№ 26.
Beiblatt zur„ Berliner Volks- Tribüne".
[ Nachdruck verboten.]
Ein Bild aus dem Leben unserer„, goldenen Jugend."
Von L. Halévy.
Wettrennen:
Sonnabend, den 30. Juni 1888.
II. Jahrgang.
Eine große Anzahl Zeitungen haben mit wahrer mit mir, so vertraulich, fast herausfordernd!... Schade,
Traurigkeit angezeigt, daß dieses Jahr wegen des ſchlechten daß ich dieſen Winter nicht die Zeit hatte, mich ihr zu
170 000 Franks betragen haben. Nur soviel
Damit komme ich auf ein
Wetters die Einnahmen vom Großen Preis" nur widmen, ich glaube fast Großen Preis" nur widmen, ich glaube fast... Aber wahrhaftig, die Zeit 66 170 000 Franks betragen haben. Nur soviel und hat mir buchstäblich gefehlt. Ich war gezwungen, das auf einmal. Die Comédie- Francaise, die weltberühmte, Frau von 3. auf den nächsten Winter zu verschieben. unübertreffliche Bühne, nimmt in einem ganzen Monat Denken Sie also nichts Schlimmes über das Rendez- vous nicht mehr ein, vorausgesetzt noch, daß das Stück zicht. von morgen. Ich muß um drei Uhr bei ihrem Tapezierer Ich nehme mir die Freiheit, dies im höchsten Grade sein, um meinen Rath abzugeben. Sie will ihren Salon lächerlich und ungeheuerlich zu finden. Die Pferdeart und ganz neu möbliren und hat sich deswegen an mich um ihre Fähigkeiten zu ermuthigen ist gut, doch scheint mir, Rathschläge gewandt... Damit komme daß die Menschenart und ihre Kunst zu ermuthigen, noch weiteres Unglück von mir zu sprechen. Es gilt nämlich besser sei... Lettere ist gewiß die Erstere werth. Es für ausgemacht, daß ich Geschmack, Fantasie, Erfindungsscheint mir, daß der Eid von Corneille und der Tartuffe geist, Ideen besize, daß ich ein unübertrefflicher Kenner von Molière für den Fortschritt mehr gethan haben, als von Kunstnippsachen, Stoffen, Pferden, Wagen, Toiletten, Möbeln, Zimmerdekorationen, Weinen und der Küche bin! irgend ein Vollblutpferd. Meine Stellung, meine Bedeutung in der Gesellschaft be= ruht zum größten Theil auf diesem Ruf, über den ich mich nicht genug wundern kann.
Ich schlage das„ Erste Bild von Paris " von Mercier auf, das Bild, welches Paris vor der Revolution von 1789 schildert.. Mercier schreibt daselbst über die Man begiebt sich in die Ebene der„ Sablons", um dort abgehetzte Thiere laufen zu sehen, welche wie Pfeile vorüberfliegen und nach kaum sechs Minuten über und über mit Schweiß bedeckt sind. An diese Wettrennen fnüpft man dann Diskussionen an, in die man sich so vertieft, deren Wichtigkeit man derart aufbauscht, daß es grotest lächerlich ist."
Was von den Sportsleuten von 1789 galt, das gilt noch heute, nach einem Jahrhundert von den Sportsleuten der Ebene von Chantilly und des Hippodroms von Longchamps.
Doch kehren wir zum kleinen Mar" zurück.. Nach der Unterhaltung über Flageolet und Frau von La Fayette hatte er sich auf ein Sopha sinken lassen; schweigend, nachdenklich, müde und gebrochen blieb er daselbst sitzen. Ich gesellte mich zu ihm.
