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Abend- Ausgabe

Nr. 30 B 15 50. Jahrg.

Rebattion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bts 297 Selegrammabreffes Sozialdemokrat Berlin  

MITTWOCH

18. Januar 1933

Vorwärts= BERLINER VOLKSBLATT  

In Groß Berlin   10 Pf.

Auswärts.....

10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Rentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Bülowplatz

SA. will demonstrieren

Am nächsten Sonntag wollen die Nazis auf dem Bülowplay demonstrieren, was zweifellos eine starte Herausforderung der Berliner   Arbeiterschaft bedeutet, ganz be­fonders aber der Kommunisten, die dort ihr Parteihaus haben. Darob in große Auf­regung geraten, fordert die Rote Fahne" nicht nur die Anhänger der Kommunistischen Partei, sondern auch die sozialdemo fratischen Arbeiter auf, sich am nächsten Sonntag in großen Massen vor ihrem Hause und zu dessen Schuhe einzufinden.

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Bis zum Sonntag ist wohl Zeit genug, die Sache auch noch etwas faltblütiger zu betrachten. Nicht unerheblich ist dabei die Frage, was die Polizei tun wird. Sie fann was allerdings eine starke Provo­fation wäre die Kundgebung gestatten und ist dann auch genötigt sie zu schützen. Gegendemonstranten würden in diesem Falle ohne weiteres mit der Polizei zu= sammengeraten; ob es dann möglich sein würde, die Nazidemonstration zu verhindern, wäre sozusagen eine technisch militä rische Frage. Es liegt aber nahe, daß die Polizei die Nazidemonstration auf dem Bülowplay, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, nicht zulassen wird, dann wird fie natürlich überhaupt teine Kundgebung gestatten. Eine Gegenaktion hätte ja auch ihren Sinn verloren, wenn die Aktion unter­bleibt.

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Es scheint also, als ob die ,, Rote Fahne" etwas voreilig an die sozialdemokratischen Arbeiter appelliert hätte. Aber die Art, wie sie das tut, ist für die kommunistischen   Me­thoden höchst kennzeichnend. Unter dem Auf­ruf an die sozialdemokratischen Arbeiter bringt sie nämlich ein Bild vom Monarchisten­rummel im Sportpalast unter der albernen Ueberschrift: Schluß mit diesem Leipart­Rurs!" Was hat Leipart mit dem Rum­mel im Sportpalast zu tun? Nichts, auch nicht das geringste! Selten hat sich das frampfhafte Bemühen der Kommunisten, für alle Uebel in der Welt die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften verantwortlich zu machen, in so plumper Weise wie diesmal selber parodiert.

Die Frage des Zusammenstehens der ganzen Arbeiterklasse gegen feudale und faschistische Reaktion ist ungeheuer ernst. Daß sie nach kommunistischer Methode nicht gelöst werden fann, zeigt sich hier an einem Schulbeispiel. Man versucht die sozialdemo fratischen Arbeiter in planlose Aktionen mit hineinzureißen und will ihre Anwesenheit dazu benutzen, ihnen über die Sozialdemo= fratische Partei den gröbsten Unsinn vorzu­schwindeln. Da aber wirkliche sozialdemo fratische Arbeiter niemals auf so etwas hereinfallen werden, begnügt man sich damit, sich selber etwas vorzumachen, und das ganze tommunistische Einheitsfrontmanörer bewegt sich sozusagen im luftleeren Raum.

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Also, wenn wir bitten dürfen, etwas weniger Angst und etwas mehr Verstand! Es ist richtig, daß von der verhältnis­mäßig belanglosen Affäre am Bülowplaß abgesehen ein ernster Kampf gegen die Realtion nur mit den politisch ge= schulten Massen der Sozialdemo fratischen Partei zu führen ist, und wenn man das im kommunistischen   Lager einzusehen beginnt, so können wir diese Ein­sicht nur begrüßen. Wenn aber der Ceneral­stab der Roten Fahne" glaubt, bei einem solchen Kampf das Kommando führen zu tönnen, dann überschäßt er sich beträchtlich!

Ein neuer Flaggenstandal

Nazi- Parlamentspräsidenten provozieren die Republik  !

Auf dem Landtagsgebäude und dem ehemaligen Herrenhause weht heute neben den Fahnen in den Farben Preußens und des Reichs die schwarzweißrote Fahne des Kaiserreichs. Frohlockend beglück­wünscht die deutschnationale Presse den Landtagspräsidenten zu dieser Verfas­sungswidrigkeit. Augenscheinlich

ist diese Landtagsbeflaggung auf Be­treiben der Deutschnationalen erfolgt. Deshalb liegt offenbar eine Ver­beugung der Nationalsozia listen vor den Deutschnationalen und der schwarzweißroten Fahne vor.

