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Abend-Ausgabe

Nr. 44 B 22 50. Jahrg.

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26. Januar 1933

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fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands

Neun Menschenleben Neun Tote- Opfer einer Saalfchlacht

Der Blutabend von Dresden

Während Kälte und Arbeitslosigkeit jeder verantwortungsvollen Staatsregierung die schwersten Probleme aufgeben, während die bittere Not von Millionen mahnt, jede un­nötige Provokation zu unterlassen, entspinnt fich in Dresden eine Saalschlacht zwischen Bolizei und Kommunisten, bei der unter den Schüssen der Polizeipistolen neun Tote und eine noch größere Anzahl Verlegte liegen bleiben.

Der Tumult erfolgte, nachdem die Polizei sich veranlaßt gesehen hatte, die Versamm lung aufzulösen. Noch steht der genaue An­laß der Maßnahme nicht fest, doch scheint es, daß die Polizei insofern in eigener Sache gehandelt hat, als der Versamm­lungsredner das Versagen der Polizei in der Fememordsache Hentsch geißelte. Daß der kommunistische Versammlungs­redner sich dabei maßvoll und anständig ausgedrückt habe, wollen wir keineswegs unterſtellen. Herr Fraedrich, der Sprecher des Abends, war noch vierzehn Tage vor der Versammlung fanatischer Natio= nalsozialist. Er ist wohl eine von jenen halt und zügellosen Naturen, für die der Sprung von einem Ertrem ins andere feine Schwierigkeit bietet.

Jedoch etwas anderes will uns scheinen: Hätte jener Fraedrich von dazumal, hätte der Nationalfozialist Fraedrich in einer nationalsozialistischen Ber­fammlung getobt und gehegt, so würde die Polizei wahrscheinlich keinen Auflösungs­grund gefunden haben. Genau so wie in Berlin Herr Melcher am Sonntag die nationalsozialistischen Demonftranten ,, auf die Judenrepublit scheiken" ließ, jedoch am Mittwoch kommunistische Demonstrations= züne wegen aufreizender Gesänge und Blafate auflöſte. Ob es nötig war, ausge= rechnet wegen einer Kritik des Falles Hentsch, der neun Zehntel der sächsischen Be­völkerung in größte Erregung versekt hat, aufzulösen, das dürfte bezweifelt werden.

Weit schlimmer als die Auflösung aber war ihre Durchführung. Soweit darf keine Bolizei die Nerven verlieren, wie das in Dresden geschehen ist. So besorgt darf teine staatliche Bolizei um ihre eigene Sicherheit sein, daß ihr Leben und Sicherheit von mehr als tausend Versammlungshefuchern, die sich nach der Räumung des Saales im Vor­raum und in den Gängen stauten, gar nichts gilt.

Die Tatsache, daß alle Toten und Ver­lekten auf feiten der Versammlungsbesucher find, beweist hinreichend, dak von einer so eminenten Gefahr für das Leben der Bo­lizeibeamten nicht entfernt die Rede fein fonnte, um ein Schnellfeuer in die Reihen der Versammlungsbefucher zu rechtfertigen. Gewiß tragen auch jene Versammlungsbe­fucher einen Teil der Mitschuld, die durch ihr Bierseidelbombardement von der Galerie den Tumult entfesselt haben. Die Bolizei aber hätte bei einiger Schulung eines solchen ganz gewöhnlichen Versammlungstumults, wie ihn jeder Reichsbannerzua ohne Schüsse und Blutvergießen schon beseitigt hat. mit anderen Mitteln Herr werden müssen! Kopflosigkeit und schneidiges Draufgänger­tum auf der Polizeifeite haben ein sinnloses Blutbad hervorgerufen, haben viele Fa= milien ins Unglück gebracht, ohne daß wie immer bei solchen Anlässen- auch nur einem einzigen der Millionen Hungernden und Frierenden das geringste genügt wor den ist.

Melcher erklärt..

Zu dem Vorwurf, daß die Berliner Polizei gegen das Singen verbotener und die Republik beschimpfender Lieder durch Nationalsozialisten nicht eingeschritten sei, wiro jetzt vom Polizeipräsidenten erklärt, amtliche Fest­stellungen hätten ergeben, daß der längere Zeit beim An- und Abmarsch anwesende Kommandeur der Polizeigruppe Mitte und die Führer der da­bei beteiligten Inspektionen das Singen solcher Lieder nicht gehört hätten. Dagegen sei beim Abmarsch eines nationalsozialistischen Zuges in einem Fall mit Erfolg eingeschritten worden.

Blutiger Ausgang einer Versammlung/ Polizei schießt in die Masse: Neun Tote, zahlreiche Verletzte!

