Dieser Standpunkt wird aber heut durchaus nicht eingenommen, und wer für Innungen, Kartelle und andere Unternehmerverbände zur Regelung des Verkehrs eintritt, wer Schutzzölle befürwortet und sie für zulässige Maßregeln erklärt, der hat damit das Recht verwirkt, den Arbeitern einen Vorwurf zu machen, wenn sie ebenfalls die isolirte Selbsthilfe aufgeben, sich verbinden und durch einen Ausstand ihre Lage zu verbesiern suchen. Wenn das Ausland billigere Arbeiter hat, so ist die Lebenshaltung der Arbeiter ein ebenso wichtiger Gegenstand und der Vertheidigung gerade so würdig als der„standes- mäßige" Unterhalt eines Gutsbesitzers. Wenn diesem durch Getreidezölle geHolsen wird, so kann man keinen Grund einsehen, weshalb der Arbeiter nicht auch durch alle Mittel sich schützen soll, wenn wirklich die äußere Konkurrenz drängen sollte, die Löhne herabzusetzen. Wo man sich nicht scheut, in den Verkehr durch Zoll- schranken regelnd einzugreifen, um hohe Renten zu er- halten, da kann man die Bedrohung des inländischen Marktes durch höhere Löhne nicht dem Arbeiter entgegen- halten, wenn er in den Ausstand eintritt. Der auswärtige Markt ist aber von geringer Wichtigkeit, wenn die Kausfähigkeit des Inlandes, der einheimischen Arbeiter gehoben wird. Wir wollen es nicht abstreiten, daß eine Lohn- erhöhung gleichbedeutend ist mit einer Vergrößerung des Antheiles der Arbeiter an den hergestellten Pro- dukten, daß also der Antheil daran, den bis jetzt das Kapital nimmt, geringer werden soll. Wir sehen keinen Grund, weshalb dem Kapital eine bestimmte Rente als Mindestrente zustehen soll, wenn dem Arbeiter nicht eine Mindest-Lebenshaltung gewährleistet ist. Wenn die Industrie in der Lage ist, im Jnlande einen sehr erheblich größeren Verbrauch zu treffen, wie heut, wird sie freilich eine Aenderung ihrer Frontstellung vornehmen müffen. Es wird mancher Industriezweig eingeschränkt, manche erweitert werden müssen. Die Gesammt- industrie wird dabei sicher nicht leiden, wenn auch einzelne Zweige sich verringern würden. Das geschieht aber durch Mode, durch Auftauchen neuer Bezugsquellen, neuer Her- stellungsmethoden und Veränderungen der Absatzgebiete auch heute in fast ebenso großem Maße. Es würde im Gegentheil durch Verstärkung des inländischen Marktes eine weit größere Stetigkeit in der Industrie eintreten, die Schwankungen der Konjunktur, die hauptsächlich durch den unübersichtlichen ausländischen Markt hervorgerufen werden, würden vermieden. Sollte sich dabei das Kapital sperren, und sein Recht auf sehr hohe Zinsen nun seinerseits durch„Streik" zur Geltung bringen wollen, so wäre dem durch Vergesell- schaftlichung der Betriebsmittel entgegenzutreten. Ein Streik des Kapitals würde durch Abschaffung der Kapilalsrente, des arbeitslosen Verdienstes, sofort parirt sein. Man würde das Kapital unter möglichster Berücksichligung der berechtigten Verhältnisse der heutigen Besitzer durch Gesetz in den Besitz der Gesellschaft über- führen, die es dann ausnutzen und vermehren würde nach weisen Grundsätzen, nicht nach den Regeln der heutigen anarchistischen Konkurrenz. Wir scheuen uns also durchaus nicht, die Folgerungen aus unseren Vordersätzen ganz zu ziehen. Der Arbeiter hat ein Recht auf eine auskömmliche, der heutigen Kultur entsprechende Lebenshaltung. Er hat das gesetzliche Recht, sich diesen Anspruch durch einen Ausstand zu erkämpfen. Die Bedrohung des inländischen Marktes durch Länder, die ihren Arbeiterstamm höher aus- nutze», kann, wenn es nicht durch internationale Ver- einbarungen zu erreichen ist, durch besondere Maßnahmen gewahrt werden. Der ausländische Markt ist von geringer Bedeutung, wenn es gelingt, den einheimischen Konsum gehörig zu heben. Eine Belästigung mancher Industrien durch diese Frontänderung des Marktes wäre unvermeidlich, sie ist aber gegenüber den Schwankungen, die auch heut der Markt der verschiedenen Industriezweige zeigt, die auch entstehen und vergehen, nicht zu hoch zu veranschlagen und müßte überwunden werden. Durch Erhöhung der Lebestshalrung der