbefehl ausgeschrieben. Am gestrigen Tage konnten aus dem Unter- suchungsgefängnis 42 Personen entlasten werden, darunter auch ein großer Teil der von den Derkehrssondergerichlen Perurteillen: bei den übrigen handelte es sich um solche, die wegen Körperverletzung, Landsriedensbruchs und der- gleichen mehr inhaftiert waren. Aus dem Frauengefängnis wurden zwei Ver- urteilte entlasten, eine K o m m u n i st i n, die noch vier Monate zu verbüßen hatte, und eine andere Frau, die wegen eines Verbrechens nur noch einen Tag abzusitzen hatte. Unter den heute aus dem Frauengefängnis zur Entlastung Kommenden be- finden sich unter anderem die frühere Redakteurin der„Roten Fahne", Frau Altmann, die we- gen Beleidigung von Severing verurteilt ist, und die frühere kommunistische Reichstagsabgeordnete Mildenberg, die seinerzeit während des Bolle- ftreiks die Bollejungen aufgeputscht hat. Im ganzen werden aus dem Frauengefängni» voraussichtlich etwa zehn Frauen entlasten werden. Unter die Amnestie fallen auch einige von den K o m m u n i st e n, die an dem Prozeß wegen der Tätung de» Polizeibeamten Aiebig beteiligt waren, sofern sie nur wegen Aufruhrs verurteilt wurden. Auch die Angeklagten im Falle der Tötung des Hitler-Iungen Rorkus müssen entlassen werden, da sie bloß wegen Verstoßes gegen das Republikschutzgesetz verurteilt werden konnten'. Eni- lassen werden auch die wegen der Schießerei in der Iablonskistraße Verurteilten Ritter und Ge- nassen, da, wie erinnerlich, der Polizeibeamte von einem Schuß nur gestreist wurde. Di« vom
Sondergericht gegen die Kommunisten P ü s ch e i und K o p p e r verhängten Zuchchausstrafen von zehn Jahren wurden InjeZks IahreGefäng- n i s umgewandelt. Das gleiche gilt für den Kam- munisten S ch m! d t k s. Die Entscheidung im Falle des Kommunisten S t i e m e r, der gleichfalls zu 19 Iahren Zuchthaus verurteilt wurde, ist noch nicht getroffen worden. Auch der Fall des Reichsbannerkameraden Rothe ist noch nicht endgültig geklärt. Die Entscheidung liegt beim Generalstaatsanwall wilde. Räch Lage der Dinge wird er aus der Haft entlasten werden müssen. Schwieriger liegt dagegen der Fall der Reichs- bannerkameraden T e i ch m a n n und Schmidt. Die Staatsanwaltschaft steht auf dem Standpunkt, daß diese beiden nicht unter d!e Amnestie fallen, weil sie wegen versuchten Totschlag» verurteilt wurden und e» nicht sestgestellt werden konnte, daß die Nationalsozialisten nicht durch ihre Schüsse ver- letzt worden sind. Die Kameraden Teichmann und Schmidt haben, wie erinnerlich, mit aller Be- stimmtheit bestritten, überhaupt geschossen zu haben. Dagegen werden B a ch m a n n und V o ß, die in der gleichen Sache bloß wegen Raufhandels ver- urteilt worden sind, die Strafen nicht zu verbüßen brauchen. Sie hatten sie bis zum Augenblick nicht angetreten. Der größte Teil der unter der Amnestie zur Ent- lastung Kommenden wird also heute die Gefäng- niste verlassen können. Das Fnde der Sondergerichte Das Reichsgesetzblatt Nr. 89 vom 29. Dezember veröffentlicht folgend« Verordnung der Reichs- regierung über die Aufhebung der Sondergericht« vom 19. Dezember 1932: Auf Grund von Kapitel II des Sechsten Teils der Dritten Verordnung de» Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom S. Oktober 1931(Reichsgesetzblatt I S. 537, 565) wird folgendes verordnet: Die Tätigkeit der nach Verordnung der Reichs- regierung vom 9. August 1932(Reichsgesetzblatt I S. 494) gebildeten Sondergerichte endet mit dem Ablauf des 21. Dezember 1932. Eine zu diesem Zeitpunkt bereits begonnene Hauptverhandlung ist von dem Sondergericht nach den Vorschriften der Verordnung vom 9. August 1932 weiterzuführen, sofern die Sache nicht nach § 4 Satz 2 zum ordentlichen Verfahren o«rwief«n wird. In den noch 8 19 der Verordnung vom 9. August
