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Abend- Ausgabe Nr. 20 B 10 50. Jahrg.

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BERLINER

VOLKSBLATT

DONNERSTAG

12. Januar 1933

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts.. 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise

fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Alle gegen alle!

Antimarxistische Regierungskunst

Der offene Krieg, der zwischen der Reichs­regierung und dem Reichslandbund ausgebrochen ist, ist auch nur ein Zeichen der Zeit, eines von vielen. Man hat dem deut­ schen   Bolle herrliche Zeiten versprochen, wenn nur der ,, Marrismus von jeder Re­gierungsmacht entfernt werde. Das Ergebnis jedoch mar, daß die sogenannte ,, nationale Rechte" in der furchtbarsten Weise ihre Re= gierungsunfähigkeit offenbarte. An Stelle der angekündigten Zusammenfassung aller nationalen Kräfte erleben wir einen Krieg aller gegen alle, der mit Mitteln der Intrige, der Rabale, der Hinter­list und Niedertracht geführt wird.

Früher sollte der Margismus an der Not der Landwirtschaft die Schuld haben. Jetzt erklärt der Reichslandbund, diese Not habe ,, unter Duldung der derzeitigen Re­gierung ein selbst unter einer margisti schen Regierung nicht für möglich gehaltenes Ausmaß angenommen". Also ging es der Landwirtschaft unter, marxistischen" Re­gierungen besser, als es ihr unter der gegenwärtigen ,, nationalen" Regierung geht! Wir nehmen das dankend zur Kenntnis.

Nach der Mitteilung verschiedener Blätter war vor einigen Tagen Gregor Straßer  bei Hindenburg  . Die Regierung be stritt das sehr entschieden, sie behauptete, das sei eine Verwechslung: nicht bei Hindenburg   sei Straßer gewesen, sondern bei Schleicher  . Andeutungen der Rechts­presse lassen darauf schließen, daß Straßer mit Schleicher   gegen Hitler   konspiriert mie Hitler mit Papen gegen Schleicher  zu konspirieren versuchte.

Jetzt wird zugegeben, daß Straßer   bei Hindenburg   war!

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Die Deutsche Allgemeine Zeitung" will wissen, daß Hitler neuerdings bereit sei, sich mit dem Reichsinnenministerium und dem Reichswehrministerium zu begnügen, welch letzteres es für sich per­sönlich in Anspruch nehme. Das der Re­gierung nahestehende Industriellenblatt fügt hinzu, daß dieser Plan ,, wohl keinerlei Aussicht auf Verwirklichung haben dürfte". Die ,, Kreuz- Zeitung  ", das Organ des Stahl­helms, verzeichnet das Gerücht, daß der nächste Kanzler Gregor Straßer   oder Bracht heißen werde. Hugenberg   oder ein anderer Deutschnationaler würden die zu vereinigenden Ministerien der Ernährung und der Wirtschaft übernehmen.

Inzwischen hat sich Herr von Schleicher vom Führer der Volkspartei, Herrn Dingel­den, über die schlechten Zeiten trösten lassen, später will er sich mit Kaas, Hugenberg  und, wie es heißt, Anfang nächster Woche auch mit Hitler   unterhalten. Es handelt sich dabei offensichtlich um einen Versuch, die Reichstagstagung noch über den ge­planten Termin des 24. Januar möglichst weit hinauszuschieben. Die Mitte, einschließ lich der Deutschnationalen, ist für diesen Plan bereits gewonnen, und die Nationalsozialisten find nach allgemeinem Urteil drauf und dran, sich ihm gleichfalls anzuschließen. Der 20. Januar, zu dem der Aeltestenrat ein­berufen ist, soll die Entscheidung bringen.

Je länger der Reichstag vertagt bleibt, desto länger kann in Dunkel gemunfelt wer­den. Desto ungestörter fann sich das Treiben der Intrigen und Kabalen entwickeln, das die Ueberschrift ,, nationale Politit" trägt!

