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№ 16.
Beiblatt zur„ Berliner Volks- Tribune".
Eine alte Geschichte.
Von Max Vogler.
„ Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie ewig neu,
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei"...
1.
Das war ein lautes, ein lärmendes Fest, Da quoll das Gold aus den Taschen; Ein Jubeln und Prassen und zum Rest Zersprungene Kelche und Flaschen.
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Da saßen sie plaudernd und singend herum, Die gepußten, höflichen Leute:
Der Bräutigam scherzt, und dann blickt er stumm
Und freut sich der herrlichen Beute.
Sie haben ihm alle die Hand gedrückt
Mit Wünschen zum ehlichen Bunde,
Dem Bräutchen auch, und sie lächelt beglückt
Im Rausch der fröhlichen Stunde.
Dann dreht sich wieder der Reigen im Saal,
Und die Geister des Weines erwachen, Es schwirren die Saiten, es schäumt der Pokal Ein Schweben, Schwärmen und Lachen!
Schon hebt sich's draußen wie Morgengrau'n,
Und Schatten umzittern die Wände Bedeutsam nickend reichen die Frau'n
Der Braut noch einmal die Hände.
Bald ist es allein, das zärtliche Baar, Das Lager steht blumenumwunden,
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Es klirrt ihr Schmuck, und sie löst sich das Haar, Den Schleier um's Haupt ihr gebunden Das war ein lautes, ein lärmendes Fest! Da quoll das Gold aus den Taschen; Ein Jubeln und Prassen- und zum Reſt Zersprungene Kelche und Flaschen...
2.
Nun ist sie seit Wochen sein ehelich Weib Und wirket im eigenen Hause; Es bieten sich Kurzweil und Zeitvertreib, Und sie laden die Freunde zum Schmause. Doch wo sie geht, bei jedem Schritt, Gleich Stimmen von mahnenden Richtern, Da wandelt ein Reden und Flüstern mit, Und sie liest es auf allen Gesichtern:
Sie ist nicht glücklich, sie kann es nicht sein, Was denkt sie in heimlichen Stunden? Ihr fröhliches Lachen ist Lüge und Schein, Sie hat nicht die Liebe verbunden.
Wir wissen es alle: sie ist verkauft,
Es hat ihr Herz nicht gesprochen,
Und er hat sich vor Schmerz das Haar zerrauft,
Dem sie die Treue gebrochen.
Wie hat sie Der so heilig geliebt,
Wie hat er sie werth gehalten!
Es kommt ihr schon wer Frevel übt,
Den fassen die dunkeln Gewalten!"
So flüstern die Einen, und sie fragt sich entsetzt, Was die Andern wohl meinten und dächten; Einst war sie zufrieden und froh- und jezt Weint sie in verschwiegenen Nächten...
3.
Horch! war's ein Schuß nicht, der erklang Mit knatterndem Ton vor den Fenstern? Stöhnt nur der Wind zur Nacht oder schwang Vorbei sich ein Zug von Gespenstern?
Sie ist allein daheim und schlich Schon oft von den schwellenden Kissen So öde alles und fürchterlich,
Und die Seele von Schmerzen zerrissen!
Nun hat sie wieder das Licht gedämpft Es lag ein Brieflein darunter,
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Und noch kein Schlaf! Genug gekämpft! Sie muß hinaus und hinunter!
Es klingt ihr in der Seele nach,
Was er einst selig geschrieben,
Und wie sie ihm tausend Male versprach, Ihn einzig und ewig zu lieben.
Sie meint, sie hätte ein Haupt geseh'n, Blutig zu Tode getroffen, Und traurige Klage hört sie verweh'n Von zerstörtem Glauben und Hoffen!
Jezt steht sie drunten am Mühlbach schon, Der blinkt in der Mondenhelle, Und es kommt ein lang verlorener Ton Herauf aus funkelnder Welle,
Sonnabend, den 21. April 1888.
Der Garten hier, wo sie Rosen gepflückt Dem Liebsten in sonnigen Tagen, Und wo sie ihn jauchzend an's Herz gedrückt, Gescherzt in schelmischen Fragen.
Noch schauert sein Kuß in all' der Qual Ihr bis zum Seelengrunde
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Und die Blumen blühen mit einem Mal Und duften in schimmernder Runde.
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Und der Mühlbach rauscht ihr betäubend in's Ohr, Und sie gleitet hinunter vom Rande Dort treibt sie hin durch die Erlen hervor Erglänzt es von weißem Gewande.
In goldigem Leuchten verschwimmt ihr Haar, Die Fluth geht breit und breiter,
Und die Wellen umspielen sie wunderbar Und tragen sie weiter und weiter.
Vornehmer Wettbewerb.
Aus dem Arbeiterinnenleben.
Von Bernhard Westenberger.
( Deutsche Blätter".)
II. Jahrgang.
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besonders wenn das Lämpchen so armselig flimmert. Vor einer Stunde hat sie den letzten Stich an ihrer Decke ge= than und ist dann hierher geeilt. Morgen ist der erste morgen hat sie die Miethe für ihr Kämmerchen zu bezahlen, und es liegt ihr am Herzen, hier bei Michel ihre Arbeit los zu werden.
