Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

44.

Die Seidenweberin.

Eine Ballade von Robert Seidel.') Ueber hohe Festeswogen Jugendlust und Anmuth weht; Doch mir wird das Auge trübe, Weil vor ihm ein Schatten steht. Hnter reicher Schönheit Blüthen Feenhaft geschmücktem Chor, Taucht mit schmalen, bleichen Wangen Weberbärbel scheu empor.

Eine Knospe, schon gebrochen Von des Sensenmannes Fauft, Weil ob ihrem jungen Haupte Noth und Sorge nur gehaust. Emsig saß sie hinter'm Stuhle, Warf das Schiffchen hin und her, Kreischend sich die Schemel heben, Sinken nieder seufzend schwer. Und die Lade klappernd stöhnte Stets die alte Melodei:

Wen das Schicksal Weber höhnte, Läßt das Elend niemals frei. Weben, weben, spät und frühe, Weben bis an's offne Grab; Weben, weben und zum Lohne  In die Hand den Bettelstab. Weben, wenn der Nordwind heulet, Weben, wenn der Frühling lacht, Weben, wenn in Nacht und Grauen Ist erstorben Farbenpracht. Weben, wenn im Erntejubel Sich die Schnitter drehn im Tanz, Weben, wenn die Traube blutet In der Herbstessonne Glanz. Weben, weben! Armes Bärbel! Kurz der Athem, müd die Brust! Weben, weben!-feine Schonung, Keine einz'ge Jugendlust.

Aengstlich mahnt ein drängend Fragen: Wird der Kettenbaum bald frei? Schiffchen, auf zu schnellerm Jagen! Morgen ruft die Faktorei.

Wieder schallt des Webstuhls Mechzen In die ruh'nde Nacht hinein, Und beim ersten Morgengrauen Fliegt das Schiffchen aus und ein. Einstmals aber stand es stille, Träumte süß im Sonnenglanz, Bärbel hatte ausgewoben, Trug den ersten, legten Stanz.

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Ueber hohe Festeswogen Jugendlust und Anmuth weht; Doch mir wird das Auge trübe, Weil vor ihm ein Schatten steht. In der seid'nen Noben Rauschen Mischt sich Bärbels Sterbelied, Und des Mitleids holder Engel Klagend zu den Sternen flieht.

[ Nachdruck verboten.}

Nur eine Kellnerin.

Зоп

John Henry Mackay  . ( Fortseßung.)

Sonnabend, den 2. November 1889.

thun pflegte und beschloß nach einigem Nachdenken, mit dem Fünfuhrzuge abzureisen.

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III. Jahrgang.

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Seine Ungeduld wuchs. Er war es nicht gewohnt, so gezwungen zu werden, mit seinen Gedanken allein zu Bis er aber auf dem Wege war er hatte sich sein. Er haßte das förmlich. Wenn er einmal allein nicht beeilt, denn er liebte alles, was Eile hieß, nicht war und er war es nicht oft zwang ihn entweder seine Besuche gemacht hatte und beim Essen saß, war es seine Arbeit dazu oder er las und schlief. Seine Abende so spät geworden, daß an eine Abreise mit dem beab- verbrachte er stets mit Freunden. fichtigten Zuge nicht mehr zu denken war. Er beschloß also, heute noch zu bleiben, und erst morgen zu reisen.

Das hatte zugleich den Vortheil, daß er sich mit dem Essen nicht so zu beeilen brauchte, und er konnte sich nun mit gutem Gewissen noch ein Gericht mehr bestellen. Was er denn auch that.

Er sah wieder nach der Uhr. Vielleicht konnte er noch erst in ein Theater gehen und wiederkommen? klopfte wieder und fragte, während er bezahlte, den Wirth nach dem nächsten Theater.

Dann ging er gelangweilt und geärgert fort.

