Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.
№. 46.
In der Weltstadt.
Machdruck verboten.]
Die Straße lag im Abendschatten. Nur mühsam warf das Licht die matten, Verwehten Strahlen in die Nacht. Und heimwärts von verirrtem Gange Trug ich das Herz, das schwere, bange, Gejagt von zwingend düstrer Macht. Entschlafen war des Lebens Neigen. In fremdem, wunderbarem Schweigen Ermüdet lag die Riesenstadt: Der langen, fiebertollen Tage, Der niegestillten, wehen Klage,
Des eignen, wirren Lebens satt.
Nur meiner eignen Schritte Hallen Vernahm ich noch. Dem Tod verfallen Sonst alles meinen Sinnen schien. Selbst durch der Brücke hohe Bogen Sah ich die Themse fortgezogen
Wie unbeweglich weiter ziehu. Ich sah mit starrem Blicke nieder. Und eine Nacht stieg auf mir wieder Es war vor langen Jahren schon. Da ging ich, einsam und verlassen, Durch einer andern Weltstadt Gassen
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Und horch! dort einer Stimme Ton.
Ich bannte meinen Schritt, und Küstern Vernahm ich eine Stimme. Lüftern
Und wollustbebend zu mir drang: So gieb mir Geld ich bin die deine! Und dann sah ich beim Lichter scheine
Wie er sie wild und schnell umschlang.
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Rasch in der Häuser Schatten eilen Sah ich das Weib, dort kurz verweilen Dann wieder stehen bei dem Mann. Wie„ Vater..." war's zu mir gedrungen. Schon aber sah ich sestumschlungen Die beiden weiterschreiten dann.
Und als nun in des Hauses Schatten Ich eilig trat, sah einen matten,
Gebrochnen Greis ich stehen dort;
In seiner Hand wie Gold es funkeln, Sein Auge Thränenfluth umdunkeln Und das Entsetzen riß mich fort!
Und rückwärts muß ich oft mein Denken zu jener Stunde schaudernd lenken,
Gebannt von einer dunklen Macht. Wenn heimwärts von verirrtem Gange Das Herz verlangt, das schwere, bange, Aus sternenloser, kalter Nacht.... John Henry Mackay .
i
[ Nachdruck verboten.]
Nur eine Kellnerin.
Bon
( Fortsetzung.)
Sonnabend, den 16. November 1889.
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III. Jahrgang.
Immer denselben Weg- was er ihr wohl schreiben matten Körper zurückgekehrt. Sie blieb ganz still liegen, würde? Vielleicht kommt er sogar selbst doch nein, auf dem Rücken und sah zur Decke empor. Die Ruhe, es war Unsinn, daran zu denken! welche ihr so unerträglich geworden war in den letzten
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Sie schauderte zusammen. Wieder gesund sein! Ihr Wochen, that ihr nun unendlich wohl. Sie vergaß sogar Kopf wurde ihr auf einmal so schwer, daß sie ihn zurück alles, womit sie eingeschlafen war: ihre bange Hoffnung lehnte an die Wand. Sie mochte noch nicht daran glauben, auf den heutigen Morgen und das Trostlose ihrer Lage. daß sie wieder gesund würde, denn sie fühlte noch keine Es wurde schon hell im Zimmer. An den weißen Wiederkehr der Kraft. Wenn sie nun gestorben wäre? Wänden des niedrigen, unordentlichen Zimmers lag schon Was er dann wohl gethan hätte? Aber er hätte es viel- der Morgen mit jenem seltsam hellen, staublosen Licht, leicht gar nicht erfahren welches so keine andere Tagesstunde kennt. Ueberall drang Sie hob mühsam wieder ihren Kopf und sah mit es hin mit seinem klaren Blick, in jede Ecke und jede ihren großen, grauen Augen zum Fenster. Nichts als die Falte; nirgends ist Schatten, überall dieselbe grelle, unrohe, schmußig graue Mauer des Nebenhauses, und die heimliche Beleuchtung. Dabei die Stille. Marl lag da Krone des Baumes über die Brüstung hinübernickend; kein und horchte auf einen Ton. Aber sie hörte nichts, nichts, Stück vom