Aeiötatt zurWertiner Motks-Hrißüne".

25.

Sonnabend, den 22. Juni 1889.

in. Jahrgang.

Noch ist s ein Traum. Noch ist's ein Traum, doch wird's geschch'n: Ein edler Geschlecht die Welt wird seh'n, In seiner Seele der Freiheit Hauch, Das Licht des Wisiens in seinem Aug'. Volk wird um Volk und Land um Land Umschlingen der Freiheit sriedlich Band, In jedem Herzen und Haupt dann kreist Ein alle brüderlich söhnender Geist. Und gleich soll die Frau mit dem Manne sein, Strahlend in Freiheit und Schönheusschein, Auf ihrer Stirne, tugendhaft, Die Krone geheiligter Mutterschaft. Ja, neue Herzen seh'n wir erglüh'n, Und neuen Sang in Liedern blüh'n. Ein jcdwed' Leben ein Lied, ein Sang, Wenn die Erde in Paradieses Geprang. Noch ist's ein Traum doch miste Kind, So wird's, wenn wir Alten gegangen sind. Wir sehen sie dämmern, die neue Zeit, Leuchtend in goldener Herrlichkeit. Nach I. A. Sy monds.

Deutsche Hramps in Dord- Amerika . Eine Geschichte von A. Otto-Walster. Drittes Kapitel. (Fortsetzung.) Aber ich will Dich nicht lassen", rief das junge Mädchen trotzig, das Haupt mit den langen blonden Flechten schüttelnd.Sich' auf und komm' nach unserm Haus, wir wollen dann weiter sehen." Ich kann nicht, mein Fuß muß gebrochen sein." Versuch' es, richte Dich auf, nimm meine Hand." Er war unschlüssig, wie sie aber die kleine, derbe Hand nach ihm ausstreckte, konnte er doch nicht wider- stehen. Mühsam richtete er sich auf, thal einen Schritt vorwärts, der kalte Schweiß trat ihm vor Schmerz auf die Stirne, hilfesuchend faßte mit der Hand nach deni schlanken Stamm eines Baumes und rief: Es geht nicht, ich kann nicht." Gut", rief das Mädchen,der Fuß ist vielleicht nur verrenkt, setz' Dich nieder, wir wollen sehen, halte Dich hier an dem Stamm und laß mich los." Willenlos und schweigend glitt die Gestalt des jungen Mannes auf den Boden. Das Mädchen kniete ohne weiteres nieder und zog mit ziemlicher Schonung den Halbstiefel herunter, worauf sie die Socke entfernte und den nackten Fuß in die Hand nahm. Der junge Mann hatte mit Mühe den grimmen Schmerz verbissen, aber jetzt war es auch ein merkwürdig wohlthuendes Gefühl, welches ihn bei der Berührung dieser Hände durchströmte. Dein Fuß ist nicht gebrochen",?rklärlc sie,er kann nur verrenkt fein." Dann drehte sie den Fuß mit bcidcit Händen in allen Lagen, darauf zog sie ihn entschlossen an, daß es knackte, schüttelte ihn ein wenig aus und nieder und meinte ernst­haft wie ein erfahrener Chirurg: Jetzt wird er wieder in Ordnung sein. Zieh' nur die Socke und den Stiefel wieder an." Dabei war sie aufgestanden. Aber das Gesicht des Kranken deckte eine marmorartige Blässe, lautlos sank das Haupt auf die harte Schneekruste des Waldbodens, von welcher das glänzend schwarze Haar sich grell abhob. Er ist doch sehr zart und wohl nicht gar schlimm", meinte sie etwas erschreckt, indem sie sich neben ihm nieder­setzte, das bleiche Haupt auf ihren Schooß nahm und mit der einen Hand ein Stück gefrorenen Schnee's erfaßte, mit dem sie resolut die Schläfen ihreK Pfleglings zu reiben begann. O laß mich so sterben", murmelte dieser, indem er seine dunklen Augen aufschlug und in ihre blauen Augen- sterne, die über ihm leuchteten, blickte. Kommt und versucht zu gehen", erwiderte sie, indem sie sein Haupt von ihrem Schooß entfernte und wieder in Ton und Blick den harten, kalten Ausdruck annahm. Sie reichte ihm nicht einmal die Hand, als er sich jetzt an dem kleinen Baumstämmchen in die Höhe richtete und nun schüchtem die Fähigkeit des Fußes erprobte. O er ist nicht gebrochen, welch' ein Glück, wenn ich nur einen Stock hätte, würde ich es schon fertig bringen zu gehen." Stützt Euch auf meinen Arm." Wohin wollt ihr mich bringen?" Ihr könnt nicht weiter, denn die Dämmerung ist schon angebrochen. Unser Haus ist das nächste. Mein Vater wird noch nicht zurück sein. Aber sagt: hattet Ihr keine Hand im Spiel da drüben bei dem Feuer?" Um alles in der Welt, Mädchen, sehe ich aus wie ein Mordbrenner?"

