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Abend- Ausgabe

Nr. 42 B 21 50. Jahrg.

Rebattton und Berlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 3

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BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

25. Januar 1933

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts.... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Nichtangriffspaft

Warum

nur mit kapitalistischen Staaten?

Sowjetrußland schließt mit kapita­listischen Staaten Nichtangriffspakte. In einem Vertrag mit Frankreich verpflichtet es sich unter anderem:

,, fich in teiner Weise in dessen Angelegenheiten einzumischen und sich vor allem jeder Betätigung zu enthalten, die auf die Erregung irgendeiner Art vor Agitation, Propaganda oder Inter­ventionsversuche abzielen würde. deren Zweck die Schmälerung der territorialen Integrität oder die gewaltsame Umgestaltung des politischen oder fozialen Regimes seines Gesamtgebiets oder eines Teilgebietes bildet."

Vor einiger Zeit hat der tschechische Sozial­demokrat Koudelka öffentlich die Frage aufgeworfen, warum Sowjetrußland mit kapi­ talistischen und reaktionären Staaten solche Patte abschließen kann und warum trotzdem die Kommunisten in allen Ländern die Sozial­demokratie mit den gröbsten Unwahrheiten bekämpfen müssen. Warum sollte zwischen den Parteien der zweiten und der dritten Internationale nicht ein ähnliches Verhältnis möglich sein, wie es zwischen Sowjetrußland und den kapitalistischen Ländern besteht?

Die Sozialdemokratie verlangt selbstver­ständlich nicht, daß der Kampf gegen das soziale und politische Regime tapitalistischer Länder eingestellt wird. Im Gegenteil, sie führt ja diesen Kampf selber und wünscht nur, dabei nicht von den Kom­munisten durch Ueberfälle im Rücken gestört zu werden. Warum tann Sowjetrußland den tapitalistischen Ländern versprechen, daß es ihr soziales Regime nicht angreifen wird, und warum tann die dritte Inter­nationale nicht der zweiten versprechen, daß fie ihr in ihrem Kampf gegen das soziale und politische Regime nicht in den Rücken fallen wird?

Die Antwort, die Genosse Koudelka auf diese Fragen erhielt, war schroff ablehnend. Sie bestand aus einem Gemisch von Ver­legenheitsausreden und Schimpfereien.

Kann die Angelegenheit damit abgetan sein? Wir glauben nicht! In Deutsch­ land zieht die Reaktion aus dem Kampf der Kommunisten gegen die Sozialdemokratie den größten Gewinn es droht ein Staatsstreich mit stärkster Bedrückung der Arbeiter; aber die Kommunisten füm­mern sich nicht darum, sondern fahren fort, die Sozialdemokratie als den ,, Hauptfeind" zu bekämpfen, gegen den der Hauptschlag" zu führen ist.

An die Belehrbarkeit der kommunistischen Führer zu glauben, ist schwer. Vielleicht aber sehen die kommunistischen Arbeiter jetzt, nach dem 22. Januar, ein, wohin dieser Un­fug führt und bereiten sie ihm ein Ende!

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,, Wo ist die Kommune? Im Keller, hu huu!" So höhnten die Nazis am Sonntag auf dem Bülowplay. Sie höhnen über Torglers vergeblichen Bittgang zu Schleicher; sie höhnen über die ,, Rote Fahne ", die den 22. Januar als einen Sieges­tag der revolutionären KPD. feiert, weil in der Gormannstraße eine alte Matraze per: brannt wurde..

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Die KPD. muß umlernen, wenn sie nicht im Hohngelächter ihrer Gegner untergehen will! Mit welchem Recht kann sie nach dem 22. Januar behaupten, revolutionä rer" als die Sozialdemokratie zu sein? Mit welchem Recht kann sie ihren Kampf gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften in der bisherigen Weise fortsetzen, wenn ihr sozialistisches Vaterland" mit kapitalistischen Staaten Nichtangriffspatte schließt?

Das 3K. der APD. wird um Antwort ge­beten!

Verjeut, verhurt, versoffen!

Wozu die Osthilfemillionen verwandt werden

Im Haushaltsausschuß des Reichstags frug der Zentrumsabgeordnete Ersing Duhende von Fällen schmutzigster Osthilfekorruption vor. Aus der Fülle seiner Mitteilungen geben wir das folgende wieder:

Die beiden Grafen von Kayserling im Kreise Striegau haben in zwei Jahren fast 700 000 Mark Schulden gemacht, ziehen ihre Gläubiger hin und verhindern Zwangsversteigerungen. Ihr ansehnliches Vermögen befindet sich in der Schweiz . Die Umschuldung des Herrn von Quast­Radensleben erfolgte auf besondere Anwei­fung des Reichskommiffars.

