Maxl hatte Mühe, vor Freude nicht aufzuschreien, als ihr die Scheine entgegenfielen. Sie wollte sofort auf und in ihrem überströmenden Dankgefühl antworten. Sie war wie genese». Aber erst als sie am Tisch saß, und beginnen wollte, fühlte sie, daß sie zu schwach zum Schreiben war. Sie vermochte es nicht._

Erst nach einigen Tagen erhielt Hans Grützmeyer den folgenden Brief, den ihm der Briefträger persönlich übergab. Berlin , den 19. 8. 85. Lieber Hans! Eben war der Doktor hier und erlaubte mir zwei Stunden aufzubleiben, wozu ich auch gleich die Gelegenheit benutze und Dir zu danken. Du hast so edel an mir armem Mädchen gehandelt und der liebe Gott möge Dir alles vergelten, ich will Dir nun sagen wie ich mit Deiner lieben Unterstützung gewirchschastet habe: die Wirthin bekam einen großen Theil und dann wollte auch die Schneiderin für das blaue Kleid, Du kennst es ja! einen Theil haben, ich mußte es ihr geben, denn sie ist zu arm wie sie sagt, leider mußte ich auch eine Flasche starken Wein haben. Der Doktor sagt es müsse sein. So war ich denn die letzte Woche noch im Besitz von 4 Mark, am Dienstag bekam ich aus der Kranken- fasse 3 Mark, essen darf ich jetzt schon mehr auch Fleisch. Ich habe nur mehr eine Mark und einige Pfennige aber ich spare recht lieber sage ich ich habe keinen Appetit und nehme einen Löffel Wein mehr, es ist doch recht traurig wenn man in solch einer Lage ist und gar niemanden hat der einem beisteht. Ich zittere schon am ganzen Körper vom Schreiben Du mußt schon verzeihen aber ich darf ja eigentlich noch gar nichts thun muß froh sein wenn ich stehn kann und nicht umfalle. Tausend Dank für Deine Hülfe Du bist ein guter Mensch ich werde es Dir nie vergessen und gern in Raten sobald es mir möglich zurückzahlen ach wenn ich nur ins Geschäft gehen könnte ich kann nicht mehr schreiben lebe wohl und es grüßt Dich Deine Maxl." Als Hans Grützmeyer diesen Brief gelesen hatte, lächelte er mit jenem eigenthümlichen Zug, welcher sich immer um seinen Mund legte, wenn eine Sache zur Zu- friedenhcit beigelegt war. Die wären wir los, dachte er bei sich; es ist doch gut, daß sie wieder bester ist. Daß sie noch einmal an ihn schreiben könnte, dachte und et- wartete er nicht. Wozu auch? Sie war jetzt aus dem Aergsten heraus. Er zerriß den Brief in kleine Fetzen, und ließ sie durch die Finger in den Papierkorb fallen. Dann pfiff er leise vor sich hin, und dachte an etwas anderes, tvas ihm angenehmer war. (Fortsetzung folgt.) Sozialistische Spaziergänge. 3. B. W. Ich befand mich auf der Durchreife in meiner Vaterstadl und ging, meine alte Tante zu besuchen. Die Tante war die Witlwe eines Beamten und lebte von einem kleinen Wittwengehalt. Sie fristete ihr zweckloses Dasein ziemlich kümmerlich und machte sich mit ihrem kleinen Haushalt allzuviel Plage. Ihre einzige Hilfe war ein kleines Mädchen aus der Nachbarschaft, welches täglich die winzigen Einkäufe und Gänge besorgte. Ich zog die Klingel im dritten Stockwerk. Die Thür öffnete sich ein wenig offenbar festgehalten durch eine Sicherheitskette und die Tante fragte mißtrauisch: Wer ist da?" Gleich darauf aber hatte sie mich erkannt, rief in froher Erregung meinen Namen, machte aber merk- würdigerweise die Thür wieder zu. Nach einer Weile wurde die benachbarte Thür geöffnet, und nun begrüßte mich Tante, aber mit einer der Wiederschenssreude beige- mischten Verlegenheit. Ich merkte, daß ich die gute Frau überrascht hatte. Sie war bekleidet mit einem alten Stu- benrock und einer selbstgemachten" ungeschickt faltigen Wolljacke. Das Zimmer, in welches ick trat, war die söge- nanntegute Stube", sah aber wunderlich aus: Das Sopha bedeckte ein Laken zum Schutz gegen Staub und Licht. Gleichen Zweckes halber war der Teppich nach den Beinen des schwächlichen Mahagonitisches hin zusanimen- geschlagen. Quer durch das Zimmer zogen sich Bindfäden, über denen Wäsche zum Trocknen hing. Die Luft war kalt und feucht. Das also war