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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne".

3um 14. Juli.

Ein Blick in die Zukunft.

O Tag des Friedens, Tag der Freude,

So brichst du endlich strahlend an!

Die ganze Welt im Feierkleide

Und festgeschmückt der Arbeitsmanu. Da tönt fein hartes Schwerterschlagen, Kein Ruf zum Siege oder Tod

Die Friedensfahnen weh'n nnd ragen Allüberall im Morgenroth.

Nicht weckt der Tag zu neuen Sorgen Die ahnungsvolle junge Welt, Die festlich schon am frühen Morgen Des Tages Ehrenwache hält.

Hei, wie dem Bub' die Augen glänzen, Da ihn an's Herz die Matter drückt, Derweil mit immergrünen Kränzen Des Hauses Thor der Vater schmückt! Sag' Väterchen, woher das Läuten, Der früh- erwachte Feierklang? Was hat der Jubel zu bedeuten, Was fündet uns der Festgesang? Woher der Mutter Freudenthränen, Der Schwester holde Träumerei'n, Woher das unnennbare Sehnen, Woher der lichte Feierschein?"

" Knabe mein, ich will Dir's sagen: Was heut dein junges Herz bewegt, Das ist des Maienmorgens Tagen, Der sich in Rosenwolfen regt! Nach toller Angst und wildem Schrecken, Nach all' den Stürmen uns'rer Zeit, Will uns der junge Tag erwecken Zu einem Fest der Menschlichkeit.

Die in der Menschenbrust verschlossen, Die bange Hoffnung ist erwacht;

Der alte Stamm treibt junge Sprossen Und heil'ge Flammen sind entfacht. Ein Ende hat das Völkermorden, Gebrochen ist der finst're Bann, Der Sühne ist ihr Recht geworden Und die Versöhnung bricht nun an. Die Menschheit reicht die Friedenshände Sich brüderlich von fern und nah, Die alte Feindschaft hat ein Ende, Der große Friedenstag ist da! Die Sprachverwirrung, die seit Babel Die Menschenbrüder trennt und narrt, Der Blutstrom, der seit Kain   und Abel  Zu einem wilden Meere ward:

Getilgt, gelöscht, gefühnt, vergeben! Verklärt, verbrüdert und verschönt! So ist das arme Menschenleben Nun endlich mit sich selbst versöhnt. Hier gleiche Pflichten, gleiche Rechte, Der Frohne Sklavenjoch zerschellt;

Nicht Herren mehr und nicht mehr Knechte, Ein Arbeitsvolf die ganze Welt.

Das ist die große Sonnenwende

Im Jubeljahr der neuen Zeit:

Es fiel die Scheidewand der Stände Ein Adel nur die Menschlichkeit!

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Es bindet alle eine Bürde, Ein Sehnen nach dem ew'gen Licht, Und eine Ehre, eine Würde: Die treuerfüllte Menschenpflicht.

Das ist der Tag, den wir begehen, Ein Fest der göttlichen Vernunft; Das ist der Liebe Vuferstehen Und ihre wahre Wiederkunft. Des ew'gen Friedens Auferbauen, Es ist vollbracht im Erdenthal: Erreicht, verwirklicht ist zu schauen Das hehre Menschheitsideal.

Es sei gegrüßt im Glockenklingen Und Fahnenweh'n der neuen Zeit! Wir wollen ihm Hosiannah fingen In seiner jungen Herrlichkeit.

Des Kindes Lockenhaupt in Kränzen, Das treue Weib an's Herz gepreẞt: So mag der neue Tag uns glänzen Du, sei gepriesen, Friedensfest!"

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M. Stern.

[ Nachdruck verboten.]

Der Sohn der Tugend.

Von August Strindberg  . Deutsch von Gustav Lichtenstein.

Sonnabend, den 13. Juli 1889.

