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Morgen- Ausgabe

Nr. 5 A 3 50. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

4. Januar 1933

In Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 15 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teile

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Margarineffandal dauert an

Konsumvereine und Gewerkschaften protestieren

Die Bertreter des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine und der Großhandelsgesellschaft haben Gelegenheit ge­nommen, beim Reichslandwirtschaftsminister ihre Bedenken gegen die Margarinepläne vor­zubringen. Sie betonten, daß durch den Butter­beimischungszwang der Landwirtschaft nicht ge­holfen werden könne. Außerdem wiesen sie dar­auf hin, daß der Beimischungszwang unbedingt zu einer Berteuerung der Margarine führen müsse. Im übrigen warnten die Vertreter der Konjumgenossenschaften vor den volkswirt­schaftlich schädlichen Folgen einer Kontingentierung in der Margarineindustrie.

Am Dienstag hatten die

Vertreter der freien Gewerkschaften eine Unterredung mit dem Reichslandwirtschafts­minister über die Margarineprojekte der Reichs­regierung. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschafts­ bund   war durch den Reichstagsabgeordneten Graßmann, der UfA  - Bund durch Stehr und der Allgemeine Deutsche Beamtenbund durch Kohur vertreten. Ueber den Berlauf der Be­fprechung wird uns folgendes mitgeteilt:

,, Bereits am 23. Dezember 1932 hatten die frei­gewerkschaftlichen Spitenorganisationen tele­graphisch an den Reichskanzler einen protest gegen jede kontingentierung von Ein­fuhr von Margarinerohstoffen, gegen jeden Bei­mischungszwang von Butter zur Margarine, gegen alle die Margarine verteuernden oder ver­fnappenden Maßnahmen gerichtet. Am 3. Januar 1933 mittags wurden Vertreter des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes  , des AfA- Bundes

und des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes bei dem Reichsminister für Ernährung und Land­wirtschaft vorstellig. Sie erneuerten den bereits telegraphisch mitgeteilten Einspruch gegen die Ab­ficht der Regierung und betonten besonders, daß nach ihrem Ermessen die Notverordnung vom 23. Dezember 1932 mit dem Artikel 48 der Reichs­verfassung nicht begründet werden könne. Es sei

Sache des Parlaments,

die von der Regierung gemachten Vorschläge zu prüfen und entsprechend gesetzgeberisch zu ver­abschieden. Der Reichswirtschaftsrat habe sich als gutachtliches Organ bei den Beratungen über Beimischungszwang wiederholt konsequent ablehnend ausgesprochen.

Die Frage sei aus dem Grunde so bedeutungs­voll, weil die Margarine, besonders die billigeren Sorten, heute das ausschließliche Fett der Aermsten, befonders der Arbeitslosen geworden sei. Ja, angesichts der gesunkenen Einkommen besonders der Kurzarbeiter und der niedrig ent­lohnten Angestellten und Beamten sei die Mar­garine heute als Erfah für die Butter ge­freten. Die Gemertid, aftsvertreter forderten die Aufhebung der Notverordnung mit dem Ziel, einen Zwang zur Beimischung von Butter zur Margarine zu beseitigen, und belegten diese ihre Forderung mit einer Reihe von Gründen.

Der Minister fonnte fich der Schilderung der Notlage weitester Kreise der städtischen Bevölke­rung nicht verschließen, eine Verfeuerung der billigen Margarineforten würde zu einer weiteren Einschränkung des Konfums von Fetten führen.

Vor den Entscheidungen

Reventlow gegen Goebbels   und Hitler  

Je näher die Sigungen des Reichstages rüden, um so unsicherer wird die Haltung der National­fozialisten, die sich nach außen furchtbar lampf­lustig gebärden, unter der Hand diesen Kampf aber immer wieder aufzuschieben trachten. Nach­dem Göring   durch Verschiebung des Aeltesten­rats die erste Januarwoche gerettet hat, müssen seine Getreuen harren, um zunächst die zweite zu retten. Die Regierung, die dem angstvollen Spiel mit einer gewissen Schadenfreude zufieht, erklärt taltschnäuzig, sie habe an einer weiteren Ber­schiebung der Verhandlungen kein Interesse und sei jederzeit zur Abgabe ihrer Erklärung bereit. Der Völkische Beobachter" gibt die fomische Versicherung ab:

Hitlers   Neujahrsbotschaft, nach der es für uns feine Bergleiche und Kompromiffe gibt, fet unsere Feinde in Schreden!

Man hört förmlich das Zähneflappern aus Angst vor dem grimmen   Führer". Aber der ,, Angriff" will die Angst doch noch ein wenig ver längern und versichert schämig:., Unter Umständen wird die Reichstagsfizung erst am 17. Januar stattfinden". Die Schredensstreiter wollen erst nochmal ihre Säbel schleifen.

