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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne".

Lah nicht vom Rothen dich umgarnen.

Wenn du noch eine Nase hast Und hast ein rothes Taschentuch Ob seiden, wollen, ob Damast

Benütz' es nicht, es bringt dir Fluch: Gedenk der strengen Polizei,

Die amtlich diese Farbe haßt,

Und wegen Sozialisterei

Leicht heutzutag Verdächt'ge faßt!

Doch schnaub, so lang du schnauben kannst, Schnaub dreist, so lang du schnauben' magst: Wenn du das rothe Tuch verbannst, So ist kein Grund, daß du verzagst! Nicht was der Mensch und wie sich schnenzt, Die Frage gilt: worein er schnaubt: Durch Roth wird leicht das Volk gereizt, Drum schnaub in Farben, die erlaubt.

Führt dich der Zufall gen Madrid , Wo oft hat statt ein Stiergefecht, So lenke flugs dahin den Schritt, Du spürst's, die Polizei hat Recht; Sich, wie durch's rothe Tuch der Stier Schon wild sich zeigt und wetterwendsch, Doch ist die Wirkung doppelt schier So schlimm bei Unterthan und Mensch!

Wenn dir ein Dorn den Finger stach, O glaub,' wird alles wieder gut, Sobald dir( bitte sich darnach!) Rinnt in den Adern blaues Blut! Tropst es hervor, wie Indigo Aus einer Färberküpe rinnt,

Der Schußmann lächelt mild und froh: Er merkt, daß du loyal gesinnt!

Und wenn du eine Jungfrau bist, Zu der der Liebste fensterln" tam, Und, falls ihr bräutlich euch gefüßt, Dich überfluthet holde Scham: O denk an deine Bürgerpflicht, O denk an dein soziales Selbst: Erröthen, Mädchen, darfst du nicht, Doch hindert nichts, daß du ergelbſt!

Wenn an den bösen Masern liegt Am Scharlach dein geliebtes Kind Und rings verdächt'ge Flecken friegt; Sorg, daß es keine rothen sind; Denn der und jener achtet drauf, ' s giebt böses Blut, ch du es meinst Und das Gesetz nimmt seinen Lauf Du aber raufst das Haar und weinst. Und willst du jeglichen Verdachts Schwerwucht'gen Folgen dich entziehn, JB Krebse nur, so lang sie schwarz, Und Kirschen einzig, wenn sie grün; Das Beefsteak ford're niemals roh, Laß alle Blutwurst Blutwurst sein, Brich mit dem Zeller Rothen!- D! Trink Mosel nur und Apfelwein!

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Wenn du empor gen Himmel blickst, Daran der Regenbogen prangt, Siemt's, daß du zu die Augen drückst, Sobald beim Roth fie angelangt. Und zeigst beim Arzt die Zunge du Zum letzten Mal ein müder Greis: Froh darfst du gehn zur ew'gen Ruh, Wenn nur die Zunge hübsch schwarz- weiß.

Berliner Ulf."

In Wallersnoth.

Sonnabend, den 24. März 1888.

II. Jahrgang.

daliegenden Lehmhäusern ändert sich die Szeneric, und dumpfer schwillt es an. Der silberhelle Streifen wird immer unter grünenden und blühenden Obstbäumen tauchen weiß- breiter und breiter, binnen einer Minute wird aus ihm ein getünchte steinerne Häuser mit rothen Ziegeldächern auf, See, der seine Wogen lawinenartig heranwälzt. Dort ist hinter denen ein Kirchthurm sichtbar wird, und man kann noch ein großer, dunkler Punkt zu sehen, es ist ein Strauch dann annehmen, daß der Boden hier günstiger ist und in der nächsten Sekunde ist er verschwunden, die Wogen seine Ergebnisse einen gewissen Wohlstand bei den polnischen wälzen sich über ihn hinweg. Ganz deutlich steht die bäuerlichen Besißern hervorbrachten. Reihe der Bäume noch vor uns, deren Farbe noch eins

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Aus dem Torfe und den zerstreut liegenden Lehm­hütten trägt man Betten, Kleidungsstücke, Möbel, aller­hand Gegenstände im bunten Durcheinander zu uns herauf; hier oben ist alles geborgen, aber da unten, da unten!