Der Leiter des Finanzamts Ruppin äußerte bei Weiterreichung des Antrags über den Antragsteller, seine Schulden seien entstanden, weil er sein Vermögen verjeut, verhurt und versoffen habe. Trok dieser schwerwiegenden Be­schuldigungen entschied das Reichs. kommissariat, daß er umgeschuldet werde, da der Besitz seit mehreren Jahr­hunderten der Famile gehöre.

Die Umschuldung erfolgte derart, daß die gesamte Amerika - Anleihe von der Ritterschaft abgelöst wurde. Außerdem wurde ihm eine Umschuldungs­hypothet von 250 000 Mart und außerdem ein Darlehn aus den Betriebsversicherungsfonds von 31 000 Mart gewährt.

Der Herr von Schoenermart- Harne­

topp ist auf besondere Veranlassung des jetzigen Ministers von Braun umge­schuldet worden. Die Landstelle war gegen die Umschuldung, weil es sich um betriebs­fremde Schulden handele.

Herr von Braun aber verfügte, daß die Umschuldung nach den hohen Werten eines anderen Gutachtens zu erfolgen habe.

Besonders standalös liegt der Fall des Ritter­gutsbesikers Willy Kroed im Kreise Wehlau . Um den Antrag auf Osthilfe zu be­gründen, wurden eheliche Differenzen konstruiert. Der Frau wurde der Biehbestand über­eignet. Bei einer späteren Schähung führte der Rittergutsbesitzer den prächtigen Biehbestand vor, verschwieg aber, daß er ihm nicht gehört. Darauf­hin wurden 154 000 Mart aus Mitteln der Off­hilfe ausgezahlt. Trotzdem ging Kroed in on­furs. Vor der Versteigerung verschleuderte Frau Kroed den Viehbestand für 36 000 Mark und stellte das Geld ihrer 20jährigen Tochter als Bietungskaution zur Ver­fügung. Die Tochter ersteigerte das Gut, die Familiensanierung war geglüdt, die ehelichen Differenzen hatten aufgehört. Der Herr Ritter­gutsbesitzer lebt jetzt mit seiner Frau in Köslin von den Erträgnissen des von der Tochter ver­walteten Gutes. In einem Strafverfahren wegen Betrugs wurde er zu- 400 Mart Geld-. strafe verurteilt!

Weitere Enthüllungen

Der Hauptausschuß des Reichstages will heute die erste Debatte über die Osthilfeffandale be­enden.

Abg. Heinig( Soz.) beginnt seine Rede mit einer Erörterung der höheren Gehälter in den Landstellen der Osthilfe und bei der Bank für Industrieobligationen, die ohnedies schon vom Reich jährlich 1,5 Millionen Mark Zuschuß be= fomme und jetzt noch eine Erhöhung verlange. Im übrigen befümmere fich die Industriebant auch um Sanierungen. die wohl nicht in die Ent­schuldung gehören.

Sei es richtig, daß von ihr jeht die Deutsche Tageszeitung" saniert werde?

Ueber die Verschwendungsfrise in den Landwirtschaftskammern, beim Bund der Landwirte und deren Hilfsorganisa­tionen gibt Heinig an Hand eines Gutachtens aus landwirtschaftlichen Kreisen zahlenmäßiges Ma­terial. Die Landwirte zahlen an ihre Kammern und Landbundorganisationen jährlich rund 60 Mil­lionen Mark an Beiträgen, ohne daß eine sachliche Berwendung gewährleistet werde. Ein ganzes

Heer von Geschäftsführern werde besoldet. Auch für politische 3wede würden reichlich Mittel ausgegeben.

Der nationalsozialistische Landbunddirektor von Sybel wollte die Angaben bestreiten. Da gab Heinig weiteres durchschlagendes Ma= terial über die Verschwendung in den Land­bundorganisationen! Weiter erörterte Heinig Dugende von Einzelfällen, angefangen mit einem

Freiherrn von Richthofen , der für seine Schulden eine Hypothek vom Gut seines Bruders gab, worauf dieser ins Sicherungsverfahren ging, bis zu armen Kriegsbeschädigten, die mit 300 Mark Forderungen bei Groß­banken hängen blieben, weil diese ins Sicherungsverfahren unterschlüpften.

In manchen Fällen bitten die Zusender von Material unter voller Nennung ihres Namens und ihrer Adresse, daß fie nicht genannt wurden, einer schrieb

,, sonst kann ich hier nicht mehr leben!" So stark ist die Interessentenmacht der­jenigen, die die Osthilfe ausnutzen!