Eine Viertelstunde später kam Marl  . Sie hatte den Aber was nun mit dem leeren Abend anfangen? ganzen Tag zu Hause gesessen, etwas gelesen und fleißig Er dachte, es sei doch vielleicht besser, nun noch einmal genäht. Und traurig darüber, daß sie nicht hinaus konnte zu Marl   zu gehen. Und nach einigen Minuten erschien mit Hans. Sie hatte sich doch zu sehr auf heute gefreut. es ihm sogar schon als eine Pflicht gegen sich selbst, dem Endlich war sie ins Geschäft gegangen. eingebildeten Mädchen zu zeigen, wie wenig er sich aus ,, Gut, daß Sie kommen! Lenchen ist nicht da, und ihr mache. Ja, er wunderte sich sogar selbst darüber, ich habe die ganze Arbeit allein thun müssen," polterte wie ihm dieser Gedanke nicht schon gestern als durchaus der Wirth. Marl   gab ihm keine Antwort. nothwendig gekommen war. Nachdem er also nach Hause telegraphirt hatte, er könne erst einen Tag später dort ein­treffen, fuhr er nach dem Osten.

Die Straßen waren leer und sahen so noch troft­loser und einförmiger aus, wie sonst. Wer konnte, war an dem Sonntagnachmittag hinausgeflohen; und wem auch

" Der Mensch war auch da, mit dem hochmüthigen Gesicht. Wenn der nur wüßte, wie dumm er aussieht, würde er sicher ein anderes auffeßen."

Marl   hörte nur die ersten Worte. Ift er wieder fort?"

"

,, Eben. Da steht ja noch sein Glas. Machen Sie das versagt war, der hielt sich wenigstens zu Hause ver- es nur gleich rein; und hier ist noch mehr zu thun." frochen vor der glühenden Sonne. Es war einer der ,, Es ist heut' gar nicht mein Tag," bekam er prompt Sommertage, die so schrecklich sind mit ihrer stummen zur Antwort. Wenn Lenchen nicht kommt, dafür kann Schwüle, ihrem staubigen Dunst und ihrer brütenden ich nichts. Und wenn ich ihre Arbeit thun soll, können Angst. Sie mich erst freundlich darum bitten."

Die Sonne fah frech und grell in jeden Winkel, und zeigte die Armuth und Kahlheit des Viertels in ihrer an ganzen Nacktheit. Hans, der seinen Wagen entlassen und langsam die Straße hinunterging, fühlte sich plöglich an­gewidert. Er konnte sich selbst nicht sagen, was es war. Aber es ekelte ihn, wie nach einem üblen Geschmack. Er ging aber doch weiter.

Doch Marl   war nicht in der Kneipe. Das Lokal war völlig leer. Nur der Wirth saß hinter dem un­ordentlichen Schenktisch, dessen schmußige Feuchtigkeit von überflossenem Bier förmlich mit Fliegen übersät war, und schlief halb. Hans setzte sich und klopfte stark.

Wo ist denn Marl  ", fragte er.

,, Sie hat ja heut' frei," brummte der Wirth, welcher fich mühsam ermuntert hatte, sie wird schon noch tommen."

,, Und wo ist denn Lenchen?"

Ja, das freche Mensch ist heute den ganzen Tag noch nicht dagewesen. Aber ich werd' es ihr einftreichen! Wollen Sie Bier?"

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Damit ging fie aber doch an die Arbeit. Sie dachte Hans.

" Hat er nicht gesagt, ob er wiederkommen wolle?" Er ist ins Theater. Und übrigens, was geht Sie denn das an? Ist er etwa Ihr Geliebter?"

Da trat aber Marl   auf den so Redenden zu und sah ihn zornfunkelnd an.

Herr Gründler, wenn Sie noch ein einziges Mal so etwas sagen, so gehe ich auf der Stelle! Sie wissen ganz gut, daß ich ein anständiges Mädchen bin, und mich mit feinem Herrn einlasse!"

Der Wirth schwieg darauf. Marl   war empört. Wieder kämpfte sie mit den Thränen, aber dieser Mensch sollte nicht sehen, daß sie weinte. Es dauerte lange, bis der erste Gast an diesem Abend kam.

Aber bis Hans kam, hatte sich doch das ganze Zimmer gefüllt. Marl   stürzte ihm entgegen.