Blutiger

Eigener Bericht des Vorwärts" Dresden , 26. Januar. Im Anschluß an eine Demonstration hielten die Kommunisten gestern abend eine öffentliche Versammlung im Keglerheim ab, in der ein von den Na­tionalsozialisten zur KPD. hinüberge­wechselter angeblicher Oberleutnant a. D. Fraedrich referierte. Die Versammlung wurde schließlich polizeilich aufgelöst. während der Räumung des Saales kam es zu einer furchtbaren Saalschlacht, bei der die Polizei meist junge Beamte - scharf in die Mengeschoß. Neun Tote und zahlreiche Verletzte blieben auf dem Plage.

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Der Polizeibericht

Das Polizeipräsidium gibt dazu folgenden Be­richt heraus:

3m Reglerheim in der Friedrichstraße fand am Mittwochabend eine Versammlung des Kampf­bundes gegen den Faschismus mit dem Oberleutnant a. D. Fraedrich als Redner statt. Da Fraedrich auch in dieser Bersammlung wieder in außerordentlich gemeingefährlicher Weise zu Gewalttätigkeiten aufforderte, wurde die Ver­fammlung von den überwachenden Beamten der politischen Abteilung für aufgelöst erklärt. Da man der polizeilichen Aufforderung zum Berlassen des Saales nicht nachkam, wurde von vorsorg­lich bereit gehaltener uniformierter Polizei vor dem Podium eine Sperrtetle gebildet, die mit der Räumung des Saales zu­nächst ohne Anwendung des Gummifnüppels be­gann. Im gleichen Augenblick setzten besonders auf den Galerien Sprech höre ein: Wir bleiben da! Sigen bleiben!" usw. Auch wurde von den Galerien herab mit Bier­gläsern, Aschenbechern, Stühlen usw. nach den den Saal räumenden Beamten geworfen, die teilweise dadurch getroffen wurden. Auch wurde der Polizei im Saale selbst starker Wider­stand entgegengesetzt. Gleichzeitig wurde von den Versammlungsbefuchern auf den Galerien auf die Beamten scharf geschossen. In der Notwehr machten die Beamten nunmehr ebenfalls von der Schußwaffe Gebrauch. Diese Gegenwehr hatte neun Todesopfer und, soweit sich bis jetzt hat feststellen lassen, elf Berlehte zur Folge.

Oberregierungsrat Dr. Pfotenhauer und Staats­anwalt Hartmann begaben sich fofort zur Unter­fuchung der Angelegenheit an Ort und Stelle und ließen den Saalversiegeln. Die Leichen wurden vorläufig polizeilich beschlagnahmt.

Die Toten

Bei den Vorfällen am Mittwochabend kamen folgende Personen ums Leben: 1) Kraft= wagenführer Walter Liebscher, 29 Jahre alt, 2) Kutscher Hermann Koch, 57 Jahre alt, 3) Arbeiter Paul Eichhorn, 32 Jahre alt, 4) Arbeiter Kurt Förster, 42 Jahre alt, 5) Arbeiter Richard Michel, 30 Jahre alt.

Ferner sind im Krankenhaus Friedrichstadt an ihren schweren Verlegungen gestorben: Paul Meiwald aus Alt- Mockriz, Erich Dumaschke aus Dresden und Paul Bürke aus Cossebaude. Der Name des neunten Toten ist noch nicht festgestellt. Wie von der Polizei mitgeteilt wird, befinden sich unter den Toten und Schwerverletzten feine Bolizeibeamten.

Nazis freuen sich!

Wie zu dem schweren Zusammenstoß im Dresdner Keglerheim noch bekannt wird, gab den Anlaß zur Auflösung der kommunistischen Ver­sammlung eine Bemerkung des Redners, Fraed­rich, der von dem

,, Kampf gegen die nationalsozialistischen Mordbanden"

gesprochen hatte.

zu den Ereignissen, es habe sich jetzt fürchterlich gerächt, daß die Regierungen des Reichs und der Länder so häufig der bedrohlichen Eniwid­lung der Kommunistischen Partei ruhig und tatenlos zugesehen hätten. Jetzt räche es sich auch, daß man auf die Warnungen der nationalsozia­listischen Presse und der nationalsozialistischen Abgeordneten so gut wie nichts gegeben habe. Es gebe nur ein Mittel, um der Kom­munisten Herr zu werden: sofortiges Ver

bot aller Versammlungen der Kommu­nisten und sofortige Auflösung aller fommu nistischen Organisationen!

Berbieten! Verbieten!

Die Dresdener Polizei hat von heute ab bis auf weiteres alle Versammlungen unter freiem Himmel und Umzüge in der Stadt Dresden verboten.