Die steigende Flut In der ersten Dezemberhälkte 250 000 Erwerbslose mehr
Der Arbeitsmarktbericht der Reichsanslalt für die Zeit vom 1. bis 15. Dezember übertrifft auch die ärgsten Befürchtungen. Rund 249 099 Arbeitslose, also eine Bierielmillion, sind in den ver- gangenen zwei Wochen neu zu den Arbeitsämtern geströmt. Dieser schwere Rückschlag ist für das Papensche Ankurbelungsprogramm, dos zum größten Teil auch von der jetzigen Schleicher-Regie- rung übernommen ist, einfach ein vernichten- des Urteil. Die Gesamtzahl der bei den Arbeitsämtern an- gemeldeten Erwerbslosen erreicht damit 5 694 999 Personen. In der ersten Dezemberhälfte 1931 erreichte der Zuwachs an Arbeitslosen rund 399 999 und im ganzen Monat Dezember etwa 699 999 Personen. In dem Bericht heißt es, daß von der Ver- schlechterung der Lage, die noch aus Saison- gründen(Frost) erklärt wird, die einzelnen Be- zirke ohne Ausnahme betroffen wurden, der in- dustrielle Westen allerdings in verhältnismäßig geringerem Grade. Großen Umfang nahmen noch die Entlassungen in der Landwirtschaft an. Dieser Arbeitsmarktbericht ist ein Alarm- s i g n a l! Es ist höchste Zeit, daß mit den dilettantischen Arbeitsbeschaffungsplänen, die im Grunde nur auf eine Subventionierung der Privatwirtschaft hinauslaufen, Schluß gemacht und ein wirksames Entlastungsprogramm, wie es die sozialdemokratische Reichstagsfraktion ge- fordert hat, durchgeführt wird. Die entscheidende Frage des Augenblicks ober ist, was mit diesen Opfern der so unheimlich wachsenden Winterarbeitslosigkeit wird. Seit mehreren Wochen kämpft die Sozialdemokratie um eine Winterhilfe, die den hungernden und frierenden Erwerbslosen eine wirkliche fühl- bare Unterstützung in ihrem elenden Dasein ge- währen soll. Was die Regierung Schleicher aus diese Forderungen hin gewährt hat, ist unter keinen Umständen ausreichend. Wenn die Re- gierung allein an Steuergutscheinen den Besitzen- den 114 Milliarden geschenkt hat, so sind die 49 Millionen für die Winterhilfe bei 7 Millionen Erwerbslosen ein Tropfen auf einen heißen Stein. Schließlich kann di« DerbMl-
gung von 4 Pfund Frischfleisch doch nur dann als Unterstützung gelten, wenn die Erwerbeksen das Geld haben, sich überhaupt Fleisch kaufen zu können. Unzählige sind aber bereits so ver- e l e n d e t. daß«s schon seit langem zu keinem Stück Fleisch mehr reicht. Aber die Großagrarier! Das Organ der christlichen Gewerkschaften, der „Deutsche ", schreibt: „Es ist unerträglich, daß jetzt bei der Wintechilfe finanzielle Schwierigkeiten in den
1932 in dos ordentliche Verfahren übergehenden Sachen bedarf es der Einreichung einer neuen An- klagefchrift: die nach den Vorschriften der Verord- nung eingereichte Anklageschrift verliert ihre Wir- kung. Das gleiche gilt, wenn eine Sache nach dem 21. Dezember 1932 zum ordentlichen Verfahren verwicsen wird. 500 Amnestierungskälle in Hamburg Zur Durchführung der Reicheamnestie haben die hamburgischen Gerichte bereits umfangreiche Vorbereitungen getroffen. Schon am Donnerstag sollen die ersten Entlassungen erfolgen. Man schätzt die Zahl der gesamten Amnestierungen in Hamburg aus rund 599. Damit würden etwa 29 Proz. aller hamburgischen Straf - gefangenen, die sich in den hiesigen und aus- wärtigen Strafanstalten der nordwestdeutschen Ge- sängnisgemeinschaft befinden, amnestiert werden. Wer brachte Ireiyeit? Lächerlicher Wettlauf Jetzt, nachdem die Kerkertüren sich öffnen, bersten die Radikalinskis von rechts und links förmlich vor