Himmel. Selbst das Licht, das von oben außer dem eigenen, stillen, gleichmäßigen Athem. Alles mühsam durch die Dächer hier hinunterfiel, es war staubig lag in Schlaf. Gewiß wachten um diese Stunde nur und grau am Tage, und bei Nacht warf es nur die wenige Menschen, dachte sie. Nur die, welche sich schon Schatten bis an die Hinterwand des Zimmers. Es wurde jeßt zur Arbeit des Tages begaben. Auf der Straße war zunehmend dunkler im Zimmer. Nun kam bald die Nacht, gewiß schon Leben. Aber ihr Zimmer lag an der Hintereine jener schrecklichen Nächte, in denen sie wieder nicht seite des tiefen Hauses, und wie sollte über das Gewirr schlafen konnte, in denen sie liegen mußte Stunde um von Dächern ein Ton zu ihr herüberdringen? Sie hüllte Stunde, und warten auf den Morgen, troßdem sie zum sich fester in die Decken, als ob sie fröre. Dann schloß Sterben müde war. Dann kamen wieder die Gedanken. sie wieder die Augen. Aber sie war so völlig frisch, daß Wie die Spinnen würden sie herangekrochen kommen, aus kein Schlaf mehr kommen wollte. allen Winkeln des Zimmers, die Gedanken, welche sie so Da fuhr sie plößlich empor. fürchtete welche ihr zuflüsterten, daß es auch hätte alles Ein gellender Mißton war an ihr Dhr gedrungen: anders sein können, wie es gewesen ihre ganze Jugend ein langgezogenes, klägliches Bellen. Da noch einmal. hindurch, und die verzehrenden Wünsche nach Leben und Ein Hund war in der Nachbarschaft erwacht. Stoßweise Heiterkeit. Sie sah starr zum Fenster hinaus, immer auf drang sein Bellen zu ihr; es lag etwas Erschreckendes in die kalkige, schwarze Wand da drüben, welche immer diesen einsamen, grellen Tönen. Sie setzte sich auf. Aber dunkler und dunkler wurde. Wie traurig es war, so das Bellen nahm kein Ende. Sie hörte es immer deutallein zu sein! Wenn nur die kleine Tochter ihrer Wirthin licher, und es wurde ihr immer unangenehmer. Immer da wäre, das schmußige Kind mit seinem frechen Lachen. in der gleichen Stärke: ein kurzes, lautes Aufbellen, dem Aber es war doch wenigstens ein Lachen. Vielleicht könnte ein langgezogenes, schrilles Heulen folgte. Fortwährend, sie dann mitlachen. Sie wollte rufen. Aber es war gleichmäßig. Sie hatte es nie vorher gehört. Es mußte zwecklos. Es hätte sie doch niemand gehört. aus der Nachbarschaft kommen. Sicher lag das Thier in Wie viel Uhr mochte es sein? Sie sah sich im Zim- einem der engen, aneinandergepreßten Höfe an der Kette. mer um, als hätte sie vergessen, daß es feine Uhr hier Sie wartete. Es mußte doch bald ruhig sein. Aber der gab. Erst, als sie nicht fand, was sie suchte, fiel es ihr Hund bellte weiter; immer in denselben mißtönenden, schrilwieder ein. Die Leute waren so arm. Und dann dachte lenden Lauten, genau in denselben Absätzen. Sie legte fie plötzlich an ihre eigene Armuth und die schreckliche sich wieder nieder und preßie den Kopf in die Kissen. Angst wurde wieder in ihr wach, wenn nun wenn nun Aber der Hund bellte weiter und scharf und schneidend auch morgen nichts käme? Sie hatte ihrer Wirthin so drang sein Heulen zu ihr, und sie mußte darauf hinhorchen. fest versprochen, daß morgen Geld kommen sollte-wenn Es wurde ihr zuleßt so unerträglich, daß sie die Lippen es nun ausbliebe! Was sollte sie sagen Wenigstens und sie fiel aufeinander biß vor Aerger und Ungeduld. zurück in jene brütende, dumpfe Verzweiflung, in welcher zehn Minuten schon hatte es gedauert; und der Hund sie alle die Tage gelegen hatte, bevor sie an Hans Grüß- bellte immer weiter. Wachte denn niemand auf und band meyer geschrieben und nachdem sie ihren lezten Pfennig ihn los? hergegeben hatte.
