Nr. 6 12. Juni mi Sozialismus. Gertrud Hermes  : Die geistig« Gestalt des wo r x i st i s ch e n Ar b e i t e r s und die Arbeiter- bildungssrage. Verlag I. K. B. Mohr, Tübingen 1SL6. 229 Seiten. Preis 16,50 Mk. Genossin Hermes behandelt ein wichtiges und interessantes Thema: Sie will in ihrem Bull)« ein nalurgetreues Porträt des geistigen Antliftes und der Weltansll)auung des durchschnittlichen marxistischen   Arbeiters geben, und diese schwierig« Ausgabe ist ihr auch gelungen. Als Quellen dienten dabei außer der reichen psrsön- lichen Erfahrung der Verfasserin, die sie in ihrer mehrsährigen Arbeit im Arbeiterbildungswesen erworben hat, auch ausführliche Umfragen. Die Verfasserin hat diese menschlichen Dokumente ge- schickt systematistert und scharssinnig gedeutet. Sic hat diese Auf- gäbe mit einer anerkennenswerten Objektivität gelöst) obwohl sie eine Reihe der wesentlichenJBoraussetzungen des Marxismus nicht teilt und ihnen kritisch im Sinne des ethischen Sozialismus gegen- über steht, war sie imstande, die große und entscheidende Ein- Wirkung des Marxismus auf das Proletariat unvoreingenommen zu beurteilen und zu würdigen. Die Verfasserin stellt fest, daß der geistig regsame proletarische Massenmensch die Grundsäg« des Marxismus sich zu«igen gemacht hat. Es besteht eine besondere Veranlagung zum Marxismus; die Klassenlage des Arbeiters bedingt eine allgemeine geistige Ein- stellung, die zum Marxismus prädisponiert. Die entsprechenden Vorstellungen und Gedanken sind in die Tiefe des proletarischen Be- wußlseins eingedrungen und zum Bestandteil des Lebcnsbewußtseins der Masse geworden. So wurde der Marxismus nicht nur zur Ideologie der sozialdemokratischen Partei, sondern auch zum wichtigen wahrscheinlich dem wichtigsten Element der prole­tarischen Massenpsychologie. Der lebendige Tröger des Marxismus ist jetzt der aufgeklärte Arbeiter. Selbstverständlich wird der Marxismus nicht in seiner ursprünglichen Kompliziertheit ausge- nominen; bei dieser Massenwiderspiegelung muß er notwendiger- weise vereinfacht und schematisiert werden, aber er wird in seiner Ganzheit ausgenommen: als soziale Wissenschast und sozialistische Konzeption, als Weltanschauung und als tonzentriertes proletarisches Ethos. Genossin Hermes zeigt trefflich, wie alle diese Elemente des Marxismus von der Massenpsyche aufgenommen werden. Die politischen Grundgedanken der Lehre: die Vorstellung von der Klassenscheidung, vom Klasiemntercsse und Klassenkampf als politischem Ringen, wenn sie von Massen akzeptiert werden, bilden die festen Grundlage de» Klassenbewußtseins. Das Klassenbewußt- sein wird vom Marxismus   vereinheitlicht und gesonnt. Ebenso wird auch der historische Materialismus als eine historische und sozio- logische Auffassung angenommen. Der Arbeiter will in der Ge- schichte das Massenhafte und das Gesetzmäßige, den sozialen Inhalt der Entwicklung auf dem Grunde der ursächlichen Erklärung ver- stehen. Hinzu kommt die weltanschauliche Verwertung des Marxismus: Der marxistische Arbeiter erkenne die� Wissenschaft als oberste Autorität an, er betrachtet sie als höchst« Stufe des mensch- lichen Geisteslebens. Das ist ein Respekt, welcher an Pietät grenzt. Di« marxistische Aufklärung bedeutet auch das Sich-Befreien von der Religion. Sie wird überwunden nicht nur als Kult, sondern auch als Emotion, als Erlebnis. Die Antwort auf die allgemeinen Probleme des Seins sucht der marxistische Arbeiter weder in der Religion, noch in der Metaphysik, sondern in der Naturwissenschast und in der naturwissenschastlichcn Philosophie. Im Bewußtsein des proletarischen Masienmenschen ist der Marxismus serner aus das engst« mit den beiden großen srzlnlistischen Trieben verbunden dem Streben zur sozialistischen   Gleichheit und