Arbeiter kann freilich der Antheil des Arbeiters an dem Produkt der Arbeit wesent- lich erhöht werden, es kann dadurch die Rente des nicht- arbeitenden Kapitalisten verringert werden. Das Interesse des großen Volkes ist aber ein wichtigeres und erheblicheres als das Interesse der wenigen Kapitalisten, muß also dem elfteren unbedingt nachstehen. Gleichsam als Zusatz hierzu wollen wir noch den Einwurf betrachten, daß das Interesse des Klein- gewerb es der Erhöhung der Arbeitslöhne entgegenstehe. In unserer heutigen fehlerhaften und anarchistischen Wirthschastsweise stehen sich fteilich die verschiedenen In- teressen feindlich und unversöhnlich gegenüber. Diese Interessen werden nur sehr selten nach Billigkeit und Ge- rechtigkeit, sondern in der Regel nach den Bestimmungen der augenblicklichen Macht ausgeglichen. Gewalt geht in unserer anarchistischen Gesellschaftsordnung auf wirthschaft- lichem Gebiete immer vor Recht. Wer beim„fteien Spiel der wirthschaftlichen Kräfte" sich nicht behaupten kann, der muß zu Grunde gehen, das gilt vom Einzelwesen wie von ganzen Ständen. Die Klassen, die im Besitz der Macht des Staates sind, suchen sich zwar den Kampf durch Anwendung dieser Machtmittel zu erleichtern. Aber die Stellung mancher Stände ist eine so schwache und selbst aus den Kreisen des Besitzes heraus so bedrohte, daß ihnen nicht mehr geholfen werden kann. Der Stand der kleinen Gewerbetreibenden ist ganz hauptsächlich durch die kapitalistische Großindustie, durch Fabrik und Maschinen so angegriffen, daß er mit geringen Ausnahmen der ganz sicheren Zerstörung in nicht sehr femer Zeit entgegen geht. Er wird von den kapital- kräftigeren Fabrikanten aufgesaugt und verdrängt. Wirk- same Hilfe kann ihm von Seilen des Staates nicht kommen, weil hier eben diejenigen, die ihn bedrohen und vernichten, die Macht zum größesten Theil selbst in der Hand haben. Wir haben gesehen, daß selbst ein Reichstag, wie der Faschings-Reichstag, auf den die Zünftlcr so große Hoffnungen setzten, von ihren wesentlichen Wünschen auch nicht einen erfüllt hat. Warum nicht? Weil diese Wünsche mit den Interessen des Groß- kapitals unvereinbar sind. Nun möchte man in manchen der herrschenden Kreise den Stand der kleinen Handwerker nicht gerne missen. Er ist so leicht durch werthlose Zu- geständnisse, durch halbe Versprechungen zu ködern, so leicht gegen die Ansprüche des vierten Standes aufzuhetzen. Ob er kartellbrüdcrlich oder reichsfeindlich- ultramontan stimmt, das ist im Grunde gleich, er dient gegen den Ansturm der Arbciterbataillone als Puffer, den man nicht gern vermissen möchte. Daher werden ihm alle Gesetz- wivrigkeiten durch die Finger gesehn, die er gegen die Arbeiter begeht, er wird dadurch zu solchen gesetzwidrigen Hand- lungen geradezu aufgemuntert. Man bläst den hohlen Balg der Innungen amtlich wieder steif auf, wenn er schlaff zusammenfällt, und kann ihm doch kein Leben ein- hauchen, muß ihn doch verschnimpfen und verschimmeln sehen. Freilich kann sich dieser untergehende Stand noch etwas auftecht erhalten, wenn es ihm ermöglicht, die Arbeiter ohne jede Rückficht auf Volkswohl und Kultur auszusaugen. Die Kleinmeister zahlen thatsächlich weit schlechtere Löhne, als die Fabrikanten, sie lassen länger arbeiten und bedrücken in der Regel die Arbeiter auch sonst am härtesten. Dadurch können sie ihre dem Untergange verfallene Existenz freilich noch eine Zeitlang aufrecht erhalten, noch eine Spanne Zeit mit der Fabrik konkurriren, weil die billigeren Löhne, die größere Ausnutzung der Arbeiter, die Ausbeutung von Lehr- lingen, bis zu einer gewissen Grenze die Nachtheile des Kleinbetriebes gegenüber dem Großbetriebe aufwiegen. Aber auch nur bis zu einer gewissen Grenze. Ueberschreitet der Großbetrieb diese, dann ist auch hier für das Klein- gewerbe keine Rettung mehr. Die Arbeiterklasse hat gar kein Interesse am Fort- bestand des Kleingewerbes, das ihm stets feindlich und schädigend gegenüber tritt, es ist also eine mindestens sonderbare Zumuthung, daß die Arbeiter im Interesse des