"

Es hat mir so leid gethan, daß ich nicht hier war Aber er achtete gar nicht darauf. Er bat um ein Glas Bier. Sein Gesicht hatte einen ernsten, wichtigen Aus­bruck. Sie merkte auch sofort, daß er ihr etwas sagen wollte.

Hans nickte. Er war wieder tief geärgert, wie bei einer persönlichen Beleidigung. Er glaubte sicher, Marl  würde hier sein, da aus ihrer Verabredung nichts ge­worden war. Aber er blieb doch sißen und sah auf das als Glas, welches der Wirth vor ihn hingeschoben hatte.

Was ist denn, daß Du so feierlich bist", fragte sie, sie wieder vor ihm stand.

" Ich reise morgen fort," sagte er kurz. ,, Nein", rief fie und sah ihm starr in die Augen. mochte es nicht glauben. " Doch, ich reise morgen!"

wiederholte er mit

Zuerst dachte er an ganz etwas anderes, aber plöß­lich fiel es ihm auf, wie unreinlich das Glas war. Er Sie glaubte an dem Rand noch die Schaumspuren zu sehen, welche von dem Mund, welcher vor ihm aus diesem Glase Nachdruck. Sie stand still und sah ihn an. Da wurde getrunken hatte, an ihm zurückgelassen waren. Und mit sie gerufen. Sie riß sich nur schwer los.

einem Schlage sah er alles, wogegen er in den legten Wochen wie blind gewesen war: den Schmuß überall, an

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Ich komme sofort wieder," rief fie ihm zu.

Er sah ihr nach. Welche Wirkung seine Mittheilung

Als Hans Grütmeyer am nächsten Tage noch später den Wänden, auf dem Tische, auf dem Fußboden, überall. gehabt hatte! Und sofort wurde er besser gelaunt. wie gewöhnlich erwachte, war er so unlustig, daß er am Er strich mit dem Finger über den Tisch, um zu sehen, ,, Nein, Hans. Nicht wahr, Du machst nur Scherz," liebsten liegen geblieben wäre. Er starrte mit schlaf- ob er schwarz geworden war. Aber er konnte nichts an fragte sie schnell, als sie wieder neben ihm stand. Sie trunkenen Augen in das Zimmer und dachte bei der Un- ihm entdecken. Und doch fühlte er überall den Schmuß, war sehr aufgeregt. ordnung an alle die Mühseligkeiten, welche ihm heute noch der ihn umgab, und dem er in seinem wohlerzogenen ,, Nein, ich mache keinen Scherz. Ich habe mich jetzt bevorstanden: die Packerei, die Besuche, welche er noch Leben so wenig, so selten begegnet war; den er sich stets endlich entschlossen, zu reisen, um nie wieder hierher zurück­vor seiner Abreise machen mußte, und je länger er daran mit einer solchen fast ängstlichen Vorsicht ferngehalten hatte. zukommen. Was soll ich denn auch noch hier?" quälte dachte, desto mehr fiel ihm ein, was noch besorgt und Der Wirth war hinter seinem Büffet wieder ein- er sie weiter, Du machst Dir ja doch nichts aus mir. erledigt werden mußte. Er stöhnte ein weniges Er stöhnte ein weniges, kam genickt. Um einen einzigen Gast sich noch weiter zu Da habe ich es für besser gehalten, lieber jetzt gleich zu sich selbst sehr geplagt vor und in diesem Gefühl des kümmern, schien ihm überflüssig, und noch dazu um einen, reisen, als noch zu warten." tiefen Mitleids mit sich selbst stand er endlich gähnend der nur der Weiber wegen hergekommen war. Aber Hans auf, um an sein saures Tagewerk zu gehen. Während Grüßmeyer ärgerte sich plößlich über den Schlafenden, des Frühstücks dachte er an Marl  . Was sie wohl denken der so faul und bequem dalag, während er dasaß, fich würde, wenn er nun auf einmal fortbliebe und nie wieder langweilte, und was ihm am meisten vor allen Dingen war täme?. Eigentlich hatte sie diese Strafe doch ver- verhaßt war- wartete. In einer Art unterdrückter dient, weil sie ihn so schlecht behandelt. Und mit doppeltem Wuth ergriff er das Glas und seẞte es mit Willen genau dann ganz ohne Grund noch einmal, denn er ärgerte fich, Appetit beendete er sein Frühstück. Dann studirte er an der Stelle an, welche ihn noch kurz vorher mit solchem daß er hierauf nicht die erwartete Antwort erhalten hatte. den Fahrplan, langsam und aufmerksam, wie er alles zu Ekel erfüllt hatte. Er trank es mit einem Zuge aus und" Ach, sag' das doch nicht immer! Du weißt ja, daß klopfte dann so energisch, daß der Wirth abermals aus ich Dich sehr gern und viel lieber, als alle die anderen, habe." ,, So?", meinte er.