Soll ich Ihnen aufzählen, was ich morgen zu thun habe? Von 9-10 Uhr kommt mein Schneider, um zehn Sie machen sich über uns lustig," sagte er mir. reite ich mit Frau L. aus, die meine Meinung über ein Ich bin Ihnen deswegen nicht etwa böse!... Ich lasse Pferd wissen will, das man ihr zum Kauf anbietet. Um mir gewiß Gerechtigkeit widerfahren... Ich bin unwissend elf Uhr muß ich beim Wagenbauer B. sein, um die Neulich begegnete ich in einer Gesellschaft recht an- wie der Karpfen im Teiche. Dann und wann werde ich Equipage zu prüfen, welche er für meinen Freund N. genehmen, liebenswürdigen, jungen Leuten. Sie unterzogen von wahren Anfällen der Entrüstung gegen mich selbst er fabrizirt. Die Equipage wird im höchsten Grade originell die Ergebnisse und Folgen der Frühlingswettrennen einer faßt. Eine Wuth zu arbeiten, zu leruen kommt über sein, sie ist nach einer Idee von mir gebaut. Ich komme ernsten Prüfung, das große Ganze, wie jede Einzelheit mich. Ich kaufe Bücher. Aber wo soll ich die Zeit nach Hause und frühstücke. Um zwei Uhr muß ich mich finden, fie zu lesen? Wo soll ich sie finden?" bei der Schneiderin von Frau von M. einfinden. Sie ward gründlich erörtert. Aber es scheint mir doch. will sich nämlich malen lassen und ist über die Toilette, " Ja, ja, ich errathe Ihren Gedanken schon... Die die sie tragen wird, im Zweifel, ich soll entscheiden. Von Zeit sollte Jemand nicht fehlen, der nichts zu thun hat... dort geht es zum Tapezierer der Frau von 3., wo wir Sie können dies nur denken, weil sie mit dem Dasein sicher zwei gute Stunden zu thun haben. Dann stürme eines Menschen unbekannt sind, der nichts zu thun hat! ich in ein Komitee, welches in der Provinz einen RennWenn Sie mein Leben kennen würden!... Soll ich klub und Rennen gründen will... Ich dinire hierauf Ihnen vielleicht erzählen, wie und was mein Leben ist?" bei der Familie V., welche einen neuen Koch auf Probe Wenn ich bitten darf!" hat und meine Ansicht über ihn wissen will. Dann muß ich einem Konzert bei A. beiwohnen, und damit ist mein
Während ich ihrer Unterhaltung lauschte, ward ich von Verwunderung und Traurigkeit ergriffen. Wenn ein bestimmter Preis an einem bestimmten Tag einem bestimmten Pferd entgangen war, so fam dies nur daher, daß es am Morgen gehuſtet hatte, oder daß es seinen Hafer vertrozte oder aber, daß ihm das Terrain mißfallen
hatte.
Sie sprachen dann über den großen Preis von 100 000 Frants. Es war für Niemand ein Geheimniß, daß Robert the Devil"( Robert der Teufel ) zu feurig war... ein Umstand, der sich allerdings bis jetzt meinem Wissen entzogen hatte.
Was jedoch den„ Destrier" anbetraf, so waren sie nicht einig.„ Der Destrier ist von Trocadero!" Nein! Der Destrier ist von Flageolet ."
,, Teufel noch einmal, wenn Ihr's nicht wißt, so fragt doch den kleinen Mar."
Mar!... Mar!"
Ich konnte nicht mehr länger an mich halten und warf nachlässig die Frage hin:
"
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Also hören Sie..
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Mar tomm, Du mußt sofort kommen." ,, Wohin?"
Mit uns in den kleinen blauen Salon. Wir wollen
.
mir im Davongehen noch die Worte zu:
„ Ich muß mit einer Abgeschmacktheit, einer Ungeheuer- Tagewerk noch nicht zu Ende, denn bei L'.s ist Tanzlichkeit anfangen, ich muß eine lächerliche, extravagante kränzchen, und die Familie würde wüthend sein, wenn sie Thatsache berichten: ich bin ein Mensch, der in der Mode erführe, daß ich bei A'.. s war und nicht zu ihnen kam. Und ihr Gespräch wickelte sich weiter und weiter ab. ist!... Vom Anfang bis zum Ende des Jahres streitet Ich muß nothgedrungener Weise also auch zu S'.. s Welche Gelehrsamkeit sie zeigten! Sie wußten, von wem man sich um mich, man reißt sich unt mich! Diners, gehen... Und das nennt sich ein Tag! Ich will mich Goldfuchs abstammte und von wem Wetterstrahl und Bälle, Soiréen, Landpartien, Jagdpartien, Aufführungen wenigstens