№ 8.
Beiblatt zur„ Berliner Volks- Tribüne".
Haussuchung.
Schließt auf, schließt auf! Man öffne mir Die Thür! Zurück den Niegel! Vollmacht bekundet das Papier
Bei Ihrem Namen steht bereits
Im schwarzen Buch ein Doppel- Kreuz, Und zwar mit rother Tinte,
Drum fort mit jeder Finte.
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Fürwahr ich staune" Nicht gemuckt! Wir wissen, was wir wissen. Was für ein Zettel, eng bedruckt, Wird hier so schnell zerrissen? Verlegen scheint der Inkulpat,
Gleich wie ertappt auf böser That.
Zwölf Röhre dort, auf dem Gestell- Sie gleichen Flintenläufen
Zu welchem Zweck, man beichte schnell... " Diesmal finds Tabakspfeifen."
Das wäre, Herr? Nein, das Gestell
Ist sonder Zweifel das Modell
Für neue Höll'n- Maschinen.
Sie Fieschi!*) Wehe Ihnen!
Der Stock, der dort im Winkel ruht, Dient?." Bum Spazierengehen." So? meinen Sie? Das flingt ganz gut; Kann jedes Kind doch sehen,
Dies sei ein Stock wie Alibaud's.**) Am Ende geht das Unding los Behutsam ihr Kollegen,
Ich wittre Flint' und Degen.
Das Buch, hier steht es deutlich, seht!
Es handelt von zwei Polen ". Verdächtig! Nennt Sie! Herr, gesteht Es frei und unverholen.
Südpol und Nordpol ." Fürchterlich, Um diese Zwei dreht alles sich!
Hier stehts! Sieht doch der Blind' es,
Zwei Hauptrebeller sind es.
Und hier! Geschrieben steht ja groß Und breit: ein Bundes- Hembe?
Ein bun- t- es, meint die Waschfrau bloß, Rechtschreibung blieb ihr fremde." Elende Ausflucht! Hochverrath!
Ein Bund mit Hemden! in der That,
Jezt kommen wir dem Dinge
Doch endlich auf die Sprünge.
Was schreibt man jezt?...' Nen Brief."... An wen? Nem Freund."
"
Den muß man lesen:
Ich muß dir leider nur gesteh'n,
Daß ich mordfaul gewesen
Mordfaul! gerechter Gott! Zum Mord
Nennt er sich faul! Gensdarmen fort, Fort mit dem Bösewichte
Zum heimlichen Gerichte!
F. v. Gaudy.
Sonnabend, den 23. Februar 1889.
rechten Hand den Bambusstock, in der linken einen sauber zusammengelegten schwarzen Beutel großer Dimensionen.
Dies geschah bereits in aller Frühe, um die Zeit des Eröffnens der Laden und Magazine. Nach einer halben Stunde sahen die Resterhandlungen der Königstadt Herrn Säuberlich in voller Thätigkeit; ihre Inhaber und Bediensteten begrüßten und behandelten ihn wie einen Mann, deffen Eigenheiten man während seiner jahrelangen Kundschaft zu gründlich kennen gelernt, um nicht alles auf zubieten, ihn zufrieden und glücklich zu machen.
III. Jahrgang.
Jahre waren vergangen, ich hatte meinen alten Flickschneider nicht mehr gesehen; denn ich hatte es nicht mehr nöthig." In der Dämmerung eines trockenen Wintertages kam ich wieder durch das Viertel, in dem er wohnte. Ich war im Gesellschaftsanzug, und man erwartete mich zur bestimmten Stunde zum fröhlichen Gelage. In der Nähe meines Zieles paffirte mir etwas Menschliches. Es war Glatteis, ich fiel, und meine engen Schwarzen " zeigten einen tiefen Riß an einer Stelle, wo man ihn nicht gerne sehen läßt. Meine Verzweiflung war groß. Herr Alexander Ja, auch glücklich; denn ich entsinne mich, während Säuberlich fiel mir ein. Er wohnte in einer der nächsten meines wechselvollen, an Menschenstudien reichen Lebens Straßen, er mußte helfen. Als ich dem bekannten Ort niemals wieder einen alten Herrn kennen gelernt zu haben, zuschritt, fiel mir die alte Zeit wieder ein, die längst verder gleich ihm das Glück seines Daseins in den Abfällen gangenen Tage mit ihren Kämpfen, ihrem Ringen, etwas von Glanz und Pracht zu erblicken vermochte. Es gab wie Heimweh im Glück kam über mich. Dann stand ich etwas in der Welt, was Alexander Säuberlich die Freude vor dem schmalen, hohen Hause, das unverändert geblieben eines Kindes bereiten konnte: das Wühlen in Bergen war. Mein Blick fiel auf den Leichenwagen der Armen, überflüssiger Tuchreste, das Prüfen der einzelnen Flicken, der ohne Führer vor der Thür hielt. Ich hatte nicht viel das Feilschen um sie, ihr endlicher Befit. Wie der Sammler Stufen zu ersteigen, als polternd schwere Tritte herniederseltener Miniaturen schmunzelnd das Gewölbe des Antiquars tamen und die Reste eines Menschen in schwarzer Umverläßt, so ungefähr verließ der einsame Alte mit gefülltem hüllung mir entgegengetragen wurden. Beutel den Laden des Händlers bunter Lappen, um zum zweiten und dritten zu wandern und beim erneuerten Blähen des schwarzen Schazes die Erhöhung seines Glückes zu empfinden.
