Einzelbild herunterladen
 

Abend- Ausgabe

Nr. 76 B 36 50. Jahrg.

Rebattton und Berlags Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher, 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

14. Februar 1933

In Groß Berlin   10 Pf. Auswärts...... 10 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Leberwachungsausschuß gesprengt!

Verbrecherischer Gewaltstreich der Naziabgeordneten- Volksparteilicher Abgeordneter Morath unter Schlägen hinausgetrieben

Das Gesetz

Die Paragraphen 105 und 106 des Strafgesetzbuches

Die nationalsozialistischen Vertreter im Ueberwachungsausschuß des Reichstags haben gewaltsam eine Tagung des Ausschusses ver­hindert. Sie haben sich damit eines Ver­brechens schuldig gemacht, das nach dem Strafgesetz mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft wird. Vor sofortiger Ver­haftung und Strafverfolgung schützt diese verbrecherischen Abgeordneten die Immuni tät erst nach 24 Stunden. Zweifellos aber ist es, daß ihr Verhalten gegen die§§ 105 und 106 des StGB. verstößt. Diese Para­graphen lauten:

§ 105: Wer es unternimmt, den Senat oder die Bürgerschaft einer der Freien Handelsstädte, eine gefeßgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaates auseinanderzusprengen, zur Fassung von Beschlüssen zu nötigen oder Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen, wird mit Zucht= haus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungs­haft nicht unter einem Jahre ein.

§ 106 Wer ein Mitglied einer der vorbezeich= neten Versammlungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung ver= hindert, sich an den Ort der Versammlung zu begeben oder zu stimmen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zwei Jahren ein.

Es ist die Pflicht des Reichspräsi denten wie des Reichskanzlers, die die Verfassung beschworen haben, jede notwendige Maßnahme zu ergreifen, um die Fortsetzung des Verbrechens der ge= waltsamen Verhinderung der Sigung des Ueberwachungsausschusses unmöglich

machen.

zu

Vor allem der Reichskanzler hat es ohne weiteres in der Hand, einer Fortseßung des Verbrechens entgegenzuwirken. Er ist der Führer der Nationalsozialistischen   Partei, er hat, wie es ihm von seinen Parteifreunden immer wieder betont worden ist, unbe­schränkte Macht und Befehlsgewalt gegen­über den nationalsozialistischen Parteimit­gliedern, also auch gegenüber den randalie­renden Reichstagsabgeordneten der NSDAP  . Ein einfaches Verbot an diese Reichstags­abgeordneten würde genügen, um dem Ber­brechen ein Ende zu machen.

Wir zeigen mit aller Klarheit die Ver= antwortlichkeiten und die Lage nach dem Gesez wie das, was nach der Verfassung und dem Strafgesetz geschehen müßte!

Protest der Deutschen Volkspartei  

Wie wir erfahren, hat der Führer der Deutschen Volkspartei  , Dr. Dingelde y, nach Bekannt­werden der Vorgänge im Ueberwachungsausschuß des Reichstags, wo der volksparteilich e Abgeordnete Morath tätlich angegriffen wurde, sofort telegraphisch beim Reichs­tagspräsidenten Göring und beim Vor­fizenden der nationalsozialistischen Reichstags­frattion, dem Reichsinnenminister Dr. Frid, schärfsten Einspruch erhoben und volle Genugtuung verlangt.

Pünktlich 12 Uhr eröffnete der Vorsitzende des leberwachungsausschusses, Abgeordneter ( Soz.), die Sigung. Sofort begann durch die Nationalsozialisten ein systematisches Gebrüll, und gemeinste Beschimpfungen wurden gegen den Ge­nossen Löbe ausgestoßen. Er war nicht imstande, den Nachruf für die Opfer des furchtbaren Neun­firchener Unglüds zu beginnen.

Der Abgeordnete Heines von den National­sozialisten gebärdete sich besonders aufgeregt, er schlug dauernd sinnlos mit der Faust auf den Tisch und schnitt dabei Grimassen. Die übri= gen nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten brüllten Schimpfworte und tobten, wie es von ihrer Parteileitung befohlen war.

