Vereinigten Staaten an dunkelen Punkten wahrlich nichtfehlt, und wem es ein Bedürfniß ist, sein monarchischesGefühl durch die Konstatirung republikanischer Schatten-feiten zu beleben, der braucht um Material nicht verlegenzu sein.Wer dagegen versucht, das Leben des amerikanischenVolkes in seiner Gesammiheik zu erfassen, der muß mitwachsender Bewunderung erfüllt werden vor dieser Füllenoch ungebrochener Lebenskrafl und strotzender Gesundheit,und der wird auch begreifen lernen, weßhalb gerade eindemokratisches Gemeinwesen, das der individuellen Initiativeden weitesten Spielraum gönnt, in einem einzigen Jahrhundert sich fast aus dem Nichts heraus zu einer sobeispiellosen Blüthe entwickeln konnte....In England, in Frankreich, in Italien, in Deutschlandbeansprucht ein jeder, der politisch hervortritt, auch einegewisse Führung in politischen Dingen, und speziellein Parlamentsmitglied gilt im allgemeinen als dernatürliche Führer, zum mindesten seines Wahlkreises.Davon ist in den Vereinigten Staaten kaum die Rede.Die Gewählten betrachten sich beinahe durchweg als ein-fache Mandatare(Beauftragte) der Wahlkörper.Eine selbständige Meinung, die derjenigen der Wählerschaftentgegen ist, kommt fast niemals zum Ausdruck. DieWähler denken auch nicht daran, durch ihre Wahl demGewählten eine führende Stellung einzuräumen; er sollvielmehr ihren Willen zum Ausdruck bringen, ihre lokalenInteressen vertreten, ihre politischen Anschauungen wie eingeschickter Anwalt vortragen.Ein Kongreßmitglied hat somit nicht die soziale undpolitische Stellung, wie etwa ein Mitglied des englischenParlaments oder auch nur des Deutschen Reichstags. DieVerhandlungen des Kongresses oder gar der gesetz-gebenden Versammlungen der Einzelstaaten interessirendcßhalb die gesammte Nation auck in der Regel sehrwenig. Selbst die größten amerikanischen Zeitungen be-richten über die Verhandlungen des Kongresses— selteneFälle abgerechnet— nicht so viel, wie die kleinste Tageszeitung bei uns über die Vorgänge im Reichstage. Dieamerikanischen Parlamente werden mehr und mehr Ver-sammlungen politischer Geschäftsmänner, die in zahllosenSpezialkommissionen�) die Geschäfte des Landes besorgen,während die eigentliche parlamentarische Debatte auf einMinimum reduzirt wird....Noch viel weniger, als die Gesetzgeber, erkennt derAmerikaner aber die Beamten als seine Führer oder garals seine Herren an. Kein bezahlter Beamter istfür ein Parlament wählbar, nicht einmal die Staatssekretäre der Union. Ich sehe noch das erstaunte Gesichtdes Präsidenten Clevcland vor mir, als ich gegen ihngesprächsweise erwähnte, in Deutschland säßen direktabhängige Verwaltungsbeamte, wie Landräthe und Re-gierungspräsidenten, zu Dutzenden in unseren Parla-menten, ja, ein abhängiger Staatsbeamter sei zur Zeitsogar Präsident des Reichstags. Der Beamte ist eben inden Vereinigten Staaten ein Diener des Volkes, wie etwader Angestellte einer Aktiengesellschaft der Diener derAktionäre ist. Versteht er seine Sache, ist er gewissenhaft,ehrlich und pünktlich, so wird man ihn schätzen und achten,anderenfalls wird man ihn baldmöglichst loszuwerdensuchen. Von irgend welcher Ehrerbietung Beamtengegenüber ist schlechterdings keine Rede. Seinenpolitischen Einfluß gewinnt der Beamte nicht aus seinemAmt, sondern aus einer Wahl, bei der er als Vertrauens-mann des Volkes erscheint.Nicht unberechtigt ist die Klage über Korruptionden Legislaturen gegenüber, obgleich auch hier die direkteBestechlichkeit keineswegs den Umfang angenommen hat,wie man nach einigen Vorgängen in der Legislatur desStaates Newyork wohl angenommen hat. DerSchaden liegt hier hauptsächlich in der Schwäche der Gesetz-geber gegenüber den lokalen Interessen ihrer Wahlkreiseund den vorherrschenden wirthschaftlichen Interessen, diesie nur zu oft die allgemeinen Interessen übersehen läßt.Aber sind wir denn in Europa in dieser Beziehungviel besser daran? Dieselben Leute, die vor denAuswüchsen des amerikanischen lobbyisrn ein Kreuzschlagen, schließen