ZWEITE BEILAGE
DONNERSTAG, 22. DEZ. 1932
Der Inspektor lehnte sich im Stuhl zurück. Er ließ die rechte chand auf seinem Bauch ruhen, den Daumen hatte er zwischen zwei Westenknöpfe gesteckt. Die anderen Finger trommelten nervös,.�chm. Na ja", sagte er, „also gut". Er schien in Nachdenken zu oer- sinken Etwas später sah er auf und fragte ganz leicht hingeworfen, wie zufällig:„Wie alt mochten sie etwa sein?" Berger besann sich.„Das ist schwer zu sagen", antwortete er.„Ich oermute, zwischen dreißig und vierzig. Vielleicht näher an vierzig." „Also ungefähr in Ihrem Alter?" Der Vergleich erschien ihm beunruhigend. „Ja", antwortete er. Da beugte der Inspektor sich wieder vor; die Unterarme auf den Tisch gestemmt, sah er ihm forschend in die Augen, hart und be- stimmt.„Und Sie sind also ganz sicher, daß Sie keinen von beiden kannten?" Eine flammende Röte ergoß sich über Ber- gers blasses, gequältes und angespanntes Ge- ficht. Aber er blieb regungslos sitzen und eine Minute lang war die Stille furchtbar. „Sie antworten nicht?" Berger runzelte trotzig die Stirn.„Ich habe geantwortet" sagte er,„aber mir wird letzt allmählich klar, was Sie meinen." „Und was meine ich?" „Daß ich in das Verbrechen verwickelt bin." Der Inspektor zog die Brauen hoch.„Das sind Ihre eigenen Worte", sagte er leichthin. „Aber Sie legen sie mir in den Mund. Sagen Sie es nur grade heraus: Bin ich angeklagt— oder bin ich's nicht?" Der andere zögerte, die Sache war ihm offenbar peinlich. „Angeklagt?" fragte er.„Nein— nicht im eigentlichen Sinne. Aber wir sitzen eben total fest. Wir wissen nichts. Haben nicht den kleinsten Anhaltspunkt. Da müssen wir eben versuchsweise vorgehen. Wir müssen uns Möglichkeiten ausdenken, auch wenn wir bedauerlicherweise dem oder jenem dabei auf die Hühneraugen treten."' Ueber Bergers Gesicht ging ein schiefes Zucken.„Dem oder jenem?" sagte er empört. .Lllso mir?" In dieser zurückgedrängten Empörung war etwas Krampfhaftes. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt und er stieß die Worte nur mit Mühe heraus. Der Inspektor erhob sich.„In diesem Falle, ja", sagte er.„Damit müssen Sie sich eben abfinden. Mir scheint es nicht ohne weiteres wahrscheinlich oder klar, daß Sie impliziert sind. Andrerseits aber deuten gewisse Um- stände darauf hin, daß die Verbrecher keine Sieringe Lokalkenntnis gehabt haben. Dazu ommt Ihre eigene absolut passive Haltung." Derger hörte ihn an, bleich und mit ver- zerrtem Gesicht.„Also deshalb?" fragte er leise. Der Inspektor sah ihn jetzt, berührt von dem Ton seiner Stimme, ziemlich menschlich an.„Ja", antwortete er.„deshalb. Einzig und allein deshalb. Etwas anderes brauchen
Sie nicht zu denken. Außerdem hat das Büro Ihnen ein vorzügliches Zeugnis ausge- stellt.— Aber Sie müssen doch zugeben, daß es zum mindesten sonderbar— höchst sonderbar ist, daß Sie bei Ihrem sonstigen durch- aus tadellosen Pflichteifer die Kasse so ganz ohne Widerstand preisgaben." Eine resignierte Müdigkeit, eine matte Ohnmacht befiel Berger Und er fragte, seit- sam ausweichend und schmerzlich:„Ich hätte mich also totschießen lassen sollen?" Lier schüttelte den Kops.„Warum denn die Sache durchaus auf die Spitze treiben? Es liegt keinerlei Grund vor zu der An- nähme, daß er den Mut gehabt hätte, zu schießen, wenn S i e Mut gezeigt hätten." Da sah Berger zu ihm auf, voll von dump-
fem Widerstand.„Sie waren nicht dabei". sagte er hartnäckig.„Sie wissen nicht, was vor sich ging" „Nun, so erklären Sie es doch— Sie waren ja dabei." Aber Berger schüttelte den Kops.„6s läßt sich nicht erklären" Mit einem Achselzucken wandte der In- spektor sich von ihm ab und begann vorm Schreibtisch aus und ab zu gehen. Berger saß unbeweglich, in sich versunken. Ihm war etwas geschehen, das er im fernsten Traum nicht für möglich gehalten hätte. Was ihn zu gleicher Zeit aufrührte und all seine Willenskraft lahmlegte. Kurz darauf stellte der Inspektor sich vor ihn hin.„fjaben Sie nach dem Ereignis mit irgend jemand gesprochen?" Berger mußte sich zusammennehmen, um zu antworten:„Mit niemand, außer hier, auf dem Büro und zu Haus." „Auch am gestrigen Sonntag nicht?" „Nein.— Ich war den ganzen Tag zu Haus." „Und das können Sie beweisen?" „Ja.— Meine Frau war auch zu Haus." „Das klingt ja so unsicher?" Ein flehender Ausdruck erschien jetzt in Bergers Augen, eine schüchterne, hilflose Bitte.„Das mag sein", sagte er.„Ich möchte nämlich so ungern, daß man sie ausfragte.