Die sozialdemokratische Fraktion hat so­fort gegen Kerrls Anmaßung folgenden Antrag eingebracht:

Wir erheben gegen diese ungeset liche Beflaggung des Landtags= gebäudes allerschärfsten Protest. Der Landtag wolle beschließen, den Land­tagspräsidenten aufzufordern:

1. die schwarzweißrote Fahne sofort von dem Landtagsgebäude zu ent fernen, da nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen diese Beflaggung un zulässig ist;

2. die Kosten für die Beschaffung der schwarzweißroten Fahne persönlich zu übernehmen, da die Bezahlung aus Staatsmitteln unzulässig ist."

Wo Nazi- Kerrl sich rührt, darf Nazi­Göring nicht schlafen. Dieser Präsident des Reichstags brachte es sogar fertig, von dem Präsidentenhause die dort heute gehißte deutsche Reichsflagge her. unterholen und sie durch die Kaiser.

flagge schwarzweißrot ersehen zu lassen.

Die Nationalsozialisten, die erst durch die bürgerlichen Stimmen des Zen­trums und benachbarter Gruppen in ihr Amt gekommen sind, legen es offensichtlich darauf an, das Volk zu provozieren. Wann wird ihnen dieses Handwerk durch ihre parlamentarischen Wähler gelegt werden?

Kerrl feiert die Zollern

Bei der Eröffnung der Mittwochsitzung des Preußischen Landtages   gedachte Präsident Kerrl in einer kurzen Ansprache der 62. Wiederkehr des Reichsgründungstages, wobei er das Fürsten­geschlecht der Hohenzollern   den Träger der deutschen   Einheitsidee nannte.

Die Nationalsozialisten nahmen die Ansprache des Präsidenten mit Bravo- Rufen auf, Sozial­demokraten und Kommunisten waren der Kund= gebung ferngeblieben. Die anwesenden Ab­geordneten hatten die Kundgebung des Präsidenten stehend angehört.

Zu 2ärmszenen fam es hierauf, als der fozialdemokratische Atgeordnete Jür gensen ten Antrag seiner Fraktion wegen der Beflaggung des Landtagsgebäudes mit den schwarzweißroten Farben einbrachte und Unter­brechung der Sigung forderte, damit der Aeltesten­rat dazu Stellung nehmen könne. Die Unter­brechung der Sizung wurde jedoch abgelehnt.

,, Waffendepots"

Die sozialdemokratische Fraktion im Breußischen Landtage hat folgenden Urantrag zu dem Unfug nationalsozialistischer Waf­fenlager eingebracht:

Was wird mit Berlin  ?

Gerüchte um die Bezirksreform

Es ist noch nicht lange her, da der allgewaltige Kommissar Bracht der Stadt Berlin   ein Ulti­matum zugehen ließ, das von der Reichshaupt­stadt innerhalb kürzester Frist die Vorlegung einer Bezirks und Verwaltungsreform forderte. Herr Bracht hatte es damals so eilig, daß er auf den Protest der Stadtvertretung hin die Frist von sich aus zweimal verlängern mußte.

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Inzwischen war man im Rathaus fieberhaft tätig, um das schwierige Projekt fertigzustellen. zwei anerkannte Kommunalpolitiker, Bürger­meister Lange und Stadtrat Dr. Heuer, arbeiteten den bekannten Magistratsplan aus, nach dem die Reichshauptstadt zukünftig aus neun Be­zirken bestehen soll und der eine Vereinfachung und Umänderung der gesamten Bezirksverwaltung vor­sieht. Nachdem die Stadtverordneten das Wert durchberaten hatten, ohne allerdings zu einer einheitlichen Stellung zu gelangen, wurde die Reform dem Berliner   Polizeipräsidenten  in seiner Eigenschaft als Regierungspräsident zur Begutachtung vorgelegt. Hier wurde der Plan im großen und ganzen als eine Besserung gegenüber dem bisherigen Zustand besonders deshalb be­grüßt, weil durch seine Verwirklichung eine größere lebereinstimmung der städtischen Verwaltungs­bezirke mit den Polizeibezirfen erreicht wird.

Das so von allen Seiten kritisch abgetastete Reformiert gelangte nun schließlich über den Oberpräsidenten an das preußische Innen­ministerium, wo Herr Bracht nach autori­tären Rezepten regiert. Und nun wurde es plötz lich um die Berliner   Verwaltungsreform, die man vorher nicht stürmisch genug verlangen fonnte, ruhig und still. Von den regierenden Män nern war nicht berauszubekommen, mann die jo

Angst vor der eigenen Courage?

stürmisch verlangte Vereinfachung der Berliner  Berwaltung nun durchgeführt werden sollte.

Heute wissen nun plötzlich zwei Vormittags­blätter zu berichten, daß man im Innenministe­rium der Ansicht jei, das Reformmert sei so, wie es vorgelegt wird, überhaupt nicht zu verwirf­lichen. Man wolle die gesamte Umänderung der Verwaltung bis nach den Kommunal= wahlen im Herbst 1933 vertagen. Es soll heute nachmittag eine Besprechung des Berliner  Oberbürgermeisters mit dem Reichs­tommissar Bracht über diese Frage stattfinden.