Du siehst nicht so aus. Komm nur und stütze Dich auf meinen Arm, so sehr Du nur magst." Und damit trat sie selbst auf die Seite des kranken Fußes, legte seine Hand auf ihren Arm und zog ihn mit sich in den Hohlweg und dann in einen Seitenweg. Nur eine kleine Höhe ging's hinan, da bot sich den Blicken ein Farmhaus inmitten eines weiten Obstgartens, an dessen Grenze ein kleines Bächlein vorbeifloß. Das Haus selbst war mit dem oberen Stock den unteren überragend gebaut und stützte sich auf hölzerne Säulen, die auf drei Seiten um das Haus herumliefen, und ihrerseits aus einem starken, hölzernen Fußboden, den starke Balken trugen, ruhten. Schweigend geleitete sie ihren Schützling über einen Steg und nach der Hinterseite des Hauses, wo sie die Thür mittelst Wegschiebens des hölzernen Riegels öffnete und so den Eintritt in eine geräumige Flur, von welcher eine hölzerne Treppe nach dem oberen Stockwerk führte, gestattete. Ich will Dich gleich in meine Kammer führen, der Vater kann jeden Augenblick zurück kommen", meinte sie. Der junge Mann folgte willenlos und ward in eine helle Kammer geführt, die außer einem mächtig großen Bette und Bettzeug von schneeiger Weiße nur wenig Möbel enthielt, aber mit Blumenstöcken und eingerahmten Bildern freundlich ausgeschmückt war. So. hier setzt Euch und ruht Euch aus", erklärte das Mädchen,ich will nun hinuntergehen und nach etwas Essen für Euch sehen, denn ihr werdet hungrig sein." Sehr hungrig", meinte er, halb in Gedanken, denn er empfand alles andere eher, denn ein Verlangen nach Speise. VerHalter Euch nur ruhig hier oben, Ihr mögt da unten hören, was es auch sei." Damit verließ sie das Zimmer und der Flüchtling hörte alsbald ihre festen sicheren Schritte auf der laut knarrenden hölzernen Treppe.