Die Sorgen der Reichsregierung. Am Reichs­gründungstag( 18. Januar) wird in der gesamten Reichs und preußischen Vermaltung geflaggt. Bracht hat die außerpreußischen Landes­regierungen gebeten, fich dem Borgehen der Reichsregierung anzuschließen.

Nationaler Filmheld von Endingen  

Der falsche ,, Heimkehrer" vor Gericht

Freiburg   i. Br., 12. Januar.

Das Schöffengericht in Freiburg   i B. sitzt heute über den falschen Heimfehrer Daubmann  alias Schneider Hummel zu Gericht. Die ko­mödie, die dieser gerissene Mann mit Hilfe der nationalistischen Kreise Badens und später des gesamten Deutschlands   zum Gespölt der Welt aufführen durfte, wird seinen Richter finden.

Mit dem Prozeß wird der Schlußstrich gesetzt werden unter eine Tragikomödie, die über vier Monate halb Europa   beschäftigte. Noch ist die Geschichte des falschen Daubmann, dem es gelang, tausende von der nationalistischen Massenpsychose verheyter Menschen zu täuschen und selbst den Blick einer Mutter zu verwirren, in aller Munde. Kein Wunder, wenn alt und jung sich um die Karten zur Teilnahme an der Verhandlung reißen.

Besonders groß ist natürlich das Interesse in Endingen  , dem Heimatort des wahren Daub­mann, wo der Schwindler sein Gastspiel gab. Da Hummel bereits ein umfassendes Gestän nis abgelegt hat, dürfte die Verhandlung kaum noch wesentlich Neues bringen. Von den acht ge= ladenen Zeugen ist der frühere Bataillons­kommandeur des echten Daubmann, Major Bu miller, der wichtigste. Die Antlage legt Hummel neben mehrfachem Betrug schmere Urfunden­fälschung und Bersicherungsschwin del zur Last. Am schwersten belastet Hummel der Brief, den er unter dem Namen des echten Daub­ mann   am 17. Mai 1932 von Palermo   aus an die Eltern gefallenen Daubmann   richtete. In diesem Brief teilte er mit, daß er nach 16jähriger Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in franzö­ sischen   Kerfern geflüchtet und mit einem Schiff nach Neapel   gelangt sei. Er ersuche um Ueber­fendung des Tauf- und Geburtsscheines.. deutsche   Konsulat in Neapel   erhielt denn auch Tauf- und Geburtsschein Daubmanns, und am 28. Mai traf Hummel, von Tausenden erwartet, in Freiburg   ein. Hier stellte er sich frant und täuschte eine Ohnmacht vor. Das Wiedersehen mit den Eltern ging so rasch vonstatten, daß diese den Heimkehrer" zunächst gar nicht recht zu Gesicht bekamen. Die Fahrt ging nach Endingen   ins ,, Elternhaus", wo eine Woche später im Beisein von etwa 15 000 Menschen die große Begrüßungs­und Wiedersehensfeier, als nationaler Rummel aufgezogen, stattfand. Vier Monate hindurch spielte der Offenburger Schneider Hummel die Rolle des falschen Daubmann, bis am 11. Oktober die Entlarvung und Verhaftung erfolgte.

Das

Hummel alias Daubmann   lebte schon seit län­gerer Zeit von seiner Frau getrennt. Er schwebte

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Blamagen der nationalen Hetzapostel

ständig in der Angst, seine Frau würde ihn unter Umständen erkennen. Er gab zu, daß er in den Jahren 1909 und 1910 in Endingen   die 6. und 7. Volksschule besucht habe

und dort oft mit Oskar Daubmann   zusammen­fam, mit dem er befreundet war. Hummel wußte auch, daß Daubmann   im Weltkriege gefallen ist.