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fie ver
Da endlich! Aber schon in der nächsten Minute So saß sie da, mit ihrem trüben, stumpfen Blick, mit dasselbe gellende Aufbellen und das winselnde, klägliche den vor Angst bebenden Lippen und den zuckenden Händen Heulen. Diese krampfhaften Stöße das Thier war und die Hoffnung, die lügende Netterin, wollte nicht wie- frank. Diese Töne waren von irgend einem quälenden Sie derkommen. Sie sank in sich zusammen, als müsse sie Schmerze hervorgepreßt. Und immer weiter. sich bergen vor dieser schrecklichen Angst, vor der Noth, lag und horchte mit angehaltenem Athem, wartend auf vor dem Morgen. Als ob sie gerichtet werden sollte-den Augenblick, wo das Thier vor Erschöpfung innehalten wegen eines Vergehens so war ihr. Die furchtbare würde. So lange und anhaltend hatte sie noch nie einen Genoffin der Armuth, die verwirrende Unsicherheit, redete Hund bellen hören. Daß niemand aufwachte Es war am dritten Tage nach jenem, an welchem: hr in's Ohr, daß es ein Verbrechen sei, arm zu sein, wie stand es nicht. Und plößlich ergriff sie eine furchtbare Marl fich entschloffen hatte, den Brief an Hans zu schrei- fie es immer dem Armen einzureden sucht, so lange, so Wuth gegen das Thier: sie hätte es erwürgt oder zu Tode ben. Es war der schwerste Entschluß gewesen, vor welchem quälend, bis er betäubt ist von der Wucht der Anklage gepeitscht, wenn sie es unter den Händen gehabt hätte. fie jemals gestanden hatte. So schwer war es ihr selbst und er sterben möchte, da es ihm Frevel zu sein scheint, Sie haßte diese Kreatur! Sie preßte die Lippen aufeinnicht geworden, von Hause fortzugehen. Aber die Krant noch weiter zu leben. Dieser schreckliche Wahner ist ander; aber flar und empörend- gellend drang das anhalheit hatte ihren Willen und ihren Stolz gebrochen, und der größte Fluch der Armuth, der menschen verlassenen tende Bellen zu ihr. Es kamen von Zeit zu Zeit Pausen, Noth und Angst waren für sie zu groß gewesen. Armuth, der sich keine Hand, nein, kein Finger einer Hand aber immer wieder begann es. So hatte sie noch nie ein Sie war zum ersten Male aufgestanden für eine kurze entgegenstreckt, um sie emporzuheben aus ihrer Angst und Ton gefoltert, wie diese schrecklichen kranken Laute. Zeit und saß in dem alten, abgenutzten Sopha ihrer ihrer Verzweiflung. Sie konnte sich legen, wie sie wollte, sie mochte sich Wirthin in deren enger Stube. Sie hatte an diesem Abend Wer aber noch Kraft unter ihnen hat, dem zerreißt die Ohren zuhalten, sie mochte mit Gewalt ihre Gedanken Antwort erwartet, und die Unruhe hatte sie aufgetrieben. dies Gewebe des Wahns und die Wahrheit dämmert oder auf anderes richten sie mußte es hören, und es durchSie war allein. Das Fenster stand halb offen, und Marl flammt ihm auf: daß auch er ein Recht an das Leben drang jedesmal schmerzhaft ihre Schläfen, wie eine spiẞe konnte von ihrem Fenster aus gerade die Krone des Bau- hat, weil er lebt, ein Recht, genau so groß und so un- Nadel . mes sehen, welcher sich durch die Steinplatten des Hofes veräußerlich, wie jeder andere Mensch, und er wird es Ihre Nerven waren durch ihre Krankheit zerrüttet; durch und langsam immer höher und höher hinauf gear- fordern von denen, welche es ihm entrissen haben in ihr Gefühl hatte sich verfeinert und ihre Empfindungen beitet hatte. frevelnder Anmaßung, und sie mögen ihn verlachen und waren gereizter geworden. Sie glaubte sogar in ihrer ihn niederhalten, so viel sie wollen, es muß einmal ein erregten Phantasie das Klirren der Kette zu hören, an Tag der Abrechnung kommen, wo das Recht nicht mehr welcher der Hund lag, und ihn bei jedem Aufheulen sich Unrecht, und die Wahrheit nicht mehr Lüge genannt wird! in die Höhe reißen zu sehen. Sie lag nicht bequem. Sie fühlte in ihrem Rücken Und wehe dem, der dann noch so verhärtet ist, daß er das harte Holz der Rücklehne, aber sie war so müde, daß das Recht nicht anerkennen und die Wahrheit nicht sehen fie sich nicht bezwingen konnte, eine andere Stellung ein- will oder kann!