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III. Jahrgang.

durfte, machte sie zufällig die Bekanntschaft ihres zweiten Da konnte es geschehen, daß der Sohn mit dem Vorzeigen Sohnes; der älteste war Kadett und nur an Sonntagen eines Schulbuches" antwortete, und nun wurde der Pro­zu Hause. Da sie aufgehört hatte, Hausfrau zu sein, fessor wüthend und meinte, daß die neuen Lehrbücher ,, für und nur Patientin war, verschwand jener altmodische die Hölle" wären. Zustand der Disziplin, der sich heute stets zwischen Eltern und Der Vater schloß sich in seine Herbarien ein und Kinder stellt. Der dreizehnjährige Sohn saß fast immer der Sohn ging seinen eigenen Weg.

an ihrem Bette, wenn er nicht in der Schule war oder Sie wohnten auf der Norrtulstraße links vom Obser­Arbeiten machte, und dann las er ihr vor. Sie hatte vatoriumplag. Ein kleines einstöckiges Steinhaus viel zu fragen und er viel zu erklären; dadurch wurde von einem ausgedehnten Garten umgeben, der in früheren zwischen ihnen jene Grenze verwischt, die ungleiches Alter Zeiten der Gartenbau- Gesellschaft gehört hatte- war dem und verschiedene Stellung ziehen, und sollte jetzt jemand Professor durch Erbschaft zugefallen. Aber da er deskriptive der Ueberlegene sein, so war es der Sohn. Botanik studirte, ohne sich um die weit interessantere Aber die Mutter hatte ihn aus ihrem vergangenen Pflanzenphysiologie und Morphologie zu kümmern, die in Leben viel zu lehren, und dadurch waren sie abwechselnd seiner Jugend noch in den ersten Anfängen sich befand, Lehrer und Schüler. Schließlich sprachen sie über alles. war die lebendige Natur ihm fast fremd geblieben. Er Und der Sohn, der sich damals am Eingange zur Mann- ließ daher den Garten mit seinen vielen Herrlichkeiten barkeit befand, erhielt manche, mit dem Zartgefühl der verfallen und verpachtete ihn einem Gärtner mit der Be­Mutter und der Schüchternheit des Geschlechtsunterschiedes dingung, daß er und seine Kinder gewisse Freiheiten be­ausgesprochene Erklärung über das Mysterium, das die hielten. Der Sohn benutte den Garten als Park, freute Vermehrung des Menschengeschlechts genannt wird. Er sich seiner Natur, wie sie war, ohne sie wissenschaftlich zu war noch unschuldig, aber er hatte in der Schule vieles nehmen.