Das Parlament greift ein

Sozialdemokratie fordert Rechenschaft

Der blutige Zusammenstoß im Reglerheim tommt bereits in der heutigen Landtags fizung auf Grund eines Dringlichkeitsantrages zur Sprache, der strengste Untersuchung und die Absetzung der schuldigen Polizeibeamten verlangt. Die Kommunisten behaupten, die

Polizei habe mit dem Schießen begonnen.

Die amtliche polizeiliche Mitteilung, daß zuerst von der Galerie geschossen wurde, sei ebenso un­

Berlin

bleibt

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Pott

Sonntag d. 29. Januar 14 Uhr Lustgarten

richtig wie die Behauptung, daß von der Galerie mit Biergläsern geworfen worden sei. Die Kom­munisten behaupten, daß sich auf der Galerie überhaupt feine Biergläser befunden hätten. Ferner behaupten sie, daß die Sprech= chöre mit der Aufforderung zum Sigen­bleiben erst dann eingesetzt hätten, als sich auf den Treppenausgängen Stau­ungen bildeten und Menschen hinstürzten, über die die Nachfolgenden hinwegtreten mußten. Um zu

verhüten, daß infolge der Panik Menschen tofgetreten würden,

hätten die Sprechchöre aufgefordert, ruhig im Saale zu bleiben.

Die Regierung wird heute im Landtag eine erste vorläufige Erklärung zu der Angelegenheit abgeben.

Die sozialdemokratische Fraktion brachte im Sächsischen Landtag folgenden Antrag ein:

,, In Dresden wurden in einer kommunistischen Bersammlung neun Personen durch überwachende Polizeibeamte getötet. Diese Tat ist nicht dadurch zu rechtfertigen, daß der Ver­fammlungsredner angeblich Grund zur Auflösung der Bersammlung gegeben haben soll und die Ber­jammlungsteilnehmer sich der Räumung der Ver­Der

Der nationalsozialistische Freiheitstampf" fagt fammlung zu widersetzen versucht haben. Der

Landtag wolle deshalb beschließen, die Regierung zu beauftragen:

1. sofort die strengste Untersuchung des Falles durch Beamte, die nicht dem Dresdener Polizei­präsidium unterstehen, durchzuführen;

2. Die Beamten, die den Befehl zum Feuern gegeben haben, jofort ihres Dienstes zu entheben;

3. den Ausschuß des Landtages zur Untersuchung der Vorgänge in der fächsischen Polizei und Ber­waltung zu beauftragen, den Fall von sich aus zu untersuchen."

Schleicher droht wieder!

Dresdener

Vorgänge ein willkommener Anlaß?

Im Zusammenhang mit den blutigen Ereig­nissen in Dresden wird an zuständiger Stelle an die bereits vor einigen Tagen er­gangene Warnung erinnert, daß die Art, in der augenblicklich gehegt werde, die Regierung veranlassen würde, gewisse Maßnahmen zu ergreifen. Möglicherweise würden die Dres dener Vorfälle dazu führen, diese Ueberlegungen der Regierung zu beschleunigen.

*

Die Art, in der augenblicklich gehetzt werde soll das etwa die Antwort der Regierung Schleicher auf die Enthüllung der unglaublichen Osthilfeftandale sein? Wenn die Regierung Schleicher Luft hat, gemeinsam mit den Junkern im Sumpfe der Osthilfestandale zu verfinken, dann braucht sie nur weiter mit Ausnahmeverord­nungen gegen die Wahrheit über die Osthilfe zu drohen!

In Dresden muß zunächst die Schuld der Polizei untersucht werden! Sollen Polizei­schüsse genügen, um neue Ausnahmeverord­nungen hervorzurufen?

Im übrigen hat eine Regierung, die die Pro­votation der Nazis am Bülowplatz gestattet hat, feinen Anlaß, über hehe" zu reden!

Der Redner

Dresden , 26. Januar. Ueber die Person des Kommunisten Fraedrich, dessen Ausführungen zur Auf­lösung der Versammlung Anlaß gaben, wird fol­gendes mitgeteilt:

A

Fraedrich war früher in Baußen Mitglied der Hitler Partei und Führer der Nazimusikkapelle. Als solcher wurden ihm aus den Reihen der Nationalsozialisten Vorwürfe gemacht, er solle mit den Geldern der Kapelle nicht ordnungsmäßig umgegangen sein. Auf Grund dieser Vorwürfe geriet Fraedrich in einen scharfen Gegensatz zu der Partei und deckte seiner­feits arge Korruptions- und Bettern= wirtschaft in der Bauzener Nazileitung auf. Er trat aus der NSDAP . aus. In einer großen öffentlichen Versammlung, die von den Kommu­nisten arrangiert wurde, erklärte er bombastisch