Stolz darüber, daß ihnen das Ver- dienst an der Amnestie zuzumessen sei. Zwar ist es ein sozialdemokratischer Gesetzent- wurf, der zur Annahme gelangte, zwar hätte keiner der Wettläufer mit seinen Stimmen allein ausgereicht, um das Gesetz zur Annahme zu bringen, aber:„wir, nur wir allein" haben die Amnestie gemacht, versichert der„Angriff", sie ist „ein Erfolg der nationalsozialistischen Politik". Da» klingt sehr glaubhaft— nachdem die Bombenwerfer und Sprengstoffverbrecher, die Mörder von Potempa, auf die es den Hakenkreuzlern besonders ankam, von der Amnestie nicht betroffen sind, ist sicher das so gestaltete Gesetz allein ihr Erfolg! „Wir, nur wir allein" haben die Amnestie ge- macht, ruft ebenso begeistert die kommunistische „Welt am Abend". Sehr glaubhaft, nachdem die Vergehen wegen Zersetzung von Reichswehr und Polizei nicht mit betroffen sind, auf die es den Kommunisten doch sehr stark ankam, nachdem sie in berechtigter Furcht vor dem Scheitern der Vor- läge nicht einen einzigen Antrag über die sozialdemokratischen Vorschläge hinaus zu stellen wagten, wird jedermann glauben, daß diese Amnestie i h r Erfolg war und von den sozial- demokratischen Führern im Grunde gar nicht ge- wollt war! Wir stellen mit Genugtuung fest, wie die anti- parlamentarischen Parteien sich vor Stolz nicht halten können, wenn das Parlament ein gute» Gesetz macht und daß sie sich obendrein dieses parlamentarische Verdienst bescheiden selbst an- kreiden.
Vordergrund gestellt werden, während di« Etats- belastungen durch Steuergutscheine und Genossenschaftssanierung keine Schwierig- k« i t e n bereiteten. Wir haben schon einmal zum Ausdruck gebracht, daß sich di« Regierung Papen für ihre großagrarischen und industriellen Hinter- männer rein materiell fabelhaft gelohnt hat. Nun wollen die anderen auch etwas haben, und siehe da: es ist nichts mehr übrig- geblieben. Empfinden die jetzigen Mitglieder der Reichsregierung denn gar nicht ihre Mit- Verantwortlichkeit an dieser Situation? Soll es so weit kommen, daß der Reichs- Präsident Gegenstand scharfer öffentlicher Kritik werden muß, weil von der Pleite bedrohte Großgrundbesitzer seine Autorität mit Erfolg benutzen, aber die Millionen Arbeitslosen schließlich nicht zum Reichspräsidenten laufen können?"
SA.» Strolche am Werk Heue Gewalttaten nach Inkrafttreten der Amnestie
Eigener Bericht de»„Vormärit" Hamburg , 21. Dezember. In Altona , das schon immer ein beliebter Ort für nationalsozialistische Ausschreitungen und Bluttaten gegen die Arbeiterschaft mar. flackerte am Mittwoch, als die Amnestie kaum in Kraft getreten war. der SA.-Terror in den aller- schlimmsten Formen wieder aus. Räch einer wüsten Schießerei in dem Altstadtgebiet vor einem SA.-Lokai, bei der mehr a i» 59 Schüsse sielen, fuhr ein mit SA..Leuten besetzter Kraftwagen durch die Stadt, dessen Insassen aus zahlreiche SPD - und KPD. -Lokale und aus Läden der Konsumgenossenschaft Ueberfälle ausführten. In dem Altonaer Betrieb des Hamburger Se- werkschastshauses im Republikanischen hos. in dem sich auch ein Parteibüro befindet, wurden von den SA.-Leuten mit einer Axt sämtliche großen Fensterscheiben an der Straßenfront und die Firmenschilder zertrümmert. In einem Reichs- bannertotal wurden von den gleiche» lätrrn unter
Benutzung des Kraftwagens 14 große Scheiben eingeschlagen, weiter wurden vier Läden der Konsumgenossenschaft„Produktion" heimgesucht, In denen insgesamt IS große Fensterscheiben zertrümmert wurden: außerdem zwei Verkehrstokale der KPD . Der Polizei gelang es nicht, die Täter zu fassen. Vagegen konnte von Augenzeugen die Rummer de» Kraftwagens festgestellt werden.