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Abend- Ausgabe

Nr. 611 B 297 49. Jahrg.

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MITTWOCH

Vorwärts=

BERLINER

E

VOLKSBLATT

28. Dezember 1932

In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Margarine

50 Jahre Kampf um Volksernährung

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist ver­flossen, seit auf den deutschen Märkten die damals sogenannte, un st butter" auf­zutauchen begann. Das Erscheinen dieses aus pflanzlichen und tierischen Fetten her­gestellten Butterersages, einer ursprünglich französischen Erfindung, ist ein Zeichen da­für, daß es um die Kaufkraft der Massen auch damals nicht gut bestellt war. Denn jede Hausfrau würde an sich die bekannte und bewährte Butter einem Kunstfett unbekannter Herkunft ohne weiteres vorgezogen haben- aber die gewaltige Preisdifferenz lockte zum Kauf. Wäre es gelungen, die Arbeiterein kommen und die Preise der landesüblichen einheimischen Lebensmittel miteinander in Einklang zu bringen, die Margarineproduk tion hätte niemals den gewaltigen Auf­schwung nehmen können, den sie genommen hat.

Die landwirtschaftlichen Interessenverbände haben in der Margarinefabrikation immer nur eine gefährliche Konkurrentin gesehen, die mit allen Mitteln der Staatsmacht nieder­zufämpfen ihr ständiges Bestreben war. So fämpften sie gegen den Namen Kunstbutter, gegen Fabrikationsmethoden, die dem neuen Produkt ein butterähnliches Aussehen gaben, gegen den Verkauf von Margarine und Butter in denselben Räumen. Wiederholt vertraten sie im Reichstag auch die Forde­rung, das die Margarine nur blau ge färbt in den Handel gebracht werden dürfe. Sie hofften damit, der Bevölkerung den Ge­nuß des billigeren Butterersatzes gründlich verleiden zu können.

Eine große Roolle spielte auch schon bei dem ersten Margarinegesez von 1886/87 die Frage der Misch butter. Es galt damals, was ja ohne weiteres zu billigen mar, einer Berfälschung der Butter durch Beimengung minderwertiger Ersatzstoffe vorzubeugen. Die Bertreter der Landwirtschaft bestanden aber schon damals auf einer Ausnahmebeſtimmung, nach der die Beimischung von Butter zur Margarine bis zu einem bestimm­ten Prozentsatz erlaubt sein sollte. Sie hofften, damit den Butterabsatz fördern zu tönnen. Interessant ist, daß die damalige faiserliche Regierung sich bei dieser Gelegen: heit gegen gesetzgeberische Maßnahmen aussprach, die der Unterdrückung einer läftigen Konkurrenz dienen sollten.

Alle diese Maßnahmen erwiesen sich jedoch als Schläge ins Wasser. Der Kampf um das

Der Dresdener Polizeiskandal

Wie die SA.- Fememörder entfliehen konnten

In der Dresdener Boltszeitung" enthüllt der fozialdemokratische Landtagsabgeordnete Geiser den Dresdener Polizeiskandal im Zusammenhang mit dem Fememord an dem SA. - Mann Hänzsch. Geiser schreibt:

Der SA.- Truppführer Hängsch bei der von Dr. Bennede geleiteten Nachrichtenabteilung tat jahrelang Dienst; er bekam in einer Nazi­3igarettenfabrik Arbeit und konnte in­folgedessen seinen Dienst nicht mehr so wie früher versehen. Es entwickelten sich Differenzen mit dem Sturmführer Schent. Hänisch will aus der Abteilung von Schent austreten. Schenk fürchtet offenbar irgendwelche Indis fretionen was wohl hinter den Kulissen dieser sauberen Partei alles spielen muß!-, be­stellt den Häntzsch zur Ausführung eines dienstlichen Auftrages am 4. November, nachts 11 Uhr, an den Königshof in Strehlen . Hängsch, von der Arbeit tommend, macht seinen Angehörigen eine entsprechende Mitteihing, zieht feine Uniform an, geht zu der Berabredung und ist seitdem verschwunden.

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Als nach einigen Tagen der Polizei Meldung gemacht wurde, nahm sie die Sache merkwürdiger­meise sehr auf die leichte Schulter; erst als schon sehr viele tostbare Zeit verstrichen war, wurde der

Herr Schent nach der Polizei gebeten. Der Mann wußte zuerst angeblich überhaupt nichts. Auf die Polizei machte er einen so ,, vorzüg­lichen Eindruc", daß man ihn dann sogar noch laufen ließ, als er, sich in Wider­sprüche verwidelnd, der Polizei Räuberpistolen erzählte.

