Abend- Ausgabe
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
MITTWOCH
8. Februar 1933
,, Impulsiv“
Regierung der Unüberlegtheiten
Von Wilhelm II. , der bekanntlich ein großer Liebhaber des Theatralischen und Schaustellerischen war, pflegte das deutsche Bürgertum zu sagen, er sei impulsiv. Ihm nahestehende Personen, wie sein Haushofmeister Graf Zedliz- Trütschler, der Feldmarschall Graf Waldersee u. a. urteilten schärfer: sie nannten ihn in heimlich geführten Tagebüchern unüberlegt, taktlos, draufgängerisch. Laut durfte das nicht gesagt werden. Es gab zwar damals feine Pressenotverordnungen, wohl aber einen Ma
jestätsbeleidigungsparagraphen.
Wilhelms Impulsivität pflegte zu Handlungen zu führen, die er später widerrufen mußte, oder zu großsprecherischen Verheißungen, die er nicht erfüllen konnte. Während des Jamesons- Einfalls in Trans vaal sandte er an den Burenpräsidenten Ohm Krüger ein Sympathietelegramm. Als aber einige Jahre darauf der Krieg zwischen den Burenrepubliken und England entbrannt, rührte er keine Hand für die Buren. Im Gegenteil, er glaubte jetzt sogar die Engländer durch einen von ihm verfaßten Feldzugsplan" mit Rat und Tat unterstügen zu müssen. Man erfuhr diese Tatfache übrigens aus jenem Interview, das Wilhelm im Jahre 1908 dem ,, Daily Tele graph " gab und das wegen seiner phantastischen Taktlosigkeiten einen Sturm der Entrüstung hervorrief.
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Erinnert sei auch an die impulsiven Handlungen dieses Monarchen im Chinakonflikt. Als der Boreraufstand in China ausbrach, wollte Wilhelm durchaus und setzte es auch durch, daß der deutsche General Waldersee zum Oberstkommandierenden der internationalen Streitfräfte ernannt wurde. An die ausrückenden Truppen hielt er jene berüchtigte ,, Hunnenrede", die dem Namen Deutsch lands in der ganzen Welt geschadet hat. Als aber Walderfee in China eintraf, war der Boreraufstand schon erledigt und der Mar schall mußte ruhmlos wieder umfehren.
Dieses System der äußerlichen Mache, der impulsiven Handlungen und des hohlen Pomps hat mit einer Katastrophe geendet, die das ganze Volk in das tiefste Elend ge= stürzt hat.
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Neuerdings haben wir einen Fackelzug und ein Staatsbegräbnis erlebt, ganz im Stil wilhelminischer Paraden. Aber bei allem Prunkbedürfnis hat man sachlich furchtbar danebengehauen. Man hat Personen wie Weltheroen beigesetzt, die nichts als zufällige Opfer waren, man hat obendrein die religiösen Gefühle der Katholiken verlegt, indem man die Leiche des katholischen Schupobeamten Zaurig durch einen evangelischen Geistlichen in einem evangelischen Dom einsegnen ließ.- In Viersen haben Nationalsozialisten auf Schutzpolizeibeamte geschossen, und diese haben in der Notwehr das Feuer erwidert. Jezt muß die NSDAP . zugeben, daß die Nazis die Angreifer gewesen und daß die Schuldigen aus der Partei ausgeschlossen ſeien.
Auch die politischen Improvisationen fangen bereits an. Wir erinnern an den Fall des Films ,, Morgenrot". Am Montag erflärt Hitlers Pressechef Haenfstengl der englischen Presse, daß Hitler die hetzerische und englandfeindliche Tendenz dieses Films mißbillige. Am Dienstag wird der deutschen Presse erklärt, daß Haensstengl zu dieser Erflärung nicht ermächtigt gewesen sei. Wilhelminische Zeiten. Wir werden wieder einmal impulsiv regiert!
Die Regierung Braun hat am Dienstag eine zweite Klage beim Staatsgerichtshof fertiggestellt, die am. Mittwoch in Leipzig überreicht worden ist. Es handelt sich um eine Klageschrift des Staatsministeriums bzw. des Freistaates PreuBen gegen das Deutsche Reich und den Reichskommissar für das Land Preußen v. Papen wegen der Auflösung des Preußischen Landtages . Die Klageschrift umfaßt elf Schreibmaschinenseiten und 10 Seiten Anlagen. Sie richtet sich gegen die nach Auffassung der Staatsregierung verfassungswidrige Auflösung des Preußischen Landtags mit dem Antrag, daß der Staatsgerichtshof entscheiden wolle.
1. Die am 6. Februar durch den Reichskommissar von Papen und dem Präsidenten des Preußischen Landtages Kerrl ausgesprochene Auflösung des am 24. April 1932 gewählten Preußischen Landtages steht mit der Reichsverfassung und der Preußischen Verfassung nicht im Einklang und ist daher ungültig.