Tantensgute Stube"! Die alte Frau lebte so einsam, daß vielleicht alle Jahre einmal ein Besuch kam. Und dann war natürlich die gute Stube im Zustande überraschter Nachlässigkeit, im Neglige. Die gute Stube war also ganz überflüssig, ja unsinnig. Sie kostete schwere Miethes die eleganten Möbeln darin waren im Verhältniß zu den Ausgaben einer kleinen Wittwc theuer und doch ganz ohne Verwendung und der Welt so entrückt, wie Gefangene; einen Zweck hätten die Möbeln überdies gar nicht erfüllen können, es sei denn den, be- trachtet zu werden, den Zweck der Nippsachen; zum Sitzen war das zierliche, mit Seide bezogene Sopha unbequem, zum Liegen ganz unbrauchbar. Die Sestel hatten nur scheinbar ein schwellendes Polster, rhatsächlich waren sie mit Werg ausgestopft und hart wie der Rücken eines mageren Gaules. Auf die Platte des Mahagonitisches durfte sich niemand lehnen; sonst brach sie ab. Unsinn! Blödsinn! meint jeder vernünftige Mensch. Ja freilich! Doch, mit Shakespeare zu reden,dieser Blödsinn hat Methode", und deswegen gerade findet er hier Notiz. Die gute Stube der Tante ist nämlich keine verein- zelte Erscheinung. Solche oder ähnlichegute Stuben" hat vielmehr jeder echt bürgerliche Haushalt. Ich möchte fast behaupten: in unserer sozialen Rangordnung fängt das bürgerliche Element mit der guten Stube an. Das ist nahezu ein soziales Gesetz.

Worin liegt nun dieMethode", der Sinn dieses unsinnigen Brauches? Offenbar bezweckt der bürgerliche Mensch mit der guten Stube, etwas zurepräsentiren", d. h. vorzustellen, was er nicht ist, und was obendrein nicht einmal vorstellenswerth, was ein ganz faules Ideal, ein Idol ist. Der Bürger will Wohlhabenheit, womöglich Reichthum heuckeln. Und diese Heuchelei ist bezeichnend für zwei Merkmale unseres Zeitalters, des Kapital- Zeitalters: für die Vergötterung des Reichthums und die große Bedeu- lung des materiellen Kredits. Unsere Zeit wird beherrscht vom Geldc; daher macht Reichthnm ihren Adel aus; und daher geht der Ehrgeiz aller bürgerlichen Elemente dahin, wenigstens den Schein der Wohlhabenheit zu erlangen, zumal da dieser Schein auch einen materiellen Werth hat, indem er nämlich Kredit, dieses unentbehrliche Gclderoberungsmittel, verschafft. Gute Stuben" oder garSalons", kostspielige, neu­modische Weiberkleider,Gesellschaftgeben".... das ist der Ausfluß dieses Charakterzuges unserer Zeit. Und dieser Zug beherrscht, wie wir gesehen haben, sogar den Haus­halt einer dürftigen, einsiedlerischen alten Frau. * 4. Es giebt in den Städten Familien, welche mehrere Generationen hindurch einen bürgerlichen Charakter hatten und daher Ueberlieferungen aus derguten alten Zeil " mehr alsEmpörkömmlinge" undDcklassirte" bewahren. Bei diesen Bürgernvon altem Schrot und Korn" dürfte unser Spott über diegute Stube" und die Sucht zu repräsentiren" vielfach Beistimmung finden. Um sich nun zu trösten über die moderne Unsitte des Luxus, be- lieben diese altcrthümelnden Leutchen, ihre Gedanken auf das Land zu den Bauern, dem Hort des Bicderlhums, gewistermaßen zur Erholung zu schicken! Doch hier geralhen sie auf einen Holzweg; denn abgesehen von Gegenden ländlicher Armuth bestehen die schlichten bäuerlichen Ein- richtungen und Sitten derguten alten Zeit" nur noch in der Phantasie, in Dorfgeschichten von Jmmermann, Auer- dach, Riehl und Melchior Mcyr sowie in Gemälde-Aus- stcllungen, wo eine lindenbeschattete Hütte mit moosigem Dache am grünen Weiher oder Waldcsrande, sei es nach dem Gewitter, sei es im Frühling oder Winter natür­lich inmitten eines goldenen Rahmens stets ein gläu­biges Publikum findet. Diesem Glauben des gedankenlosen Publikums, dieser utopistischen Phantasie tritt ein vcrstän- diger Aufsatz imKunstwart" entgegen.Lieber wendet der Verfasser dem utopischen Schwärmer für bäuerliches Biederthum ein bedenke doch, daß selbst Rosegger über das Schwinden der Alplcr- Eigenart vor dem Eindringen der neuen Zeit klagt. Und was sind gegen das offene