Die Gärung und Zersetzung im eigenen Lager geht inzwischen weiter. Das einzige Organ, welches darüber etwas verlauten läßt, ist das ,, Hamburger Tageblatt  ", gauamtliches Organ der NSDAP.  , das Herrn Hitler   schon manchen Rummer bereitet hat. In ihm erklärt Graf Reventlom zum Neujahrstage, wie oft wohl an den gleichen Tagen der vergangenen Jahre ,, mit starten Worten und dicken Ueber­fchriften prophetisch erklärt worden ist: Das tommende Jahr werde nun ganz sicher die Entscheidung bringen". Joseph, merkst du mas? Wer fann der unvorsichtige Prophet wohl sein? Reventlom hält ihn für etwas nerven­schwach". Er nennt es eine tadelnswerte Unfitte

und ein bedauernswertes Symptom für die Schwäche der deutschen   Nerven", daß man immer auf die Entscheidung wartet, die dann eine Art goldenes Zeitalter bringen werde,

um

,, oder auf den großen Mann, nach dessen Erscheinen man sich nichts mehr zu fümmern brauche". Herr Reventlow   fordert, daß man sich an den

Auf der anderen Seite sei die Lage der Land­wirtschaft, besonders der Veredlungsprodukte erzeugenden Betriebe, unhaltbar geworden. Der Rückgang des Berbrauchs an Frischmilch habe eine gesteigerte Erzeugung von Butter zur Folge, die wiederum unverkäuflich bleibe. Die Regierung müsse Maßnahmen treffen, die der Landwirtschaft gesteigerten Absatz von Veredelungsprodukten er­mögliche, ohne daß deshalb der Fettverbrauch

namentlich der Minderbemittelten und Erwerbs­lofen beeinträchtigt werden könne."

Margarine- Wahlen

Bayerische Voraussagen

Die ,, Bayerische Staatszeitung  " macht auf die politischen Folgen der Margarine Notverordnung aufmerksam. Das Blatt betont, daß sich gegen diese Notverordnung eine Einheitsfront aus Produzenten und Konsumenten gebildet habe. Die überwiegende Mehrheit der Landwirtschaft sei durch die Notverordnung ent täuscht, während auf der Konsumentenseite nicht nur die Linksparteien, sondern auch die chriftlichen Gewerkschaften, also das Zentrum, gegen die Not­verordnung protestieren. Die Notverordnung werde unzweifelhaft im Reichstag mit großer Mehrheit aufgehoben werden, da auch die Nationalsozialisten feine Lust verspüren, die Not­verordnung zu verteidigen. Infolgedessen sei für die Reichsregierung der Konflikt mit der Volks­vertretung unvermeidlich und aller Voraussicht vertretung unvermeidlich und aller Voraussicht nach würden im März Margarine. Wahlen" stattfinden.

Gedanken endlich gewöhne, daß Kampf, Entwid­lung, Hindernisse und Zersetzungsbewegungen nicht aufhören und daß das goldene Zeitalter" nicht kommen wird.

Er wagt sich also nicht nur an Mohammed  , den Propheten, sondern auch an Allah  , den Gözen felbst heran, an den großen Mann, der das " goldene Zeitalter" immer wieder verspricht. Dagegen hat er immer wieder eine lobende An­erkennung für Straßer, den Geächteten und

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Gestraften, dessen Krankheitsurlaub" eigentlich abgelaufen ist, aber wohl verlängert werden muß. Kein Wunder, daß die Herren Nazi es mit dem Reichstag   gar nicht eilig haben.

Terror im Polenheer

Standgerichte gegen Aufrührer

Eigener Bericht des Vorwärts"

Warschau  , 3. Januar.

Durch Berordnung der Warschauer   Garnison­leitung find mit dem heutigen Tage militärische Standgerichte im gesamten Warschauer   Bezirk eingeführt worden. Danach werden Bergehen von Militärpersonen, wie Ueberfall auf Borge­jetzte mit der Waffe in der Hand, hochverräterische und umstürzlerische Tätigkeit, Spionage usw. sofort flandgerichtlich mit dem Tode durch Erschießen be­straft. Vor einigen Tagen find ähnliche Verord­nungen auch von dem militärischen Kommandanten in der ukrainischen   Stadt Cu3k und in der west­polnischen Weberstadt Lodz   erlassen worden; fie dürften bald auf ganz Polen   ausgedehnt werden. Diese Maßnahmen haben größtes Aufsehen er­regt, da sie zu der Vermutung zwingen, daß es im polnischen Heere nicht so ruhig ist, wie die leitenden Stellen ständig versichern. Man be­

fürchtet anscheinend vor allem ein schnelles An­wachsen radikaler Tendenzen unter den Soldaten unter der Wirkung des aufreizenden Massenelends ihrer proletarischen oder kleinbäuerlichen Ange­hörigen.