Dann erörterte unser Redner, daß die National­sozialisten im Landtag ursprünglich einen im ein­zelnen begründeten Antrag gegen deutsch­

Lulin bleibt Not. Sonntag,

29.Januar 14% Uhr

Lustgarten

nationale Rorruption eingebracht hätten, später den Antrag wiederholt hätten, aber in harmloser Form. Alle Vorwürfe gegen den Großgrundbesig seien gestrichen worden!

erfreulich wäre, wenn die Nationalsozialisten gegen die Skandale eine eindeutige Stellung ein­nehmen würden. Aber sie würden dabei wohl Echwierigkeiten mit ihrem großagrarischen Flügel haben, der durch den nationalsozialisti­schen Reichstagsabgeordneten und Landbund­direktor von Sybel vertreten werde.

Sowohl Herr von Sybel wie der deutsch­nationale Vertreter Herr von Restorf hätten es bis jetzt nicht fertig gebracht, auch nur von einem Standalfall der Osthilfe ab­3urüden. Sie feien teine Vertreter der Sache, sondern Bertreter von Interessen. Das zeige ja auch die neue Erklärung des Herrn Hugenberg, deren intereffantester Sah derjenige fei, der von einer besonderen Gefahr spreche, wenn das kabinett Schleicher Gegensätze zwischen Groß und Klein, vor allem in der Landwirtschaft, entstehen läßt und dadurch die Gefahr eines Bolschewismus auf dem flachen Lande hervorrufe". Dieser Sah beweise nichts anderes als jämmerliche Angst vor der Auf­klärung über die Osthilfeffandale, oder bekämen etwa die feinen Herren Angst vor dem roten Hahn"?

Zum Glück seien noch bedeutende Mittel für die Sanierung der östlichen Landwirtschaft vorhanden und noch nicht abgegeben. Dafür werde von der Sozialdemokratie gesorgt werden. daß diese mittel nicht mehr nach dem Prinzip verteilt würden, das seit dem Bestehen der autoritären Regierungsmethoden üblich ge­worden sei.

Nach einer kurzen Zwischendiskussion über Sied­lungsfragen, die von dem Abg. Schauff( 3tr.) und Behrens( Christl.soz. Volksdienst) geführt wurde, nahm

das Wort.

Abg. Wissell( Soz.):

Die Osthilfe hatte ursprünglich den Zweck, einem Zweig der deutschen Wirtschaft, der Landwirt­schaft, im Interesse der Gesamtheit Hilfe zuteil werden zu lassen. Die Landwirte, die un= verschuldet unter der allgemeinen Krise not­leidend geworden waren, sollten gest ügt, jedoch nicht die Gutsbesizer gerettet werden, die durch eigene Schuld auf Grund fehlerhafter Speku­lationen in Notlage geraten sind.

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Der ursprüngliche Zwed wurde unter der neuen Regierung verlassen. Man will nicht mehr einem einzelnen Berufszweig helfen, sondern dem einzelnen Gutsbesitzer je mehr und je schneller, desto länger oder adliger sein Name ist. Bei den Debatten über die Finanzlage des Reiches hat der Reichsfinanzminister unter Er­wähnung einiger bekannter Skandalfälle, wie Bankdirektor Schäfer und Lahusen, sauberste Verwaltung und Reinigung des Wirtschaftslebens von Parafiten ge= Das gleiche Interesse müßte das und Reichsernährungsministerium das Osthilfetommissariat ebenfalls be= folgen. Die erste Weigerung der Regierung, Auskunft zu geben über die Verwendung der Ost­hilfegelder, hat 3 weifel aufkommen lassen, ob im Falle der Osthilfe dasselbe Reinigungsziel ver­folgt werde. Es kommt in erster Linie auf das Wie der Hilfsaktion an.

fordert.

Der Minister hat es verjäumt, begangene Fehler einzugestehen. Er hat jogar Privat­personen, wie den Präsidenten der Landwirt­schaftskammer, Flemming, von dem feststeht, daß er nebenbei rund 8000 bis 9000 Mart allein ehrenamtlicher" Einkünfte hat, in Schuh ge­

nommen.

Das gehört nicht zur Aufgabe der Regierung. Ueber die sozialen Leistungen scheint das Er­nährungsministerium auch wenig Bescheid zu wissen, desgleichen die Deutschnationalen. Denn in ihrem Kampfe gegen die Sozialpolitik über­sehen sie, daß sie auch die zwangsversicherten Der Abg. Reinhardt( Nazsoz.) ruft dazwischen, bäuerlichen Betriebsinhaber in den Berufs das sei nur geschehen, weil es zu viel Stan- genossenschaften treffen. Schreiend ist der Wider­dalfälle geworden wären. den- neanspruch zwischen der Unterstüßung ber Unser Redner antwortet darauf, daß es febr Großgrundbefizer und anderer Bolts­