So z. B. meinte er, Besorgnisse brauche man nicht zu haben, da der Hängsch in zehn bis zwölf Tagen an der gleichen Stelle erscheinen würde, von der er verschwunden sei.

Auf weiteres Dränden erklärte Herr Schent, er wisse schon, was los fei, nur dürfe er, da es sich um einen höheren Auftrag handle, nichts sagen.

Nunmehr wurde bei dem Osaf von Sachsen , & illinger, angerufen, der erklärte, auch nichts zu wissen, im übrigen fönne der Unbe­fannte ausjagen.

Nunmehr telephonierte in Gegenwart der Polizei der Schenk mit dem Unbekannten und teilte ihm mit, daß er in einer furzen Zeit bei ihm zu einer Aussprache erscheinen werde. Die Naivität des Kriminalrates ging so weit, daß er noch nicht ein­mal das Telephongespräch mit dem Unbekannten überwachen ließ. Dann fuhr der liebenswürdige"

Margarineverordnung erlaffen!

Agrarische Liebesgabenpolitik auf Kosten des Volkes

Amtlich wird mitgeteilt: Zur Förderung der Verwendung inländischer tierischer Jette ist die Reichsregierung durch eine Notverordnung des Herrn Reichspräsidenten ermächtigt worden, in Ergänzung des schon seit dem 1. Dezember 1930 bestehenden Berwendungszwanges für Talg und Schmalz die Beimischung von Butter bei der Margarineherstellung anzuordnen.

Die Reichsregierung wird ferner ermächtigt, Borschriften über den Umfang der Herstellung von Margarine, Kunftspeisefett, Speise­öl, Pflanzenfetten und gehärtetem Tran zu er­

und Kunstspeisefett betreffen und Mißbräuchen auf diefem Gebiete entgegenwirten sollen.

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Diese Maßnahmen sollen, wie die Begründung fagt, den bäuerlichen Wirtschaften helfen, die auf das schwerste unter der allgemeinen Wirtschafts­trise und dem Tiefstand der Preise für die Pro­dukte der Vieh- und Milchwirtschaft leiden. Der Erlös aus diesen Betriebszweigen lag bereits im vergangenen Wirtschaftsjahr mit nur noch 4,3 Milliarden Mark um 2,1 Milliarden Mark unter dem Erlös im Wirtschaftsjahr 1928/29.

Die jetzt vorgesehene Regelung stellt eine Er­gänzung der Kontingentierung der Einfuhr von Butter und Schmalz dar. Sie soll den Anteil der ausländischen Rohstoffe bei der Margarine­

Margarinegesetz wirkte nur als Reflame. Die vornehme Margarine herstellung zugunsten der einheimischen tierischen

Das Berbot des gemeinsamen Verkaufs im gleichen Raum hatte oft die Folge, daß Klein­händler auf den Verkauf von Butter ver­zichteten und sich auf den Handel mit Mar­garine beschränkten.

Hätten die landwirtschaftlichen Interessen­vertreter aus der Geschichte gelernt, so wür­den sie jetzt nicht mit Forderungen kommen, deren Erfüllung keinen Nugen für sie, sondern nur eine Vermehrung der Sorgen für die notleidenden Städter bedeutet.

Jedoch wie sich diese Angelegenheit ent­wickelte, scheint es sich am Schluß mehr um das Prestige des Herrn von Braun als um sachliche Interessen gehandelt zu haben.

Und noch ein anderes Problem taucht auf: Wenn vor 43 Jahren und seitdem wiederholt die Fragen der Margarineerzeugung auf dem ordentlichen Wege der Gesez gebung gelöst werden konnten, mit welchem Recht hat man jetzt den Artikel 48 zu diesem 3wede bemüht? Der Reichstag hat die Pflicht, eine derartige Verordnung auf­zuheben, nicht nur megen ihres Inhalts, son­dern quch, weil die Regelung einer solchen Materie mit Hilfe des Artikels 48 mit de to Verfassung nicht vereinbar ist

MAGA

Ko

,, Die Margarine riecht aber ranzig!" ,, Mecker nich! Die stinkt vor Fein­heit, weil jetzt Butter drinne is!"

laffen sowie einen Berwendungszwang von in­iändischen Delsaaten in den Delmühlen anzuordnen.

Schließlich enthält die Berordnung noch Be­fimmungen, die die Reklame für Margarine

Fette einschließlich Butter zurückdrängen. Die Margarineindustrie verarbeitet heute zu etwa 97 bis 98 Proz. Rohstoffe ausländischer Herkunft, und zwar vor allem pflanzliche Dele und Tran.( Ur­fprünglich war Rindertalg der Grundstoff der Margarine.) Der Buttermarkt soll durch Ver­arbeitung gewisser Mengen bei der Margarine­herstellung entlastet werden. Bei der Reichsregie­rung besteht der Wunsch, die mit der Verordnung angestrebten Ziele im Wege

freiwilliger Bereinbarungen mit der Mar­garine- und Delmühlenindustrie

zu erreichen, so daß die Ermächtigung zur gesetz lichen Regelung gar nicht Anwendung zu finden braucht.