Jofiia kehrt heim Srstählung von der irntferkanie/ Ton Itnllher Qofch
Es war ein Sauwetter in New Jork. Das mit dem Regen war auf die Dauer unerträglich für den seelischen Bauch, das machte uns ganz be- soffen und der Wind war auch nicht von Pappe. Da das schon tagelang so ging, konnte man sich nicht des unangenehmen Gefühls erwehren, daß man so langsam weich wird wie ein Schwamm, den Kopf voll Nebel. Schön war das nicht. Wir wollten, so war das von vornherein vorgesehen, Wechnachten wieder daheim sein. Olga wartete aus uns Burschen und aus Josua, ein schmuckes Weibsbild, Emma mit Namen, mit zwei ver- dechelten Bengels. Wir hatten uns viel vorge- nommen für die Feiertage: Josua auch! Bon morgens bis in die Nacht hinein in der Ohio -Bar den Hintern wund scheuern und herum- dösen, das kann einen irrsinnig machen. Lange- weile ist auch mit Kartenspiel etwas Gräßliches. Das eine Herz hängt schon in der Heimat, ja, wie eine Fahne, und singt: meins draußen in Horn, Jofuas am Fischmarkt, und das andere, wir haben nun einmal zwei, wird vom Sodawasser umspült. Pfui Spinne! Die Ohio -Bar war vollgepackt mit den Rauh- reitern der Weltmeere. Viele Sprachen vieler Nationen quirlten durch den dunstigen Raum. Am Schenktisch verprügelten die afrikanischen Heizer einen jämmerlich schreienden Chinesen, der dem baumlangen Jimm vom„King Edward" Feuerwerk in eine ihm angebotene Zigarette steckte, die zwei Sekunden darauf mit lautem Knall vor Iimms breitklotziger Nase explodierte. Da hatten sich denn die Schwarzhäutigen, die keinen Spaß oerstehen, den Chinesen vorgenommen und polierten ihm mit Kautabak das Gesicht. Uns interessierte die Keilerei überhaupt nicht. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und unser Küchenjunge Kien kam atemlos an unseren Tisch gelaufen. Mit aufgerisienem Mund schnappte er nach Luft und hatte Mühe, herauszubekommen,
was er sagen wollte.„Schnell, alle-Mann an Bord! Der Käptn hat die Papiere!" Josua sprang wie ein Frosch in die Höhe und mit einem Satz über den Tisch und raus. Wir von der„Tante Frieda" hinter ihm her und die Straße hinunter. In die Jolle, rauf auf den Kahn, das war eins. Nun Feuer unter die Kessel, alle Mann fertig. Das Schiff war klar, wir nahmen Kurs Europa . New Park konnte uns gestohlen bleiben. * Um den Abendbrottisch der Emma Strohbinder zappelten zwei springlebendige blondköpfige Burschen: Hein war 5 Jahre alt, Jürgen i'A. Frau Emma hatte verweinte Augen und sah müde und abgearbeitet aus. Das mit der Schürzen- näheret bis in die späte Nacht hinein war kein Vergnügen. „Was nur mit Josua ist?" Die letzte Karte schrieb er aus New Pork am 10. Dezember. Die„Frieda" wollte am 20. spätestens zurück sein. Jeden Tag lies Emma aus das Hasenbüro, um an den Anschlägen nach- zusehen, ob aus Cuxhaven die Ankunft des Holzdampfers noch nicht gemeldet sei. Morgen war Heiligabend, für sie und die Kinder das schönste Fest des Jahres. Neun Monate lag Josua aus See : wenn er heimkam, waren es nur Tage, die er im Hause blieb, zusammengezählt etwa drei Monate. Auf Weihnachten haben sie sich alle ganz besonders gefreut. Vergangenes Jahr um diese Zeit lag die„Frieda" im Hafen von Sidney fest. Es waren stille, traurige Feier- tage eines- nur noch stilleren, fchmerchafteren Ge- denken? Aber dieses Jahr sollte alles in Ordnung kommen, versprach Josua. Ein Weihnachtsvogel, eine fette, 10 Pfund schwere Gans, war auch schon einqeflogen. Josua sollte einen neuen Segeltuchsack bekommen, der alte war schon allzu schäbig, eine neue Bruyäre-