Protest in London  

In der Silvesternacht hatte der englische Rundfunk Silvesterprogramme mehrerer europäischer Staaten übertragen. Bevor auf einen neuen ausländischen Sender umgeschaltet wurde, machte der Sprecher einige einleitende Be­merkungen. Bei der Umschaltung auf Warschau  soll Polen  , wie eine polnische Protestnote sagt, als ein Land bezeichnet worden sein, das ein

Drittel feines Staatshaushalts für Rüstungen ausgibt. In dieser Bemerkung sieht Polen   die Berwendung der englischen Sender zu politi scher Propaganda gegen eine be freundete Macht und fordert Maßnahmen, die eine Wiederholung unmöglich machen.

Gebot der Zeit

Neugestaltung der Wirtschaft

Von Rudolf Wissell  

Die Einsicht weiter bürgerlicher Kreise in die Ursachen unserer wirtschaftlichen und sozialen Nöte ist unglaublich gering. So konnte man beispielsweise fürzlich in einer großen bürgerlichen Zeitung- der Name tut nichts zur Sache, da ihre Ansicht nur als

typisches Beispiel angeführt werden soll über die Pläne der Regierung Schleicher beschaffungsprogramm der öffentlichen Hand Ausführungen wie diese lesen: Das Arbeits­müsse in seinen natürlichen Grenzen bleiben, dürfe nicht Selbstzweck, sondern nur Not­brücke sein, um ,, normale Wirts schaftsverhältnisse" wieder herzu­stellen, die allerdings ohne Abbau der über­steigerten Belastungen der Wirtschaft un­denkbar seien.

Was sind denn ,, normale Wirtschaftsver­hältnisse?" Da wir seit dem Kriege ,, nor­male Wirtschaftsverhältnisse" nicht gehabt haben, können darunter doch nur die der Vorkriegszeit gemeint sein. Sind die denn überhaupt noch möglich? Immer noch haben weite Kreise nicht begriffen, daß wir uns in einer Strutturwandlung be­finden, die die Rückkehr zu den alten Birt schaftsverhältnissen ganz unmöglich macht.

Seit 1914 ist die Zahl der von den Men­schen benutzten Maschinenkräfte um über das Doppelte gestiegen, ohne daß sich die Absatzmöglichkeiten auch nur annähernd im gleichen Maße gehoben hätten.

dustrie, nicht nur in Deeutschland, sondern in Der außerordentliche Aufschwung der In­der ganzen Welt, beruhte auf der Tatsache, daß immer neue Märkte auf der Erde erschlossen wurden und für große Bevölke­rungszahlen mit ihrem riesigen Bedarf eine stetige Vermehrung und Vergrößerung der industriellen Erzeugungsstätten ermöglichten. Damit ist es vorbei. Die Erschließung neuer Gebiete hat auf absehbare Zeit ihren Abschluß erreicht. Wo noch Absatzmöglich­feiten liegen, wie in den weiten Gebieten Asiens  , hindern die politischen Wirren und die durch sie hervorgerufene Berarmung der Bevölkerung auf lange Zeit die Ausnutzung dieser Märkte. Die namentlich von französi­scher Seite als Mittel zur Wirtschaftsbele­bung gewünschte Erschließung von Ost= und Südosteuropa   tann keine Hilfe bringen, denn die Kräftigung und der Aus­bau der dortigen Landwirtschaft, die freilich einmal kommen müssen, würden heute nur weitere Lebensmittel auf den Markt bringen und zu einem schweren Wettbewerb mit der alten Landwirtschaft Europas   führen.

Die Tatsache, daß mit einem ständig stark zunehmenden Verbrauchszuwachs für die Zukunft nicht mehr gerechnet werden kann, muß für die innere Organisation der eige­nen Wirtschaft in Rechnung gestellt werden. Die Hoffnung auf Wiederkehr des Vergan­genen ist nur ein Hindernis auf dem Wege zur Zukunft.

Die Industrie der Produktionsgüter hat sich in den letzten Jahren erheblich erweitert und zur vollsten technischen Höhe entwickelt. Die volle Ausnügung ihrer Produktions­ſtätten ist ihr dadurch unmöglich geworden. Dafür schleppt sie jetzt das Bleigewicht eines toten Kapitals mit sich, das sie in schwerster Weise lähmen muß. Dies um so mehr, als die Vermehrung und Vergrößerung nicht nur in den alten Produktionsgebieten er folgt ist, sondern die mittelbaren und un­mittelbaren Wirkungen des Krieges und der Kriegsfolgen auch in den Ländern eine In­dustrie haben entstehen lassen, die früher auf den Bezug der Waren aus den alten Pro­duktionsgebieten angewiesen waren. Zu