deutsche Land mit seinen wachsenden Großstädten, seinen zahllosen Eisenbahnen, seinem Post- unti Telegraphenwesen die Steirer Waldwinkcl? Oder meinst Du, fahre ich fort und brauche dabei eine Wendung, mit welcher neulich der Festredner bei Ucbergabe einer neuen Vercinsfahne die Hauptwirkung seiner zündenden Rede erzielte meinst Du, daß während ,wir führenden Kreise das stolze Banner unseres kulturellen Aufschwungs im Sturmschritt von Sieg zu Sieg vorwärts tragen', der Landmann, der dieses Schauspiel tagtäglich mit ansieht oder doch davon hört und liest, bei alledem bleiben könne und wolle, was seine Väter waren? Euch brennt die hellste Gasflamme noch nicht hell genug und Ihr schreit nach Erleuchtung mit Bogcnlicht von zweitausend Kerzen: soll etwa der Bauer mit der Zeitung in den Händen, in der eben davon berichtet wird, wie seine Ahnen am Kicnspahn sitzen? Nein, sein Wohl- stand ist um's zehnfache gestiegen und sein Selbstgefühl auf grund dieses Wohlstandes um's hundertfache, und wie er, um dessen Stimme sich Reichs- und Landtagskandi- baten höflich bemühen, längst seinen Leinenkittel ausgezogen hat, um ihn mit modischem Gehrock zu vertauschen, so ist er auch schon lange nicht mehr mit der Wohnung zufrieden, die einst seine Väter erbaut und an der sie nach Bedürfnis, wie es gerade war, gebessert haben, sondern er will ein Haus, dem es von weitem anzusehen ist, daß jetzt andere Zeiten für den Landmann angebrochen sind. Also ist eine unermüdliche, früher nicht erlebte Bau- lust nicht bloß in Euren Großstädten erwacht, wo immer zahlreicher emporwachsenden Prachtbauten in breiten schnür- geraden Straßen an Stelle'der zusammengedrückten Häuser- klumpen aus früheren dumpfen Zeiten den Glanz der glor- vollen Gegenwart bezeugen, sondern weit und breit im Lande sinkt das alte Bauernhaus in Schutt und zwar öfter durch die Spitzhacke niedergerissen, als durch Fcuersmacht oder den Zahn der Zeit zerstört, und, kurz: das trauliche, vom mächtigen Birnbaum oder von der buschigen Linde überragte Hüttchen mit hängenden Giebeln, tief sich senkendem Dach und dem geschwärzten Gebälk der mit Lehm geklebten oder im Fachwerk aufgemauerten Wände mag immerhin samt all' seinem ferneren Zubehör in Euren goldschnittgleißenden Büchern und an den Wän- den Eurer Salons ungestört Euch weitererfreuen: draußen in der rauhen oder sage ich lieber: in der glücklicher ge- wordenen Wirklichkeit wird es bald ganz verschwunden und nebst seinen beliebtesten Zuthaten vergessen sein." Gehen wir einmal auf das Land, d. h. nicht in einen von der Kultur noch nicht bespülten Winkel, sondern in eine Gegend, welche die Eisenbahn durchschneidet und In- dustrie und Handel in ihr Bereich gezogen haben. Dort hat sich der Landwirth von einem städtischenBau-Unter- nehmer" ein Haus bauen lassen nach dem Prinzips:Für mein Geld will ich das Beste, das Schönste, das Neueste." Solch ein Bauernhaus sieht ganz allerliebst aus mit seinen Zahnschnitten, Dreischlitzen am oberen Gesims, Ausladungen

über den Fenstern und zu ihren Seiten, mit kannellirten Säulenschäften neben der Hausthür, Kapitellen mit Laub- werk oder Voluten darüber. Aber was diese, sich in den Schwanz beißenden, Delphine, diese Centauren und Chi- mären mit dem Denken und Thun unseres Bauern zu thun haben, ist nicht einzusehen. Wie steht es überhaupt mit der Zweckmäßigkeit eines solchen Hauses? Bei dem Fanatismus des Bauern für Zweckmäßigkeit sollte man erwarten, daß es außer- ordentlich praktisch sei. Sehen wir zu: Die Hauptfront des Hauses liegt nach der Straße zu, wie bei Häusern der Stadt. Dort ist daS auch natürlich; denn die städtische Straße ist interessant. Aber auf dem Dorfe? Da fahren Düngerwagcn die Straße entlang, und auf die Weide ziehende Kühe hinterlassen ihre Spuren. Der Bauer hat vielmehr seine Aufmerksamkeit auf den Hof zu richten, auf Stall, Scheune und Gesinde. Darum hatte auch das alte Bauernhaus seine Langseite dem Hofe zugekehrt, während sich