hinter den Koulissen desDeutschen Reichstags mit den Vertretern einflußreicher Erwerbskreise fast in jeder Session dieschönsten gesetzgeberischen Handelsgeschäste ab.Der Protektionismus aller Länder beruht ja im wesent-lichen auf dem Grundsatz:„Eine Hand wäscht die andere."Die moralischen Deutschen sind in dieser Beziehung umkein Haar besser, als andere Völker. Ja, eine gesetz-geberische Leistung von gleicher protektionistischer Kühnheit,wie es die Dotirung einiger tausend Schnapsbrenner mitjährlich 40 Mill. Mark aus den Taschen der Steuerzahlerwar, vermag selbst Amerika meines Wissens nicht aufzu-weisen.Auch das amerikanische Spoils-(a9eutc)-systera, dassich nach der Regel: dem Sieger gehört die Beute: aus-gebildet hat, sollte dasselbe nicht etwas milder zu be-urtheilen sein, wenn man sich vergegenwärtigt, daß dochauch in Deutschland gar keine Rede davon ist,politische Gegner der Regierung auf einflußreichenPosten zu belassen? Und nun gar die Verwendungvon öffentlichen Mitteln zur Verlästerung politischer Gegnerin einer käuflichen Presse, die doch auch hier und da inEuropa vorkommt— wo wäre das in den VereinigtenStaaten denkbar? Derartige Dinge nennt man jenseits*) Im Jahre 1888 arbeiteten im Repräsentantenhaus- derUnion 41 ständige Cornmittees.des Ozeans mit Vorliebe europäische Korruption.Es bleibe den Moralisten überlassen, zu entscheiden, welcheForm der Korruption schlimmer ist.Die Sünden der Dresse.Ii.B. W. Durch ihre große Verbreitung, durch dieRegelmäßigkeit und Schnelligkeit ihres Erscheinens ist dieZeitung dazu berufen, den Einzelmenschen in beständigerVerbindung mit dem großen Ganzen zu halten, das In-dividuum über die gesellschaftlichen Vorgänge zu unterrichtenund den Sinn für die Allgemeinheit fort und fort zunähren.Die Presse soll also ihr Auge auf das großeGanze unausgesetzt richten. Thut sie das?— Jämmerlich sieht es in dieser Beziehung aus. Elenden Klatschespflegt die Presse voll zu sein, wie ein beschränktes Weib.Wenn ein Pferd durchgegangen, oder eine„hochgestellte"Persönlichkeit ausgefahren ist, wenn ein Betrunkener seineFrau geprügelt oder droben Jemand beim Gelageeinen Witz gerissen hat, so wird solck wichtiges Er-eigniß brühwarm der begierigen Spießbürgerwelt aufgetischt. Eine der größten deutschen Tageszeitungen ließ sichjüngst sogar telcgraphiren, was für Augen und Haareeine Selbstmörderin gehabt habe— offenbar weil dies be-klagenswertbe Weib, eine angebliche„Sängerin", vielenLesern des Blattes„interessant" oder gar„intim" bekanntist. Solche Ereignisse nennt man„sensationell". Doch,wie die Berliner Bäckergesellen und Näherinnen, die Berg-leute und all die andern Arbeiter leben, wie die Löhneder einzelnen Gewerkc stehen, wie eine Streikbewegungverläuft, solch wahrhast wichtige Ereignisse solch hervorragend öffentliche Angelegenheiten pflegen nicht als sensationell zu gelten, sondern aus Geringschätzung oder Selbst-sucht verschwiegen zu werven.Welches ist nun die Quelle, aus der jener elendeGeist der Kleinlichkeit und des Klatsches hervorfließt? DiePresse richtet sich nach ihrem Publikum, und die großeMehrheit des Publikums besteht eben aus Leuten, diekeinen Sinn für das Allgemeine, wohl aber einen solchenfür das Gemeine haben.Und woher kommt das? Hauptsächlich von unsererprivatwirthschaftlichen Produktionsweise! Dieselbebedeutet eine Zersplitterung des Volkes in Theile, welchefast nur auf ihre kleine Privalwirthschaft, auf ihr engesSonderinteressc bedacht sind. Was geht Partikularisten-seelen das große Ganze an? Sie beschäftigen sich mitdemselben nur soweit, als es in grober Weise in ihr engesInteresse eingreift. Daher der Geist der Kleinlichkeit unddes Klatsches im Spießbürgerthum und seiner Presse!Doch um ein Mißverständniß zu verhüten, sei be-merkr: An der Verdorbenheit einer Zeitung sind nichtetwa die Leser allein schuld; selbstverständlich theilen diePreßproletarier die Schuld mit den Lesern; denn diePreßproletarier sind Angehörige des Volkes und machendaher