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gesehen und gehört, das ihn anwiderte und aufregte. Die Sein Charakter war wie ein schlecht gearbeitetes Mutter erklärte ihm alles, was erklärt werden konnte, Kompensationspendel: zu viel von dem weichen Metall der warnte ihn vor dem gefährlichsten Feinde der Jugend und Mutter, zu wenig von der Härte des Vaters. Daher nahm ihm das heilige Versprechen ab, daß er sich niemals Störungen und ungleichmäßiger Gang. Bald äußerst verleiten lassen solle, schlechte Frauen zu besuchen, nicht gefühlvoll, bald hart, skeptisch. Der Tod der Mutter einmal aus Neugierde, denn niemand könne sich in solchem ging ihm sehr nahe. Er betrauerte sie so, daß sie in Falle auf sich verlassen. Und sie verwies ihn auf eine seinem Gedächtniß apotheosirt wurde als der Inbegriff von mäßige Lebensweise und auf den Umgang mit Gott im allem Schönen, Guten und Großen. Den darauffolgenden Gebete, wenn die Versuchung ihm nahen sollte. Sommer verbrachte er mit Grübeleien und Romanlektüre. Der Vater war tief in dem selbstischen Genuß seiner Aber die Trauer, und nicht am wenigsten die Muße, Wissenschaft versunken, die für seine Frau ein verschlossenes hatten sein ganzes Nervenleben durchgeschüttelt und seine Buch war. Er hatte, gerade als die Mutter in ihren Phantasie in Thätigkeit gesezt; die Thränen waren wie legten Zügen lag, eine Entdeckung gemacht, die seinen ein warmer Aprilregen gewesen, der die Obstbäume zum Namen in der gelehrten Welt unsterblich machen sollte. Leben erweckt, so daß sie zum Blühen verleitet werden, um Er hatte nämlich auf einem Abladeplage vor dem Nordstadt- dann zu erfrieren: Maifröste, ehe die Befruchtung vollendet Thor eine neue Art von Schweinsmelde gefunden, die an ist. Er war fünfzehn Jahre, der Zeitpunkt, da der Kultur­dem sonst geradhaarigen Blüthenkelch geneigte Haare mensch mannbar und reif ist, kommenden Geschlechtern hatte; und gerade jetzt stand er mit der Akademie der Leben zu geben, woran er nur aus Mangel an Nahrung Wissenschaften in Berlin   in Unterhandlung, um diese Abart für die Jungen verhindert wird. Er stand also im Begriff, in die Flora Germanica aufnehmen zu lassen, und jeden in das mindestens zehnjährige Martyrium einzutreten, das Tag erwartete er die Antwort, ob die Akademie ihn un- der junge Mann unter Kämpfen gegen die zügellose Natur fterblich machen wolle, indem sie die Pflanze seinen durchzumachen hat, ehe er daran denken darf, das Recht Namen tragen ließ: Chenopodium molle B, Wenner zu erwerben, die Geseße der Natur zu erfüllen. stroem" ianum. Am Todtenbette war er zerstreut, fast Es ist an einem warmen Nachmittage um die Pfingst­abwesend, geradezu unfreundlich, denn er hatte soeben die zeit. Die Aepfelbäume find mit weißen Blüthen bedeckt, bejahende Antwort der Akademie erhalten, und es be- die die Natur mit verschwenderischer Freigebigkeit ausstreut. fümmerte ihn, daß er, noch mehr seine Frau, sich mit der Der Wind schüttelt die Kronen und Samenstaub irrt in großen Neuigkeit nicht freuen konnte. Denn sie hatte ihre der Luft umher; manches kommt zu seiner Bestimmung Gedanken nur auf den Himmel und ihre Kinder gerichtet. und erweckt Leben, manches fällt zur Erde und vergeht. Jezt kommen und sie über einen krummhaarigen Blumen- Was kümmert sich die unendlich reiche Natur um eine felch aufklären, erschien ihm selbst lächerlich; aber, ver- Handvoll Samen mehr oder weniger! Und wenn die theidigte er sich, es handelte sich hier nicht um einen Blüthe befruchtet ist, wirft sie ihre zarten Blätter ab, die frumm- oder geradhaarigen Blüthenkelch, es war die Frage bald verweltt auf den Wegen liegen, bis sie beim nächsten von einer wissenschaftlichen Entdeckung, und was mehr Regen verfaulen, sich auflösen, in die Erde eindringen und war, von seiner Zukunft, von der Zukunft seiner Kinder, wieder emporsteigen durch den Saft, um wieder zur Blüthe da ja die Ehre des Vaters das Brot jener ist. und diesmal vielleicht zur Frucht zu werden. Aber nun Als die Gattin am Abend gestorben war, brach er beginnt der Streit: diejenigen, welche glücklich genug waren, in Thränen aus; er hatte seit vielen, vielen Jahren nicht an die Sonnenseite zu kommen, gehen auf; der Fruchtkeim geweint. Er fühlte die entseßlichsten Gewissensbisse über schwillt an, und wenn kein Frost eintritt, wird er bald begangene, fagen wir, kleine Ungerechtigkeiten, denn er Früchte tragen; die aber zufällig nach der Nordseite war ein vortrefflicher, exemplarischer Ehemann, er empfand fommen, die Armen, die im Schatten der anderen fißen Reue und Schande über seine Unfreundlichkeit, seine Zer- und die Sonne niemals zu sehen bekommen, die verwelten streutheit vom vorhergegangenen Tage, und in einem und fallen ab und der Gärtner harkt sie zusammen und Augenblicke der Leere gingen ihm die Augen auf für den fährt sie im Schubkarren nach dem Schweinestall. Und elenden Egoismus in seiner Wissenschaft, die vorhanden nun steht der Apfelbaum, die Zweige beschwert mit halb­sei für die Menschheit, wie er sich eingebildet hatte. reifer Frucht, kleinen, runden, goldgelben Früchten mit Aber diese Regungen währten nicht lange. Es war, als rosenrothen Wangen; nun gilt ein anderer Kampf; bleiben ob man eine Thür mit Federn öffnete; fie fiel sogleich wieder alle am Leben, so brechen die Zweige durch die Last, und in's Schloß, und nachdem er am folgenden Tage das der Baum stirbt. Daher kommt der Sturm! Dann gilt Formular für die Begräbnißkarten geschrieben hatte, seẞte es, einen starken Stiel zu haben, um sich zu halten; wehe er sich nieder und verfaßte eine Dankbarkeitsadresse an die den Schwachen, denn sie sind dem Untergange geweiht. Akademie der Wissenschaften in Berlin  . Darauf fehrte er Nun erscheint der Käfer! Auch er hat ein Leben er­wieder an seine Arbeit in der Akademie zurück. Als er halten und hat eine Pflicht gegen sein künftiges Geschlecht! des Mittags nach Hause kam, wollte er zu seiner Frau Und nun fressen die Raupen den Apfel bis zum Stiele gehen und über seine Freude sprechen, denn die Frau war auf, und nun fällt er hinab auf die Erde. Aber die ihm stets die treueste Freundin in seinen Sorgen gewesen Raupe hat Geschmack und wählt die stärksten und gesündesten, und die einzige, die das Leben ihm geschenkt hatte, die denn sonst würden im Leben zuviel Starke sein, und dann auf seine Erfolge nicht neidisch war. Jezt empfand er wäre der Kampf allzu lebhaft.