2. Der Reichskommissar für das Land Preußen durfte eine Neuwahl zum
Preußischen Landtag nicht anberaumen; die von ihm anberaumte Neuwahl ist unzulässig..
denen Anträge im Landtag und ein Auszug aus den Reden in der Landtagssizung vom Sonnabend beigefügt.
sich der Landtag nur auflösen könne durch eigenen Beschluß, durch Beschluß des Dreimännergremiums und durch Volksentscheid, daß der Landfag den Antrag auf Auflösung abgelehnt habe, und daß das Dreimännerfollegium, das auf Einladung des Präsidenten Kerrl in der Zusammenfegzung Braun, Adenauer , Kerrl zusammengetreten sei, die Auflösung ebenfalls ablehnte. Man habe dann versucht, die Auflösung auf andere Weise herbeizuführen, und zwar durch die Verordnung, die den Reichskommissar v. Papen , nach Auffassung der Staatsregierung fälschlicherweise, in das Dreimännerfollegium entsandte.
Die Klageschrift bezieht sich endlich auf die Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25. Oftober, in der festgestellt sei, daß zu den Verfassungsvorschriften, die nicht beseitigt werden könnten, die Bestellung der Länder, der Aufbau der Länder und die Länderparlamente gehören. Als Anlage werden die Abschriften der verschie=
Die Massen im Anmarsch
Blick auf den Lustgarten
Hannover , 8. Februar. Der Hannoversche Provinzialausschuß hat zu dem diktatorischen Vorgehen der Reichs= tommissare gegen Preußen Stellung genommen und beschlossen, beim Staatsgerichtshof Klage gegen die Auflösung des Han= noverschen Provinziallandtages zu erheben. Die Verfügung sei in Unkenntnis der wirklichen Gesetzesbestimmungen ergangen. Die Juristen hätten festgestellt, daß es nach der hannoverschen Städteordnung eine Auflösungsbefugnis für die kommunalen Parlamente überhaupt nicht gäbe. Nach der hannoverschen Städteordnung müssen die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften ein natürliches Ende erreichen, wenn nicht direkt Gesetze etwas anderes bestimmen.
Lustgarten- Nachklänge
Warum Torgler nicht das Wort gegeben werden konnte
Zur gestrigen Lustgarten demonstra= tion wird uns aus dem Bezirksvorstand noch geschrieben:
Die gestrige Kundgebung, wohl die gewaltigste, die Berlin jemals erlebte, verdankt ihr großartiges Gelingen in erster Linie der mustergültigen Arbeit unserer bewährten Funktionäre in den Betrieben und dem herrlichen Kampfgeist unserer Genossen und Kameraden von der Partei, den Gewerkschaften, dem Reichsbanner und den Sportorganisationen. Wir verkennen aber auch nicht, daß viele Tausende kommunistischer Arbeiter in fameradschaftlicher Disziplin mit ihren sozialdemo kratischen Betriebskollegen zusammenmarschiert find. Auch das Verhalten der Schußpolizisten, die angesichts der ungeheuren Menschenmassen eine besonders schwere Aufgabe zu lösen hatten, war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mustergültig. Ihnen allen gebührt herzlicher Dank.
Die kommunistische Presse von heute morgen greift die Versammlungsleitung an, weil sie die Abgabe einer Erklärung durch den Reichs= tagsabgeordneten Torgler nicht zugelassen hat. Dazu ist folgendes zu bemerken:
Torgler erschien in dem Augenblick, in dem die Riesenversammlung eröffnet werden sollte, ganz plöglich und unerwartet und ver= langte seine 3 ulassung als Redner. Jeder, der eine Massenfundgebung nach Art der gestrigen jemals organisiert hat, weiß, daß alle Einzelheiten einer solchen Veranstaltung vorher auf das allergenaueste vorbereitet werden müssen. Auch die Kommunisten würden in einer ihrer Massenkundgebungen einem Sozialdemokraten, der plötzlich dort zu sprechen wünschte, das Wort nicht erteilen.
Torglers unerwartetes Auftreten konnte auch ein Einschreiten der Polizei zur Folge haben, das angesichts der ungeheuren erregten Menschenmassen zu unabsehbaren Weiterungen führen konnte. Die Bersammlungsleitung trägt die Verantwortung für Leben und Sicherheit der Demonstranten. Sie fonnte sich auf Experimente nicht einlassen. Außerdem enthielt die Er tlärung grobe unrichtigkeiten!
Es ist nicht richtig, daß die KPD. irgendwelche Neigung gezeigt hätte, mit den anderen Arbeiterorganisationen gemeinsam zu kämpfen. Angebote solcher Art hat sie niemals gemacht. Sie hat vielmehr ihren gehässigen und zersetzenden Kampf gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften trotz aller Abmahnungen auch