Kleinbetriebes auf eine Verbesserung ihrer Lage durch einen Ausstand verzichten sollen. Sie sind eine Klasse, deren Bedeutung im Aufschwünge begriffen ist, wie kommt man dazu zu verlangen, daß sie sich für eine Klasse opfern, der schon in Verwesung sich befindet? Auf dem Boden der heutigen Wirthschafts- und Gesellschaftsordnung kann man solch eine Forderung mit Recht nicht stellen. Und damit wäre auch dieser Einwand beseitigt. Die Einwanderung«ach Argentinien (Südamerika ) wird von der dortigen Regierung mit allen Mitteln be- fördert, natürlich nur zu dem Zwecke, den dortigen Groß- besitzern die denkbar billigsten Arbeitskräfte zu verschaffen. Am 28. Juni hat die Deputirtenkammer des argen- tinischen Nationalkongresses nach einiger Diskussion die Regierungsvorlage angenommen, gemäß welcher für Vor- schußbillets an die Einwanderer statt bisher 1 Million, künftig per Jahr 6 Millionen Pesos verwendet werden, also 24 Millionen Mark alle Jahre nur für Einwanderer- billets! Schon mit Hilfe der einen Million Pesos , welche im letzten Jahre für Vorschußbillets verwendet wurde, ist die Einwanderung von 1886 bis 1888 von 95 000 auf 156 000 emporgestiegen und hat in der ersten Hälfte 1889 schon 140 000 erreicht. Wie hoch wird dieser Ein- wanderungsstrom mit 6 Millionen steigen? Die traurigen Folgen für das Land und die armen Einwanderer werden nicht ausbleiben, ja sie haben sich schon gezeigt. Oder ist es nicht wahr, daß die Leute elend sind und bitterste Noth leiden? Sind ihre Jammerbriefe, welche sie nach Europa schicken, nicht das Abbild ihres wirklichen Zustandes? Meistentheils. Wir sprechen besonders von jenen armen Leuten, von jenen vielköpfigen Familien, welche die Agenten als Ackerbauer anwerben, die mit nichts als mit dem Subsidiärbillet in der Tasche hinüber reisen und, weil hier keine Vorbereitungen für ihre Verwerthung getroffen sind, in's bitterste Elend kommen. Aufs Land, aufs Land ist das Feldgeschrei der werberischen Maulhelden von Auswanderungsagenten. Aber geht doch einmal selber hinaus, in dieses goldene Paradies, auf diese unendlich reichen argentinischen Lände- reien. Probirt es einmal selber, ihr Herren, dann werdet ihr euch überzeugen, ob sich die Masseneinwanderung im Bureau, hinterm Schreibtisch oder hinter dem Schoppen nicht ganz anders ausnimmt, als draußen im Kampfe, wo bei einer harten Galletita, einem noch härteren Puchero und einem harten Lager in einem Schuppen oder gar unter freiem Himmel vom Sonnenaufgang bis zum Sonnen- untergange gearbeitet werden muß. Herr Minister Costa erklärte im Parlamente feierlich: „Ja, Arbeit, lohnende Arbeit ist für alle genug da; gehen doch ganze Ernten verloren wegen Mangel an„brazos" (Armen,„Händen ") und könnte die Provinz noch über 100 000 Arbeiter gebrauchen!" Man sieht es dem Herrn Minister Costa auch gleich an, daß ihm sein dicker Schmerbauch auch nicht beim Maisbrechen gewachsen ist, sonst würde er wissen, daß die Herren argentinischen Groß- grundbesitzer oft lieber ihre ganze Ernte zu Grunde gehen lassen, als den Arbeitern einen anständigen Lohn zu geben; sonst wüßte er auch, daß der Arbeiter nicht nur in der Zeit der Maisernte, sondern das ganze Jahr hindurch muß gelebt haben. Und wenn der Herr Minister ehrlich sein wollte, so würve er, bevor er seine Rede über das wunderbare Glück der Einwandernden von Stapel ließe, zuerst dort Umschau halten, wo die armen Ein- wanderer verkehren, wo sie nach dem Camp geschickt werden und nach Wochen elender wiederkehren, weil sie keine Arbeit gefunden hatten. Wozu aber schafft trotzalledem die Regierung diese Masseneinwanderung? Um den Lohn durch die gehäufte Konkurrenz der„Arme" noch weiter zu drücken und den Mehrwerth für die Herren Besitzenden noch mehr zu steigern! Schnitzel. Fürwahr, das ist eine große ehrenhafte That, mit Rachen und Vermahnen, Anreizen, Treiben und Schreien zu bewirken, daß unser Vaterland seinen Schaden und seine Unwürde erkenne und sich aufrichte, seine alte angeborene Freiheit wieder zu erwerben. Wenn es nur einer möchte ausführen