Einzelbild herunterladen
 

Morgen- Ausgabe

Nr. 65 A 31 50. Jahrg.

Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 8 Fernsprecher 7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Soztalbemotrat Berlis

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

8. Februar 1933

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Bf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Berlin gegen Hitler

Otto Wels spricht: ,, Unser Kampf geht um die Einheit der Arbeiterklasse"

Unvorstellbar ist, was Berlin gestern er­lebte. Eine arbeitende Millionenstadt in Be­wegung. Von Norden und Süden und Osten marschierten sie in endlosen Zügen. Eine ein­zige dieser ungeheuren Marschkolonnen hätte genügt, den Luftgarten zu füllen. Sie mar­schierten unter wehenden roten Fahnen mit den drei Pfeilen, die Straßen dröhnten von ihrem Schritt, ihre Freiheitsrufe stiegen zum Himmel empor.

Das war Berlin in Bewegung, das rote Berlin !

Wie viele es waren, ist schwer zu sagen. Maßstäbe fehlen. Man kann die Wellen im Meer nicht zählen, wer fann schäßen, aus wieviel einzelnen dieses Menschenmeer be­stand? Aber wieviel Hunderttausende es immer gewesen sein mögen, das Ganze war eine ungeheure Einheit, von einheit­lichem Kampfgeist erfüllt, erfüllt, zusammen­geschmiedet durch wirtschaftliche Not und poli­tischen Druck: ein stahlharter Block.

Berlin ist nicht Rom . Hitler ist nicht Musso­ lini . Berlin wird niemals die Hauptstadt eines Faschistenreiches werden. Berlin bleibt rot!

Aus dem Menschenmeer ragt wie ein Fels die Rednertribüne. Ein Führer steht an ihr. Ein Mann der Arbeit, Fleisch vom Fleische des deutschen Werkvolts.

Und alle empfinden ihn so, als einen, der nicht über ihnen, sondern in ihrer Mitte steht, als ein Stück von sich selbst. Das sind ja auch feine abergläubischen Kleinbürger, die vor einem politischen Wundertäter auf den Knien liegen, es find politisch geschulte, fritische Berliner Arbeiter, und der Mann, der oben steht, der in sich verkörpert, was an Erkenntnis, Willen, Leidenschaft in ihnen lebt, er ist einer von ihnen- Otto Wels .

Er spricht, und hunderttausend hören in Lautlosem Schweigen das Bekenntnis eines Mannes, der seit Jahrzehnten für die Frei heit steht und ficht. Nur aus der Ferne flingt die Marschmusik der immer noch heran­ziehenden ungeheuren Kolonnen, bis mit dem Schlußwort der Redner wie aus einem Munde der Freiheitsruf der Hunderttausende empordröhnt. Gelöbnis, Protestschrei, Kampf­ruf.

Aus der Gegend des Museums tönt echo­artig der Ruf ,, Rot Front !" Er kommt von fommunistischen Arbeitern, die mitmarschiert

find.

Wie der Abmarsch beginnt, wirbeln Flug­blätter in die Luft. Sie stammen von der Bezirksleitung der KPD . und enthalten u. a. die Behauptung, die Kommunistische Partei habe an die Sozialdemokratie, die freien und die christlichen Gewerkschaften wiederholt An­gebote zu gemeinsamem Kampf gerichtet. Bon solchen Angeboten ist aber der Sozialdemo­fratie nichts bekannt. Sie kennt nur ver­schiedene Versuche der kommunistischen Par­teileitung, die Führung der sozialdemokratisch und gewerkschaftlich organisierten Massen an sich zu reißen. Mit wirklichen Angeboten zur Bildung einer Einheitsfront hatten diese Ver­suche nichts zu tun. Sie waren das gerade Gegenteil davon.

Später erfuhr man, daß der kommunistische Abgeordnete Torgler von der Versamm­lungsleitung unmittelbar vor Beginn der Ver­anstaltung verlangt hatte, sie solle ihm das Wort geben, damit er das Flugblatt ver­lesen könne. Die Versammlungsleitung hat das mit Recht abgelehnt. Bekam Torgler das

Wort, so bestand die Gefahr, daß die Polizei eingriff, was angesichts der ungeheuren Menschenmenge zu unabsehbaren Konsequen zen führen fonnte. Die Erklärung fonnte aber auch auf keinen Fall ohne Gegenrede hingenommen werden, und zu Diskussionen über die Einheitsfront ist der Lustgarten nicht der geeignete Plazz. Handeln ist besser als diskutieren.

Was der Lustgarten, was ganz Berlin gestern erlebte, war eine Tat im Geiste der Einigkeit. Der Faschismus wird Deutsch­ land nicht besiegen. Im Kampfe gegen ihn war dieser 7. Februar ein historischer Tag, unvergeßlich allen, die ihn erlebten.

Berlin steht für die Freiheit! Berlin bleibt rot!