die Versumpfung desselben mit. Mancherlei Zeitungs-klatsch ist sogar ausschließlich das Werk der Preßproletarier.Dahin gehören jene Zänkereien, welche von Blatt zu Blattgeschleudert werden und welche gewöhnlich nur ein Aus-druck fanatischen Brodneides sind. Unwürdiges undlächerliches Schauspiel, wenn aus solchem Motive zweiZeitungen einander mit Entrüstung und unflätigen Schimpfe-reien befehden, Hunden gleich, die sich wegen eines hin-geworfenen Knochens kläffend balgen! Und jämmerlichkleinliches Publikum, welches sich eine derartige geistigeNahrung bieten läßt und wohl gar in die Kläfferei miteinstimmt!Wie sehr die heutige Presse vom Geiste der Klein-lichkeit durchseucht ist, zeigt sich so recht an der Unsitte desInserate nwesens. Es ist eine beschämende Thatsache,daß es nicht etwa der geistige Gehalt ist, was den ZeitungenGeld einbringt, sondern eine ganz mechanische, ja stumpf-sinnige Thätigkeit, nämlich das Ausrufen und daß dieZeitungen sich gewöhnlich nur durch diese Arbeit der Litfaß-säule am Leben halten können. Wie schmachvoll solcherleiExistenz ist, möge folgender Vergleich zeigen: Man denkesich einen Lehrer, dessen Lehrthätigkeit so wenig einbringt,daß er auf Handelsgeschäfte angewiesen ist, daß er währendder Unterrichtsstunden den Schülem seine Waaren anpreist,die Eltern zum Kaufe alter Hosen einladet, Schulartikelund Näschereien verkauft u. s. w. Einem solchen Lehrergleicht die Presse, die davon lebt, ihren Lesern anzukündigen,wo eine alte Bettstelle zu verkaufen ist, wo man Kapitalienpumpen kann, und für wieviel Geld sich ein mammon-bedürftiger Jüngling an eine heirathslustige Dame ver-schachern möchte.Diese Kritik des Jnseraten-Unwesens soll kein Vor-wurf gegen einzelne Blätter sein, sondern lediglich zeigen,wie jämmerlich es ist, daß eine solche Einrichtung über-Haupt in der Presse Platz gegriffen hat. Das einzelneBlatt ist ziemlich unfähig, sich gegen diese Einrichtung zusträuben. Um den unentbehrlichen Kapitalgewinn abzu-abzuwerfen, ist sogar das einzelne Blatt meist gezwungen,mit Inseraten zu wirthschaften. Denn Papier, Satz,Druck, Redaktion und Artikel kosten Geld; und die Kon-kurrenz der Blätter hat den Abonnementspreis so herunter-gedrück, daß ein Blatt, zumal wenn es erst anfängt, sichLeser zu werben, mit ziemlicher Sicherheit dem Krach ver-fällt, wenn es den Erwerb durch Inserate verschmäht.Dem einzelnen Blatte kann also daraus, daß esInserate aufnimmt, kein Vorwurf gemacht werden, zumalwenn der Inhalt dieser Inserate mit der Tendenz desBlattes in Zusammenhang steht. Wohl aber Schandeüber eine Zeitung, welche sich nicht entblödet, Inserate zubringen, die der redaktionellen Tendenz schreiend wider-sprechen oder gar die allgemeine Moral verletzen! Sohäufig ist diese schändliche Praxis, daß man so ziemlichder ganzen herrschenden Presse den Vorwurf der Scham-Verletzung, Kuppelei und Prostitution machen kann.Material zur Begründung dieses Vorwurfes liefern diegrößten und reichsten Zeitungen jedem Beobachter in Fülle.Man denke an jene typischen Inserate, welche die„Be-kanntschaft" mit gewissen Damen vermitteln sollen, an dieAnpreisung von„Geheimmitteln", unsittlichen Schriften u.s.w.Eins der zahllosen Beispiele möge hier eine Stelle finden.In einem der gelesensten Blätter, einem Weltblatte(dessenName nur deswegen nicht mitgetheilt wird, damit nichteine einzelne von vielen Zeitungen, die alle gleich schlechtsind, an den Pranger gestellt werde) stand kürzlich eineEmpfehlung von„Gummiartikeln" absichtlich zwischenredaktionellen Bemerkungen, um also die besondere Auf-merksamkeit der Leser darauf zu lenken, ein Dienst, dernatürlich besonders hohe Bezahlung verdient.Ja, so ist unsere Bourgeoisie: Sie prahlt mit derHeiligkeit der Ehe, macht aus dem Geschlechtsleben einGeheimniß, andererseits aber, sobald es sich um Geld-erwerb handelt, verschmäht sie nickt die gemeinste Kuppelei.Denn ihr Gott ist das Kapital und alles, was Kapital-gewinn liefert, ist demnach geheiligt.Ueber Streiks.Konkurrenzfähigkeit der Industrie.