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1) Den Stoff zu vorstehendem Gedicht lieferte mir ein Er- seinem Schlummer auffuhr. lebniß am Zürichsee 1871. Als ich damals dort in einer Buckskin-" Ich möchte noch ein Glas Bier haben," sagte Hans. fabrik arbeitete, lernte ich das Bärbele als die Nachbarstochter meines Roftgebers fennen. Sie war das einzige, 18 jährige Kind Ihm war jetzt alles gleichgiltig geworden; er kam sich selbst eines armen, beschränkten Bauern, der mit seiner Stuh und mit sei- so jämmerlich heruntergekommen vor, daß er sein Treiben nem fleinen Weinberg Unglück gehabt hatte, welches nun das Bär- in legter Zeit anfing originell zu finden; und damit war bele mit ihrem Berdienst als Seidenweberin gutmachen sollte und er wieder auf dem zufriedenen Punkt seiner gesättigten Wenn wir im Winter Morgens 6 Uhr zur Fabrik gingen, Eitelkeit angekommen. sahen wir das Bärbele meist schon bei der Lampe hinterm Webstuhl Er lehnte sich zurück und starrte theilnahmlos zu der fizen, und kamen wir Abends 7 Uhr heim, so saß sie noch dahinter, Decke empor, an welcher die Fliegen summten. Am lieb­ja, wenn wir um 10 Uhr zu Bette gingen, hörten wir noch die sten hätte er auch geschlafen, wie der feiste Kerl dort in dumpfen Schläge der Weberlade. Oft war sie frank, und sah man der Ecke.

mußte.

fie einen Augenblick im Freien, so war es mit verbundenem Kopfe

und scheuem Wesen. Selbst der blödeste Unverstand prophezeite Wie unerträglich langweilig es war! Er sah nach ihren frühen Tod und dieser Erlöser der Armen kehrte bei ihr ein, der Uhr. Er hatte schon über eine halbe Stunde hier als der Frühling mit Blühen und Singen durchs Land zog. So gesessen. So konnte es jedenfalls noch eine Stunde bleiben. fiel Bärbele als ein Opfer der Hausindustrie, welche schon tausend­mal mehr Jünglinge und Jungfrauen verschlungen hat, als der Denn warum sollte Marl   heute auch früher kommen, als sagenhafte Minotaurus der Kretenser. Der Verfasser. sie nöthig hatte?

,, Gehst Du wirklich morgen, Hans?" Ja, ganz sicher. Auf jeden Fall." Sie sah von ihm fort und traurig vor sich hin. Es so plößlich gekommen. Sie konnte es nicht fassen. ,, Du machst dir ja doch nichts aus mir", sagte er

" Ja", sagte sie eifrig. Du weißt das recht gut. Deshalb brauchst Du also nicht zu gehen", sagte sie etwas zögernd hinzu, weil sie schon fürchtete, zu viel zu sagen. Kommst Du morgen noch einmal?"

,, Nein, ich kann nicht. Ich reise ganz früh,-" Sie wurde wieder gerufen.

, Dann kann ich Dich doch wenigstens heute Abend nach dem Geschäft noch sehen?- Ich will warten, bis Du fertig bist", bat er dringend.

" Ja", sagte sie schnell. Wenn Du morgen gehst, und wir uns niemals wiedersehen

Sie mußte fort, denn das Nufen nach ihr ward immer ungeduldiger.

Sie hatte bis zum Schluß des Lokals unaufhörlich