Daß sie erführe—" Er verstummte und sah vor sich nieder. „Das hier?" „Ja." Der Inspektor sah ihn an und in seinem Blick war fast ei» wenig Mitleid. — Dann fragte er:„Haben Sie Freunde?" Berger schüttelte den Kopf. .Leinen, der Ihnen besonders nahesteht?" Da sah er aus.„Seit Quisthus tot ist— keinen." „Er war also ein sehr guter Freund von Ihnen?" „Ja. Wieder stand der Inspektor und dachte nach, diesmal Auge in Auge»nit ihm.„Nun", sagte er.„Dann hätte ich Sie wohl nichts mehr zu fragen.— Es ist gut." Berger erhob sich zögernd, und er sah den airderen mißtrauisch an. Es wurde ihm einen Augenblick lang schwer, zu glauben, daß es überstanden sei Da sagte der Im spektor:„Sie brauchen sich das nicht so zu Herzen zu nehmen. Niemand wird es er- fahren. Und es hat gar nichts zu bedeuten. Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen— die denkbaren und die undenk- baren. Sie werden das verstehen." Darauf wußte Berger nichts zu antworten. Er grüßte stumm und ging— und atmete auf. daß es vorbei war. (Fortsetzung folgt.)
pfeife aus echtem Holz, einen Wollwams, Tabak. beste Sorte. Wenn er doch nur bald kommen würde! Die Kinder waren schon ganz unruhig. Am 24 Dezember lies Emma zum vierten Male auf das Hafenbüro. Die Füße zitterten und in den Schläfen schnitt es wie mit Mesiern. Ein feuchter Nebel stand in den Straßen. Der „Senator Petersen" kam heim, die„Deutschland ", auch die„Freya", die der Pieter. Marias Mann von Nr. 14 fuhr u. a. Nur vom Schiss des Kapitän Wallmann hatte man noch keine Nachricht. Es war schon 5 Uhr. Vereinzelt zündete man schon die Kerzen der grünen Festbäume an. Eine Frau mit seuchtem Gesicht und müden, kranken Bewegungen lies durch den nasien Wind und weinte. ie An Bord der„Frieda" schimpfte alles durch- einander. Käptn Wallman» aus den Steuermann. der Steuermann aus die Heizer, die Heizer aus die Maschinisten, die Maschinisten aus die Boots» männer die Bootsmänner auf den Koch und der Koch verprügelte zu guter Letzt unseren rot- haarigen Küchenjungen Kien. Da dieser keinen untergeordneten Partner hatte, aus dem er herum- holzen konnte, blieb ihm nichts weiter übrig, als seinen Zorn mit seemännischer Todesverachtung hinunterzuschlucken, was er auch, wie ich beob- achten konnte, getan hat. Das Wetter war wild wie eine angebrühte Seeschlange Die„Frieda" hatte Mühe, obwohl man die Maschinen anspannte, was irgend aus ihnen herauszuholen war. durch den Atlantischen Ozean zu kommen Daß man init Verspätung nach Hause kam. war so gut wie sicher Die Höhe der Azoren hatte inan wohl schon hinter sich, aber es waren noch etwa fünf bis sechs Tage bis nach Hanrburg. Wenn alles gut ging, konnte inan gerade noch 5 Minuten vor 12 unter dem Weihnachtsbaum seinem wartenden Mädel in die Arme stürzen Wenn alles gut ging! Aber daran glaubten wir kauin noch. Ich schlug schon dem Koch vor, so langsain für die Weihnachtsfeier an Bord herzurichten, ein unumgänglicher Vorschlag, den er mit einer unfeinen Randbemerkung
jdiumiit cutüHdcr ALANANDER
Wer Salamander schenkt, mehr als er ausgibt l