— Bestanddes Kleingewerbes.O In den Deklamationen der Unternehmer gegenStreiks begegnen wir zuerst immer dem heuchlerischenAsterpatriotismus, der den Arbeitern zuruft: wenn ihrgünstigere Arbeitsbedingungen verlangt, dann schädigt ihr„die nationale Industrie", wir können dann die Konkurrenzmit dem Auslande nicht vertragen.Nun, sehen wir einmal zu!Die Konkurrenz des Auslandes kann in zweiverschiedenen Formen oder vielmehr auf zwei verschiedenenMärkten auftreten. Sie kann entweder in das Land selbsteindringen und auf dem heimischen Markt die Arbeit desLandes bedrohen oder sie kann unserer Industrie den aus-wärtigen Markt entziehen oder streitig machen.Die schrankenlose Konkurrenz, dieser wahnsinnigeWettbewerb durch das Mittel der Billigkeit, ist freilichein schweres Leiden unserer falschen Wirthschastsweise, sieist mit derselben unlöslich verknüpft, so daß der Lohnkampfder Arbeiter nothwendig auf diese Konkurrenz Rücksichtzu nehmen hat, weil er ganz und vollständig auf demBoden der Heuligen Staats- und Gesellschaftsordnung, derheutigen Wirthschaftsform, gekämpft wird. Die Streiksbeabsichtigen ja nicht, die heutige Wirthschaftsform zuändern, sie stehen auf dem gegebenen Boden der heutigenGesellschaft, sie sind nicht sozialistische, sondern privat-kapitalistische Erscheinungen.Wir werden uns also der Aufgabe nicht entziehenkönnen, den Vorwurf der„gefährdeten Konkurrenz derheimischen Industrie" zu erörtern und seine Grundlosigkeitzu erweisen.Diese Aufgabe würde uns freilich sehr schwer, ja un-möglich werden, wenn wir uns auf den Boden des reinenManchcsterthums, als der Lehre von dem vollständigenwirthschaftlichen Anarchismus zu stellen hätten.Das reine Manchesterthum lehrt, daß die fteie Eni-Wickelung der wirthschaftlichen Kräfte des Einzelwesensnicht beschränkt werden darf. Vergesellschaftlichung, dieeigentlich für den Manchestermann schon nicht mehr ganzfolgerichtig ist, kann er nur zulassen, wenn die entstehendeGesellschaft weiter nichts ist, als ein vergrößertes undverstärktes Einzelwesen. In diesem Rahmen bewegt sichdie manchesterliche Selbsthilfe. Sie soll nicht den Verkehrregeln, nicht der Preisdrückerei eine Grenze setzen, sonderndie Vorschußvcreine, Rohstoffvereine, Konsumvereine,Unterstützungs-, Gewerk- und Ortsvereine und wie dieseVereine und Vereinchen der manchesterlichen Richtungheißen, sollen im Gegentheil den Gewerbetreibenden, sei erUnternehmer oder Arbeiter, befähigen, der Billigste zu seinoder wenigstens im Wettbewerb um die Billigkeit nicht indie letzte Linie zu kommen. Besonders für den Arbeitersollen die manchesterlichen Vereine die Möglichkeit geben,mit den niedrigsten Löhnen sich noch durchfristenzu können, die Lebenserhaltung möglichst billig zu machen.Sowie die Selbsthilfe über diesen Zweck hinausgeht, sobaldsie auf die Konkurrenz selber einwirken will, muß dasManchesterthum sie verwerfen, ob die Selbsthilfe in Gestaltvon Innungen oder anderen Unternehmerverbänden oderals Arbeiterverband zur Erzielung höherer Löhne, als so-genannter„Gewerkverein", auftritt.Die deutsch-freisinnige politische Partei, die wirthschaft-lich vorwiegend manchesterlich ist, zeigt diese Haltung.Man wagt es dort freilich nicht, den Arbeitern so geradezuzu sagen, daß sie ihre Selbsthilfe nicht zur Erreichunggünstiger Löhne und Arbeitsbedingungen gebrauchen dürfen,daß sie das lediglich dem Angebot und der Nachfrageüberlassen müssen, daß ihre Aufgabe nur ist, danach zustreben, daß sie bei niedrigen Löhnen noch lebenkönnen— daß sie im Lohne wo möglich die Billigsten seinkönnen, aber man kleidet diese Forderung in Reden, dieim Grunde auf dasselbe hinauskommen, indem man sagt,Ausstände nützen nichts, weil die wirthschaftlichen Gesetzesich nicht durch diese Selbsthilfe ändern lassen, weil man sieauch nicht ändern darf, wenn es ginge, um nicht die„Möglichkeit der Konkurrenz zu gefährden".Von diesem manchesterlichen Standpunkt aus hat manRecht, wenn man die Streiks verwirft.