Viertes Kapitel. So, da sitz' ich, wie der Vogel im Käfig oder wie der Däumling in der Höhle des Riesen", murmelte der Abenteurer wider Willen, nachdem er den Schritten eine Weile gelauscht.Aber ich habe einen Schutzgeist. Einen Schutzgeist? O, wer weiß. Vielleicht ist es das Gegcntheil. Diese Amerikanerinnen sind aus anderem Holze geschnitzt, als unsere deutschen Mädchen. Wie? wenn sie mich nur hierher gelockt, um mich den Henkern auszuliefern und sich dann als Heldin bewundern zu lassen? Zuzuiraueil ist es ihnen. Und ich bin abgeschnitten hier von aller Verbindung, schlimmer als auf der hohen See, denn selbst dort kann man hoffen, indem man einen letzte» Abschiedsgruß an die Seinen den Wogen übergiebt, daß diese freundlich genug die anvertraute Botschaft zu andern Mcirschcn tragen, die solche Botschaft heilig halten. Hier aber wird man emsig jede Spur verwischen von einem Wesen, dem schon das Urtheil gesprochen ist, bevor man es noch gehört. Aber nein, warum soll ich schon verzagen, den Tod zehnfach fühlen, bevor mir die Schling um den Hals gelegt wird? Ist sie nicht ein Mädchen trotz alledem? Ein Mädchen mit verständiger Stirn und seelenvollen Augen? Hat nicht die Natur ein lesbares Buch in jedes Menschen Antlitz aufgeschlagen, mag es von einer Farbe sein, von einem Nationalcharakter welcher Art immer? Man muß es nur zu lesen verstehen und zu verstehen suchen. Aber horch! was ist das?" Tie Thüre ward in diesem Augenblick unten geöffnet, schwere Mannestritle erklangen in der Halle und eine rauhe Stimme rief: Holla! bist Du da, Hannah?" Ich bin hier, Vater", rief es von der Küche her. Schaff' mir etwas zu essen, ich habe einen Wolfs - Hunger. Die Hallunken haben uns halb zu Tode laufen lassen. Nun den Einen wenigstens haben wir erwischt, dem werden heute Nacht die Beine nicht mehr weh thun." Dem Horcher überlief es eiskalt, er hielt sich an der Lehne seines Stuhles, denn ihn wandelte es wie eine Ohnmacht an. Der Mann drunten aber fuhr fort: Was den Andern anbelangt, so wird er wohl im Walde verkommen, denn nach dort hinaus giebt's keinen Ausweg, und kommt er zu einem Nachbar auf 30 Meilen in der Runde, so wird's dasselbe sein." Nun, Varer, Ihr werdet doch die Leute nicht er- morden, ohne sie ordentlich verhört zu haben?" warf das Mädchen ein. Was schwätzest Du denn für dummes Zeug heute, Hannah, vom Morden? Gelyncht werden sie, natürlich nach summarischem Verhör, das immer auf dasselbe hinaus- läuft. Wir müssen uns vor der Trampplage zu schützen suchen, wie vor der Heuschreckenplage. Auf die Gerichte und den Sherif können wir uns hier außen nicht verlassen." Es sind aber gewiß auch ganz unschuldige Menschen unter den Tramps." So? weißt Du vielleicht etwas davon? Unschuldig stellen sich freilich Alle an, aber das verfängt nur bei uns Farmern nicht, da sind sie meistentheils zu grün. Aber jetzt spute Dich und laß das Reden sein, ich habe Hunger. Muß außerdem gleich hinaus zum Stammer, um mit dem Kerl ein Ende zu machen."

Vater, ich muß Dir sagen, ich Hab' den andern jungen Mann gerettet." Gerettet? Du? Haha! jetzt versteh ich Dich, Du Blitzmädel, Du hast ihn sicher gemacht, darum sprichst Du auch so viele Worte. Ja, Du bist eine richtige Hinterwälderin, gar nicht wie Deine Mutter, die Gott Hab' sie selig, eine sentimentale Deutsche geblieben ist. Da ist mir bald der Hunger vergangen. Geschwind, sag', wo hast Du ihn?" Vater, ich werde ihn zu Dir bringen, aber erst versprich mir, daß Du ihn solid behandeln willst." Solid? närrisches Wort. Ja, sehr solid will ich ihn behandeln, bring' ihn nur her." Du verstehst mich nicht. Er scheint ein sehr guter junger Mensch zu sein. Darum habe ich ihn auch ge- rettet, und ich wollte Dich nur bitten, daß Du ihn als Gast behandelst, der er ist." Ja, sag mir mal, Hannah, rappelt es denn in Deinem Kopfe? Als Gast? sagst Du? in unserm Hause? Ja, da schnappt mir der Verstand über. Aber Du machst Dir Deinen Spaß, ha, ha, Du willst mich narren, Dein Kunststück hat Dich so in Lust versetzt, wie es gar nicht Deine Art sonst. Ein Wettermädel bist Du, ha, ha. Nu, mach nur schnell, bring' Deinen Geretteten her. Ha, ha, solche Einfälle, es ist zu lustig." Das Mädchen aber runzelte die reine, schöngewölbte Stirn, warf ihre Zöpfe unmuthig in den Nacken und er- widerte mit ernstem Tone: Es ist wohl meine Art nicht, Vater, mit solchen ernsten Dingen zu spaßen, selbst ein Verbrecher ist kein spaßhaftes Ding. Ich habe mir den jungen Maun an- gesehen und glaube, er ist unschuldig, Du sollst ihn auch ansehen und wirst den Menschen schon erkennen. Ich will nicht, daß unschuldig Blut auf das Haus kommt, in dem meine gute Mutter ihre letzten Lebensjahre verbracht hat, oder ich mag selbst nicht mehr in diesem Hause leben." Ohne ein Wort weiter zu äußern stieg sie mit festen Schritten die Treppe wieder hinauf, indessen der Alle kopfschüttelnd in die große Wohnstube zur ebenen Erde trat. Kommt, Freund, mein Vater will Euch sehen," rief sie dem von wiederstrebenden Gefühlen bewegten Flücht- ling zu. Und ohne auf dessen Antwort zu warten, ging sie der Treppe wieder zu. Zögernd erst und bald doch wieder entschlossen, ja mit einer gewissen Zuversicht folgte der Aufgeforderte seiner Führerin und trat in das halb vom Dämmerungs- dunkel erfüllte Zimmer.