Als ich ihn an einem Sommermorgen zum ersten Male durch die Empfehlung eines Studenten, eines Stubennachbars, tennen lernte, folgte ich dem Daseinszwange eines armen, unbekannten Schriftstellers, der zu der Ueberzeugung gekommen war, daß die Härte des Sißdeckels vor dem Schreibtisch die Auffrischung eines gewissen Theiles feines Beinkleides äußerst nothwendig mache.
,, Wer, wenn man fragen darf?" „ Der Flickschneider von oben", bekam ich theilnahms= los zur Antwort.
Ich trat zur Seite und folgte dann in einer Droschke vorüber bei den erleuchteten Fenstern, hinter denen man mich bei Spiel und Tanz erwartete, vergraben in meinen Gedanken über die nichtigen Dinge dieser Welt.
Er hatte recht gehabt, der einsame Alte:„ Es giebt einen Riß, den man nicht mehr heilen kann, weil er zu plößlich kommt."
Alexander Säuberlich war ein armer Mann gewesen, Er war gerade damit beschäftigt, den bekannten der nichts zu verschenken hatte; aber in dieser Stunde hatte Beutel zu entleeren und mit Kennermiene seine Auswahl er mir viel gegeben.
Man muß Mattematike verstehen, das ist die Hauptsache für unsereins", sagte er mit einem komischen Ernst, der auf humoristisch angelegte Gemüther seinen Eindruck
( Geb. 1800 zu Frankfurt a. D., geft. 1840 in Berlin .) niemals verfehlte.„ Ohne gründliche Kenntniß der Matte
[ Nachdruck verboten.]
Mein Flickschneider.
matike geht's nun einmal nicht. Hm, hm-"
Alexander L. Kjelland.*)
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zu treffen. Er saß an einem erhöhten Siz an dem einen niedrigen Dachfenster, durch das die Morgensonne ihre goldenen Strahlen wirbelte. Sein liebevoller Blick glitt durch die großen, runden Gläser der altmodischen, weit auf die Nasenspitze gerückten Hornbrille über den gefundenen von ethischen Tendenzen freie Objektivität bekennen, wird gekämpft, In allen modernen Literaturen, mögen sie noch so laut ihre Flicken und ruhte auf ihm mit einer gewissen Wehmuth, und überall find es die nämlichen Feinde, denen der Kampf gilt: aus welcher der schmerzliche Gedanke der Trennung sprach. die Unfreiheit, die Konvention, die Lüge. Und ich saß dem Alten gegenüber auf dem einzigen Allen vorauf schreitet in diesem Kampf ein kleines Volk aus Empfangsstuhl des Zimmers vor dem armseligen Bett am dem hohen germanischen Norden. Der streitfrohe Geist der alten Standinavier, die einst von der Heimath schieden, um„ frei zweiten Fenster und schaute mit einer gewissen Spannung zu leben von der Gewaltherrschaft der Könige und anderer Beund sichtlichem Interesse zu ihm empor. brücker", er regt sich seit dem Beginn dieses Jahrhunderts in jugendNun erging er sich in höchst philosophischen Betrachtungen, frischem Trieb. Der Däne Sören Aerby Kierkegaard, ein die einen tiefen Einblick in sein ganzes Denten und durchaus satirisch gestimmter Polemiker, erklärt der fressenden, faufenden, kindererzeugenden Klerisei" den Krieg bis aufs Messer, Empfinden gestatteten und mir seine Auffassung vom und es erstehen in Björnson und dem ungleich größeren Ibsen Leben und der Kunst, die er trieb, offenbarten. zwei norwegische Dichter, die, durch Temperament und Neigung ebenfalls auf die moralische Satire gewiesen, mit fühnem Griff modernes Leben in den knappen Rahmen des Dramas zu bannen wissen, der allzulange nur verschwommene Schattenspiele umschloß. Zwischen beiden etwa, von beiden beeinflußt und dennoch unabhängig durch sein andersartiges Temperament, steht Alexander Kjelland , der durch mehrere Romane und eine Anzahl kleinerer Novelletten dem deutschen Lesepublikum, soweit ein solches eristirt, Noch heute sehe ich ihn so im Geifte vor mir; mit bekannt geworden ist. Georg Brandes , dessen glänzend geschriebene bedächtiger, würdevoller Miene die Größe der Risse und Essays der nordischen Literatur bei uns die Wege gebahnt haben, Löcher mit der Größe des heilungbringenden Tuchlappens hat auch Kjelland in Deutschland eingeführt, und wir müssen es vergleichend, messend und prüfend, mit der Kreide allerlei ihm danken, obwohl er selbst heute, nachdem der überraschende Ein Lebensbild von Max Kreker. Winkel und Kreise