Wie viel er wohl dafür giebt ob sie damit morgen bezahlen kann? Sie hat sechs Tage und zwei Nächte angestrengt gearbeitet wenn sie sechs Mark löst, ist ihr geholfen. Und wenn er sie nun gar abweist dann?
Einst
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was
so fremd
Sie hat Zeit sich Gedanken zu machen. Wie das regelmäßige Plätschern einer Quelle, so schlägt das bald lauter, bald leiser geführte Gespräch der auswählenden, handelnden Damen und der Verkäufer und Ladenmädchen an ihr Ohr. Wie munter es hier zugeht! flingt ihr das Lachen, die Fröhlichkeit. Was wissen auch die Damen hier von Nachtwachen, Arbeit, Noth! einst wußte sie auch nichts von alledem. Im weiden- und heckenumzogenen Dorf, im Pfarrgarten ja, da war Glück, Luft und Sonnenschein. Es könnte auch heute noch so sein, wenn ihr Vater nicht die Kirchenrechnung gefälscht hätte und vom Amte gekommen wäre. Es sind jezt zwei Jahre, daß er sich zur Schande seiner Gemeinde und seines einzigen mutterlosen Kindes erschoß. Wie ihr die Augen schmerzen!
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Sie kam dann zu der Tante in die Stadt. Diese Herr Michel hatte alle Hände voll zu thun. Er fand nahm sich der Waise und mehr noch des Waisen geldes das ganz in der Ordnung, denn er trug sich mit der red- an; sie verrechnete es, wie sie sagte, mit dem Darlehen, lichen Absicht, ein reicher Mann zu werden und sich in das sie noch vom Vater zu fordern hatte. Dabei hatte vier, fünf Jahren zur Ruhe zu setzen, d. h. alle Vergnü es Elise sehr schlecht. Die Tante wollte das Dienstgungen, in die er sich jetzt nur dann und wann ver- mädchen sparen, und da war ihr Elise grade recht. tiefen konnte, gründlich zu genießen. Schwere Arbeit, wenig Essen Herr Michel war mit einem Vermögen von zwanzig famen lange, fieberheiße Krankheitstage. In der noth= - ein Jahr ging's; dann tausend Mark vom Lande in die Stadt gekommen. Alle dürftigsten Pflege, trostios, fast ohne Hilfe lag sie da, sich Welt lachte, als er in einer der Hauptstraßen ein Geschäft auf dem harten Lager wälzend, oder an die weiße Decke von Kunststicke reiwaaren eröffnete: waren doch schon starrend. Sie sehnte sich nach dem blauen Himmel, nach vier beliebte, angesehene Geschäfte dieser Art in nächster einem Blick, der ihr das Vertrauen auf die Zukunft wiederNähe. gebe, statt dessen blieb aber die eintönige, weiße Decke Die Inhaber derselben belächelten anfangs nicht wenig über ihr, die ihren Blick begrenzte, und es zog ein starrer die fortwährend wiederkehrenden großen Anzeigen, in denen Troß in sie ein. Sie wollte frei werden. Kaum konnte er seine ungeheuren Vorräthe", die erstaunliche, reiche sie sich regen, so packte sie in aller Stille ihr Bündel und Auswahl",„ die unerhörte Billigkeit seiner Waare" anpries. floh aus dem Hause. Es vergingen jedoch keine vierzehn Tage, so trat an Stelle floh aus dem Hause. Sie wollte frei sein; hungern hatte sie gelernt, arbeiten des Lächelns das Fluchen und Schimpfen. Michel ver- auch sie wollte für sich arbeiten und für sich hungern, kaufte um zwanzig Prozent billiger als sie, und fiche wenn es denn nicht anders ging. Sie hoffte aber, daß da, die treuesten Kunden, von welchen man so etwas es anders gehen würde. Hoch oben in enger Gaffe, im gar nicht geglaubt hätte", ließen ihre bisherige Einkaufs- verwinkelten Hause nach dem Hofe zu gab es ein Rämstelle im Stich und wanderten zu diesem entfeßlichen Michel. merchen für sie. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl in einem Was thun? Nichts blieb übrig, als ihre Preise ebenfalls Raum, in dem ein erwachsener Mann sich grade noch beum zwanzig Prozent billiger zu stellen. Sie hatten sich quem herumdrehen konnte: das war die Herrlichkeit, die jedoch kaum in ihr Schicksal gefunden, als Michel um sie gegen ein Miethgeld von sechs Mark für den Monat weitere zehn Prozent herunterging. Die Menge strömte erstand. ihm zu; er hatte außerordentlichen Absatz. Nochmals
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folgten ihm die Geschäftsleute, jetzt aber zeigte es sich klar, wurden die Füße müde und wund. Sie träumte davon, Aber nun auf die Suche nach Arbeit. D, wie bald daß sie dieser Schurke von einem hergelaufenen Michel zu für ein Geschäft Näharbeit erhalten zu können, oder als Grunde richten wollte: er kündigte großen Ausverkauf an Verkäuferin eine Stelle zu finden doch, die Leute gaben und gab alles und jedes zum Selbstkostenpreis. es ihr zu verstehen; sie sah zu armselig aus keine Figur man traute ihr nicht.