darauf vorbereiten, und um den Anfang damit von Charaden und Salondramen... kurz eine wahre zu machen, gehe ich, rathen Sie einmal, gehe ich schlafen, Robert der Teufel. Alle wollen mich haben... obgleich es kaum Mitternacht ist ist..." Sintfluth von Einladungen... Alle wollen mich haben In diesem Augenblick fiel eine Wolke von Atlas, In gewissen Kreisen ist kein Fest, kein Vergnügen denkbar ohne mich Seide und Spißen neben dem kleinen Mar nieder. Es Warum das, weiß ich nicht!.. Ich habe keine war seine Kousine, Frau von B. Spur von Geist... Gewiß, ich habe keine Spur von Geist... Ich verstehe ein wenig zu schwägen, das ist Der kleine Mar näherte sich der Gruppe... bei- Alles... Von meiner Unwissenheit haben Sie sich soeben Sie übersteigt alle Grenzen... eine Charade aufführen. Wir haben Berge von Kostümen. läufig sei hier bemerkt, daß ich schon längst das Vergnügen überzeugen können. habe, ihn zu kennen. Wir stehen auf sehr gutem Welche Noth habe ich, nicht ich allein, gehabt, das Maturitäts- Cyprienne hat eine himmlische Charade gefunden. Du Fuß miteinander. Drei Mal bin ich durchgefallen, sollst drei allerliebste kleine Rollen spielen, einen Senator, Man legte ihm die Frage vor, eramen zu bestehen... und der kleine Mar" antwortete sofort, ohne Ueberlegung: das vierte Mal habe ich mit knapper Mühe und Noth einen Araber und den Pastillenhändler eines Harems." Von Flageolet!... von Flageolet! „ Ich bin untröstlich, liebe. Kousine, daß ich auf das und ich muß Ihnen gestehen, daß ich noch von Flageolet! Wie könnt bestanden .. Es Vergnügen verzichten muß... Ich kann nicht mehr. Ihr darüber nur eine Minute im Zweifel sein." heute in der Orthographie nicht ganz sattelfest bin. Es Vergnügen verzichten muß. Der kleine Mar" sah wirklich ein wenig aufgebracht giebt gewisse Worte, die mich erschrecken, und um die ich ich bin entsetzlich müde, ich bin nicht in der Verfassung. aus... Er war über die Unwissenheit seiner Freunde mich in meinen Briefen ehrfurchtsvoll herumdrücke Wie, Du könntest es über Dich bringen, Ursache zu sittlich entrüstet.. Trotzdem habe ich in der Gesellschaft Erfolge, glänzende ... Ich Erfolge. Ich zähle zu den Pariser Notoritäten. Vor sein, daß aus unserer Charade nichts wird? komm..." vier oder fünf Jahren nehme ich eines Morgens die Zeitung würde Dir dies nie verzeihen... Komm nur... tomm Sie ergriff seinen Arm und zog ihn mit fort. Von wem ist denn die Prinzessin von Cleves?" in die Hand. Ich hatte am vorhergehenden Tage einer Er folgte ihr, komische Verzweiflung im Blick und warf Die Prinzessin von Cleves?? Sie schauten einander großen Hochzeit beigewohnt und fand jetzt in dem Bericht fragend an. Sie suchten in ihrem Gedächtniß. Sie kannten darüber meinen eigenen Namen... In der folgenden ,, Ich hatte vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich Charaden teine Stute, die diesen Namen trug.. Gewiß, seitdem Woche nennt mich das Blatt abermals anläßlich einer sie die Wettrennen mit ihrer Aufmerksamkeit beehrten, ersten Aufführung... Von da an stößt man in den aufführen kann!" hatten sie den Namen dieser Prinzessin von Cleves auf Berichten über das gesellschaftliche Leben und Treiben auf feinem Programm irgend eines Derby gefunden. Ihr Schritt und Tritt auf meinen Namen! Die Verfasser der Der wahre Weise sucht etwas Gutes zu thun. UnErstaunen wuchs noch bedeutend, als ich ihnen sagte, daß kleinen Pariser Chroniken wurden allmählich mit meinem glücklich ist, wer gar nichts zu thun hat, wer wie der ich wüßte, von wem sie sei. nämlich von Frau von Gesicht bekannt und vertraut... So war ich zu einer kleine Max in vollständigem Müßiggange dahinlebt. La Fayette. Diese Zuchtstute war ihnen ebenfalls unbekannt. Persönlichkeit geworden! Ich wurde gefeiert, überlaufen, Er steht Morgens, am liebsten spät, recht spät auf, Ich erbarmte mich schließlich ihrer Verwirrung und gesucht. Heute haben wir zum Beispiel den 12. Juni, um