Vollkommenheit und dem aktiven Solidaritätsgefühl. Der marxistische Sozialiemus der Massen schließt das proletarische Ethos, das sozialistische Leben»- gefühl von großer Spannung und Aktivität ein. Er ist nicht seelen- los,, sondern beseelt. Diese Ausführungen haben einen großen wisienschaftlichsn Wert. Genossin Herme« hat die innere Gesetzmäßigkeit und die soziale Bedingtheit der Bildung des marxistischen   Masienbewußtseins gezeigt. Was sie geleistet hat, ist eigentlich ein« Soziologie des marxistischen   Denkens. Nach diesem Buche kann man verfolgen, wie groß die erzieherische Leistung des.Marxismus   gewesen ist. Diese Leistung besteht unter anderem darin, daß er den besonder» qualifi- zierten Typ des sozialistischen   Proletariers geistig geformt hat. Es ist ein großer Dorteil der deutschen Arbeiterbewegung, daß sie über diesen Menschentyp verfügt. E» genügt, den in diesem Buche ge- schilderten deutschen marxistischen   Arbeiter mit dem englischen sozialistischen   Proletarier zu vergleichen, der geistig noch in der Welt der religiösen Tradition, der flachen ethischen Gefühlsmähigkeit oder bestensalls des bornierten naturalistische» Positiviemus zurück�«- blieben ist, um festzustellen, wie groß der deutsche Dorsprung ist. Trotz der gegenwärtigen ldeoiogischen Krise ist die gesunde marxistische Masiengrundlage der deutschen Arbeiterbewegung erhalten geblieben._ D r. A. S ch i s r i n. Agrarpolitik. Michael halaisch: Die Landflucht, ihr Wesen und lhre Bekämpfung im Rahmen einer Agrarr«form. Verlag: Gustav Fischer, Jena  . 271 Seiten. Das Buch des österreichischen   Bundespräsidenten  , der in der schönsten Gegend Deutschösterreichs, im Semmeringgebiet als prak- tischer Landwirt tätig ist, verdient die besondere Beachtung des sozialistischen Agrarpolititer«. Dor Verfasser geht davon aus, daß die Landflucht als Masten- erscheinung ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, indem die große Nachfrage der Industrie nach unqualifizierten Arbeitskräften eine Mastenbewegung von der Landwirtschaft in Städte und In- dustricorte hervorgerufen und gleichzeitig die alte Agraroersastung aufzulösen begonnen hat. Hainisch untersucht die für den einzelnen Landflüchtigen jeweils wirksamen Ursachen sehr sorgfältig und stellt ein Ueberwiegen von Gründen wirtschaftlicher Natur Läng» der Arbeitszeit. Härte der Arbeit. Unsicherheit der Beschästiguna wäh- rend des Winters, soziale Abhängigkeit des Landarbeiters, schlechts Wohnung und niedrige Löhne fest. in öle �Kücherwelt Seilage öes vonsärts Die bisher befolgten Methoden gegen die Landflucht, wie die mit Unrecht pessimistisch betrachtete und daher stiefmütterlich be- handelte Ansiedlung von Landarbeitern, aber auch die Bauernan- sicdlung lehnt Hainisch ab, weil er dem Großbetrieb den unbe- dingten Vorrang vor dem Kleinbetrieb zuerkennt und neben der volkswirtschaftlichen Bedeutung höchster Produktivität des Bodens ein« etwa aus sozialen Gründen entstehende Notwendigkeit der Jnnenkolonisation in Kleinsiedlungen übersieht. Gegen die Landflucht gebe es also der österreichische Bundes­präsident spricht es mit dankenswerter Deutlichkeit aus kein an­deres Mittel als hohe Löhne. Damit die Landwirtschast solche er- tragen könne, müsse ihr jedoch eine entsprechende Nentabilität, das heißt hohe Produktionspreise, gesichert sein. Er setzt sich nun im zweiten Teile seines Werkes mit der Agrarfrage auseinander und erkennt dos Problem in dem Mißver- hältnis zwischen Berkehrswcrt und Reinertrag. Der Reiche find« sich damit ab, weil der Bodenbesitz für ihn gesicherte Vermögens- anlage, Basis für soziale Position, Jagd usw. zu sein habe, während der Arme dos Mißverhältnis mit in Kaus nehmen müsse, da für ihn der Boden nicht Kapital, sondern Arbeitsstätte sei, wo er