zichend, ehe er zur Erkenntniß des schäßung stark zurückgedrängt hat, wesentlich fühler über den einſt Erfolg der Norweger seine dänischen Landsleute in unserer WerthWenn ich es glücklich fertig gebracht hatte, keuchend Uebels und der Methode seines Kurirens kam. Dabei so warm gepriesenen Romancier denkt. die vier Treppen zu Herrn Alexander Säuberlichs Wohnung dozirte er wie ein Professor auf hohem Katheder ruhig Alexander L. Kjelland ist Journalist und er hat einige Jahre in Paris verlebt das ist so ziemlich alles, was man über seinen emporzufteigen, pflegte ich gewöhnlich, ehe ich die letzte weiter. äußeren Lebensgang bisher weiß. Es ist wenig, aber es verdient schmale Bodenstiege, die nach seinem„ Atelier" führte, Wissen Sie, die Mattematike ist die Grundlage Beachtung, denn es zeigt, daß er dem modernsten Beruf angehört betrat, Halt zu machen, um mich durch einen Blick in die unserer ganzen Kunst. Das sehe ich hier wieder recht und das modernste Leben kennen gelernt hat. Und noch eins kommt Höhe zu überzeugen, ob die bekannte, den Verdruß seiner deutlich. Wo sollte ich wohl hin, wenn ich den Winkel hinzu; er ist fast zwanzig Jahre später geboren als die beiden vor= sämmtlichen Kunden herausfordernde, eigenhändig geschriebene hier nicht benuẞte? Verstehen Sie? Sie wollen nicht hin erwähnten Dramatiter, von denen namentlich der ältere Ibsen noch gar manchen romantischen Blutstropfen in fich ahnen läßt. und weithin leuchtende Visitenkarte an der Thür prange viel bezahlen, das weiß ich, also muß es dieser eine Der Dichter ist eben vierzig Jahre alt und gehört also durchaus Flicken thun." zu unserer, der nachmärzlichen Generation. Diese zurückgelassene Bisitenkarte bestand in einer D, ich verstand ihn vollkommen, wie sie ihn alle mit In einer großartigen Natur ist der Dichter aufgewachsen, hoch riefigen, von rechts nach links sich aufbäumenden, in einer wahrhaft rührenden Miene zu verstehen wußten, die „ Kreidemanier" ausgeführten Lapidarschrift, welche die armen, unbemittelten Söhne der alma mater, die schlecht Worte bildeten:„ Bin nicht zu Hause. Säuberlich." bezahlten Kommis und dito Subalternbeamten des Viertels, Wer den unglücklichen Einfall gehabt hatte, ihm an die mit dem Packet in der Hand in der Abendstunde den folchen Tagen mit einem verheißungsvollen Packet unter dunklen Flur betraten, die ersten Treppen äußerst erhobenen dem Arm seine Aufwartung machen zu wollen, wußte Hauptes bestiegen, um plöglich eiligst die Bodentreppe genug, vorausgesetzt, daß er bereits längere Zeit zu dem mit gewagten Sprüngen zu erklimmen. einsamen Alten unter dem Dache in näherer Beziehung Nach einiger Zeit, als wir uns bereits näher kannten, stand, so weit es sich um die stete Aufbesserung des äußeren und er gefunden hatte, daß ich sein Vertrauen gleich den Adam handelte. Herr Säuberlich hatte dann seinen übrigen ständigen Kunden verdiene, weihte er mich dann „ Sonntag". Das tam wöchentlich einmal vor, an einem näher in seine Lebensphilofophie ein, woraus ich erfuhr, unbestimmten Tage, den er niemals genau zu bezeichnen daß er einst bessere Tage gesehen habe, und die Schen vor vermochte, welcher aber mit regelmäßiger Bestimmtheit den Menschen, die ihm viel Leid bereitet, ihn in die auf. Schroff eröffnet sich der Kontrast: dort in der Heimath die einzutreten pflegte, sobald jeglicher Mangel an 3wirn, Einsamkeit ohne Verkehr mit der Außenwelt getrieben hatte. Seide und sonstigem Zubehör ihn zur Nothwendigkeit Was sind wir alle wohl? Sehen Sie sich diesen im gleichmäßigen Leben des alleinstehenden Meisters machte. Berg" Flicken an! Das sind wir: Stückwerk, ohne ZuMan konnte dann Herrn Aler Säuberlich, angethan sammenhang, ohne Ganzes. Ein jeder denkt, was er sein mit altfränkischem, kaffeefarbenem Gehrock recte aden- fönnte, prahlt mit seinen Farben, schreit, möchte zuerst ins wärmer", dessen blankgebürsteten Rücken- und Schulter: Auge fallen und wartet auf die Lücke, die er ausfüllen theilen alle zwei Jahre die Ehre eines neuen Sammet- fann, um einen andern zu verdrängen. So geht's den Lebensfreudigkeit und Ironie gemischte Stimmung.