Er trieb nach seinen Angaben von 1930 bis zum Mai 1932 in Offenburg   ein eigenes Geschäft. Als

Schneider Hummel, der falsche Daubmann

dieses nicht mehr ging, setzte er sich auf sein Fahr= rad und fuhr nach Neapel  . In Neapel   ging das Fahrrad in Trümmer, und Hummel kam auf die Idee, jetzt die Geschichte mit Afrika   zu erzählen, um durch Vermittlung des Konsulats to sten= frei in die Heimat zu kommen. Hummel ist nie in Afrika   gewefen. Er hat beim Infanterieregiment Nr. 110 in Mannheim   gedient und war im Jahre 1916 in Freiburg   am Magen operiert worden. Hummel erklärte, er hätte ur­sprünglich die Absicht gehabt, sobald er in Deutsch­ land   war, unbemerkt zu verschwinden. Als er aber

Gregor Straßer   bei Hindenburg  

Der Empfang abgestritten und

Noch gestern abend haben die amtlichen Stellen bestritten, daß Gregor Straßer  vom Reichspräsidenten   empfangen worden sei. Heute mittag wird das jedoch in fol­gender Form zugegeben: ,, Der Herr Reichs­präsident hatte den Wunsch, die vielgenannte Per­fönlichkeit des Herrn Gregor Straßer   fennenzu­lernen und hat ihn zu diesem Zweck vor einigen Tagen empfangen. Der Herr Reichspräsident hat es jedoch abgelehnt, zu dem was ihm herr Straßer vortrug, Stellung zu nehmen und hat auch keinen Wert darauf gelegt, diesen Emp­fang bekannt werden zu lassen, damit nicht po­litische Konsequenzen daraus gezogen werden."

Reichskanzler von Schleicher und Reichsland­wirtschaftsminister Freiherr von Braun lassen gegenüber den Behauptungen des Reichsland­bundes fategorisch erklären, daß dessen Ent­schließung ihnen weder vor dem gestrigen Empfang der Landbundführer beim Reichspräsi­ denten   noch während dieses Empfanges mit geteilt worden ist. Beide Herren haben vielmehr diese Entschließung erst bei ihrer Rüdtehr von ihrer Besprechung vorgefunden. Wie bereits gestern amtlich gemeldet wurde, mar auch der

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zugegeben!

Reichspräsident peinlich überrascht, als er nach dem Empfang von dieser Ent­schließung erfuhr.

Zuerst wurden gestern die Landbundführer vom Reichspräsidenten   in Gegenwart des stellvertreten­den Staatssekretärs beim Reichspräsidenten  , Ge heimrat Döhle, empfangen. Im Laufe der Besprechung fand es der Reiche präsident für notwendig, die Reichsregierung an dem meiteren Empfang teilnehmen zu lassen, worauf der Reichskanzler und die Reichsminister für Ernährung und Wirtschaft herbeigeholt

wurden.

Reichsminister Freiherr von Braun erklärt, daß seine Politif von der ganzen Reichs: regierung geteilt werde, und daß er seinen Weg weitergehe, ohne Rücksicht auf landwirtschaft­liche Organisationen.

Zur Frage, ob und wann von der Ermächti gung Gebrauch gemacht werden wird, die Butterbeimischung zur Margarine vorzu­schreiben, wird erklärt, daß ein solcher Gebrauch überhaupt nicht notwendig sein wird, wenn die Margarineindustrie freiwillig die Butter­beimischung vornimmt.

erlebte, wie feierlich er empfangen und von einem zum anderen Empfang geschleppt wurde, habe er fich eines anderen besonnen. Man sei später an ihn herangetreten, auch Vorträge zu halten, die man ihm aufschrieb und die er aus: mendig lernen mußte. Hummel erklärte dazu: Mir war die Sache schon lange zu dumm." Seine Kenntnis über Afrika   rührte daher daß er sich ein­gehend mit einschlägiger Literatur beschäftigte und sich Ansichtskarten beschaffte.