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hatte
Der Kampf dauerte zwei Jahre. Michel hatte einen harten Kopf und rastete nicht, bis seine vier Gunstbewerber die Segel vor ihm strichen, oder sich wenigstens einen an- So oft sie auf ihren Gängen bei Michel vorbeikam, deren Erwerbszweig zuwandten. Endlich war er allein; er blieb sie am Erfer stehen. Sie hatte sticken gelernt hatte fast sein ganzes Vermögen zugesetzt, aber was that's? doch ein so großes Geschäft! Durfte sie es wagen hineinKam doch jetzt die Zeit, wo er alles mit Riesenschritten zugehen!
einholen und den Verlust dreifach und vierfach ersetzen Endlich faßte sie Muth; sie wählte die Dämmerzeit, weil fonnte. Er ging mit den Preisen in die Höhe, und in man dann ihr abgetragenes und mühsam zusammenge= furzer Zeit waren sie so, wie sie nie einer der„ Todt- flicktes Kleidchen nicht so mustern konnte. Welche Seliggemachten" zu fordern gewagt hätte... feit! Nach einigen Fragen gab ihr Herr Michel einen
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Herr Michel hatte heute alle Hände voll zu thun. Feßen Stramin, einen Streifen Wolle und sagte ihr, sie Die Leute kamen aus den Bädern und Sommerfrischen möge bis morgen eine Probe liefern, er wolle dann sehen, zurück, und die weibliche Welt dachte bereits an die kom- ob sie brauchbar sei.
menden Weihnachten, an die nothwendigen Geschenke und Und sie lieferte am anderen Morgen die Probe und an Herrn Michel, der eine so reiche Auswahl von Stick- erhielt Arbeit und war das glücklichste Menschenkind auf mustern auf Lager hielt. dem weiten Weltenrund. Sie verdiente so viel Geld, daß
Die Ladendiener schwirrten hin und wieder, die Ver- nicht nur ihr Miethsgeld herauskam, sie konnte sich auch fäuferinnen breiteten lächelnd die Gewebe aus. Das„ Bitt' an Brot satt essen, und wenn sie ein oder zweimal in schön"," gefälligst"," prachtvolles Muster" u. s. f. klang der Woche die Nacht durcharbeitete, so reichte der Verdienst längs der breiten, hochbeladenen Tische hin, an der Kasse sogar, um dem trockenen Brot mit ein wenig Butter und flirrte es fortwährend bald hell, bald dumpf, sodaß Herr Kaffee den Weg leichter zu machen. Das ging zwei Michel, der sich nebenan im Bureau von einem jungen Monate ganz gut; sie wollte nicht merken, daß die Augen Mann die einzelnen Posten der Tageseinnahmen des heute dann und wann unsicher wurden und brannten, als seien zu Ende gehenden Monats vorlesen ließ, helle Lust empfand sie vom Feuer versengt, fie fühlte nicht, daß ihr der Athem und wohlgefällig mit seiner goldenen Uhrkette, oder mit in der Brust stockte; sie rechnete nur, wie sie auskäme. den dünnen Haarsträngchen spielte, welche die schwere Auf- Da es sind jeßt vierzehn Tage erklärte ihr ganz gabe hatten, seine Glaße neugierig muſternden Blicken zu unverhofft Herr Michel, er bekomme von allen Seiten so entziehen. viel und so billige Arbeiten zugetragen, daß er ihr keine An einer Ecke des Ladentisches nahe der Thür steht weiteren Aufträge geben könne; wenn sie eine Arbeit auf ein junges Mädchen. Es hat einen schlechten Platz; so ihre Gefahr anfertige, so wolle er dann sehen, ob sie ihm oft der Ladendiener nach der anderen Seite will, muß es gefalle.
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zur Seite treten, und es ist so müde, todtmüde. Die Man arbeitete also noch billiger als sie; sie begriff Damen nehmen sämmtliche Stühle ein- dort ist noch es nicht, überlegte aber keinen Augenblick, sondern nahm einer frei, aber eine Dame hat ihren Schirm darauf ge- mit zitternder Hand einen Theil des eben für die letzte legt; wenn sie nur fortginge! Aber wer weiß, man darf im Auftrage Michels gefertigte Arbeit gelösten Geldes und sich doch nicht setzen, wenn man nichts kaufen, sondern kaufte sich Wolle, Stramin, Seidengarn, alles was sie etwas verkaufen will und obendrein noch so arm aussieht. brauchte. Die Arbeit wurde ihr schwer; es fiel manche Sie wendet das Gesicht von der Helle ab. Die Thräne von der hageren Wange und ach, das BlumenAugenlider schmerzen, als seien sie versengt; sie haben die gewinde, womit sie eine Klavierdecke zieren wollte, kam so Nacht nichts von Ruhe gewußt, und das Sticken, der Blick langsam vorwärts, und der letzte Tag des Monats, für auf die vielen Farben, das Zählen der Stiche strengt an, den sie das Miethgeld bereit halten mußte, kam so rasch,
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