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Es war gegen Neujahr des Jahres 1862. Aus mit dem Erdboden zu sein scheint- noch wenige Augen­Schlesien war die Kunde gekommen, daß ungewöhnliche blicke, und sie stehen auf weißem Grunde. Das gurgelt Massen Schnee sich im Gebirge gesammelt hätten und daß und gurgelt immer näher, und gluckst so eigenthümlich und bei Umschlag der Witterung- es war ein strenger unheimlich, als hätte ein Höllenrachen sich aufgethan, und Winter das Aergste zu befürchten sei. Gebirgswasser wolle durch Stöhnen seine Opfer anlocken. Wer dieses - das war die Schreckenslosung, die in den Niederungen Gurgeln und Glucksen einmal in seinem Leben vernommen, von Mund zu Munde ging, und die größtmöglichsten dem tönt es ewig in seinen Ohren wieder. Das war Vorbereitungen treffen ließ. Das sogenannte Grundwasser, der Grabgesang einer verheerenden Sturmfluth. das heißt, das Wasser, das allmählich von unten herauf- B. fliegt mit Windeseile davon, um ebenfalls zu stieg und fast alljährlich eintrat, war weniger zu befürchten, retten und zu helfen, aus den einzelnen Schreckensrufen ist troßdem es äußerst lange andauerte. So entsinne ich mich, icßt ein herrzerreißendes Stimmengewirr aller Tonarten daß wir buchstäblich meine Eltern wohnten damals in geworden. Mein Weib ist noch unten, meine Kinder! der Nähe einer kleinen Stadt im Jahre vorher von Helft fie retten!" Ein bärtiger Arbeiter stürzt noch zulegt Neujahr bis Ostern, also während eines Zeitraums von aus der Brennerei, den Abhang hinunter, quer über die Und gleich darauf zirka drei Monaten, vom Wasser umgeben und von jeder Wiesen, einer entfernten Hütte zu. Verbindung abgeschnitten waren. Das Gebirgswasser da schallt eine andere Stimme aus der Entfernung: Brons­gegen, das im Durchschnitt alle drei Jahre einmal eintrat, fy's Hütte ist schon weg- seine Frau und Kinder müssen und jedesmal den so gefährlichen Eisgang im Gefolge umgekommen sein!" hatte, verschwand und fiel ebenso wie es gekommen, aber die Macht, mit der es hereinbrach, war desto fürchterlicher, um so gefährlicher, als Niemand den Zeitpunkt der Ueber fluthung genau kannte, und die Gewalt des Elements vor­her nicht ermessen werden konnte. Das letzte große Hoch­Noch steht das kleine Haus dort, uns gerade gegen­wasser war 1852 gewesen; an unserem Wohnhause in der über, ziemlich dicht der Warthe zu. Erbarmen, jetzt ist Höhe des ersten Stockwerks befand sich damals noch ein der Damm dort auch durchbrochen. Das Wasser hat das schwarzer Strich, der die Stelle kennzeichnete, bis zu welcher Häuschen erreicht ein Krach, ein hoher weißer Berg das Wasser in jenem Jahre am höchsten gestiegen war. thürmt sich auf, das ist eine Eisscholle, noch einmal der­Aeltere Bewohner erzählten uns, daß sie bequem damals selbe Krach und das Haus ist verschwunden. Wer noch im ersten Stockwerk in Waschfässern herumrudern konnten. dort unten geblieben, der ist unrettbar