Der gewißte Hummel spürte wohl, daß seine Daubmann  - Rolle nicht ewig währen würde. Aber taum befand er sich auf deutschem Boden, da kam der erste Empfang.

Und dann hagelte es Feier auf Feier, Ehrung auf Ehrung. Die Kriegervereine, die Bater­ländischen Verbände luden ihn zu Vorträgen ein, er war plöhlich ein Heros, ein Held, ob er wollte oder nicht.

Er hätte sich vielleicht gar so gern wie ein Mäuschen verkrochen, der arme kleine Schächer Ignaz Karl Hummel, aber die nationalistischen, militärischen schwarzweißroten Bereini­gungen brauchten ihn doch. Der Ba taillonskommandeur des toten Soldaten von der Somme Oskar Daubmann   geleitete ihn durch Deutschland  , und immer mußte er schreien: ,, Seht mich armen, noch jahrelang nach dem iege von den Franzosen gemarterten deutschen   Front­

tämpfer!"

Hummels Bernehmung

An der Verhandlung, die wahrscheinlich noch heute zu Ende geführt wird, nehmen u. a. auch die 20 Bertreter deutscher   und ausländischer Zei­fungen teil. Den Borfih führt Landgerichtsdirektor Dr. Mayer. Es erfolgte zunächst die Berlesung der umfangreichen Anflageschrift, die Hummel bekanntlich schweren Betrug in mehreren Fällen, schwere Urkundenfälschung und Versicherungs­schwindel zur Last legt. Die Vernehmung des Angeklagten gestaltete sich mehrfach sehr dra­matisch. Im Zuhörerraum fam es zu heiter­feitsausbrüchen. Als Sohn eines Ziegelei­arbeiters im Kanton Basel- Land   geboren, zeigte der Angeklagte von früher Jugend an einen aus­geprägten Hang zu Diebstählen. Er kam dann in eine Zwangserziehungsanftalt.

Aus der Militärvorbereitungsanstalt Ettlingen  , in die er im September 1914 aufgenommen wurde, entfloh er bereits im Oktober des gleichen Jahres wieder nach der Schweiz  , deren Behörden ihn an Deutschland   auslieferten. Er meldete sich kriegs­freiwillig, tat aber auch im Heer nicht gut und wurde im Juli 1917 wegen Betruges, Dieb­stahls, Urkundenfälschung und verschiedener mili tärischer Delikte zu Jahren Gefängnis ver­urteilt. Nach dem Krieg war er als Schneider tätig, wurde aber dann des öfteren wegen ähn licher Vergehen von deutschen   und schweizerischen Gerichten belangt. Im August 1930 tam er nach Offen burg, wo er sich selbständig machte und im September 1931 heiratete. Am 6. Mai 1932 verschwand er plöglich und überschritt am 9. Mai die deutsch- österreichische Grenze bei Lindau  , von wo er sich durch Desterreich und Italien   bis nach Neapel   durchschlug. In Neapel   schrieb er dann den bekannten Brief an die Eltern des Kriegs­vermißten Oskar Daubmann  , die er um Geburts­und Taufschein Oskar Daubmanns bat. Die Papiere wurden durch den Bürgermeister von Endingen   dem deutschen   Konsulat in Neapel   über mittelt, das Daubmann  " auch durch entsprechende Fragen in seiner Glaubwürdigkeit prüfen follte. Trotzdem sich schon damals Unstimmig feiten in seinem Bericht über die Gefangenschaft und seine abenteuerliche Flucht ergaben, konnte er doch unter größter Teilnahme der Deffentlichkeit sowie der verschiedenen Krieger- und Kriegsge fangenenorganisationen eine aufsehenerregende Heimtehr" feiern.

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In seine Heldenrolle" wurde der falsche Ostar Daubmann besonders durch den Gewerbe schuldirektor und Major a. D. Bumiller Sig maringen hineingeschoben, der ihm seine Vorträge ausarbeitete und feine Lebenserinnerungen" Ichrieb