BerlinerSxrial-PoUttfches Wochenblatt.Dil iilerxxtilittlt Ardcitcrslilühzksttzzebill»und die schweizerische Megierung. II.Das Sozialistengesetz 1.— Militärlastenund indirekte Steuern in Deutschland.— Streiksnud ihr Nutzen.— Gründungsschwindel.—Das Memoire des Dr. Decurtins über dieinternationale Fabrikgesetzgebung. II»Das Weib. Von Olive Schreiner.—Benoit Malon. 7.— Zur Arbeiterinnen- undKrauensrage.— Preußen und die Volksschule. 7.— Die Landarbeiter.— Die Metallarbeiter-kaffe.— Austritt aus den Zwangskassen.—Die Lokalsrage.Die Aufhebung des Sozialistengesetzes unddie Aenderung des Strafgesetzbuches.gk. Als Herr von Puttkamer schier zusammenbrachunter der Last der Enthüllungen tzber sein herrliches Lockspitzelsystem, als die Welt staunend erfuhr, welche Mittelein großer mächtiger Staat für erlaubt und nothwendigHält, um den Bestand des heutigen Zustandes der wirlh-schastlichen Ungerechtigkeit gegen das immer mächtigerwerdende Reformverlangen des Proletariates aufrecht zuerhalten, da faßte tiefe Verstimmung und Entrüstung daspatriotische Herz unserer K-mellbrüder im Lande undim Reichstage, und ste erklärten: es geht nicht mehr, dasSozialistengesetz muß beseitigt werden!Man würde aber sehr falsch urtheilen, wenn manannehmen wollte, das so tief gefühlte Reformbedürsmßdes Sozialistengesetzes richte stch gegen das System desGesetzes, gegen die Ungehörigkeit, daß ein großer Theil derStaatsangehörigen eines Kulturstaates seiner wichtigstenbürgerlichen Rechte beraubt wird; daß Mittel gegen ihnangewendet werden, die selbst der heute proklamirten Sitteund Moral nicht entsprechen. Bewahre, für solche Gefühle hat das Herz unserer Mitbürger von der Kartellpanei keinen Raum. Worüber man entrüstet war, daswaren nicht die Ungehörigkeiten, die in der denkwürdigenReichstagssitzung aufgedeckt wurden und die den Bestand desRegierungssystemes bis in seinen Grundfesten erschütterten.Rein, der Zorn richtete sich dagegen, daß das Gesetz dieMöglichkeit giebt, solche Aufdeckungen vor dem zu-hörenden Europa zu machen, daß es möglich ist, dieThaten der politischen Polizei an die Oeffentlichkeit zuziehen.Das Gesetz muß geändert werden, damit solcheEnthüllungen nicht mehr vorkommen können. Dasforderten unsere zattbesaiteten Kartellbrüder.Die Regierung und die Kartcllbrüder sind seit derZeil darauf aus, eine Formel zu finden, die die Be-ftimmungen des Ausnahmegesetzes mindestens auf-recht erhält, und eine Besprechung über die Wirkungdes Gesetzes unmöglich macht.Wir haben nach dieser Richtung hin schon sehr verschiedene Vorschläge austauchen sehen, die bis jetzt aberalle keine Gnade vor den maßgebenden Personen fandenund deshalb wieder verschwanden. Die Zeit rückt indessenHeran, in welcher ein Entschluß gefaßt werden muß undweil bis jetzt eigentlich gar nichts Bestimmtes darüber ver-lautet, wie man die Schwierigkeiten zu lösen beabsichtigt,so gewinnt jedes Zeichen, jeder Vorschlag aus dem Lagerder betheiligten Kreise an Interesse, weil es leicht sich ereignen kann, daß man in der Rathlosigkeit gerade dennächsten besten Vorschlag annimmt, der zur Hand ist.Ein solches Zeichen aus dem kartellbrüderlichen Lager,.Wie man sich die herzustellenden Zustände vorstellt, liegt unSin einer Broschüre des Dr. Ludwig Fuld, Rechtsanwalteszu Mainz, vor.