Die Kundgebung

Die gewaltige Kundgebung der Eisernen Front wurde von Franz Künstler mit einer ergreifenden Ehrung der Todesopfer des Faschismus aus den letzten Tagen eingeleitet: Wir werk­tätigen Männer und Frauen Berlins denken an unsere Toten, die feige gemeuchelt wurden. 3ch erinnere nur an Bürgermeister Kasten aus Staßfurt , unfern Genoffen und Mitkämpfer, an unsere tapferen Reichsbannerfame­raden, die in Breslau und Chemnitz ge­

meuchelt wurden, und an die Gastwirtswitme Frau Röder in Friedenau . Hier ist heute keine staatliche Gedenkfeier für die gemor­deten Freiheitskämpfer, hier ehrt das Bolt feine Toten."

Tiefste Stille herrschte auf dem Riesenplatz. Hunderttausende entblößten ihr Haupt, das Reichsbanner falutierte. Es war ein Augenblick ernstester Feierlichkeit. Aber als dann Franz Künstler fortfährt, daß der Freiheitsdrang der Opfer immer in uns fortleben wird und daß auch wir bereit sind, unser Leben für die Freiheit zu geben, da ertönen stürmische Freiheitsrufe, die fein Ende nehmen wollen.

Dann gibt Franz Künstler das Wort dem Parteivorsitzenden , der aus dem proletarischen Often Berlins emporgestiegen ist, dem wirklichen Arbeiterführer"

Otto Wels

mit stürmischen Freiheitrufen empfangen, hälf Otto Wels die folgende Ansprache an die Hundert­tausende:

,, In einer Zeit sich überstürzender politischer Ereignisse ist das arbeitende. Bolt Berlins unserem Rufe in einer Zahl gefolgt, wie das seit den sturmbewegten Novembertagen nicht der Fall ge­wesen ist. Die Arbeiterfront steht! Sie steht ungebrochen und einiger denn je! Machtvoll erhebt sich der Widerstand gegen jene Elemente,

Die Komödie in Breußen

Der ,, Ständige Ausschuß" als Feigenblatt

Der Ständige Ausschuß des Preußischen Land­ tages stimmte am Dienstagabend dem Vorschlage des preußischen Staatsministeriums, das durch den Staatssekretär Dr. Nobis im Ausschuß vertreten mar, mit 13 Stimmen der National sozialisten und Deutsch nationalen zu, die Neuwahlen zum Preußischen Landtag gleichzeitig mit den Reichstagswahlen am 5. März stattfinden zu lassen.

Das Zentrum, die Sozialdemokraten und die Kommunisten beteiligten sich unter Abgabe von Protesterklärungen gegen die Notverordnung des Reichspräsidenten an der Abstimmung nicht.

Recht oder...?

16 Seiten Klage,

53 Seiten Briefwechsel

Die Klage des Landes Preußen gegen das Reich und den Reichskommissar ist Dienstag morgen gegen 11 Uhr im Büro des Staats= gerichtshofs beim Reichsgericht über­reicht worden. Die Klage umfaßt sechzehn Seiten. Der Klageantrag lautet:

Der Staatsgerichtshof wolle erkennen: Die auf Grund des Art. 48 Abs. 1 der Reichsver­faffung erlaffene Verordnung zur Herstellung geordneter Regierungsverhältniffe in Preußen vom 6. Februar 1933 steht mit der Reichs. verfassung nicht in Eintlang und ist daher ungültig."

Der Klageschrift ist in einem Anklagebande von 53 Seiten der Schriftwechsel beigefügt, der vom Oktober 1932 bis zum 6. Februar 1933 zwischen dem preußischen Staatsministerium und der Reichsregierung und dem Reichskommissar über die Durchführung des Leipziger Urteils vom 25. Oftober 1932 geführt wurde.

= 1

Darüber, ob mündliche Verhandlung stattfinden soll oder nicht, ist in den preußischen Anträgen nichts gesagt.

Bayern gegen Dapen

Und gegen den Antipreußenkurs

München , 7. Februar.

Die bayerische Regierung ist der Auffassung, daß durch die llebernahme der Preußenregie­rung in die Gewalt des Reiches die Länder ihres verfassungsmäßigen Vertretungs­organs in der Reichspolitik beraubt sind. Der Reichsrat sei durch den Eingriff des Reichspräsi­ denten in seinem Sinn und Zweck vollkommen zer­stört. Als Abwehr bleibe den in Mitleidenschaft ge­30genen Ländern zunächst nur das eine Rechts­mittel, sich mit einer Klage an den Staatsgerichts­hof zu wenden. Bayern habe aber keine Neigung, diesen Weg zu beschreiten.