verloren. Und Gegen Ende des Jahres 1862 befand ich mich auf eine Eisscholle folgt der andern, ein Krach dem andern- wenige Tage mit meinem Vater auf dem Gute des Polen das sind die Schollen, die von dem Strome getrieben, B., der Besitzer bedeutender Ziegeleien war und mit dem krachend zusammenstoßen und sich gegenseitig zu zersplittern mein Vater ein Geschäft abzuwickeln hatte. Da die Weih- suchen. Die Ufer und Dämme verlieren jeßt immer mehr nachtsferien gerade eingetreten waren, hatte er mich mit ihre Konturen und es wird finstrer und finstrer genommen. Die Ziegeleien und die Gutsgebäude lagen Dunkelheit vermehrt das Entseßen. Das rauscht und in der Entfernung einer viertel Meile von der Warthe zischt jetzt, als hätte die Erde sich geöffnet. Oben der auf einer allmählich aufsteigenden Erhöhung. Am Ab- dunkle Nachthimmel mit seinem majestätischen Schweigen hange dieser Erhöhung lag ein kleines Dörschen, dessen und unten das brausende Element, das fortwährend nach Patron" B. war. Anscheinend endloses Acker- und neuen Opfern lechzt. Wiejenland dehnte sich zu beiden Seiten der Warthe ent- Die Nacht war vergangen, eine entsetzliche, lange lang aus, und eine Unzahl jener oben erwähnten Lehm- elende Nacht für diejenigen, die fast ihr ganzes Hab und hütten wurden dem Auge sichtbar. B. hatte mächtige Gut verloren, und noch nicht wußten, welchen treuen Dämme aufführen lassen, die ganz dazu geschaffen schienen, Freund, wessen Ernährer, wessen Weib und Kind die Fluth auch der ärgften Wassersfluth Troß zu bieten. Der Kälte verschlungen hatte. Endlich, endlich begann es im Osten war laue Witterung gefolgt und der Schnee war verschwunden. zu dämmern, und nun ein Anblick, so majestätisch schaurig, Die Wiesen und das Ackerland erschienen wieder in ihrer wie ihn die Laune der Natur nur immer hervorzuzaubern schmußig- olivenbraunen Färbung. Das Wasser der Warthe vermag. So weit das Auge reichte, ein einziger Wasser= war seit der letzten Nacht rasend gestiegen und seit dem spiegel, so ruhig, so glatt, so ohne jeden Wellenschlag, als frühen Morgen trieben bereits einzelne Eisschollen pfeil- stünde er seit Jahren so, und wäre nie von einem Wind­schnell den Strom hinab. Die Situation war eine be- hauche getrübt. Einzelne Eisschollen trieben ruhig dahin, forgnißerregende, aber B. baute auf seine Dämme, und dort ein Strohdach, eine Wiege, ein Tisch, ein anderer die Bauern und Tagelöhner unten in ihren elenden Lehm- Gegenstand, der nicht genau zu erkennen war. Von dem hütten bauten auf ihren Herrn". Der Tag neigte sich Dorf war nichts mehr zu sehen, als der Kirchthurn, seinem Ende zu nichts Gefahrdrohendes schien im An- alles andere war verschwunden. Bronsky, sein Weib und zuge zu sein. Das Gerücht von den großen Schneemassen seine drei Kinder waren von der Fluth mit fortgerissen, im schlesischen Gebirge schien übertrieben zu sein. von den übrigen fehlte Niemand. Acht Tage stand das