Der Abgeordnete Frank II( Njoz.) erhob sich, brüllte aufgeregt, daß der marristische Verleumder Löbe kein Vorsitzender des Ueberwachungsaus­schusses mehr sei. Jezt seien andere Zeiten ge­kommen, die Nazis seien das deutsche   Volk.

Daraufhin ging er durch den Saal auf Löbe zu, stieß ihn von dem Vorstands­plah weg, schlug auf die Klingel und er­klärte, daß er die Sihung eröffne.

Daraufhin verließen unter wüstem Schimpfen der Nazis die Mitglieder der bür­gerlichen Parteien, der kommu­nisten und Sozialdemokraten den

Sitzungsfaal; nur der Abgeordnete Hergt von den Deutschnationalen blieb bei den Nationalsozialisten.

Der volksparteiliche Abgeordnete Morath wurde von den nationalsozialistischen Abgeordneten über­fallen mit dem Rufe: ,, Mach daß du hinaus­tommst, du Margist!" Er erhielt

heftige Schläge in den Rücken und das Gesicht und wurde aus dem Saal hinausgeprügelt.

Daraufhin versuchten die Nationalsozialisten, ihre Fraktion und den Abgeordneten Hergt als Ueberwachungsausschuß tagen zu lassen, was wegen der Abwesenheit aller anderen Parteien mißlang.

Verfaffung gebrochen!

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Ueber­

wachungsausschusses erklären:

Die nationalsozialistischen Mitglieder des Ueber­wachungsausschusses haben bereits am 7. Fe­bruar 1933 eine Sihung des Ueberwachungs­ausschusses durch gewaltsame Störungen ver­hindert. Der Vorsitzende des Ausschusses hat daraufhin den Reichstagspräsidenten ersucht, auf Grund seiner präsidialen Befugnisse die weitere Tätigkeit des Ausschusses zu ermög­lichen.

Trotzdem haben heute die nationalsozialistischen Mitglieder des Ueberwachungsausschusses, die ord­nungsgemäß einberufene Sihung abermals un ter Anwendung von körperlicher Gewalt gegen den Vorsitzenden des Ausschusses und tät­

lichen Angriffen gegen den Abg. Morath der Deutschen Volkspartei   gesprengt. Diese Handlungs­weise stellt das Berbrechen nach§§ 105 und 106 des Reichsstrafgesetzbuches dar. Wir stellen fest, daß der Herr Reichstags­präsident, obwohl er von den Drohungen der nationalsozialistischen Ausschußmitglieder, alle

fünftigen Sitzungen des Ausschusses gewaltsam zu verhindern, in kenntnis gefeht war, nichts zum Schuhe des Ausschusses getan hat. Durch diese Vorgänge ist erwiesen, daß das ver­Aus­faffungsmäßige Recht des schusses, die Rechte der Volksvertretung zu wahren, nicht mehr gewährleistet und damit die Berfaffung gebrochen ist.

Neue Blutschuld der SA.

Nazis schießen auf Demonstrationszug- Passive Polizei

Eigener Bericht des ,, Vormärts"

Frankfurt   a. d. D., 14. Februar. Zu schweren, von den Nationalsozialisten hervor­gerufenen Ausschreitungen kam es gestern abend anläßlich einer von Tausenden besuchten Kund­gebung der Eisernen Front, der ein Demonstrationszug voraufging. Die Nazis hatten nachgewiesenermaßen ihre Störungs= attion vorbereitet und warteten, mit schweren Rnüppeln bewaffnet, am Marktplatz zu Hunderten auf den Zug, der aber von der Polizei umgeleitet wurde. Durch das weitere passive Verhalten der Polizei den national­fozialistischen Sprengkolonnen gegenüber

kam es dann an der Oderbrücke zu einem schweren Zusammenstoß, als die Nazis in den Zug schossen, zwei Arbeitersportler trafen, mehrere andere Demonstranten durch Schläge mit Eisen­stangen und Knüppeln schwer verletzten, unter anderen einen 62jährigen Ar­beitersamariter.