Fünftes Kapitel. Der alte Farmer hatte sich zur Beschwichtigung seines Temperaments eine Pfeife angezündet und blickte zum Fenster hinaus, bis Hannah zu ihm trat und meinte: Vater, da ist der junge Mann, nun siehe selber zu, ob etwas Unrechtes an ihm ist." Der Alte that noch einen kräftigen Zug aus der Pfeife, drückte mit dem harten Daumen die Asche fester zusammen und ließ dann unter seinen buschigen weißen Brauen zwei helle, scharfe graue Augen hervorblitzen, die den jungen Mann halb zu verzehren schienen. Guten Abend", rief der Letztere in deutscher Sprache und sicherem Tone. Schön Dank", erwiderte der Alte in derselben Sprache.Du bist ein Deutscher, aus welchem Land?" Ich bin von da, wo die Werra mit der Fulda zu- sammenläuft, aus Münden in Preußen." Oho, das ist eine baumstarke Lüge. Das Preußisch Minden liegt in Westfalen , weit ab von da. Siehst Du, da hast Du Dich gefangen. Da kamst Du an den Falschen. Hannöversch-Münden ist der Ort, wo Fulda und Werra zur Weser zusammenfließen. Was sagst Du nun?" Ich sage, daß Hannover seit 1866 preußisch ge- worden und meine Vaterstadt Münden somit auch." (Fortsetzung folgt.)

Die Korruption unserer Jugend durch den üblichen Geschichtsunterricht.) Der Abstand, der zwischen dem Geiste des öffentlichen Unterrichts und demjenigen der hervorragenden wissen- schaftlichen Autoren lag, läßt sich besonders deutlich an den Lehrbüchern der Geschichte ersehe», wie selbe in den Schulen und wie etwa in der(Brockhaus'schen)Jnternatio- nalen wissenschaftlichen Bibliothek" im Umlauf waren. Während unter den letzteren die Buckle, Taine , Scherr, Hellwald, Tylor u. A. eine Geschichtskunde lieferten, die den Entwicklungsgang der menschlichen Geschichte unter den Einflüssen des Klimas und der Bodenverhältnisse, des industriellen Wettbewerbs, der Zunahme des Wissens u. s. w., nicht nur zu erzählen, sondern auch zu erklären suchten brachten die offiziellen Geschichtsbücher immer noch ausschließlich Sch lachten berichte und Regenten-

*) Wir entnehmen obenstehendes aus dem kürzlich erschienenen Werke: Das Maschinenalter; Zukunstsvorlesungen über unsere Zeit. VonJemand". Preis i Mark. Zürich . S. Literarisches.