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die

Es war gegen 45 Uhr, die helle Vesperglocke der Wasser, dann fiel es allmählich und zeigte den Blicken Ziegelei hatte unlängst geläutet; die Arbeiter fauten ruhig elende Trümmerhaufen wenige Stunden hatten den ihre Stullen und tranfen ihren Kaffee. Mein Vater stand Besitz fleißiger Menschen auf Jahre hinaus vernichtet. mit dem Besizer ruhig plaudernd auf dem Platz vor der Brennerei, ich neben ihnen. Es war ein ungemein klarer Tag, die Luft förmlich mild, und man konnte in bedeuten­der Entfernung unten in der Niederung noch jeden Gegen­stand ziemlich genau erkennen.

[ Nachdruck verboten.]

Nur ein Rädchen.

Während er

Von Bruno Wille . ( Fortseßung und Schluß.)

sich ankleidete, wurde noch einmal jein Sollte wirklich keine Aussicht mehr sein?

Plößlich kommt ein Bauer von der nächsten Brennerei in schnellem Lauf ohne Kopfbedeckung, die Fahrstraße ent­lang, auf uns zugelaufen und schreit, so laut, wie es nur feine Stimme vermag: Das Wasser kommt! Das Wasser fommt!" B. wird im Moment todtenbleich und dreht sich Nachdenken rege. um, wie von einer Natter gestochen. Der Damm ist könnte sich nicht schließlich doch eine Stellung darbieten? unten bei Bronsky( so hieß einer der Tagelöhner) durch- Schließlich ja! Aber bis dahin bin ich längst herunter­Meine engere Heimath ist die Provinz Posen . Es brochen, das Wasser kommt!" tönt es nochmals aus dem gekommen, und ein Lump wird nicht angestellt. Also er­sind meist elende mit Stroh bedeckte Lehmhütten, die sich Munde des Mannes, und im nächsten Augenblick erschallt warten mich Mangel, Sorge, Demüthigung und Schande, in einem Theil der Warthe niederungen zu beiden Seiten es dreifach, vierfach: Das Wasser kommt, das Wasser vielleicht noch Blindheit... o wie bitter, wie unerträg­des die Provinz durchschneidenden Flusses gleich einer un- kommt!" Unten in weiter Entfernung freischt eine Weiber- lich bitter!

Von Max Kreter.

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unterbrochenen Kette dahinziehen, und auf das Auge des stimnie, und von der Seite der Katastrophe her sieht man Ein Grausen packte den Armen; er lief aus seiner an Wohlstand gewöhnten Reisenden einen trübseligen Ein- eine Frau über den Wiesengrund eilend laufen, an jeder Wohnung auf die Straße. Anstatt die gewohnte Richtung drud hervorbringen. Im ersten Augenblick würde man Hand ein Kind. nach dem Geschäft einzuschlagen, wählte er die entgegen­

es kaum für möglich halten, daß in einer derartigen Hütte Im Nu strömen die Arbeiter aus der Ziegelei einen gesetzte. Der Sturm schnob falt in sein Gesicht. Seine überhaupt menschliche Wesen existiren könnten, und doch Moment nur sind sie starr vor Entseßen, dann denkt jeder Gedanken hatten sich verwirrt. beherbergt so ein schmußig aussehendes Häuschen oft sechs zuerst an seine Habseligkeiten oder an irgend etwas, das Plößlich zuckte er zusammen und blieb stehen; er hatte bis acht Menschen, die in einem Raume zusammen wohnen in Gefahr ist und das er zu retten beabsichtigt. B. will etwas höchst Interessantes bemerkt. Ein paar Schritte und zusammen schlafen. Küche oder irgend ein anderes Befehle ertheilen, aber die Zucht" hat ihr Ende erreicht. rückwärts waren in einem Ladenfenfter allerlei Waffen, Gelaß kennt man überhaupt nicht, höchstens entdeckt man Jezt wird es unten im Dorfe laut und die Rufe, die Büchsen und Piſtolen zur Schau gestellt. Was mochte irgend einen am Hause angeklebten Verschlag, in dem ein ertönen, sind immer dieselben: Das Wasser kommt! Das solch ein Revolver koſten? Der Preis stand auf einem oder mehrere Schweine ihr mageres Dasein fristen. Größten Wasser kommt!" Und unten in weiter, weiter Ferne, auf angebundenen Kärtchen. Der Handlungsgehilfe griff in theils sind es Ziegeleiarbeiter, die hier mit ihrer Familie der schmußigbraunen Fläche des Wiesengrundes zeigt sich die Tasche und zählte hastig sein Geld; es reichte aus. ihre Wohnftätten aufgeschlagen haben. Der Boden ist zu ein schmaler, filberheller Streifen, der sich blendend in der Dann trat er in den Laden und verlangte in ruhigem jandig und macht die Bestellung des Ackers unmöglich Dämmerung von dem dunklen Grunde abhebt und sich in Ton den Revolver nebst Patronen. Der Händler warf so bilden die zehn Finger die einzige Kraft, worauf sie rasender Eile zu nähern scheint. Ein dumpfes, unheim- ihm aus ernſten Augen einen prüfenden Blick zu und gab hauen müssen. Hin und wieder zwischen diesen zerstreut liches Rauschen wird vernehmbar und immer lauter und zögernd das Verlangte,