oder nicht.
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im Norden, wo das blaue, geduldige Meer seine gekrausten Wellen zwischen Felsgestein und Scheeren rollt, wo mächtige Wälder lange, lange Monate unter einer dichten, jeden Laut abdämpfenden Schneedecke schlummern und die einzige Begleitung der endlosen Abendstunden des dumpfe Grollen der fernen Brandung bildet. Später Frühling befreit die Berge und die engen Thäler, langsam, tropfenweise beginnt der Schnee herab zu rieseln, still sich fammelnd zu einem starten, alles mit fortreißenden Strom, der den Flüssen und dem erstaunten Meer entgegenbraust. Ein starkes Naturgefühl mußte hier reichliche Nahrung finden, und der Sinn für das Bilder. Aus allen norwegischen Dichtungen spricht diese groteske Schrankenlose und Freie mußte erstarken im Anblick so mächtiger Großartigkeit einer rauhen und wilden Natur, indeß der Dänen stille Milde den weicheren Linien flacher Stüften gern fich anschmiegt. und aus dieser Sphäre heraus tritt der Dichter und sucht die Stadt der raffinirtesten Kultur, des rücksichtslosesten Genußlebens weite Natur und enge, fleinliche Verhältnisse, auf denen der Druck staatskirchlichen Verdunkelungseifers laftet; in der Fremde eine Lebens, Stunstschäße aller Art, eine kräftig aufstrebende, neue riesige Stadt, durchpulst von dem nie ebbenden Strom öffentlichen Literatur, und hart neben einander, in freundwilliger Toleranz, der weltkluge, stets zu Konzessionen bereite Katholizismus und der offen bekannte Atheismus. Ueber dem Ganzen eine eigenthümliche, aus
Die fremde Welt fesselte den Dichter, aber sie betäubte ihn
fragens zu Theil wurde, weiten, schwarzen, ihr ehrwürdiges Flicken, so den Menschen. Nur die Berechnung führt sie nicht. Der klare Verstand des Nordländers, bei den Skandinaviern Alter nicht verleugnenden Pantalons und einem schmal zusammen, und das ist die Mattematike, die man kennen nicht wie vielfach bei den Niederdeutschen zum platten Nüßlichkeits= frempigen, nach oben sich verjüngenden Zylinderhut der muß. Aber es giebt einen Riß, den man nicht mehr finn verflacht, ließ ihn bald erkennen, wie brüchig im Innern bas fünfziger Jahre, unter welchem sich ein äußerst vergnügtes, heilen kann, weil er zu plößlich kommt, und wo auch die stolze Gebäude beschaffen iſt, deſſen glänzende Façade zunächst so freiheitstrahlendes Geficht zeigte, sehr würdevoll die Treppe Mattematike des Alerander Säuberlich vergeblich sein wird. hinabsteigen und durch die Straßen schreiten sehen; in der Das ist der Riß, in dem alle verschwinden. Den mißt fein Winkelmaß, kein Dreied und fein Zirkel. So, das war auch der letzte Knopf. Damit können Sie noch Staat machen beim türkischen Sultan ."
*) Fieschi ( spr.: fi- es- fi) beging 1835 ein Attentat auf den französischen König Louis Philipp. **) Aliband( spr.: áliboh) beging 1836 ein ähnliches Attentat.
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*) Die Bücher Kjelland's sind auch den Arbeitern leichter zu= gänglich durch ihren billigen Preis. Gift", Fortuna" und Schiffer Worse" find in Engelhorns Romanbibliothet" erschienen und kosten 50 Pf. pro Band ,,, Garman und Worse" ,,, Noveletten" und Neue Novelletten" in ,, Neclams Universalbibliothek", von der die Nummer nur 20 Pf. kostet.