eine große Sehnsucht nach dieser Freundin, von der er Und in der Abendstunde, wenn das Dunkel kommt, immer auf Unterstüßung", wie er sagte, rechnen konnte, dann beginnen des Thieres dunkle Begierden zu erwachen. die ihm niemals widersprach, weil sie nicht wußte, wie Der Ziegenmeffer( caprimulgus europaeus) legt sich in Als die Mutter starb, war er dreizehn Jahre alt. fie widersprechen sollte, da er ihr nur die praktischen das frischgegrabene warme Gartenbett und lockt sein Weib­Es war ihm, als habe er einen Freund verloren, Resultate seiner Forschungen mittheilte. Einen Augen- chen. Welches? Das müssen die Männchen abmachen! denn während die Mutter krank darniederlag, hatte er blick dachte er daran, die Bekanntschaft seines Sohnes zu Und die Haustage schleicht gesättigt und erwärmt gleichsam ihre persönliche Bekanntschaft gemacht, was machen, aber sie kannten einander nicht, und der Vater aus der Dfenecke, nachdem sie ihre frischgeseihte Abend­Eltern und Kinder felten thun. Er war nämlich zeitig fühlte sich immer dem Sohne gegenüber in der Stellung, milch getrunken hat, und tritt vorsichtig zwischen Narzissen entwickelt und besaß einen klaren Verstand; er hatte auch wie ein Offizier dem Soldaten gegenüber: sein Rang und gelbe Lilien, aus Furcht, naß und borstig vom Thau viel mehr gelesen, als seine Schulbücher, denn der Vater, verbot ihm eine Annäherung, und der Sohn war ihm im zu werden, ehe der Liebhaber kommt. Und nun riecht sie der Professor der Botanik an der Akademie der Wissen übrigen ein wenig verdächtig, weil dieser einen schärferen an dem aufgegangenen Lavendel, und nun lockt sie. Vom schaften war, hatte eine gute Bibliothek. Aber die Mutter Kopf hatte als der Vater und auch deshalb, weil er eine Baun des Nachbars   kommt der schwarze Kater, breit im hatte keine Erziehung erhalten; in der Ehe war sie die ganze Menge neuer Bücher gelesen hatte, die der Vater Rücken wie ein Marder, und er antwortet auf den Lockruf; oberste Wirthschafterin des Mannes und die Pflegerin nicht kannte, und daher geschah es bisweilen, daß der aber da erscheint des Gärtners dreifarbiger Kater aus der zahlreicher Kinder gewesen. Als sie nun mit 39 Jahren Vater, der Profeffor, wie ein Unwissender vor dem Sohne, Meierei, und nun beginnt der Kampf. Die schwarze, bettlägerig wurde, die Kräfte durch viele Wochenbetten, dem Gymnasiasten saß. Bei solchen Gelegenheiten mußte weiche Erde wirbelt um sie herum, und frisch gesäete durch Nachtwachen vieler Jahre( in sechszehn Jahren hatte der Vater entweder seine Verachtung über die neumodischen Radieschen und Spinat werden aus ihrem stillen Schlaf fie nicht einmal eine ganze Nacht durchgeschlafen) erschöpft, Dummheiten aussprechen oder sich Machtsprüche bedienen und ihren Zukunftsträumen geriffen. Der Stärkste siegt und da sie sich mit dem Haushalte nicht weiter befassen und sagen, daß Schuljungen ihre Aufgaben lernen sollen. und das Weibchen wartet neutral, um die frenetischen