nach der Straße die Giebelseite wandte; und auch die Hauptthür war seitlich. Jetzt noch ist der eigentliche Ein- gang eines jeden Bauernhauses hinten im Hofe; hinten befindet sich ebenfalls die Küche; und in der Stube da- neben ist die Familie zusammengedrängt. Was soll also die Straßenfront mir hübschen Fenstern und wohlgestrichenen Läden, mit stattlicher Hauslhür und emporführender Frei- treppe? Die einzig mögliche Antwort lautet: Diese Pracht ist dazu da, begafft, bewundert zu werden. Einem anderen Zwecke dient sie nicht. Von den Vorderräumen macht in der That der Bauer fast das ganze Jahr hin- durch keinen Gebrauch. Drum siehst du die Fenster mit Roll- Jalousien oder Läden verschlossen; wegen dringender Erntcarbeit hat man ans Ocffnen gar nicht gedacht. Wozu auch? Die Wohnung ist ja hinten im Hofe! Der Land- mann bedarf keiner Stube, wo er arbeitel, seine Frau braucht keineKemenate", wohin sie sich bei einem Mi- gräne- Anfall zurückzieht, und das Kindervolk treibt sich auf dem Hofe und im Freien herum, anstatt hinter Büchern zu hocken. Die Miststiefel paffen auch nicht in diegute Stube". So ist denn die gute Stube ganz verwaist. Wir müssen die Läden öffnen, um Licht zu erhalten. Und da sehen wir am ornamentirten Ofenaufsatz das feine Pferde- gcschirr hängen und am Kronenleuchter einen Beutel mit gedörrtem Obst. Im Winter ist i>ie gute Stube kalr. Nur bei einer Kindtaufe oder einer ähnlichen Festlichkeit wird sie geheizt. Und bei solchen Anlässen erfüllt dann der städtische Luxus Teppich, Plüschsopha, Goldspiegel und Cylinderburcau seinen Zweck, nämlicki den, ange- staunt zu werden und den Besitzer als einen wohl- habenden und wohlgebildeten Menschen, der weiß, was Lebensart ist, erscheinen zu lassen, kurz den Zweck, bürgerlich zu repräsentiren. So hat sich die gute alte Zeit auch auf dem Lande geflüchtet vor dem Ansturm der modernen Wirthschaft, und die Repräsentantin des Kapitalismus,gute Stube", schwingt mich über dem Bäuerlein ihren gestickten Pantoffel. Gin ander Kied! Der Zuckerwasserpoet und zahme harmlose Lieder- dichter Emanuel Geibel wurde neulich unbändig gelobt und zitirt anläßlich der Einweihung seines Denkmals in Lübeck . Schade nur, daß die Geibel -Feiercr meist sicki mehr an die flaueren als an die kräftigen Ergüsse ihres Lieb- lings halten. Sonst würde doch wohl häufiger das prächtige Gedicht zitirt, in dem er, 1845, das Mahl Bel- sazars schildert als Symbol moderner Zustände. Nach- dem er beschrieben, wiesie" in anmuthigster Umgebung tanzen um das goldene Kalb", fährt er fort: Mir ist's, durchsichtig wird die Wand, Und draußen, dicht und dichter, Da drängen sich bei Fackelbrand Viel tausend Hungergesichter. Durch's Gewühl mit riesigem Leib Herschreitet kampfgeschürzt ein Weib Mit blutroth flatternder Fahne. Und sich, der Boden wird zu Glas, Und drunten seh ich sitzen Den Tod mit Augen hohl und graß Und mit der Sense blitzen; Sarg' auf Särge rings gethürmt Doch drüber hin wie rasend stürmt Der Tanz mit Pfeifen und Geigen. Sie haben Augen und sehen's nicht, Sie prassen fort und lachen; Sie hörcn's nicht, wie zum Gericht Schon Balk' und Säule krachen. Lauter jauchzt der Geige Ton Ihr Männer, ihr Weiber von Babylon: Mene Tekel Upharsin! Wenn der Mann das heut zu Tage gemacht hätte, wäre er vielleicht sozialistcngesetzlich ausgewiesen worden, sobald er den Boden einesBelagerungsgebietes" betreten hätte._

Die Gnade des Zaren. Der Märtyrer für die Sache des Volkes, Tscherny- schewsky, wurde nach achtundvierzig Jahren der Ge- fangenschaft in Sibirien begnadigt. Im August wurde er begnadigt, im Oktober starb er die Sonne der Gnade leuchtete erst der Leiche des großen Forschers und Kämpfers.--- Zu gleicher Zeit läuft durch die Zeitungen folgende Notiz: Der Zar auf Reisen. Die Vorsichtsmaßregeln, welche für die Sicherhett der Person de* Zaren, wenn er auf Reisen«st, getroffen werden, sind, wie Truth" erzählt, ganz außerordentlich. Es wurde veröffentlicht.