Die Bayerische Volkspartei - Korrespondenz fügt dieser offiziösen Mitteilung folgende Begründung hinzu: Man hat die trübe Erfahrung ge­macht, daß beim Obersten Gerichtshof des Reiches die Kraft für eine unabhängige Rechtsprechung in folchen von der Politik berührten Verfassungs­fragen gebrochen ist. Damit ist ein schwerer Vor­wurf gegen die Reichsgewalt aus­gesprochen, die durch ihre Maßnahmen in Preußen immer wieder neue Tatsachen geschaffen hat, die tein Staatsgerichtshof verdauen kann. Es iſt heute soweit gekommen, daß es besser ist, den Staatsgerichtshof überhaupt nicht mehr in Berlegenheit zu bringen. Verzichten also die Länder auf die ihnen zur Ver­fügung stehenden Rechtsmittel, so werden sie sich darauf befinnen müssen, ihre politischen Mittel um so stärker und entschiedener zum Einsatz zu bringen. Die bayerische Staatsregierung ist auf jeden Fall nicht gewillt, sich mit der geschaffenen Lage abzufinden.

die seit Jahren den Haß gegen Volksgenossen geschürt, die Achtung vor dem Menschenleben ver­nichtet haben, die die Gewalt setzen an Stelle des moralischen Gesezes, das in jedem Mens schen treibende Kraft sein soll.

Im Namen Deutschlands wird eine stupide Rassenheze getrieben. Der politische Mord rast durch Städte und Dörfer. Mit Ent­setzen sieht die Welt auf unser Land, das einst­mals das Land der Dichter und Denker hieß. mit dem verglichen heute die Länder des Balkans als friedliche Kinderstuben erscheinen. Der Führer der Nationalsozialistischen Partet hat in einer Rede, für die das gesamte Reichskabinett sich verantwortlich erklärt hat,

wiederum von den Novemberverbrechen gesprochen. Er sprach von den 14 Jahren, in denen der Margismus Deutschland zugrunde ge= richtet habe.

Am 5. März wird das deutsche Volk zu dieser geschichtlichen Darstellung Stellung nehmen. In allen Dörfern und Städten soll jener Aufruf durch Anschlag verbreitet werden. Er wird das Gewissen Der Massen schärfen. Er wird die Erinnerung daran wachrufen, wie es 1918 in Deutschland war. Damals war Deutschland ein Scherbenhaufen. Damals standen wir vor der schwersten Aufgabe, die ein Bolt seit Menschengedenten zu bewältigen hatte.( Langanhaltender Beifall.)

Herr Hugenberg, Herr von Papen, Sie kennen die Parteien genau, die das Trümmerfeld von 1918 herbeigeführt haben. 150 Milliarden Kriegsschulden und ein Heer von Kriegsgewinn­lern und Kriegsschiebern hat jenes System ge= züchtet.

Eine marxistische Regierung hat Deutschland vor dem Schwersten be­wahrt. Millionen deutscher Soldaten wurden durch gesekliche Maßnahmen in wenigen Monaten in ihren alten Arbeitsstätten untergebracht. Der Plan der Kriegsgegner, Deutschland zu be setzen und zu zertrümmern, wurde ab­gewehrt. Das zerstörte Verkehrswesen, die vernichtete Handelsflotte, die abge­lieferte Rheinflotte, die jahrelange Blockade, die nach dem Kriege noch weiter bestand, die Erschütterung der ganzen Volkskraft schienen für den Wiederaufbau schier unüberwindliche Hindernisse. Sie wurden überwunden. Aber das ging nicht mit schwülstigen Redensarten, sondern nur durch über­menschliche Anspannung der Kräfte, durch angestrengteste Arbeit.( Stür mische Zustimmung.)

14 Jahre Marrismus haben Deutschland rui­niert! sagen die Nationalsozialisten und Deutsch­nationalen. Aber fünf Jahre nur war die Sozial­demokratie an Regierungen beteiligt. Das aber, was an wirklicher Aufbauarbeit geleistet wurde, fällt in die erste Zeit nach dem Kriege, in der allein sozialistischer Einfluß herrschte.

Da allerdings haben wir das Dreiklassen­wahlrecht beseitigt, ein Verbrechen, das uns die Deutschnationalen niemals verzeihen werden. Wir haben die Gesindeordnung beseitigt und den rechtlosen, staatsfeindlichen Arbeiter dem Staate nähergebracht. Wir haben ihm gezeigt, daß der Staat sein Staat sein könne. Wir haben nach der Verfassung dem Arbeiter das Recht auf Arbeit garantiert und dem Ar= beitslosen die Unterstügung des Staates ge­sichert, wie wir dem Arbeitenden durch das Tarifrecht den Lohn zu garantieren trachteten.

Was wir außenpolitisch geleistet haben, roird dadurch nicht geringer, daß Herr von Papen in Lausanne die Früchte unserer Arbeit ernten fonnte.( Lebhafter Beifall.)

Die Rheinlandbefreiung, die Beseitigung der