sich im Spiegel zu beschauen und zu sagen: ,, Das bin ich! Jawohl, ich bin es... Ich gestand ihnen, daß die bewußte Prinzessin von Cleves ein und stellen Sie sich vor, daß ich seit dem 25. April tag= Roman aus dem siebenzehnten Jahrhundert, und daß täglich zu Diners geladen war. Und überall habe ich das habe gut ausgeschlafen, sehe frisch und rosig aus und Aber soll ich ein Frau von La Fayette dessen Verfasserin war. Sie athmeten nämliche große Diner, mit den nämlichen Gängen, den werde dick. Ich will ausreiten. fichtlich erleichtert auf. Daß sie nicht einmal die Eristenz nämlichen Gesprächen, und den nämlichen Personen über furzes graues Jaquet mit blauen Hosen anziehen oder Wir sind eine kleine Heerde junger und besser ein blaues Jaquet mit grauen Hosen?... Das eines Meisterwerts unserer Sprache wußten, das war ihnen standen ein kleines. Aber sie würden, tief beschämt, erröthet alter Pariser, die sich so in dem alten Kreise bewegen, graue Jaquet wird mir besser stehen. Gestern bin ich sein, wenn sie den Namen einer in Wettrennen auftreten- ohne sich je anhalten zu können. Wahrhaftig, ich von links nach rechts durch das Bologner Wäldchen geden Stute nicht gekannt hätten. halt's nicht länger aus! Sehen Sie mich gefälligst ritten, heute will ich von rechts nach links durchreiten. Abends beim Lichtschein geht es noch aber Dann komme ich zurück, ich frühstücke und halte ein Von vielen unserer jungen Leute gilt das Gleiche. Darauf Hinterdrein that es mir leid, daß ich diesen Sports- am Tage sehe ich scheußlich, entsetzlich aus... Ich esse Nachmittagsschläfchen auf der Chaise longue. Leuten eine so schwierige Frage vorgelegt hatte. Ich hätte nicht mehr, ich schlafe nicht mehr. Seit vierzehn Tagen ziehe ich den köstlichen braunen Nock an, den mir mein sie weit billiger in Verwirrung seßen können. Wenn ich sollte ich schon im Bade sein, das verlangt wenigstens der Schneider gestern gebracht hat, und fahre um den See Ich komme wieder zu Hause. Ich muß abersie z. B. ganz harmlos gefragt hätte: Von wem ist Lud- Arzt... Aber ich kann nicht fort, es geht nicht, vor herum mals Toilette machen: ich stecke mich in den schwarzen wig XIV.? so wäre es ihnen vielleicht geglückt, Ludwig XIII. bem 15. Juli bin ich nicht frei!" als Erzeuger ausfindig zu machen, dagegen hätten vor Der kleine Mar war in seiner Biographie soweit ge- Frack und schnüre mich mit einer weißen Kravatte zuMaria Theresia von Desterreich die Ochsen sicher am Berge kommen, als die reizende Frau von 3. am Arme ihres sammen gestanden. Und wenn ich weiter fortgefahren wäre: Von Gemahls vorüberrauschte. Sie blieb eine Sekunde lang dort bewunderungswürdig gut. Sie haben den besten em ist Ludwig XV. ? so hätte sie die zutreffende Antwort vor dem kleinen Mar stehen. über Ludwig XIV. gewiß zu der Auskunft ermuthigt: Von Ludwig XIV.
Wettrennen und Spiel nehmen im Leben dieser Herren den breitesten Raum ein.
Ich werde wohl nie begreifen, warum den Wettrennen, die eigentlich auch nur ein Spiel sind, gewisse Vorrechte zu Gute kommen.
an..
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„ Morgen, pünktlich um drei Uhr," sagte sie ihm, , vergessen Sie unser Rendez- vous nicht."
Ich werde um drei Uhr da sein," antwortete er. Also auf morgen." Sie rauschte weiter, und der kleine Mar nahm seine Erzählung wieder auf.
,, Entzückendes Weib, nicht wahr? Und sie ist so lieb
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Ich bin bei B. zu Tisch geladen, man ißt
Tisch von Paris . Um 10 Uhr drücke ich mich, um den vierten Akt von Robert tanzen zu sehen... So verstreicht mein Leben. Ich tauge zu nichts, nichts, gar nichts!... Ich bin indessen nicht dümmer als irgend ein anderer Durchschnittsmensch, aber von der Kraft und Intelligenz, die mir die Natur verliehen hat, habe ich nie Gebrauch gemacht, ich mache keinen Gebrauch davon und werde nie, niemals und zu nichts Gebrauch davon machen. Lezte