nicht von Erwerbslosigkeit bedroht werde. Die Ueberzahlung bei Boden- ankauf ebenso wie die Uebcrwertung bei Erbgang führten nur zur Ueberschuldung, die weder durch dieVerschuldungsgrenze" nach preußischem Muster noch durch das Anerbenrecht nach olpenlän- bischer Art erfolgreich bekämpft werden könne. Aus dieser Schwierigkeit sieht Hainisch nur den Ausweg, daß durch Maßregeln in der Gesetzgebung und Verwaltung ein festes Verhältnis zwischen Produktenpreisen, Löhnen und Grundwert ge- schaffen werde. Die Produktenpreise könnten nicht durch Schutzzölle, sondern nur durch ein staatliches Getreide- und Viehhandefemonopol sta­bilisiert werden: die Bodenpreij« müßten durch eine sofortige Schätzung aller Grundstücke nach ihrem Ertragswert ein für alle- mal grundbücherlich festgelegt,konstituiert" werden, während die Löhne nach altem deutschen oder neuem englischen oder ungarischen Vorbild durch staatliche Satzungen fixiert werden mühten.(Reben- bei will der der Großdeutschcn Volkspartsi nahestehende öster­reichische Bundespräsident durch letzteres Mittel auch eine gewisse Interessengemeinschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern schassen und das Gefühl der Solidarität erwecken.) Wir können den Optimismus des Verfassers, daß fein Dar- schlag alle Fragen der Agrarpolitik einer Lösung zuführe, nicht teilen, da seine rein statistische, stellenweise fast mechanische Be­trachtungsweise der Landwirtschaft doch das übersteht, daß die neueren Gesetze des Kapitalismus die von Erwerbslosigkeit be- drohten Land- und Stadtproletarier immer wieder dazu treiben werden, Grund und Boden zu überzahlen und sich zu überschulden, ein Zustand, der nur durch die Ueberwindung der kapitalistischen  Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgehoben werden kann. So sehr wir Sozialisten mit dem analytisch-kritischen Teil von Hainischs Untersuchungen von wenigen Ausnahmen abgesehen übereinstimmen können, so wenig können wir uns sein positives Programm zu eigen machen. Otto Bauer   teilt« bereits im Kampf" mit. daß ihm als Präsidenten der österreichischen Soziali- sierungskommission Hainisch schon im Jahre 1913 dieses Programm vorgelegt habe. Er sei jedoch auf eine Erörterung nicht eingegangen, weil er dieses Programmfür eine schlechthin undurchführbare Utopie" ansehe._ Dr. Otto Ehrlich. Volilit. Do« Cuigl Stürza: Italien   und der Faschismus. Gildo-Verlag, Köln  . Preis geh. 4,80 Mk., 281 Seiten. Don Luigi Sturzo  , der Gründer und Führer der italienischen katholischen Lolkspartci, teilt das Schicksal der besten Männer, die Italien   in der Gegenwart bietet, und lebt als politischer Verbannter in der englischen   Hauptstadt. In englischer Uebersetzung zuerst und jetzt auch in deutscher liegt seine im Exil und im Ab- stand von den dargelegten Dingen eindrucksvoll geschriebene Studie Italien   und der Faschismus" vor, die eine der objektivsten Dar- stellungen des Faschismus ist. Hier näher aus die von Don Sturzo geschilderte innere Eni- Wicklung Italiens   einzugehen, erübrigt sich insofern, ale für unsere Betrachtung in erster Linie die heutige Struktur der politischen Begebenheiten und die Winke des Verfassers für einen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage in Frage kommen. Es siegt klar auf der Hand, daß«in so ausge- sxrochener katholischer Politiker wie Sturzo für die großen inneritalienischen Auseinandersetzungen wieKirche und Staat", Liberalismus und Sozialismus usw. Formeln findet und beredt ver- tcidigt, die wir Sozialisten ablehnen müssen, wobei ober nicht dar- über hinweggesehen werden soll, daß der Bersasser weitgehendes Der- stöndnis auch für das Wollen und Wirken der leider so sehr an innerlichen Jcrietzung-n leidenden sozialistische. Bewegung in Italien  aufbringt. Wie