Durch die gleiche Berordnung wird

das Maismonopol ausgedehnt

auf andere Getreidearten als die in Nr. 1 bis 7 des Zolltarifs besonders genannten, sowie auf Reis, Reisabfälle, Rückstände von der Stärke= erzeugung aus Reis usw. Der Zweck des Mais­monopols fei es gewesen, eine übermäßige Einfuhr ausländischer Futtermittel im Interesse der Verwertung deutscher Futter­mittel fernzuhalten. Im Hinblick auf die große inländische Ernte an Kartoffeln, Hafer, sonstigen Futtergetreiden und Futtermitteln murde die

Kriminalbeamte mit dem Schent zusammen im Auto in die Gegend von Tharandt . Auf Bitten des Schenk, dem wiederum bereitwilligst nachge= kommen wurde, hielt das Auto nicht vor dem Hause, sondern in der Nähe.

Ganz unglaublich ist es nun, das der Kriminal­beamte den Schent allein in das Haus gehen ließ, um den großen Uebekannten herauszubitten. Diese Gelegenheit benutzte der nach Meinung der Polizei so harmlose und an­ständige Herr Schenk, um spurlos zu ver schwinden.

Daß die Polizei versagt hat, kann niemand be streiten. Daß hieran allein Unfähigkeit die Schuld trägt, ist nicht anzunehmen. Wissen wir doch, mit welcher Energie und auch oft Raffinesse vorge­gangen wird, wenn es sich um linkseingestellte Leute handelt. Natürlich werden wir uns im Landtag sehr bald auskunftheischend an die Re­gierung wenden, um zu erfahren, was mit den schuldigen Polizeibeamten geschehen ist. Ganz toll ist es aber, daß man noch zwei weiteren äußerst verdächtigen SA.- Leuten Gelegenheit gab, zu fliehen. Der Staatsanwalt, scheint lang fam in Gang zu kommen. Die Methoden, nach denen dieser Herr Berhöre vorgenommen hat, wer den noch Gegenstand besonderer Besprechung sein!

Einbeziehung von Reis und Reisabfällen in das Maismonopol angeordnet. Die Preise für Speise reis sollen, wie beruhigend hinzugefügt wird, durch diese Regelung nicht beeinflußt werden.

"

Trost mit Benzoësäure Unsere Mitteilungen über die Unsinnigkeit und Schludrigkeit der Margarinepläne hat Ber­legenheitsausreden der verantwortlichen Stellen hervorgerufen. Zu der Veröffentlichung des Borwärts" im Mittwoch- Morgenblatt vom 28. Dezember Ranzige Margarine für das Bolt" wird von zuständiger Stelle erklärt, daß die vom ,, Vorwärts" erhobenen Vorwürfe nicht zuträfen. Man behauptet, durch einen chemischen Zusatz von Benzoëfäure sei eine Haltbarkeit der Margarine bis zu 60 Tagen garantiert. Die Re­gierung werde außerdem scharf darüber machen, daß bei der Margarine teine Preissteigerungen eintreten.

Diese bürokratischen Berlegenheitsausreden und Beteuerungen werden niemanden imponieren, ihre Brüchigkeit wird sich sehr bald herausstellen.

3ersetzung der SA .

Die Folgen des Straßer- Krachs Eigener Bericht des Vorwärts" Halle( Saale) , 28. Dezember. In Mitteldeutschland ist die nationalsozialistische SA., bisher das festeste Fundament der Nazi­bewegung, im Augenblick völlig gelähmt und aftionsunfähig. Der Konflikt zwischen Hitler und Straßer wirkt sich auch hier dadurch aus, daß große Teile der SA. der NSDAP . den Rücken fehren. Ein Teil der SA. in den Städten und größeren Dörfern hat in den letzten Tagen wieder­holt den Dienst verweigert.

Der Sturm 31( Weißenfels Saale) hatte vor vier Wochen noch eine liftenmäßige Stärfe von 270 Mann. Jezt hat die Leitung 70 Mann streichen müssen, da sie nicht mehr zum Dienst erschienen. In alle fam es zwischen 56. und S.- Leuten mährend der Anmesenheit Hitlers zu einer schweren Brugelei. Auch die Ge folgschaften 13 und 14( alle und Saale­Kreis) haben starten Abgang an Mitgliedern