*)Der Verfasser sagt ganz offen:.Die Nachtheile, welche das Fortbestehen eines Aus-nahmegesetzes und seine stete Verlängerung für das politischeLeben unseres Vaterlandes hat, brauchen wir nicht hervor-zuhebcn, sie sind für Jeden, der die politischen und sozialenVorgänge im Reiche aufmerksam verfolgt hat, deutlich er-kennbar; wir sehen einen der großen Nachcheile nicht etwain dem Aufnahme- Charakter des Gesetzes, also ineinem theoretischen Umstände— kein Staat kann daraufverzichten, unter gewissen Umständen sich durch Ausnahme-gcsetze seiner Haut zu wehren, und es ist bekannt, daß dieAusnahmegesctzgebung fast niemals so üppig blühte, als zurZeit der ersten französischen Republik, als die da-maligen Machthaber sich an barbarischen Gesetzen gegen Emi-grauten und cidesvcrweigernde Priester einander überboten—sondern iu der arostc i.welche die jedcsmuligeVerlängerung nicht nur für oe»...eichsiag, sondern für dasganze deutsche Volk mit stch bringt."Wir wollen auf den Vergleich unseres Staatswesensmit dem sich in der wildesten Gähning befindenden Zu-stände in Frankreich, als die feudale Welt unter wildenZuckungen der heutigen bürgerlichen Welt erlag, nurnebenbei hinweisen. Sehr schmeichelhaft für die Zuständeim„Reiche" ist er nicht.Im Uebrigen sagt die abgedruckte Stelle, was wirals das Kennzeichen der kartellbrüderlichen Resormbestre-bungen hinstellten: Beibehaltung aller Bestimmungen desSozialistengesetzes mit einigen Abänderungen da, wo dieseBestimmungen sich nicht recht brauchbar zur Unterdrückungder Arbeiterbewegung gezeigt haben.„Die Zügel der strafenden Gerechtigkeit straffer anzuziehen" empfiehlt Herr Dr. Ludwig Fuld sogar, alsoeine Verschärfung des bestehenden Gesetzes, es soll nurnicht mehr öffentlich gezeigt werden dürfen, wie dasGesetz thatsächlich wirkt, denn das ist aufregend und un-erquicklich, beeinträchtigt die„erfolgreiche Wirkung der sozial-reformatorischen Gesetze", und die seitens der sozialdemo-kralischen Abgeordneten gehaltenen Reden verhallen inArbeiterkrcisen nur sehr, sehr langsam.Welche Vorschläge auf Grund solcher Anschauungenerscheinen können, ist leicht ersichtlich, ihr Parteistandpunktist damit gekennzeichnet und es muß cigemhümlich berühren,wenn Herr Dr. Ludwig Fuld sagt, daß seine Untersuchungen jeder politischen Tendenz fernstehen.Was verlangt nun Herr Fuld?Wir können sagen, im Grunde verlangt Herr Fuldweiter nichts, als das Einführen unbestimmter unddehnbarer Ausdrücke in die heut bestehende Gesetzgebung,die an den früher einmal bestandenen Haß- und Ver-achtungsparagraphen des preußischen Strafrechles erinnern,der in seiner Anwendung so ungeheuerliche Erscheinungengezeitigt hatte, daß er der allgemeinen Entrüstung erlagund beseitigt wurde.Also gleich der§ 130 des Strafgesetzbuches, derlautet:Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weiseverschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätia-ketten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geld-strafe bis zu 600 Mark oder mit Gefängniß bis zu 2 Jahrenbestrast.soll dahin geändert werden, daß statt„Gewaltthätigkeiten"Feindseligkeiten" gesetzt wird.Gut! wer dann sagt, die Gutsbesitzer haben mit derBrantweinsteuer ein Geschenk erhalten, hat dadurch ohneZweifel in denjenigen, welche die Steuer bezahlen, eine„feindselige" Stimmung gegen diese Gutsbesitzer erregt,*) Dr. Fuld, Die