überhaupt das rein Ber standesmäßige in tiefem Buch aus Kosten des Herzen» betont auegebildet ist, so daß zum Beispiel alles, was Don Sturzo in seinen, Kapitel über den M a t t c o t t i- M o r d schreibt, als allzu leidenfchastslos und zurück- haltend erscheinen muß, wie auch die Charaktereigenschaft des sozio- listischen Märtyrers den Eindruck allzu einseitiger und schemafischer Behandlung erweckt. Näheres Eingehen verdienen natürlich die Abschnitte des Buches, in denen Don Sturzo seine Stellungnahme zum Sozialismus umreißt und dessen politisches und soziales Wirken in Italien   ver- solgt. Er nennt ihn einen fast ausschließlich organisatorischen Sozia- lismue, dessen Gründe in der Anpassung an seine Entwicklungsbe- dingungen in Italien   zu finden seien, wo er sich nur in zwei Ge- bieten entfalten konnte, dem landwirtschaftlichen der Po- eben« und dem industriellen, das mit dem Dreieck Mai- land Genua Turin umschrieben werden kann. Dan Sturzo betont nunmehr mit Bezug aus das erstere, daß in ihm die ------- Bewegung niemals über«ine rein wirtschaftlich« Ein- stellung, d. h. über ein« Organisation der Lohnarbeiter und des Genosfenschastewesene hinausgegangen fei und daß sie das«igent liche Agrarproblem Italiens  , das eines der schwer- wiegendsten Momente der Krisen des italienischen Lebens darstellt. nie studiert und zu bewältigen oersucht habe. Diese Behauptung heißt für jeden, der die italienische sozialistische Bewegung gerade in den paar Jahren, die ihr nach dein Weltkriege»och vergönnt waren, eingehend kennt, das Kind mit dem Bade ausschütten. Ganz obge- sehe» davon, daß das italienische Agrarproblem eine ganz eigen- artige, in der übrigen Welt nicht mehr wiederkehrende Struktur hat, die auch ganz besonderer, mit fremden Maßstäben nicht zu messender Mittel zu seiner Bewältigung bedarf, hat der italienische Sozialismus es nie versäumt, gerade sein tiefgehendes Interesse diesem italienischen Problem zuzuwenden, während doch z. B. ver- schiedene Bemühungen derPopolari" in dieser Richtung lebens- fremde Utopien oder gar aussichtslose Pferdekuren geblieben sind. Die Art auch, in der Don Stürza die sozialistische Bc- wegnng in Italien   zum Teil dafür verantwortlich zu niachen versucht, daß der aus ihren Reihen hervorgegangene Mussolini   aus dem Wege einer geschickt geleiteten Ueberrumpelung das System der faschistischen Diktatur aufrichten und im Laufe der Jahre mit Hilfe der bedenklichsten Mittel moderner Barbarei ausbauen konnte, muß als einigermaßen befangen zurückgewiesen werden. Das Rezept, das Don Sturzo, in seiner nüchternen Betrachtungs- wetze davon überzeugt, daß die Zeit für den aktiven Antifaschismus noch nicht gekommen sei und ihm die Ereignisse erst entgegenreifen müssen, gegen die faschistische Krankheit bereit hält, nennt die drei Bestandteile: Arbeit, Kultur, Religion, eine Droge also, in der der Priester in das Mittel des Sozialpolitikers sein etwas zweisslhastes Arkanum gemischt hat. Darüber wollen wir mit Don Sturzo nicht rechten, aber nochmals anerkennen, daß er mit seinem in eine bildhaft lebendige Vision eines zukünftigen freien Italiens   ausklingenden Werke eine der oufragendsten und beachtenswertesten Würdigungen des Faschismus und seiner unseligen Tätigkeit geschaffen und daß er mit seiner Darstellung wie mit einer frischen Brise die Segel unserer Hofsnungen wieder angeschwellt hat, daß der Faschismus naturgc- drungen bald ein Ende finden wird. Denn, und wir unterschreiben voll und ganz diesen seinen Satz:Die Macht und Kraft der Ideen und die Forderungen der Wirklichkeit sind stärker als jedes Attentat und jeder Umsturz." D. C.  Erzählende Literalur. H. G. Dells: Der Traum(Roman). Paul Szolnay Bertas, Berlin  . 