Es scheint also, daß Herr Bracht seine Meinung über die Notwendigkeit einer Berliner   Berwal­tungsreform geändert hat, weil er irgendwelden reaktionären Einflüsterungen unterlegen ist. Ein neues Beispiel ,, autoritärer Staats= führung!"

Die Morphiumspriße

Reichsjustizminister Gürtner über den neuen Vollstreckungsschutz

Reichsjustizminister Dr. Gürtner erläuterte heute mittag vor der Presse die neue Notver­ordnung des Reichspräsidenten über den Voll= streckungsschutz für die Landwirtschaft. Er betonte ausdrücklich im Laufe seiner Aus­führungen, daß derartige Maßnahmen wie der Bollstreckungsschuß die Landwirtschaft nicht heilen

fönnten,

ebenso wenig wie eine Morphiumsprihe einem Patienten Heilung zu bringen vermöge

,, Die Aufklärung des gemeinen Raubmorb verbrechens am Silvestertage gegen den deutschnationalen Gutspächter Steinide in Streithof im Kreis Random( Pommern  ) läßt nicht nur die Herkunft der Waffen, die bei diesem Verbrechen benutzt worden sind, sondern auch die Sprengstoffquellen erkennen, aus denen Bomben zu dem Anschlag auf das Gebäude des sozialdemokratischen Volksboten" in Stettin  am 9. August 1932 Verwendung fanden. Aus dem Polizeibericht geht einwandfrei hervor, daß die vier festgenommenen Stettiner Natio nalsozialisten bei Begehung des Raub mordes in Streithof mit Waffen ausgerüstet waren, die aus dem Depot der SA  , stammten.

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Bei Aufklärung anderer Ueberfälle, Verbrechen und Mordtaten, an denen Nationalsozialisten be teiligt waren, ist in den Polizeiberichten wieder­holt von Waffendepots und Waffen beständen der SA. die Rede. Diese polizei­lichen Feststellungen zwingen zu der Schlußfolge­rung, daß die

SA. fich unter den Augen der Behörden Waffenbestände zugelegt hat, die zur Ausübung gemeiner Berbrechen Verwendung finden.

Die ständige Zunahme von Ueberfällen auf Berkehrslokale und Wohnungen organisierter Ar beiter, von Raub- und Mordtaten durch Angehörige der nationalsozialistischen Bewegung in den letzten Tagen erfordert schärfste Abwehrmaßnahmen.

Die Fraktion beantragt daher, das Staats­ministerium zu ersuchen, den Reichskommissar erneut auf die Gefahr hinzuweisen, die durch die Bewaffnung der SA. entstanden ist, und von ihm zu verlangen, im Interesse der durch die Verbrechen der SA. gefährdeten Sicherheit und Ordnung die Waffenbestände der SA. zu beschlagnahmen."

Der Zweck dieses Mittels liege darin, es der Landwirtschaft zu ermöglichen, die Krise zu über­dauern, so wie eine Morphiuminjektion zuweilen notwendig ist, um an einem Patienten die un erläßliche Operation überhaupt zu ermög lichen, die allein die Heilung bringen könne.

Dr. Gürtner erläuterte die einzelnen Bestim mungen der Notverordnung und kam zusammen­faffend zu dem Schluß, daß sie teine eigentliche Erweiterung des bisherigen Osthilfeverfah rens darstelle, sondern nur eine Ausdehnung in zeitlicher Beziehung( bis längstens 31. Ottober 1933) und einige sachliche Erleichterun= gen bringe.

Trogtys Anklage

Stalinschuld

am Selbstmord Sinaida Wolkows Leo Trotzky   hat seiner Uebersetzerin hier in Berlin   eine Darstellung der Ursache des Selbst mordes seiner Tochter geschickt. Die Uebersegerin ist beauftragt, dieses Schreiben an das Zentral­fomitee der KPR. weiterzuschicken.

Trotzky gibt der Aberkennung der Sowjetstaats­bürgerschaft gegen seine Tochter die Hauptschuld an ihrem Selbstmord, denn hierdurch ist sie an der Rückkehr nach Rußland   verhindert worden. Deutsche   Psychiater hatten diese Rückkehr zu dem dort hinterlassenen Töchterden und in die ge­wohnten Lebensverhältnisse als einziges Mittel zur Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts Sinaidas erklärt. Da ihr diese Reise verwehri war, ging fie in den Tod.

Trogtys Schreiben bestätigt, daß sein Schmie­gersohn Wolfom politischer Verbannter ist. Man erfährt meiter, daß Troßfys jüngere Tochter an her Schwindsucht verstorben ist- 70 Tage hat