Aber die Antwort war nicht gekommen. Sie hatte immer noch gehofft. Doch es war schon so spät, daß der Postbote nicht mehr kommen konnte. Morgen
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Sie konnte es zuletzt nicht mehr ertragen. Sie glaubte, eine Stunde nun schon das Bellen zu hören, während es vielleicht erst eine Viertelstunde gedauert hatte.
Sie sprang auf, und warf sich auf den mit ihren Und wie von körperlichem
zunehmen. Ihre Gedanken nahmen immer denselben Weg, Wer aber schwach ist, der wird untergehen, als eines wie müde Pilger, welche eine Hoffnung nur aufrecht hält. jener ungezählten Opfer der Härte und der Herzlosigkeit Kleidern bedeckten Stuhl. Sie flammerte sich an das einzige, was sie zu befizen der anderen, verschüchtert und verstoßen von dem Tische Schmerze gepeinigt, schluchzte sie verzweifelt auf, als nun glaubte; an das einzige, was in den langen, legten Wochen der Erde, der für alle reich genug gedeckt wurde, und mit einem legten, langen Aufheulen das Bellen des Thieres einer gänzlichen Verlassenheit vermocht hatte, fie aufrecht von dem er hungrig fortgetrieben wurde, weil ihm die plötzlich verstummte.
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zu halten. Immer noch denselben Weg gingen die Ge- Unersättlichkeit der anderen selbst den Abfall nicht gönnte. Sie zitterte am ganzen Körper und fühlte, wie sie danken und sie logen ihr vor, es sei noch ein Mensch, Und traurig wird er bei dem Ueberfluß stehen, und Mangel fieberte. Den Nacken hinunter zog eine eisige Kälte und der an fie dächte und der sie nicht vergessen hätte, weil er leiden, und dann noch am Ende glauben, es sei seine fie schauderte zusammen. Aber sie hatte nicht mehr die fie einmal geliebt. Morgen. eigene Schuld und fortschleichen, um die Festesfreude der Kraft, in das Bett zurückzukriechen. Als nach einer Stunde Es war stiller wie sonst im Hause. Nur ab und zu anderen nicht zu stören, um verlassen und vereinsamt zu die Wirthin eintrat, fand sie das Mädchen halb liegend fchlug das Zufallen einer Thüre, das Schreien eines Kin- sterben! auf dem Stuhle, die nackten Füße gegen den Boden gedes, das Nufen einer Frau schmerzhaft an ihr Ohr. Sie Marl hatte eine gute Nacht. Sie schlief so lange stemmt und den Kopf hintenüber gesunken; halb bewußtlos war so nervös geworden, daß sie das kleinste Geräusch Stunden fest und traumlos hintereinander, wie seit Wochen und von Fieberfrost erstarrt. Marl mußte ins Bett zurücknicht mehr zu ertragen vermochte. Sie wartete auf ihre nicht mehr. Als sie erwachte, war es gegen die fünfte getragen werden. Wirthin, die unten stand und klatschte. Aber es war ihr Morgenstunde. Sie fühlte sich so gestärkt, daß sie am lieb, daß sie noch nicht kam. Sie schauderte zurück vor liebsten aufgestanden wäre. Ihre Schmerzen schienen in dem dumpfen heißen Bett, welchem sie endlich für einige diesem Augenblick fast verschwunden; ihr Kopf war klarer; Stunden entflohen war. etwas von der alten Lebensfreudigkeit war in ihren kranken,
Sie schlief sofort ein.