279 Seiten. .... Damals wurde der Mensch sich seldst zur Heuschrecken  - plage...", und diesesDamals" einer glücklicheren Zeit ist unser Heut«, ist die Zeit voller Wirrnis und Dunkelheit und kaum däm- merndem Licht, in der wir, unglückliche Menschen, Sklaven sinnloser Moralgesetze", heute leben. Bielleicht werden wir dem fernen Ge- schlecht, das nach 2000 Iahren in Museen die Ueberreste unserer Kultur" betrachtet, einst wirklich so fremd und unverständlich sein, daß ihm nur ein hellseherischer Traum Ausschluß über unsere Psyche geben kann. Denn das ist der Inhalt des Romans. Nach denlegten Kriegen", in denen sich alle Schrecken der Kricgstechnik austobten. in denen die Menschheit in nie geahnter Weise dezimiert wurde, erwächst ein neues, freieres Geschlecht, das zugleich mit den ökono- mischen Fesseln auch die der alten Moralgejetze abstreifte, ein Ge- schlecht, das nicht nur kraft einer überlegenen Technik die Natu? beherrscht, sondern auch durch eine neue Erziehung selbstherrlich frei sein eigenes Leben formt, das nicht mehr blindem Zufall unter- tan ist. Und in einer Stunde träumt ein Mensch dieser Zeit ein Leben der Traum versetzt ihn 2000 Jahre zurück, läßt den glück- lichen Sarnac zu dem unglücklichen Harry Mortimer Smith werden. Sinnlose Vermehrung, das war das Grundmotiv meiner Umgebung, mein Drama, meine Atmosphäre...", so schildert der erwachte Sar- nac sein Traumleben, schildert seinen Gefährten das Herzweh unserer ganzen Welt. Und in uns, deren tägliches Leben noch in dieser leid- beschwerten Welt gelebt werden muß, rührt seine Schilderung an alte Wunden, an Narben, die wir alle tragen, die wir längst verharscht und gefühllos glaubten, gleich einem Stachel) alles Weh, mit dem wir unsabgefunden" hatten, wird lebendig, aber wir sehen auch, wie wir unendlich vielen Schmerz selbst schusen, und wie wir selbst uns immer wieder den Weg in die Freiheit des Glückes verbauen. So rührt dieserRoman  " an tiefstes Leid jeder Seele und zeigt doch, wenn auch erst in weitester Ferne, die Befreiung des wahren Menschen.   Im Gegensatz zu den meistenUtopien" gibt Wells in seinem Roman fast nichts über die technischen und ökonomischen Voraus- fetzungen desglücklichen Zeitalters" und konzentriert sich nur auf die Darstellung der seelischen Wandlung, die die Menschheit durch- machen muß, und gerade darum wird das Interesse nicht durch Dinge, die nicht im engsten Sinnezur Sache" gehören, abgelenkt. Und statt einWolkenkuckucksheim" zu erbauen, legt er die morschen Funda- mente unseres Unglücks bloß zeigend, wie leichte Arbeit hier eigentlich der Baumeister einer neuen Welt hätte. R. Ewald. Franz Wersel: Der Tod des Kleinbürgers. Poick Szolnay Verlag, Verlin. Franz Wersel hat in dieser Novelle einen Kleinbürger mit er- schüttelnder Wirkung darzustellen gewußt. Man sieht ein solches armseliges, halb vegetatives Leben, das als seinen einzigen Gewinn Geld zur ständigen Aufrechterhaltung seines bürgerlichen Ansehens buchen möchte. Jedem anderen Streben verschließt sich dos Begriffs- vermögen dieses immer sich in seinem engen Kreis drehenden Menschen bewußt konsequent. Cr ist zufrieden, bescheiden, will nicht steigen, aber vor allen Dingen nicht aus die soziale Stufe de« Proletariers sinken. Und so schafft auch hier bei dem meisterhaft gestalteten Kleinbürger die Sorge um die bürgerliche Geltung seiner Angehörigen nach seinem Tode, die ungeheure Triebkraft zum Kampf stcherung in Kraft tritt, die seine Frau vor einemunstandesgemähen" Lebensabend im Spital und den schwachgeistigen Sohn vor einem Anstaltsaufenthalt bewahren soll. Darum und nur darum peitscht auch der Gedanke an die Versicherung den vor Ablauf der ihm zur Bedingung gemachten Karenzzeit krankgewordenen und rettungslos dem Tod« verfallenen Kleinbürger zu einer Willenstat sondergleichen s