Letzterer hat eine so schwere Schädelwunde er­halten, daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Im weiteren Verlauf der von den Nazis fort­geführten Tumulte wurden wiederum trotz herab= Jalousien die gelassener Schaufenster= scheiben der der Volksfreund" Buch­- handlung zertrümmert, ein den Betrieb ver­lafsender Maschinenseger, der Partei= sekretär und ein weiterer ,, Volksfreund"- Angestellter niedergeschlagen und schwer Derlegt. Außerdem zerschlugen die Nazis fämtliche Schaufensterscheiben eines Schuhgeschäftes.

Die Empörung der Massen über diese Aus­schreitungen und das passive Verhalten der Polizei machten sich in der Riefenversammlung,

=

in der Reichstagsabgeordneter Reißner Berlin sprach, spontan Luft.

Opfer der SA.

Das Befinden des Genossen Arras  

Das Befinden des 51jährigen Genossen Karl Arras, der in der Nacht zum Montag in Wilmersdorf   bei dem SA.- Feuerüberfall auf das Parteilokal an der Ecke Laubacher und Varziner Straße niedergeschossen und durch einen Lungen­schuß lebensgefährlich verletzt wurde, iſt nach wie vor ernst. Genosse Arras   liegt im Gertraudten- Krankenhaus danieder. Wir wir aus dem Krankenhaus erfahren, ist in dem Zustand des Patienten nach einer schlechten Nacht heute vor= mittag erfreulicherweise eine leichte Besserung zu verzeichnen. Die Aerzte hoffen, daß sie Arras   am Leben erhalten werden.

SA.- Gemeinheit in Halle  Küche für Erwerbslose zerstört! Halle, 14. Februar.

In Halle wurde eine küche der kommu­niffischen JA H. von Nationalsozialisten mit Beilen und Feldipaten demoliert. 30 Fenster­scheiben und Türen wurden völlig vernichtet. Die Lebensmittel wurden, soweit sie nicht ge­stohlen worden waren, ungenießbar gemacht.

Nationalsozialist gesteht Meuchel­mord

Dortmund  , 14. Februar. Die Ermittlungen wegen der politischen Bluttat in Dortmund  - Affeln   am Sonntagmittag, bei der der Kommunist Albert Banitau mit einem Taschenmesser er st och en wurde, haben zur Fest­Taschenmesser erstochen wurde, haben zur Fest

nahme des 43jährigen Invaliden Sen­gotta aus Dortmund- Wickede   geführt. Sengotta legte nach hartnäckigem Leugnen ein Geständnis ab. Er habe sich auf Banikau gestürzt und ihm einen Stich in den Rücken beigebracht; dann sei er mit seinem SA.- Sturm weitermarschiert und habe unterwegs das Messer fortgeworfen.

Von Nazis ermordet Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Chemnik, 14. Februar. Der bei dem Nazifeuerüberfall in Leisnig   vor einigen Tagen durch einen Knieschuß verletzte 22jährige erwerbslose Reichsbannerkame­rad Kurt Schumann   ist seinen Verlegun­gen erlegen.

Nicht schnell genug-

Todesstrafe! Braunschweig  , 14. Februar.

Am Dienstag ist in Braunschweig   auch die 62jährige Witwe Reinede ihrer Ber­wundung erlegen. Die Erschossene wollte am Sonntag auf Aufforderung eines Polizei­beamten ihre Fenster schließen, weil sich der Zug der SA. ihrer Straße näherte. Anscheinend hatte fie die dazu notwendigen Handbewegungen nicht schnell genug ausgeführt, so daß ein Polizei­beamter Zeit hatte, seinen Karabiner abzufeuern.

Verboten!

Das in Erfurt   erscheinende kommunistische ,, Thüringer Boltsblatt" ist auf die Dauer von fünf Tagen verboten worden, weil es, wie es in der Verbotbegründung heißt, in seinen Ver­öffentlichungen zum Streit aufreizte und die Reichsregierung verächtlich macht.