Aufhebung des Sozialistengesetzes und dieAenderung des Strafgesetzbuches. Berlin, Werner und Siemenroch.die sich freilich nur in Bestrebungen zur Abänderung diesesGesetzes äußern wird, aber die Feindseligkeit kann ohneZweifel als erzeugt angenommen werden, der Redner, derso gegen die Branntweinsteuer gesprochen hat, ist alsoseiner Strafe sicher.Der Verfasser selbst sagt:„Wäre der§ 130 nicht in dieser(auf„Gewaltchätig-leiten" bestehenden) einengenden Weise formulirt, so hätteman gegen eine Anzahl„sozialdemokratischer Verhetzungen"durch welche das harmonische Zusammenleben von Arbeit-geber und Arbeitnehmer so empfindlich beeinträchtigt wurde,auch schon vor dem Erlaß des Gesetzes von 1878 wirksameinschreiten können."Sehr richtig, diese Aenderung des§ 130 würdeeinen Rechtszustand schaffen, gegen de« dasSozia!istens»sels ger�!»'zn ein«�lliseyer Zwstand wäre. Schon der Hinweis darauf, daß eineArbeiterklasse in der Art gelohnt wird, daß sie dasExistenzminimum nicht erhält, würde die Harmonie desZusammenlebens zwischen Arbeiter und Unternehmer stören,den hungernden Arbeiter„feindselig" gegen den Unter-nehmer stimmen und also nothwendig zur Bestrafung führen.Damit ist aber Herr Fuld noch lange nicht zufrieden.Die Strafen, die§ 130 in seiner heutigen Fassung fest-setzt, 600 Mark und 2 Jahre Gefängniß, findet er„ganzbedeutungslos und geradezu lächerlich." Es sollalso ein Mindeststrafmaß nicht fehlen und Gefängnißstrafein erster Linie stehen.Es heißt da in dem Schriftchen:„Wendet man die so abgerundete Strafbcstimmung inrecht energischer Weise an, so werden sich sehr viele dersozialdemokratischen Verhetzungen, über welche vor demSozialistengesetze(heute nicht?) seitens der Arbeitgeber sovielfach geklagt wurde, nachdrücklichst ahnden lassen: eswird alsdann für den sozialen Frieden und das einträchtlicheZusammenleben der verschiedenen Bevölkemngsklassen aus-reichend gesorgt sein."Herr Fuld versteht natürlich den„öffentlichen Frieden"so, daß der Bedrückte nicht muckt. Daß er die Unter-nehm er bestraft wissen will, wenn sie durch Lohnabzüge,barbarische Behandlung, tyrannische Fabrikordnungen undFabrikstrafen, durch übermüthige Verlängerung der Arbeits-zeit und dergleichen Scherze die Arbeiter zu„Feindseligkeiten"ausreizen, geht aus seiner Schrift nicht hervor. Er gehörtzu der Art Sozialpolitiker, die die allerweiteste Ausbeu-tungsfreiheit sichern und die Arbeiter unter dem Vorgebender„sozialdemokratischen Verhetzungen" gefesselt zur Ausbeutung ausliefern wollen.Wir wollen in einem weiteren Artikel sehen, wieHerr Fuld ferner das Sozialistengesetz weit übertrumpft.Militärlasten«ndl indirekte Stenernin Deutschland.Wir haben jedes Jahr nach dem Erscheinen des ungemein reichhaltigen„Statistischen Jahrbuches fürdas Deutsche Reich" unseren Lesern eine Uebersicht überdie Entwickelung des Militarismus und der indirekten Steuernin Deutschland geboten.Wir wollen heute— nach dem soeben erschienenen10. Jahrgang dieses amtlichen Werkes*)— unsere Uebersicht vervollständigen und fortführen.Schlagen wir das Kapitel der„Ausgaben" auf, sofinden wir für die„Verwaltung des Reichsheeres" undder„Marine" unter den„fortdauernden" Ausgaben:») Herausgegeben vom Kaiserlichen Statistischen Amt. 10. Jahrg.1889. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht. Preis M. 2,40.