und vollbringen. Ulrich von Hutten . *** Wir müssen den Much haben, alles in Frage zu stellen, an allem zu zweifeln, wenn wir zur Gewißheit der Wahrheit kommen wollen. Milton. *** Viel Klagen hör' ich oft erheben Vom Hochmuth, den der Große übt: Der Großen Hochmuth wird sich geben, Wenn uns're Kriecherei sich giebt! Gottfried Aug. Bürger. *** Wir sollten nicht erstaunt sein, wenn nach dem schottischen Sprichwort: ein satter und ein hungriger Mann können schlecht mit einander sprechen, die Logik des reichen Mannes, der die Rechte des Eigenthums vertheidigt, dem armen Manne, der seine Kinder nach Brod schreien hört, durchaus nicht bündig erscheint! Macaulay. *** Nicht in dem Athemzuge liegt das Leben, sondern eS hat überhaupt keinen Werth für den, der ein Sklave ist. Cicero. ** Die das Dunkel nicht fühlen, werden sich nie nach dem Lichte umsehen. Buckle. ** Wer zu den wahrhaft Bevorzugten gehört, erhält seine Prä- Potenz über die Menge nur dadurch, daß er dieser Menge gegenüber eine noch größere Menge vertritt: die Menschheit. Rob. Hamerling. Mögen immerhin einige philosophische Renegaten der Freiheit die feinsten Kettcnschlüsse schmieden, um uns zu beweisen, daß Millionen Menschen geschaffen sind, als Lastthiere einiger taufend privilegirter Ritter; sie werden uns dennoch nicht überzeugen können, so lange sie uns, wie Voltaire sagt, nicht nachweisen, daß jene mit Sätteln auf dem Rücken und diese mit Sporen an den Füßen zur Welt gekommen sind. Heine. *** Das Ziel zu zeigen, zeige auch den Weg, Denn so verwoben sind hinieden Weg und Ziel, Daß eins sich nicht läßt trennen von den: andern, Und gleiches Ziel auch gleichen Weg bedingt. Lassalle im„Franz von Sickingen ." *** Die Revolution eines geistreichen Volkes, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greuelthaten derartig angefüllt sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er, sie zum zweiten Male unter- nehmend, glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen, nie beschließen würde— diese Revo- lutton, sage ich, findet doch in den Gemüthern aller Zuschauer.. eine Theilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusias- mus grenzt... Ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergißt sich nicht mehr, weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat, der- gleichen kein Polittker aus dem bisherigen Laufe der Dinge heraus- geklügelt hätte. Jmanuel Kant über die französische Revolution. Kleine Mitteilungen. Auch in den Niederlanden hat, wie in Preußen, der Hirsch mehr Recht, als der sein ihm zugehöriges Feld bewirthschaftende Bauer. Wer in der Nähe des Loo, der königlichen Sommerresidenz kommt, vernimmt von den dortigen Bauern geradezu haarsträubende Dinge über den_ durch Hochwild zugefügten Feldschaden, hier kommt noch' die in den Zeiten des Feudaladels gebräuchliche Gewohnheit vor, daß der Bauer nachts wachen muß, will er den Jahresertrag seines Feldes nicht am andern Tage ver- nichtet sehen. Und warum, wird man fragen, hat noch Niemand eine Hand erhoben, um solch schreienden Miß- bräuchen ein Ende zu machen? Die Antwort lautete kurz- weg dahin, daß die Herren Volksvertreter lange Jahre hindurch auch die größten Grundbesitzer waren, die es nicht mehr als billig fanden, daß sie für die Anstren- gungen, denen sie sich für den Staat und das Volk durch das Halten schöner Reden unterzogen, durch die Vergnü- gungen des Waidwerks sich entschädigten, und darin von keinem Unberufenen gestört werden wollten. Gegen die Spicßbürgerfnrcht vor„Revolutionärem " bringt die„Voss. Ztg." einige ganz gute Bemerkungen; Sie meiitt: „Was ist denn die Revolutton anders als die gewaltsame Geburt des neuen Rechtes, welches das abgestorbene Recht verdrängen will? Die freiwillige Nachgiebigkeit gegen das werdende Recht wird immer das Zeichen einer weisen Politik sein; der halsstarrige Widerstand hat revolutionäre Erschütterungen weit häufiger ge-
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3 (17.8.1889) 33
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